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Ist Leihmutterschaft mit dem Grundgesetz vereinbar?

Von Antje Schrupp

Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten. Aber warum eigentlich, und könnte sich das vielleicht ändern? Darüber sprach Antje Schrupp mit der Juristin Laura Anna Klein. Sie promoviert zu Reproduktion und Autonomie aus verfassungsrechtlicher und rechtsphilosophischer Perspektive und arbeitet am Lehrstuhl für Rechtsphilosophie und Öffentliches Recht der Universität Mainz.


Laura Klein. Foto: Max Eicke

Laura, das Thema Leihmutterschaft ist derzeit politisch heiß umstritten. In Deutschland ist die Gesetzeslage im internationalen Vergleich restriktiv. Was genau ist hierzulande verboten?

Das Verbot der Leihmutterschaft in Deutschland ergibt sich aus dem Embryonenschutzgesetz und dem Adoptionsvermittlungsgesetz. Das Embryonenschutzgesetz verbietet es, bei einer sogenannten „Ersatzmutter“, so die Begriffswahl in der Gesetzesbegründung, „eine künstliche Befruchtung durchzuführen oder auf sie einen menschlichen Embryo zu übertragen“. Damit ist jede denkbare Form der technologisch assistierten Leihmutterschaft untersagt. Und zwar sowohl die sogenannte altruistische als auch die kommerzielle Form der Leihmutterschaft und auch unabhängig davon, ob Keimzellen der intendierten Eltern oder Spenderzellen verwendet werden. Laut Adoptionsvermittlungsgesetz ist zudem jede „Ersatzmuttervermittlung“ ausdrücklich untersagt.

Wer macht sich strafbar?

Zunächst einmal alle, die bei einer Leihmutter eine assistierte Fortpflanzungstechnik durchführen. Das werden in der Regel Ärztinnen, Biologen oder weiteres medizinisches Personal sein. Dann auch Agenturen, die intendierte Eltern und potenzielle Leihmütter zusammenbringen. Nicht strafbar machen sich hingegen Menschen, die mithilfe einer Leihmutter Kinder haben wollen, ebenso wenig die Leihmutter selbst oder eine möglicherweise involvierte Eizellspenderin. Nach der jetzigen Rechtslage wäre außerdem ein Vertrag über eine Leihmutterschaft in Deutschland unwirksam. Als Mutter gilt im Bürgerlichen Gesetzbuch die Frau, die das Kind zur Welt bringt. Damit wäre eine Leihmutter, die in Deutschland ein Kind gebärt, automatisch die rechtliche Mutter.

In vielen Ländern ist Leihmutterschaft legal und wird viel weniger problematisch angesehen. Woher kommen diese Unterschiede?

Das liegt zum einen an unterschiedlichen Rechtssystemen. Zum anderen kommt es darauf an, welches Bild von Leihmutterschaft man bewusst oder unbewusst vor Augen hat. Im internationalen Vergleich gibt es sehr unterschiedliche Bilder der Leihmutter und ihrer Funktion. Eine Schweizer Rechtswissenschaftlerin, Michelle Cottier, hat gezeigt, wie stark rechtliche Konstruktionen davon abhängen, ob man eine Leihmutter als altruistische Helferin, als Reproduktionsdienstleisterin oder als instrumentalisierte Frau versteht. Auch der Diskurs über Mutterschaft und die Vorstellung von Familienmodellen spielen eine Rolle. Diese kulturell geprägten Vorannahmen spiegeln sich auch im Recht wider. In Großbritannien etwa ist die altruistische Form erlaubt, die Leihmutter wird danach als Helferin gedacht, die den intendierten Eltern ein Kind schenkt. In manchen US-Bundesstaaten, zum Beispiel in Kalifornien, gilt die Leihmutter als Dienstleisterin, die Schwangerschaft und Geburt gegen finanzielle Entschädigung eintauscht. In Deutschland und der Schweiz ist das Bild der instrumentalisierten Frau vorherrschend. In der Schweiz wurde deshalb 2001 das Verbot der Leihmutterschaft explizit in die Bundesverfassung aufgenommen. Das deutsche Grundgesetz hingegen enthält erstmal keine ausdrückliche Bestimmung zur Leihmutterschaft oder allgemein zu Techniken der assistierten Fortpflanzung. Und auch das Bundesverfassungsgericht hat zum geltenden Verbot der Leihmutterschaft bisher keine Stellung genommen.

