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Aktueller denn je: Rollenbilder von Mädchen und Jungen, Männern und Frauen

Von Juliane Brumberg

Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns hier und hier mit der Problematik von Rollenbildern beschäftigen. Das Nachdenken und Wirken für die Freiheit von Frauen verläuft im Sande, wenn gleichzeitig herkömmliche Rollenbilder diese ganz erheblich einschränken. Und die Rückwärtsspirale scheint sich an manchen Orten heftig zu drehen.

Das hat auch der Bayerische Landesfrauenrat zu seinem Thema gemacht und im November 2019 eine Stellungnahme zu der verzerrten Wirklichkeit bei Rollenbildern von Mädchen im Kinderfernsehen veröffentlicht. Dort steht: „In fiktionalen Sendungen werden die animierten Figuren unnatürlich, realitätsfern und vor allem hypersexualisiert dargestellt. Durch extreme Wespentaillen, Riesen-Brüste und sehr lange Beine werden Frauenkörper jenseits anatomischer Möglichkeiten abgebildet. Derartige Rollenbilder prägen Mädchen und Jungen schon im Vorschulalter und engen sie in ihrer Entwicklung ein. Sie verhindern die realistische Wahrnehmung des eigenen Körpers und zelebrieren die Klischeevorstellungen der fast ausschließlich männlichen Produzenten und Geldgeber. Und weiter: „Kinderfernsehen hat unter anderem die Aufgabe, die nachfolgende Generation für eine gerechte Gesellschaft zu bilden, ihre Entwicklung zu unterstützen und unterschiedliche Lebensentwürfe als gleichwertig anzubieten. An Diversität orientierte Bilder, Inhalte und Geschichten im Kinderfernsehen können in den Köpfen viel verändern. Mädchen und Jungen werden dadurch bestärkt, die ihnen zugeschriebenen Rollen zu verlassen und ihre eigene Identität zu finden.“ Gefordert wird unter Anderem: mehr Frauen als Expertinnen, finanzielle Förderung für Gendersensibilität bei Filmeinkauf und Produktion sowie gezielte Förderung von Frauen in der Produktion von Kindersendungen.  So weit so gut oder auch so schlecht.

Während der Bayerische Landesfrauenrat sich – berechtigterweise – noch an den Rollenbildern im Kinderfernsehen abarbeitete, hatte sich längst ein anderes Thema eingeschlichen: Die weibliche Selbstinszenierung in den neuen Medien. Als Vorbild dienen dabei junge Frauen und Mädchen, die sich auf Facebook oder Instagram als Expertinnen präsentieren, Beauty-Produkte anpreisen und damit viel Geld verdienen. Zum Teil haben sie eine gigantische Reichweite. Das Fatale: je rückwärtsgewandter das Frauenbild, desto erfolgreicher die Influencerin.

Da politisch engagierte „ältere“ Frauen sich weniger auf diesen modernen Plattformen bewegen, ging das Problem zunächst an vielen vorbei. Doch auch hier hat der Bayerische Landesfrauenrat den Finger in die Wunde gelegt und im Dezember 2019 zu einer öffentlichen Veranstaltung zu dem Thema „Influencerinnen und Konsumentinnen bei Instagram, YouTube und Co. – Frauen im Social Web“ eingeladen. Mit 70 Teilnehmerinnen wurde geplant, an die 300 kamen. Was die Referentin Dr. Maya Götz ihnen vermittelte, bot erschreckende Einblicke in die Medienwirklichkeit der nächsten Generation.

