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Spaziergang mit Undine

Von Barbara Peveling

Undine ist in der mythischen Sagenwelt ein weiblicher Wassergeist und in Kultur und Literatur eine häufig verwendete Figur – so auch in dem neuen gleichnamigen Film von Christian Petzold. Gedanken dazu von Barbara Peveling.

Undine im Film. Paula Beer hat für ihre Rolle den Silbernen Bären bekommen. Szenenfoto: Pfiffl-Medien.

Undine habe ich immer geliebt. Undine war meine Jeanne d´Arc, meine Befreierin. Als junge Frau konnte ich den „Undine geht“Text von Ingeborg Bachmann auswendig.

Oh ja, Undine. Ihre Leidenschaft und Leidensbereitschaft, diese Hingabe, Entschlossenheit und Fatalität hätte ich gerne gehabt. Undine ist die Frau aus dem Wasser, sie ist schön, jung, ihr Körper vollkommen, und sie macht die Männer verrückt. Aber Undine ist nicht böse. Sie leidet. Sie ist ihrer Schönheit, ihrer Fatalität hilflos ausgeliefert. Ein Opfer, genau wie die Männer, die ihrem Charme erliegen. Undine ist keine Frau fürs Leben. Sie fügt sich nicht. Undine, schreibt Ingeborg Bachmann, sie spricht wahr.

„Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.“ Dies ist die Inschrift auf dem Grab von Ingeborg Bachmann, ihrer Dankesrede zum Hörspielpreis der Kriegsblinden 1959 entnommen. In dieser Rede ermutigt Bachmann die Gesellschaft dazu, Autor*innen zu unterstützen, die sich mit dem Wesentlichen, dem, was weh tut, beschäftigen. Sollte es vielleicht eher heißen: Die Wahrheit ist dem Manne zumutbar?

Der Film von Christian Petzold ist seiner ganzen Texttreue zu Ingeborg Bachmanns Undine, als Naturelement, in der heutigen Zeit für mich problematisch. Problematisch ist dabei nicht, die Liebe als ein Element darzustellen, das in seiner Absolutheit alles andere in den Schatten stellt, so dass es nur noch das eine gibt: die Liebe oder den Tod.

Problematisch ist, diese leidenschaftliche Liebe als etwas Weibliches darzustellen, etwas, das ganz und gar feminin ist, Frauen zu eigen, fast schon eine zwanghafte Handlung, die sie, wie bei Bachmann oder Petzold, bekämpfen müssen, um nicht an ihr zu scheitern, ihr nicht zu erliegen und mit ihren Kampf gegen diese Liebe, die Beherrschung der Leidenschaft, werden sie zu Heldinnen. Frauen sind Helden (hier bewusst männlich geschrieben), indem sie die Welt vor ihren überschäumenden Emotionen retten und damit vor dem Untergang bewahren.

Männer retten die Welt vor dem Bösen, kämpfen für ihre Ideale, Frauen aber nur für oder gegen die Liebe?!

Das war nicht immer so. Oder doch? Shakespeare jedenfalls hat auch viele männliche Helden geschaffen, die vor dieser einer Wahl stehen: Liebe oder Tod! Und genau deswegen müssen sie ja auch alle untergehen, denn Gefühle zu zeigen, sie zu leben, ihnen nachzugeben oder gar zu folgen, das ist seit der Neuzeit verpönt. Einer Zeit, in der es bezeichnenderweise gerade so richtig los ging mit der Hexenverfolgung. Diese hatte unter anderem zum Ziel, die Macht der Frauen, vor allem unabhängiger Frauen, zu unterbinden, wie Mona Chollet in ihrem Essay „Hexen, die unbesiegte Macht der Frauen“ (erschienen 2020 in der Edition Nautilus), sehr gut darstellt. Und so ist der „männliche“ Teil der Menschheit mit der Moderne immer mehr ins Rationale gerutscht, wogegen dem „weiblichen“ Bevölkerungsteil der Bereich des Emotionalen zugeschrieben wurde.

Mythen und Sagen dienen als soziale Vehikel, erklärt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, die entsprechende Vorstellungen im kulturellen Gedächtnis verankern. Undine ist die körperliche Manifestation der liebenden Leidenschaft, die Männer überkommt wie Wellen im Meer. Und wenn diese beiden aufeinandertreffen, Männer und Leidenschaft, bleibt nur der Tod. Denn Männer sind nicht zum Leiden aus Liebe gemacht, sie opfern sich höheren Zielen.

Undine ist ein schöner Film, die Kameraführung, besonders unter Wasser, die Bilder, die Musik, alles stimmt. Vor allem die Schauspieler*innen stimmen. Paula Beer hat für ihre Rolle als Undine den silbernen Bären in Berlin bekommen. Zu Recht.

Die Rolle der aus Liebe Leidenden ist Frauen praktisch auf den Leib geschrieben. Da kann man nichts machen, oder doch? Unsere historischen Hauptplatinen sind voller Frauen, die aus liebender Leidenschaft Unheil bringen: Eva, Undine, Salome, Kassandra, Medea. Um nur einige zu nennen. Frauen, die ihre Unabhängigkeit und ihre Wahl, sich nicht anzupassen, nicht dem Patriarchat zu beugen, mit dem eigenen Tod oder dem Tod des Liebsten bezahlen.

In dem Film „Undine“ zeigt Christian Petzold eine Frau, die sich gegen dieses Schicksal wehrt, aber auch, wenn sie ihm nicht folgt, es ist und bleibt ihre Rolle, liebend zu leiden, und somit scheint es für Frauen nur zwei Möglichkeiten zu geben: Anpassung oder Tod.

