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Rubrik Blitzlicht

Sich verletzbar schreiben

Von Kathleen Oehlke

Wieviel Persönliches geben AutorInnen beim Schreiben über sich preis? Und wo ist die Grenze, wenn es um psychische Krankheiten oder persönliche Verletzungen geht? Diesen und anderen Fragen gingen AutorInnen und LiteraturwissenschaftlerInnen kürzlich in der Diskussionsreihe „Mental Health und Literatur“ nach. Sie wurde vom Literaturforum im Brecht-Haus veranstaltet und fand Ende April in Form von Podiumsdiskussionen und Lesungen statt. Besonders eindrücklich fand ich den Programmpunkt „Verletzbarkeit als emanzipatorische Praxis“ mit Paula Fürstenberg, Lea Schneider und David Wagner. Verletzbarkeit, was für ein Wort im Vergleich zur Verletzlichkeit! Ich sehe es praktisch vor mir, wie ein verletzliches Pflänzchen klein und zart dasteht und hofft, dass es irgendwie durchkommt, wenn überhaupt. Und auf der anderen Seite die starke Frau, die ihre Rüstung ablegt und allen zeigt, was ihr wichtig ist und wo sie verletzbar ist.

Das Thema hat mich stark an unser Schreiben hier auf bzw-weiterdenken erinnert, bei dem wir oft von uns selbst ausgehen und Persönliches preisgeben. Und abwägen, ob es nicht zu persönlich ist, zu heikel vielleicht. Und ehe ich den Gedanken richtig gefasst hatte, wurden in der Diskussion auch schon die Italienischen Denkerinnen genannt, an deren Tradition wir mit unserer Art des Denkens und Schreibens ja anknüpfen.

Nochmal zurück zur Wortwahl: Bei Verletzbarkeit geht man davon aus, dass es jemanden gibt, der verletzen könnte, denkt die LeserInnenschaft schon mit. „Kann ich das jetzt schreiben? Und falls ja, mit welchen Reaktionen muss ich rechnen? Halte ich diese Reaktionen aus? Wenn nein, lieber nicht schreiben.“ Schade, Denkblockade, hier geht es leider nicht weiter.

Bild: Kathleen Oehlke

Wenn wir die Welt verstehen wollen, können wir die persönliche Ebene nicht ausblenden, denn wir gehören ja zur Welt. Wir wollen doch verstehen, was strukturelle Probleme sind, was persönliche Prägungen, wie die miteinander verwoben sind. Wenn wir ableiten wollen, wie ein gutes Leben für alle gelingen kann, werden wir das aufdröseln müssen.Die öffentliche Seite, nun gut, die lässt sich auch aus einer gewissen Distanz noch ganz gut durchdenken. Aber die persönliche, psychologische Ebene, die geht ans Eingemachte. Und wir brauchen das Reden über diese Seite. Sonst wäre es, als würde man ums Problem kreisen und genau, wenn es spannend wird, doch wieder abbiegen. Weil: Das ist zu persönlich, zu privat. Womöglich hat es mit dem Elternhaus zu tun, und man möchte ja auch niemandem auf den Schlips treten, also warten, bis die Eltern tot sind, aber dann haben sie ja noch immer mich geprägt. Also warten, bis ich tot bin, aber dann kann ich nicht mehr denken. Also alles heimlich aufschreiben und hoffen, dass es jemand findet und posthum veröffentlicht oder zumindest in die Debatten einbringt. Und dann dauern Veränderungsprozesse eben mal schnell mehrere Generationen. Man schützt sich so vielleicht selbst vor Verletzungen, aber Emanzipation ist so nicht zu haben.

Autorin: Kathleen Oehlke
Eingestellt am: 29.05.2021

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Anne Lehnert sagt:

    Liebe Kathleen, das sind spannende Fragen, und ich finde es sehr angenehm, dass es hier leichter ist, über Persönliches und auch Schwieriges zu schreiben und dass hier ein respektvoller Umgang die Regel ist. Und ich empfinde das auch als bereichernd, das zu tun bzw. zu lesen, wie andere Frauen das tun, dieses Aufdröseln, von dem du schreibst.Ich finde auch, dass es möglich und sogar selbstverständlich sein sollte, über ehrlich und offen über psychische Probleme zu sprechen. Überhaupt, in ganz verschiedenen Kontexten, und auch hier. Trotzdem finde ich es auch gut, sich/mich zu schützen, und dabei Grenzen zu ziehen, indem ich mir die Fragen stelle, die du nennst: „Kann ich das jetzt schreiben [oder sagen]? Und falls ja, mit welchen Reaktionen muss ich rechnen? Halte ich diese Reaktionen aus? Wenn nein, lieber nicht schreiben [sagen].“
    Das ist weniger Denkblockade als Selbstschutz, finde ich. Oder verstehe ich dich falsch?

  • Kathleen Oehlke sagt:

    Liebe Anne, danke für deinen Kommentar und die Nachfrage. Ich finde es auch völlig legitim, sich/mich zu schützen und entsprechende Grenzen zu ziehen. Häufig kann das ja auch notwendig sein, wenn vielleicht berufliche Nachteile zu erwarten sind, man aber auf das Einkommen zwingend angewiesen ist.
    Die Sache mit der Denkblockade meinte ich eher als Konsequenz aus der teilweise ja sehr gründlichen Abwägung, an einer bestimmten Stelle weiterzuschreiben oder auch nicht. Also die Blockade nicht als bewusste Entscheidung, sondern dass es irgendwo diese Schwelle gibt, an der es interessant und wichtig wäre, weiterzudenken und mit anderen in den Austausch zu kommen. An dieser Stelle ist mein Kopf dann aber so damit beschäftigt, abzuwägen ob ich dieses oder jenes nun preisgeben möchte oder nicht, dass gar keine neuen Gedanken entstehen können und ich diese dementsprechend auch in kein Gespräch einbringen kann. Ist das irgendwie nachvollziehbar?

  • Anne Lehnert sagt:

    Ja, ich glaube, ich kenne das und kann es in etwa nachvollziehen.
    Prinzipiell finde ich, dass es viel zu viele Tabus gibt: Ich wünsche mir, dass wir nicht nur über psychische Belastungen und Therapien ohne Scham und blöde Witze sprechen können, sondern auch über Geld, über Religion, über… ich weiß es gar nicht mehr, was mir in der Zwischenzeit noch alles eingefallen war und wieder entfallen ist – vielleicht ist das auch eine Denkblockade.

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