Eine Gesetzesänderung wäre vom Grundgesetz her also möglich?

Darüber streiten wir Juristinnen und Juristen. In diesem Bereich herrscht nicht nur ethisch und politisch, sondern auch juristisch wenig Einigkeit. Grob gesagt gibt es drei Grundpositionen in der Verfassungsrechtswissenschaft: Die einen meinen, das geltende Verbot sei verfassungswidrig, und Leihmutterschaft sollte in Deutschland eingeführt werden. Andere vertreten die Auffassung, das geltende Verbot sei aus Perspektive des Grundgesetzes zwingend, Leihmutterschaft dürfe hierzulande nicht eingeführt werden. Eine dritte Position nimmt den politischen Gestaltungsspielraum zum Ausgangspunkt. Danach obliegt es dem Gesetzgeber, die Grundrechtspositionen aus Sicht der Beteiligten ausfindig zu machen und in Ausgleich miteinander zu bringen.

Und welche Auffassung vertrittst du?

Die dritte Position: Das Grundgesetz gibt einen Rahmen vor, an dem sich politische Entscheidungen messen lassen müssen, und dabei ist die zentrale Frage, ob Rechte durch Verbote eingeschränkt werden, oder ob andere Rechte durch ein Erlauben gefährdet werden. Konkret kommt es darauf an, dass die grundrechtlichen Positionen aller Beteiligten beachtet werden. Tatsächlich beschneidet das geltende Verbot der Leihmutterschaft Menschen in ihren Freiheiten. Daraus lässt sich aber noch kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Einführung der Leihmutterschaft ableiten. Umgekehrt gibt es eine Reihe sachlicher Gründe und Risiken, die gegen eine Einführung sprechen, und die nicht kleinzureden sind. Der Gesetzgeber muss daher Leihmutterschaft nicht zulassen, kann es aber. Diese Risikobeurteilung liegt in seinem Gestaltungsspielraum.

In welchen Freiheiten werden Menschen denn durch ein Verbot der Leihmutterschaft beschnitten?

Nun ja, von einem freiheitsrechtlichen Ausgangspunkt her ist zunächst die Freiheit der intendierten Eltern, eine Familie mithilfe einer Leihmutter zu gründen, zu nennen. Diese Freiheit ist verfassungsrechtlich als Teil der Familiengründungsfreiheit vom Familiengrundrecht oder als Recht auf reproduktive Selbstbestimmung vom allgemeinen Persönlichkeitsrechtsrecht geschützt. Auch aus Perspektive der so genannten Leihmutter lässt sich zunächst freiheitsrechtlich argumentieren: Die Entscheidung, als Leihmutter tätig sein zu wollen, kann als Ausdruck ihrer Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die Intimsphäre begriffen werden.

Und welche Gründe können andererseits rechtfertigen, in diese Freiheiten einzugreifen?

Es müssen Gründe sein, die sich aus dem Grundgesetz selbst ergeben. Teilweise wird vertreten, dass jede Variante der Leihmutterschaft per se die Würde der Leihmutter oder deren Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt, und dass deshalb ein ausnahmsloses Verbot notwendig sei, um die Würde und das Recht der Frau auf körperliche Unversehrtheit zu schützen. Diese Argumentation ist jedoch nahe an einem unguten Paternalismus, weil sie Menschen gegen ihren Willen, aber zu ihrem Wohl schützen will. Ein zweites Argument ist das Risiko der kommerziellen Ausbeutung, vor dem die potenzielle Leihmutter geschützt werden soll. Der Gesetzgeber begründet das Verbot der Leihmutterschaft aber vor allem mit der so genannten „gespaltenen Mutterschaft“, also dem Auseinanderfallen von genetischer und biologischer Mutterschaft, wodurch das Kindeswohl beeinträchtigt werde.

Inwiefern?

