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Nachdenkliches zur Gestaltung der Zukunft

Von Adelheid Ohlig

„Unsere Welt neu denken, Eine Einladung“ lautet der Titel des Buches. Danke für die Einladung, gern nahm ich sie an, wurde gut genährt: mit anregenden Gedanken, nachdenklich machenden Überlegungen, persönlichen Reflexionen, klaren Tatsachen, einleuchtenden Querverweisen.

Wir wissen: wir haben nur eine Erde. Während früher viel Planet für weniger Menschen da war, ist nach Jahrhunderten der Ausbeutung nur noch wenig Planet für mehr als sieben Milliarden Menschen vorhanden.

Was tun? Ideen, Initiativen, Interessengruppen gibt es – siehe Fridays for Future – die nach Möglichkeiten und Mitteln suchen, Wege finden, wie wir nachhaltig leben können.

Diesen Zukunftsfragen widmet sich Göpel mit Sachverstand und Mut: sie begibt sich aus der Box bisheriger Denkweisen und imaginiert Anderes.

Göpel formuliert in dem Buch vieles von dem, was ich in meiner Umgebung seit langem reflektiere und diskutiere: in welcher Gesellschaft wollen wir leben? Was brauchen wir wirklich? Bei ihr kommen Sachverstand, Wissen, einflussreiche Position, bildhafte Sprache und Formulierungskunst zusammen, um dem Neuen auf die Sprünge zu helfen. Sie stellt Fragen: Flog die Herkunftsfamilie vor 50 Jahren in den Urlaub? Wieviel Autos besass sie? Wie gross war die Wohnung? Wie oft wurden neue Möbel gekauft? Mussten die Dinge von weit herangeschafft werden?

Göpel demonstriert am ökologischen Fussabdruck, wo wir gelandet sind: seit den 1970er Jahren zehren wir die Natur aus, verbrauchen mehr als regeneriert wird. Würde die deutsche Lebensart globaler Standard bräuchten wir mehr als zwei Erden.

Göpel kritisiert Wachstumskonzepte wie die des Ökonomen Robert Solow, der den Nobelpreis dafür bekam, dass Natur durch Technik substituierbar sei. Für diesen Ökonom ist es keine Katastrophe, wenn die Natur zerstört wird – man muss sie nur durch Technik ersetzen. Die Idee ein solches Wirtschaftssystem zu bauen, ist aus Sicht der Resilienz schlicht Wahnsinn, schreibt Göpel.

„Warum erhalten wir nicht die sich vielfältig mit Energie versorgende und regenerierende Natur, die uns geschenkt wurde? Welches wäre die lebenserhaltende Innovationsagenda?“

Göpel weist nach, dass die heute gültigen wirtschaftlichen Annahmen eben genau dies sind: Annahmen über die Wirklichkeit, die dadurch, dass sie angenommen werden, diese Wirklichkeit schaffen. Darum ist es so wichtig, neue Theorien zugrunde zu legen, menschliche Massstäbe anzulegen.

Wenn ich es flott ausdrücke, sollten wir nicht länger auf Aktienkurse starren, sondern lieber Achtsamkeitskurse besuchen. Göpel erinnert an den Ökonom Ernst Friedrich Schumacher, der – nachdem er Mitte der 1950er Jahre im damaligen Birma als Wirtschaftsberater wirkte – den Slogan prägte: small is beautiful. In seinem Buch “Rückkehr zum menschlichen Mass” beschreibt er die buddhistische Wirtschaftslehre, die Arbeit als etwas betrachtet, dass die Menschen darin unterstützt, ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Das alte Menschenbild der heutigen Wirtschaft, wonach wir alle Egoisten seien, muss dringend abgelöst werden: „Wir brauchen eine Neubetrachtung der Werte, die Menschen in ihrer kooperativen Lebendigkeit stützen.” Göpels Vorschläge:

Vom Produkt zum Prozess
Vom Förderband zum Kreislauf
Vom Einzelteil zum System
Vom Extrahieren zum Regenerieren
Vom Wettkampf zur Zusammenarbeit
Von Unwucht zu Balance
Vom Geld zum Wert.

