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Selbstbestimmt in den Tod

Von Adelheid Ohlig

„Unter deinem Redefluss breitete sich dein Schweigen aus, von dem ich mich einhüllen liess. Wortlos ging es auf mich über, und ich übernahm es. Wir schwiegen nicht aus demselben Grund, aber vom selben Grund aus. Dein Schweigen wurde zu einer unsichtbaren Kette, die mich an dich band.“

Wie geht man mit dem Freitod der Mutter um? Dem Freitod, den sie selbst bestimmt, entscheidet und den sie mit Hilfe einer entsprechenden Organisation ausführt?
Ein schweres Buch. Leicht in der Sprache. Ernst und tief, klar und voller Kraft.
Sarbacher, Schauspielerin und Präsenztrainerin, wählt kurze Episoden der Erinnerung um einen vier Wochen langen Sommer des Wartens auf dem Weg zum letzten Atemzug zu beschreiben.

Ligurien, wo die Mutter in den 1930er Jahren aufwuchs, Nonna und Nonno, Sommerfreuden, Kind sein in Italien… Stimmungsbilder, um die Mutter besser zu verstehen. Wie konnte diese Italienerin so selbstbestimmt in der Schweiz leben? Indem sie sich furchtlos dem Leben anvertraute, erklärt die Autorin. Ebenso furchtlos vertraut sie sich nun dem Tod an. Doch hat sie sich je ihren nahen Menschen anvertraut? Stets war sie wie ein Fels in der Brandung. „Hätte ich in früheren Jahren mehr von deinen Ängsten, Sehnsüchten und Leidenschaften erfahren, hätte sich davon etwas in deinem Gesicht gezeigt, wäre ich dann menschlichen und baulichen Fassaden weniger ausgeliefert, liesse ich mich weniger rasch beeindrucken?“ fragt sich Sarbacher. Die Wochen des Abschieds füllen sich mit Tagen des neuen Kennenlernens. Verständnis für die Verschiedenheit der beiden Frauen entfaltet sich. Akzeptanz wächst für die Andersartigkeit.

Das Buch packt: weil die Schreibende ehrlich ihre Befindlichkeit benennt, klare Worte findet für ihr Dilemma, der Mutter beizustehen und gleichzeitig hin und her gerissen zu sein. Der Sommergarten entsteht vor meinen Augen, ich nehme die Natur wahr und erkenne durch den Text die Natürlichkeit von Werden und Vergehen, Leben und Sterben. Nachdenklichkeit bleibt.

Ariela Sarbacher: Der Sommer im Garten meiner Mutter, Bilger Verlag Zürich, 2020

Autorin: Adelheid Ohlig
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 27.05.2020
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