Die inzwischen dreißig Jahre alte Gesetzesbegründung nimmt an, dass allein schon dieses Auseinanderfallen von genetischer und biologischer Mutterschaft die Identitätsfindung eines Kindes erschwere und deshalb Leihmutterschaft verboten werden müsste. Dem liegt die Annahme zugrunde, die Geburtsmutter, und nur diese, sei die „natürliche“ Mutter.  Lassen wir mal außen vor, dass sich der rechtswissenschaftliche Diskurs bisher kaum damit auseinandersetzt, warum eigentlich „gespaltene Mutterschaft“ verhindert werden soll, während „gespaltene Vaterschaft“ vom Gesetzgeber als normal akzeptiert wird, und richten wir den Blick auf das Kindeswohl. Die verfassungsrechtliche Position der zu zeugenden Kinder ist nicht so einfach zu fassen. Da die Kinder ja noch nicht geboren sind und bei einem Verbot auch nie geboren werden, kann man sie nicht nach ihren individuellen Interessen fragen. Deshalb kritisieren einige, dass überhaupt versucht wird, ein Verbot der Leihmutterschaft mit dem Kindeswohl zu rechtfertigen. Mir erscheint die Frage nach den Kinderbelangen aber durchaus als wichtig, man müsste sie aber anders angehen. Die Verfassungsrechtswissenschaftlerin Friederike Wapler von der Universität Mainz hat dafür einen überzeugenderen Vorschlag gemacht, nämlich nach abstrakten Mindestbedingungen zu fragen, ohne die bei jedem Kind von einer Gefährdung seines Wohls auszugehen ist: die Achtung der Menschenwürde, ein Mindestmaß an Gesundheit sowie die abstrakte Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit zu entfalten.

Was ist mit dem Argument, das Verbot der Leihmutterschaft verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil es verhindert, dass gleichgeschlechtliche Männerpaare Kinder haben können?

So wird tatsächlich manchmal argumentiert, und zwar mit dem Hinweis darauf, dass gleichgeschlechtliche Frauenpaare ja durchaus mithilfe einer Samenspende Kinder haben können. Wobei der Zugang zur Samenspende für diese Frauen, genauso wie für alleinstehende, alles andere als gesichert ist, aber das ist ein anderes Thema. Der Gleichheitssatz verpflichtet den Staat, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln. Samenspende und Leihmutterschaft sind zwar beides reproduktionsmedizinische Techniken. Aber die Verfahren, mithilfe derer ein Kind gezeugt wird, sind meiner Meinung nach nicht miteinander vergleichbar. Eine Samenspende ist schnell und einfach durchzuführen. Leihmutterschaft dagegen ist mit erheblichen körperlichen Belastungen verbunden, einer Hormonbehandlung sowie Schwangerschaft und Geburt. Man könnte deshalb entweder sagen, dass die Techniken schon gar nicht miteinander vergleichbar sind oder, wenn man die Perspektive der intendierten Elternteile einnimmt, dass die ungleiche Behandlung dieser Paare mit Kinderwünschen eben aufgrund der Verschiedenheit von Samenspende und Leihmutterschaft verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.

Was hältst du von dem Vorschlag, altruistische Leihmutterschaften zu erlauben, aber kommerzielle weiterhin zu verbieten, damit es keine finanzielle Ausbeutung von Frauen gibt?

Das Schwierige daran ist zum einen, dass diese Grenze gar nicht so klar zu ziehen ist. In der Regel bekommt eine Leihmutter auch in dem sogenannten altruistischen Modell eine Aufwandsentschädigung, und wie ich finde, zu Recht, denn die Risiken und Anstrengungen, die mit einer Hormonbehandlung, der Schwangerschaft und Geburt einhergehen, sind ja auch außerordentlich hoch. Zum anderen bestehen bei beiden Modellen Gefahren: Bei einer kommerziellen Form der Leihmutterschaft ist die Gefahr einer Ausbeutung von Frauen, die aus wirtschaftlicher Not handeln, vielleicht größer. Aber bei der so genannten altruistischen Form besteht dafür die Gefahr, dass das Bild der hilfsbereiten, uneigennützigen Frau ausgenutzt wird und am Ende Kinderwunschzentren und Vermittlungsagenturen Geld daran verdienen, aber die handelnden Frauen sich bescheiden zeigen sollen. Abseits von altruistisch oder kommerziell sollten wir nach den sonstigen tatsächlichen Gegebenheiten fragen. Problematisch ist es immer dann, wenn sich die Beteiligten unter Bedingungen struktureller Ungleichheit begegnen.