Ausgangspunkt war eine im Januar 2019 veröffentlichte Studie der MaLisa Stiftung. In der Einleitung zu den Studienergebnissen wird festgehalten, dass bereits die Zuschauererwartungen sehr eng sind und sich bei Frauen und Mädchen auf den Beauty-, Näh- und Kochbereich beschränken. Sobald z.B. Youtuberinnen sich neue Genres wie Comedy oder Politik erschließen wollen, müssten sie mit kritischen, manchmal sogar bösartigen, Kommentaren rechnen. Weiter steht dort: „Die Befragungen bei Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren haben studienübergreifend gezeigt, dass jugendliche Konsument*innen Influencer*innen als Vorbilder betrachten und deren Posen und Aussehen nachahmen. (…) Mädchen, die Influencer*innen folgen, bearbeiten ihre eigenen Bilder stärker als solche, die keinen Influencer*innen folgen. Sie empfinden ihr natürliches Aussehen zunehmend als unzureichend.“

Also wird bei den eigenen Bildern mit optischen Filtern nachgebessert, um normierte Klischees von weiblicher Schönheit zu erfüllen: Sie machen sich die Brüste größer, die Hüpften schlanker und die Beine länger. Der Blick für die Unterschiedlichkeit geht dabei verloren. Wer in der Realität das Schönheitsklischee nicht erreicht, versucht, sich schlank zu hungern (Magersucht!) und verliert an Selbstbewusstsein. Mich als ältere frauenbewegte Frau besorgt dabei, wie ganz freiwillig Freiheit aufgegeben und althergebrachte Rollenzuschreibungen übererfüllt werden.

Außerdem zeigen die in der Studie veröffentlichten Statistiken, dass Frauen auf Youtube mit nur 29 Prozent deutlich unterrepräsentiert sind. Aber auch Jungen sind laut der Studie einem Schönheitsdruck ausgesetzt. Sie retuschieren sich die Schultern breiter sowie Arme und Beine muskulöser oder ergänzen ein Sixpack.

Diese Postkarte möchte Jugendliche auf ihre natürliche Schönheit hinweisern. Fotos: Juliane Brumberg

Als kleinen Versuch einer Antwort darauf hat der Bayerische Landesfrauenrat eine Postkartemit dem Motto „Ich bin schön auch ohne Filter“ herausgegeben, die sich eines großen Interesses erfreut. Auf einer Spiegelfolie können die Betrachter_innen dabei in ihr eigenes natürliches Gesicht schauen. Bleibt zu hoffen, dass die Karte nicht nur die Frauen in den engagierten Verbänden, sondern auch die nächste Generation erreicht. Und dass die jungen Mädels mit zunehmendem Alter selber bemerken, dass es auch noch andere Werte als Schönheit gibt.

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Antje Schrupp sagt:

    Liebe Juliane, danke für den Bericht. Ich finde die Analyse allerdings ein bisschen eindimensional, und zwar unter zwei Aspekten:

    Erstens halte ich es für ein Gerücht, dass Frauen “früher” (wann immer das gewesen sein mag) weniger auf Äußerliches geachtet hätten. In der Öffentlichkeit haben Frauen sich immer “inszeniert”, und zwar auch in einem konventionellen Sinn. Heute ist halt der Unterschied, dass junge Frauen massenhaft in der Öffentlichkeit sichtbar sind. Das ist doch gut. Und man darf nicht vergessen, dass die “Influencerinnen” realen Einfluss habe. Als Kylee Jenner vor einigen Wochen angekündigt hat, Snapchat nicht mehr so regelmäßig zu benutzen, ist die Aktie direkt deutlich gesunken. Sascha Lobo sagt dazu ein paar interessante Dinge in diesem Podcast: https://viertausendhertz.de/plb09/

    Zweitens: Es stimmt gar nicht, dass alle Influencerinnen so total angepasst sind. Das ist eine Masche, es gibt aber auch viele mit dezidiert anderen Profilen, die ganze Body-Positivity-Bewegung für mehr Vielfalt bei Körpern etwa, oder die Sichtbarkeit Schwarzer Frauen usw. das alles spielt sich ebenfalls in sozialen Medien über Influencerinnen ab. Oder es gibt Typen, die eher abseits vom Mainstream sind wie Billie Eilish (nur 1 Beispiel), die ebenfalls Vorbilder für junge Frauen sind.

    Ich finde den Ansatz, dass wir Älteren “die nächste Generation erreichen” müssen um ihnen die Welt zu erklären, eigentlich verfehlt, zuerst einmal müssten wir sie ernst nehmen, in ihren Anliegen, in ihren Wünschen und auch in ihren Kompetenzen.