„Ihr Ungeheuer mit euren Frauen! … Ihr mit euren Musen und Tragtieren und euren gelehrten und verständigen Gefährtinnen, die ihr zum Reden zulaßt…“ hat Ingeborg Bachmann geschrieben. Und sie hat es geschrieben, damit wir verstehen, dass es so ist, aber nicht, damit es so bleibt.

Das war auch Christa Wolfs Absicht, als sie „Medea: Stimmen“ schrieb. Doch Christa Wolfs Medea ist keine Mörderin, es ist nur der Mythos, der über sie von den Korinthern verbreitet wird. Sind wir sie heute immer noch nicht los, die schlauen Korinther? Müssen wir ihnen weiter glauben?

In ihrem Essay „Le génie lesbien“ (Das lesbische Genie) ruft Alice Coffin Frauen dazu auf, solidarischer zu sein, auf gegenseitige Kritik zu verzichten, was sie als das „lesbische Genie“bezeichnet. Das Allgemeine, das „Neutrale“, so hat es Simone de Beauvoir beschrieben, ist das Männliche. Und so ist es heute immer noch. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn wir nichts ändern.

Jeder Mensch sollte mindestens einmal in seinem Leben die Erfahrung gemacht haben, eine Person, die sich derselben geschlechtlichen Kategorie wie er selbst zuordnet, zu lieben. Vielleicht könnten sich Männer so endlich erlauben, eine Leidenschaft zu empfinden, die sie sonst nur Frauen zuschreiben. Emotionen, Gefühle, die so stark sind, dass das Selbst daran droht unterzugehen, zu ertrinken, wie es bei Undine heißt.

Christa Wolf und Ingeborg Bachmann haben auf Tatsachen in unserem kollektiven Gedächtnis mit ihren Schriften aufmerksam gemacht. Sie haben den Stift in die Hand genommen und die Wahrheit der gesellschaftlichen Zustände ihrer Zeit zu Papier gebracht. Indem wir sie wiederholen, bleiben wir vielleicht ihren Worten treu, nicht aber ihrem Willen. Es ändert sich nichts.

Wir ändern nichts. Es ist an der Zeit, dass wir neue Geschichten schreiben. Als Kind mochte ich den „kleinen Wassermann“ von Ottfried Preussler sehr. Auch der kleine Wassermann leidet daran, dass sich beide Welten, die über und die unter Wasser, nicht wirklich vereinigen lassen. Doch der kleine Wassermann ist ein Kind, Jungen dürfen das noch, leiden. Aber als erwachsener Mann wird er sich vielleicht von all dem, was nicht zu seiner eigenen Wahrnehmung gehört und deswegen nicht logisch erklärbar ist, abwenden, um nicht daran zu leiden. Wir wissen es nicht, es hat noch niemand diese Geschichte aufgeschrieben, aber es ist an der Zeit!

„Schreib“, hat Hélène Cixous in ihrem „Lachen der Medusa“ geschrieben, „schreib, damit niemand dich aufhält, kein Mann…“ Und so auch hier und jetzt: Schreiben wir neue Geschichten und Mythen, kritzeln wir die Wände voll, zeichnen Graphik Novels, drehen Filme, schreien wir es von den höchsten Türmen, werfen Flaschen mit Botschaften ins Meer, schicken Feuerwerke mit Worten in den Himmel, die von starken Heldinnen und schwachen Helden erzählen. Keine leidenden, liebenden Wesen, die untergehen, oder am Ufer allein zurückbleiben, dem davonziehenden Mann noch einmal traurig hinterherwinkend. Diesem einen, egal ob er Hans heißt oder Christoph, der sie zwar unendlich liebt, aber sich dann doch um das Tragtier mit Nachwuchs an seiner Seite kümmern muss, weil er stark genug ist, seiner Leidenschaft zu widerstehen. Lassen wir unsere starken Heldinnen und schwachen Helden endlich auferstehen aus den Gräbern, in denen sie schon so lange ruhen, weil wir sie dorthin verbannt haben und werfen wir den Frosch endgültig an die Wand. Es wird kein Prinz daraus hervorkrabbeln, der uns befreit, das können nur wir selbst.

Autorin: Barbara Peveling
Eingestellt am: 09.10.2020

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Martina Horak-Werz sagt:

    Vielen Dank, liebe Barbara Peveling, für diesen Text!
    Es wird wirklich Zeit, dass wir etwas verändern, dass wir neue (vielleicht sogar unsere eigenen) Geschichten erzählen.

    Martina

  • claudia l. sagt:

    Mir fällt zu undine ein wie fatal es ist die mythen als spiegel menschlicher eigenschaften zu sehen.
    Wenn wir nicht immer mitbedenken, dass undine die erde selbst ist, hier als wasserelement,
    und somit grenzenlos liebend ,unabhängig ,eine unbändige kraft, dann kommen wir in unendliche frau/mann interpretationen, die zu keinem ende führen. Wenn wir dann nicht sehen, dass frauen allgemein die kräfte der erde, gebären zukönnen symbolisieren, dann sind wir nur tragtiere.
    Der mann ist nicht nur symbolisch der sohn der erde, deshalb gilt seine grenzenlose liebe der erde mit all ihren erscheinungsformen. Das sollte unsere verhaltensweisen prägen.
    Grüße von frau holle der leidenschaftlich liebenden erde im herbstlichbunten kleid.

  • Heike Brunner sagt:

    Liebe Barbara Peveling, Danke für deine kritische Rezension. Ich habe den Film noch nicht gesehen, nur den Trailer, aber etwas in meinem Bauchraum flüsterte die ganze Zeit argwöhnisch und ich konnte mich nicht recht entschließen, ihn an zu schauen, nun weiß ich warum. Vielleicht lese ich erst mal den Undine Bachmann Text, Danke für die Anregung.
    LG Heike

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