Mal angenommen, es gäbe Lockerungen von dem Verbot der Leihmutterschaft. Was sollte dabei beachtet werden?

Davor müssten wir eigentlich noch darüber diskutieren, welches Modell der Lockerung gewählt werden soll. Wie sollen die Beziehungsverhältnisse der involvierten Personen gedacht werden? Stellt man sich Leihmutterschaft etwa als dauerhaft enges Beziehungsgeflecht zwischen allen Beteiligten vor oder eher als zu entlohnende Dienstleistung? Unabhängig davon müsste der Staat vor allem sicherstellen, dass die Leihmutter durch die Vereinbarung mit den intendierten Eltern nicht zum Objekt gemacht und ausgebeutet wird. Es müsste sichergestellt werden, dass die Frau freiwillig handelt, also ohne Zwang, Manipulation und auch nicht aus rein finanzieller Not. Sie müsste umfassend über medizinische, psychosoziale und rechtliche Risiken informiert und aufgeklärt werden. Sie müsste vor, während und nach der Schwangerschaft angemessen medizinisch versorgt werden. Die intendierten Eltern hätten kein Recht, über den Körper der austragenden Frau zu verfügen, sie dürften zum Beispiel keine spezifischen Untersuchungen während der Schwangerschaft verlangen oder die Geburtsmethode bestimmen. Und sie hätten auch kein Mitspracherecht, etwa bei einem Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer Mehrlingsschwangerschaft oder bei einem auffälligen genetischen Befund.

Genau das alles ist aber in vielen Ländern, in denen Leihmutterschaft legal ist, gang und gäbe.

Ja, leider. Würde man Leihmutterschaft hierzulande einführen wollen, müsste man sich deshalb die Praxis und die rechtlichen Rahmenbedingungen in anderen Ländern ganz genau anschauen und vor allem auch Negativbeispiele. Das wurde etwa für Indien und die USA schon getan. In manchen US-Bundesstaaten herrscht zum Beispiel ein reines Vertragsmodell. Dort können die intendierten Eltern alle denkbaren Verhaltensweisen der Leihmutter vereinbaren, vom Rauchverbot bis hin zum Verbot von Geschlechtsverkehr während der Schwangerschaft. Die Praxis geht sogar teilweise so weit, dass intendierte Eltern der Leihmutter verbieten, Kaffee zu trinken! In Indien, wo Leihmutterschaft lange unter extremen sozioökonomischen und kulturellen Ungleichheiten auch für ausländische intendierte Eltern erlaubt war, waren es vor allem die Kliniken, die den Leihmüttern strengste Vorgaben zu ihrem Verhalten machten. Von dort ist bekannt, dass sich die Leihmütter etwa zu einem Schwangerschaftsabbruch, einem Kaiserschnitt oder einer intrauterinen Operation des Fötus verpflichtet haben. All das wäre in Deutschland mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Zum Streit zwischen intendierten Eltern und Leihmüttern kommt es oft auch nach der Geburt. Was wäre etwa, wenn es sich die Leihmutter während der Schwangerschaft anders überlegt und doch selbst das Kind großziehen möchte?

Wenn man das verfassungsrechtlich verbriefte Selbstbestimmungsrecht der handelnden Frau ernst nimmt, dann dürfte die Leihmutter in Deutschland nicht zur Herausgabe des Kindes gezwungen werden. Ihr müsste nach der Geburt eine Art Bedenkzeit oder „Umentscheidungsfrist“ zugestanden werden, so ähnlich wie bei Adoptionsfreigaben auch. So sieht das übrigens auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die voriges Jahr einen umfassenden Vorschlag für ein zukünftiges Fortpflanzungsmedizingesetz erarbeitet hat. Meiner Ansicht nach ist gerade das ein sehr wichtiger Punkt. Eine solche Bedenkzeit würde zudem sicherstellen, dass die Frau in der Tat freiwillig handelt.

