beziehungsweise – weiterdenken

Forum für Philosophie und Politik

Rubrik erinnern

Kapitel 7: Beziehungsvielfalt und Engagement jenseits von Paar- und Familienstrukturen: die „allein“ lebende Frau

Von Andrea Günter, Dorothee Markert, Antje Schrupp

Zum 20. Jubiläum der Flugschrift „Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik“ wurde das Büchlein im Christel Göttert Verlag neu aufgelegt und wird hier im Forum auch erstmals online veröffentlicht (hier der Link zum Anfang). Dies ist das 7. Kapitel: Beziehungsvielfalt.

In unserer Geschichte hat es immer sehr viele „allein“ — jenseits von Paar und Familienstrukturen — lebende Frauen und Männer gegeben, denken wir etwa an die Vielzahl der Klöster im Mittelalter, an die Beginenhöfe oder an die Stifte. Die „Single-Gesellschaft“ ist keine historische Ausnahmeerscheinung.

Was sich allerdings geändert hat, sind die Formen, in welchen Frauen und Männer als einzelne, jenseits von Familienanbindungen leben. So lässt sich festhalten, dass sogenannte Alleinlebende immer wieder nach speziellen Formen gesucht haben, die ihnen ein Zusammenleben mit anderen jenseits der Familienstrukturen erlaubten, das über freundschaftliche Kontakte hinausging und durchaus auf einem gemeinsamen Alltag einschließlich gemeinsamen Wirtschaftens beruhen konnte.

Wir sind heute gewohnt, die Lebensform der allein lebenden Frau als Defizit und Zukurzkommen abzuwerten. Aber: Frauen entscheiden sich durchaus bewusst und aus ganz unterschiedlichen Gründen dafür, alleine zu leben, oft für eine Lebensphase, manchmal für immer: weil sie keine falschen Kompromisse in einer Paarbeziehung eingehen wollen; weil sie nach dem Ende einer Beziehung aus den unterschiedlichsten Gründen keine neue eingehen; weil sie kurze, wechselnde sexuelle Beziehungen suchen, in denen sie sich nicht dauerhaft binden; weil sie ganz in ihren Tätigkeiten – Beruf, Engagement, Spiritualität, der Fülle des Alltags – aufgehen wollen; weil das Alleinleben selbst erstrebenswert ist und eine Menge unvergleichbarer Möglichkeiten bietet.

Viele der allein lebenden Frauen leisten einen wesentlichen Beitrag zum Zusammenleben der Gesellschaft. Alleine zu leben kann ein Engagement für die Gemeinschaft beinhalten, das wir heute kaum mehr schätzen. Die Anerkennung der allein lebenden Frau erscheint uns darum als ein zentraler Punkt, das Zusammenleben der Gesellschaft neu zu verstehen. So wird es zur Herausforderung, die vielfältigen kommunikativen, fürsorglichen, kulturellen, finanziellen und politischen Bezüge von allein lebenden Frauen wahrzunehmen, insbesondere insofern diese unser Gemeinwohl betreffen.

Aus: Ulrike Wagener, Dorothee Markert, Antje Schrupp, Andrea Günter: Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik. Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 1999, Neuauflage 2019

Autorin: Andrea Günter, Dorothee Markert, Antje Schrupp
Eingestellt am: 03.10.2020
Tags:

Kommentare zu diesem Beitrag

Verweise auf diesen Beitrag

Weiterdenken