  • Dr. Gisela Forster sagt:

    Das Problem verändert sich, je nachdem aus welcher Perspektive, aus welchem Blickwinkel und aus welchem Seinszustand der eigenen Welt hingeschaut wird.

    Ich persönlich fühle mich als sehr modern, kann mit den neuen Medien sehr gut umgehen, kann programmieren und bin im www und in der Politik aktiv tätig. In Instagramm oder facebook bin ich allerdings nie eingestiegen, das ist mir zu oberflächlich und hautnah. Allerdings sind mir die geschilderten Erscheinungsweisen nicht fremd.

    Hinzufügen kann ich das, was ich als Lehrerin für Kunst sehr genau sehe, nämlich, dass Mädchen um so untergebener und unterwürfiger werden, je mehr vorgegeben starke Jungs in einer Klasse das Sagen haben oder sich die Macht schnappen. Die Lehrkräfte schauen auf die Jungs und treten in einen Machtkampf mit denen ein, die Mädchen sitzen total zugeschminckt mit knappster Hose und bauchfreiem Nabel zusammengedrängt in einer Reihe und spielen die Rolle der schönen verführerischen Stummen. Und sie schauen dabei aus wie die Puppen des Kinderfernsehens, genauso wie Juliane Brumberg es beschreibt. Selbstbewusste und klar und laut denkende und sprechende Mädchen, wie sie in früheren Klassen oder in Mädchenklassen zu finden waren, gibt es immer weniger. Über die Ursachen sollten Frau und Mann intensiv nachdenken. Der Artikel von Juliane Brumberg ist eine gute Anregung hierzu.

  • Ute Plass sagt:

    @Antje: ” In der Öffentlichkeit haben Frauen sich immer „inszeniert“, und zwar auch in einem konventionellen Sinn. Heute ist halt der Unterschied, dass junge Frauen massenhaft in der Öffentlichkeit sichtbar sind. Das ist doch gut.”

    Die Inszenierung von Frauen in ‘früheren Zeiten’ spielte sich wohl oft auf einer Art von Heiratsmarkt ab. Frauen konkurrierten um männliche Heiratskandidaten, die zumeist auch Existenzsicherung bedeuteten.
    Heute ist es der Kapitalmarkt, für den sich (nicht nur) Frauen inszenieren. Die Sichtbarkeit bis hin zur Zuschaustellung von Frauen gehorcht wohl weniger dem Ruf aus ‘Liebe zur Freiheit’ als vielmehr dem Zwang zur kapitalen Verwertung.

    Die Frage ist warum, für was und für wen diese Inszenierung gut sein soll?

    Ich denke schon, dass es Aufgabe von “uns Älteren” ist, unsere Jugend vor diesem Zwang zur Optimierung und Verwertung zu schützen.

  • Ute Plass sagt:

    @Antje: “Ich finde den Ansatz, dass wir Älteren „die nächste Generation erreichen“ müssen um ihnen die Welt zu erklären, eigentlich verfehlt, zuerst einmal müssten wir sie ernst nehmen, in ihren Anliegen, in ihren Wünschen und auch in ihren Kompetenzen.”

    Sehe ich auch so.

    “Unter dem Motto “Wir kündigen den Generationenvertrag – und machen einen neuen“ wird die Lobby der Jugend gegenüber den Verantwortlichen in der Politik und Öffentlichkeit die Stimme erheben und Mitbestimmung einfordern.

    https://wirkuendigen.de/wir-fordern/

  • Sammelmappe sagt:

    Beim Lesen des Artikels muss ich ein bisschen Schmunzeln:
    “Da politisch engagierte „ältere“ Frauen sich weniger auf diesen modernen Plattformen bewegen, ging das Problem zunächst an vielen vorbei.”

    Vielleicht denkt sich da irgendwo eine jüngere Frau:

    Mich als junge Frau besorgt dabei, wie ganz freiwillig auf Erfahrungen in neuen Kommunikations- und Netzwerkmöglichkeiten verzichtet und sich in eine genarationenbeschränkte Isolation begeben wird.

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