Auch wenn die Leihmutter freiwillig handelt – ist das „Schwangersein für andere“ nicht doch eine Art versteckter Kinderhandel?

Es müsste jedenfalls auch hier sichergestellt werden, dass das so zu zeugende Kind nicht zum Objekt der Vereinbarung zwischen intendierten Eltern und Leihmutter gemacht werden darf. Das Kind dürfte also nicht als Ware gehandelt werden. Diese Gefahr bestünde vermutlich eher bei einer kommerziellen Form der Leihmutterschaft. Auch dürfte das Kind nicht zu einem Produkt gemacht werden, das man bestellt oder gar bestellt und nicht abholt. Es dürften keine konkreten Merkmale des Kindes vereinbart werden, etwa ein „gesundes Mädchen“. Und die intendierten Eltern hätten kein „Rückgaberecht“, etwa bei einem Kind mit Beeinträchtigung. Aus dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung folgt ohnehin, dass eine anonyme Leihmutterschaft verfassungswidrig wäre. Die Verwandtschaftsbeziehungen müssten also ähnlich wie im Samenspenderregister staatlich gespeichert werden. Zudem müssten Regelungen für die Zuordnung der rechtlichen Elternschaft gefunden werden.

Wie realistisch wäre es, unter solchen Voraussetzungen Leihmutterschaft zu praktizieren?

Die Anforderungen sind zugegebenermaßen hoch, aber ob sie gewährleistet werden können, ist keine Frage des Verfassungsrechts, sondern liegt in der Beurteilung und Entscheidung des Gesetzgebers. Doch wenn man die Grundrechtspositionen der Beteiligten und die Gefahren und Risiken der Leihmutterschaft ernst nimmt, wäre eine Lockerung des Verbots meiner Ansicht nach nur mit starker staatlicher Regulierung möglich. Und zwar mit der Pflicht zur Überprüfung, ob die hohen grundgesetzlichen Anforderungen eingehalten werden. Wenn man eine Lockerung nicht will, zum Beispiel weil die Missbrauchsgefahren eines versteckten Kinderhandels als zu hoch eingeschätzt werden oder weil intendierte Eltern vielleicht nicht bereit sind, die Ungewissheit bis zur Entscheidung der Leihmutter einzugehen, wäre es aus meiner Sicht aufgrund der geschilderten Risiken auch möglich, ein vollständiges Verbot aufrechtzuerhalten.

Hältst du die gesellschaftliche Debatte dennoch für wichtig?

Ja, unbedingt. Denn die Debatte um Leihmutterschaft bietet uns die wertvolle Gelegenheit, grundsätzlich über die Freiheit, Kinder zu wollen oder nicht, über vorherrschende Rollenbilder und über die Vielfalt von Familienmodellen in unserer Gesellschaft nachzudenken und miteinander ins Gespräch zu kommen.


Weiterlesen: Laura Klein, „Elternschaft zwischen Recht und Realitäten“, in: Barbara Rendtorff et. al. (Hrsg.), Geschlechterverwirrungen, Campus Verlag, 2020, S. 229-236. Kontakt:  

Antje Schrupp hat sich in ihrem aktuellen Buch Schwangerwerdenkönnen ebenfalls (unter anderem) mit dem Thema Leihmutterschaft auseinandergesetzt. Kürzlich nahm sie dazu auch an einer Gesprächsrunde im SRF teil, die im Internet angeschaut werden kann.

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Elfriede Harth sagt:

    Wichtige Diskussion. Gerade die Grenzfälle ermöglichen es, sich grundsätzliche Fragen zu stellen, und die Gegebenheiten nicht einfach ungefragt hinzunehmen. In einer Zeit des Umbruchs, wie die, die wir gerade erleben, sind solche Auseinandersetzungen ganz wichtig. In einem ersten Schritt wurden Sexualität und Reproduktion voneinander getrennt, nun Reproduktion von Sexualität. Was macht das mit dem Bild, das wir von unserer Leiblichkeit haben? Wie erfahren wir Abhängigkeit voneinander? Am anderen Ende steht das Sterben. Was wird damit? In wieweit sind das (noch) Erfahrungen, die zu unserem Menschsein gehören, es prägen oder gar definieren? Gerade jetzt in Zeiten von Corona stellen sich da viele Fragen….