So kommen wir heraus aus der bislang für alternativlos gehaltenen Box der Annahmen. Das Neue vorauszudenken bereitet den Boden für die Wirklichkeit. Drei Empfehlungen gibt Göpel: „Bleiben Sie freundlich und geduldig, aber bleiben Sie dran. Suchen Sie sich Mitstreiter. Lassen Sie sich nicht runterziehen.“

Zukunft machen ist Leben verbringen!

Wer weitergehen will, findet Literaturempfehlungen sowie Hinweise zu Handlungsangeboten. Dieses Mut machende Buch lege ich allen ans Herz, die sich eine gerechte, gütige, gute Welt für alle wünschen: eine solche Gesellschaft ist machbar und vor allem lebbar!

Prof. Dr. Maja Göpel, *1976, arbeitet als Nachhaltigkeitswissenschaftlerin und Politökonomin an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Sie ist Generalsekretärin des wissenschaftlichen Beirats «Globale Umweltveränderungen» bei der deutschen Bundesregierung, Mitglied des Club of Rome, des World Future Council, der Balaton Group und Fellow am Progressiven Zentrum. Im März 2019 stellte sie die Initiative «Scientists for Future «vor: mehr als 26.000 WissenschaftlerInnen unterstützen damit die Forderungen der Proteste zu Klima- und Umweltschutz.

Maja Göpel: Unsere Welt neu denken – Eine Einladung, Ullstein Verlag, Berlin 2020, 208 Seiten, 17,99 Euro.

Autorin: Adelheid Ohlig
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 02.08.2020
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Danke für diese Buchempfehlung, liebe Adelheid Ohlig. Mit den Gedanken Göpels stimme ich vollkommen überein.

    Ich habe in meinem Blogbeitrag “Reflexionen über über-lebensnotwendige Lebensveränderungen und Verzicht” u.a. geschrieben:

    “Es ist noch immer nicht im Allgemeinbewusstsein angekommen, dass wir alle – und damit meine ich wirklich „alle Menschen“ – etwas verändern müssen.
    „Uns geht’s doch gut! Warum etwas verändern?“
    Ja, aber …

    Jetzt, zur Coronazeit und der Klimaveränderung, die nicht irgendwann kommt sondern die bereits begonnen hat, wäre es dringend notwendig sich Fragen zu stellen –

    was brauche ich zu einem guten Leben?
    brauche ich das was ich bereits habe wirklich alles?
    worauf kann ich verzichten?
    was kann ich verändern in meinem Leben?

    (…)Für mich persönlich gehört zu einem guten Leben, dass ich nicht über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg in gleichen Alltagsgewohnheiten versinke und mir der vielen anderen Lebensmöglichkeiten gar nicht mehr bewusst bin. Jahreszeiten verändern sich / unsere Leben verändern sich / Lebensrhythmen werden mit den Jahren anders.

    Ja, werden sie das?
    Nur wenn wir uns selbst und unsere Umgebung mit Achtsamkeit wahrnehmen.

    Ich habe immer wieder Neues ausprobiert und möchte auch weiter Neues ausprobieren. Ja, ich möchte sagen – ich muss – weil ich mich verändert habe und daher liebe, alte und wohlbekannte Lebensgewohnheiten nicht mehr stimmen. Es passt einfach nicht mehr. Wie ein Kleid, das nicht mehr richtig passt …”

    “Immer wieder die Welt neu denken” – und dazu muss ich auch immer wieder mich selbst neu denken …

  • Ich bin seit wenigen Tagen am Lesen des Buches aufgrund einer Empfehlung. Es ist sehr lesenswert, einfach geschrieben und gut verständlich. Maja Göpel geht behutsam vor, weil es ihr darum geht, dass wir unser jetziges System verstehen, dass wir die Details bzw. die grundlegenden Fehler des jetzigen Systems erkennen. Ich empfehle es allen*, die daran glauben, dass alle Menschen persönlich und vorallem wir im Kollektiv Veränderungen anstossen und verwirklichen können. Viele konkrete Ansätze gibt es bereits. Es gibt viel zu denken und zu tun.

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