  • Mechthild Auf dem Berge sagt:

    Ein bedeutsames Thema für unser Zusammenleben, wie ich finde.
    Ich möchte einfach mal kundtun, was mich als Nichtjuristin dazu bewegt:

    In dem Interview vermisse ich den Blick auf die Menschen, um die sich alle Überlegungen drehen – die Neugeborenen.
    Die neuen, kleinen Menschen, die ins “vorhandene Bezugsgewebe der Menschen” (Hannah Ahrendt) gestellt werden.
    Gibt es für die Neugeborenen, die durch Leihmutterschaft entstandenen neuen Menschen, auch bestimmte Grundrechte in unserem Grundgesetz?
    Hätten sie das Recht darauf, ähnlich begleitet zu werden wie es in Adoptionsverfahren vorgeschrieben ist?
    Hätten sie ebenso Rechte darauf, dass bestimmte erforderliche Familienbedingungen (stabile Beziehungen, Empathiefähigkeit für Kinder, finanzielle gesicherte Lebensverhältnisse …) erfüllt sein müssten?
    Oder würde Leihmutterschaft in Deutschland bedeuten, jede/r – auch Alleinstehende Männer oder Frauen – könnte auf diese Weise ihren Kinderwunsch erfüllen?
    Ein Fall aus den USA irritiert mich zumindest ziemlich:
    Ein alleinstehender Mann mit Kinderwunsch hat sich parallel von mehreren Leihmüttern vier Kinder “gekauft”, die nun bei ihm leben.
    Wie geht es diesen kleinen Menschen wohl?
    So ist es bei neuen Gesetzen ja mitunter. Sobald etwas möglich gemacht wird, entstehen Ideen, wie die rechtlichen Möglichkeiten Einzelnen zum Vorteil gereichen können.

    Würde in Deutschland die Freiheit und das Recht auf Familiengründung per Leihmutterschaft möglich sein, ohne eine stabile Elternbeziehung belegen zu müssen, wie es bei Adoptionsverfahren Bedingung ist?
    Befürworter*innen von Kinderwunscherfüllung per Leihmutterschaft begründen diese ja ausdrücklich mit der Neugestaltung von Familienformen.

    Familienformen sind zum Glück mittlerweile vielgestaltig, was ich persönlich als große Bereicherung für unsere Gesellschaft empfinde. Wobei ich ehr dazu tendiere, Familie größer zu denken – mir mehrere Bezugspersonen für ein Kind wünsche.
    Daher würde ich begrüßen, wenn gesetzlich erlaubte Leihmutterschaft unter anderem an emotional, psychologisch, sozial und – ja – auch finanziell gesicherte Elternschaft gebunden würde.
    Auch stellt sich mir die ethische Frage:
    Müssen alle Wünsche erfüllt werden, wenn das Grundgesetz es mir erlaubt, in Freiheit zum Beispiel eine Familie zu gründen?
    Gibt es ein Recht auf ein Kind?
    Ein Recht auf etwas Unverfügbares wie ein anderes Leben?

    Gesetze haben auch die Aufgabe, Menschen zu schützen – zum Beispiel beim Verbot von Organhandel.

    Welche Kriterien würden Leihmutterschaft – ein Neugeborenes in mein Leben zu holen – rechtfertigen?
    Dass alle meine Beziehungen leider scheitern?
    Dass mein Beruf mir keinen Raum lässt für Schwangerschaft?
    Dass ich nicht fortpflanzungsfähig bin?
    Dass ich ein Mann bin?

    Um meine Eingangsgedanken abzurunden:
    Leihmutterschaft bedeutet immer, über ein anderes – besonders vulnerables – Leben, über ein neugeborenes Kind zu verfügen.
    Bei der Diskussion um Leihmutterschaft müssen unabdingbar die NEUGEBORENEN in den MITTELPUNKT gestellt werden und nicht MEINE Rechte und Wünsche.

  • Antje Schrupp sagt:

    Liebe Mechthild,

    auf die Frage nach dem Kindeswohl gehen wir in dem Interview in Frage 7 und 8 ein. Meine Position dazu wäre, dass man aus der Familienform als solcher nichts über das Kindeswohl ableiten kann, und das ist wohl inzwischen auch verschiedenen Studien belegt worden. Man muss das Kindeswohl inhaltlich definieren und als Gesellschaft dafür sorgen, dass das von Eltern gewährleistet wird – egal um welche Art von Eltern es sich dabei handelt, also um genetische, soziale, geborenhabende usw.
    Im Übrigen ist derzeit Leihmutterschaft faktisch keine Praxis, die überwiegend von “neuen Familienformen” praktiziert wird, sondern der allergrößte Anteil sind klassisch-traditionelle heteronormative Paare, häufig verkaufen Repro-Kliniken zusammen mit der Dienstleistung Leihmutterschaft auch noch einen Fake-Bauch, damit die Frau so tun kann als wäre sie schwanger. Genau das ist ein großes Problem, weil in diesen Familien dann meistens die Leihmutterschaft vertuscht und verheimlicht wird und die Kinder keine Transparenz haben und es dann irgendwann “herauskommt” und die Kinder sich dann verraten fühlen, zu recht. Bei schwulen Paaren ist das in der Regel viel besser, sie gehen (notgedrungen) von Anfang an offen damit um, die Leihmutter ist den Kindern bekannt, es gibt Kontakt und so weiter und dann ist es für die Kinder in der Regel auch kein Problem.

  • Ich bedanke mich für dieses tolle Interview und die Kommentare dazu! Das Thema ist tatsächlich wesentlich vielschichtiger, als es im ersten Moment scheint. Ich habe während meiner letzten Schwangerschaft flüchtig Frauen aus den USA kennengelernt, die als Leihmütter tätig waren. Erst da wurde mir bewusst, dass Leihmutterschaft in anderen Ländern durchaus erlaubt ist.

    Die Frage, ob alles, was möglich ist, erlaubt sein soll und alles, was erlaubt ist, gemacht werden muss, zeigt den Kern unserer Gesellschaft. Kaiserschnitt? Aktive Sterbehilfe? Genschere? Atomwaffen? Wissen um Behinderungen?

    An diesen Fragen wird sich entscheiden, ob die Menschheit mit den technischen Entwicklungen auch moralisch umgehen kann. Einfache Lösungen sind da nicht möglich.

    Umso wichtiger ist die Diskussion.

    Danke!

  • Mechthild Auf dem Berge sagt:

    Liebe Antje,
    danke für das weitere Einordnen.

    Zitat von Antje: “Meine Position dazu wäre, dass man aus der Familienform als solcher nichts über das Kindeswohl ableiten kann, und das ist wohl inzwischen auch verschiedenen Studien belegt worden.”
    – Ja, das sehe ich genauso und erlebe es auch in den mir bekannten, teils sehr unterschiedlichen Familienformen so.

    Zitat von Antje: “Man muss das Kindeswohl inhaltlich definieren und als Gesellschaft dafür sorgen, dass das von Eltern gewährleistet wird – egal um welche Art von Eltern es sich dabei handelt, …”
    – Ja, mir geht es um das Kindeswohl und um Kriterien für die Sicherstellung fürsorglicher Elternschaft.
    Soziale Elternschaft gehörte irgendwie schon immer dazu – wenn wir uns nur mal vor Augen führen, wieviele Mütter bei Entbindungen oder im Kindbett verstorben sind und die Neugeborenen in der Verwandtschaft unterkamen.
    Ein Blick in die eigenen Ahn*ninnenreihen zeigt das eindrucksvoll für viele Familien.
    Das Überleben und Gedeihen eines Neugeborenen war und ist vielfach nicht an die Gegenwart der leiblichen Mutter gebunden.

    Tja, aber wenn soziale Elternschaft zu einem Geschäftsmodell wird … so viele Fragen …
    Eine wichtige Debatte!

  • Gudrun Nositschka sagt:

    Mit verwundert der Begriff “Leihmutterschaft” wie auch der Begriff “Ersatzmutter” im dtsch. Embryonenschutzgesetz. ich kann mir keine Mutterschaft leihen – wie sollte das gehen?- doch manche Länder erlauben es, dass die Körper von Frauen samt ihrer Gebärmutter für neun Monate plus Gebären oder Kaiserschnitt gemietet wird. Wie es der Zufall? will, sind das meistens Länder, in denen Frauen schlecht ausgebildet sind und ums Überleben kämpfen müssen. Als werdende Mutter habe ich mit dem heranwachsenden Wesen in mir kommuniziert und meine Lieblingsmusik gehört (das Hören ist das erste sich entwickelnde Organ), es durch meinen Bauch hindurch gestreichelt. Und wie glücklich war ich, wenn es durch Bewegungen reagierte. Ob auch eine gemietete Frau mit dem Kind kommuniziert und es streichelt, wohl wissend, dass sie dieses Kind nicht in ihren Armen wiegen wird, ihm nicht die wichtige “Muttermilch” geben darf? Es nie wiedersehen wird?
    “Ersatzmutter” könnte nach dem Tod eine Mutter oder Ablehnung des Kindes jede Frau mit ausreichender Empathie werden, und ich denke, dass das auf viele Adoptivmütter zutrifft.

  • Antje Schrupp sagt:

    @Gudrun – Die Ethnologin, mit der zusammen ich in der verlinkten Talkshow war, hat genau solche Fragen den Frauen gestellt, die für andere schwanger sind, in der Ukraine und in den USA. Mir war auch einiges von dem, was sie gesagt hat, neu. Zum Beispiel, dass es nicht besonders arme Frauen sind, die das machen, auch wenn Geld ihre Hauptmotivation ist. Also nicht die, die “ums Überleben kämpfen”, sondern es sind zum Beispiel welche, die selbst kleine Kinder haben und sagen, statt acht oder zehn Stunden am Tag irgendwo einen Knochenjob zu machen, bin ich lieber zuhause und schwanger und bekomme dafür Geld. Ein anderer interessanter Punkt ist, dass viele dieser Schwangeren durchaus eine empathische Beziehung zu dem Fötus aufbauen, also singen, kommunizieren, usw. aber dennoch keinen Wunsch danach haben, nach der Geburt die Mutter dieses Kindes zu sein. Ich kann mir das auch gut vorstellen, ich habe ja keine eigenen Kinder, war und bin aber Tante von Kindern, und für die Zeit, in denen ich die versorge, gehe ich (bilde ich mir ein) sehr empathisch und liebevoll mit ihnen um (wie eine “Leihmutter”, vielleicht), aber das bedeutet nicht, dass ich sie nicht auch gerne wieder zu ihren Eltern zurückbringe, wenn die vereinbarte Zeit um ist.

  • Antje Schrupp sagt:

    PS: Die Verwendung des Begriffs “Mutter” ist an dieser Stelle tatsächlich ein Problem, aber es ist ein generelles Problem, dass in dieses Wort so viel hineinfließt, Biologie, Verantwortlichkeiten, Rechtspositionen, Verhalten, Erwartungen, Gefühle… und so weiter – sodass sich über die damit verbundenen Sachverhalte kaum differenziert sprechen lässt. Das Wort “Mutter” lässt sich vermutlich nicht definieren, sondern ist eine Beziehungsanzeige: Also ich kann sagen, wer meine Mutter ist, aber das ist eine Tatsache, keine Definition. Klar ist, dass die große Mehrzahl der Frauen, die gegen Geld für andere schwanger sind, sich NICHT als Mütter dieser von ihnen geborenen Kinder verstehen. Das ist ein politisches Problem, weil wir dann u.U. Neugeborene ohne Mütter haben, wie bei wegen Corona in der Ukraine gestrandeten Babies, die nicht abgeholt werden konnten. Ob die Lösung für dieses Problem das alte Römische “Mater semper certa est” wage ich zu bezweifeln, ich halte diese von außen vorgenommene Verpflichtung Schwangerer auf die (soziale) Mutterrolle inzwischen für eine der Wurzeln patriarchaler Ordnungen.

  • Gudrun Nositschka sagt:

    Hallo, Antje. Ich würde Dir gern zu dem Thema Mutter – Neugeborenen – Beziehung eine private Geschichte erzählen, doch das geht hier nicht, sobald Persönlichkeitsrechte involviert sind. Und Deine Mailadresse habe ich nicht.
    Gruß, Gudrun

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