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Gedanken über das Patriarchat

Von Monika Krampl

Das Wort Patriarchat und somit auch das Buch Patriarchtskritik von Kirsten Armbruster, Naturwissenschaftlerin, Publizistin der Interdisziplinären Patriarchatskritikforschung (IPKF), löst Emotionen aus. Viele unterschiedliche. Und auch Missverständnisse. Das geht von „Endlich ein fundiertes Buch“ bis „Schon wieder diese Männerhasserinnen“ etc.

Liebe Frauen und Männer!
Kritik am Patriarchat bedeutet nicht, gegen Männer zu sein!

Im Gegenteil. Viele Männer leiden genauso unter dem patriarchalen System wie Frauen. Und ich möchte sagen – immer mehr.
Und – nicht alle Frauen sehen das so. Sie haben sich eingerichtet im System.

Vieles ist zur Gewohnheit geworden. Und es ist nicht so leicht, die (scheinbare) Komfortzone zu verlassen.

Das Patriarchat ist ein altes, jedoch nicht uraltes System. Denn vor dem Patriarchat gab es auch anderes.
„Nur einen sehr kurzen Zeitraum der Menschheitsgeschichte leben wir in patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, die von gewaltsamen, kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt sind. Viel länger war die Lebensweise des Menschen friedlich, weil matrifokal. Eine matrifokale Lebensweise stellt Mütter und Kinder ins Zentrum und setzt auf ein partnerschaftliches Zusammenwirken von Frauen und Männern.“ (Kirsten Armbruster)

Das Patriarchat ist vor allem ein veraltetes System, das den Menschen, der Natur, den Tieren, schadet. Man braucht sich nur umzusehen in der Welt, so wie sie jetzt ist oder dabei ist, zu werden. Ja, Männer haben das Patriarchat errichtet und Frauen haben sich darin eingerichtet. Die Patriarchatskritik gibt Auskunft darüber.

Ich sehe es auch nicht als einen „weiblichen Weg“, sondern einen „gemeinsamen Weg“. Ich zitiere da immer Sabine Lichtenfels, weil sie meine Meinung so gut formuliert hat:

„Eine neue Frauenmacht ist nicht gegen den Mann gerichtet und nicht gegen unsere Liebe zu den Männern, sie verlässt aber entschlossen diejenigen männlichen Strukturen, die zu der weltweiten Vernichtung des Lebens und der Liebe beigetragen haben. Es liegt jetzt an uns Frauen, die politische und sexuelle Verantwortung wieder anzunehmen, die so lange gefehlt hat. Wir laden alle engagierten Männer ein, sich unserer Friedensarbeit anzuschließen.”

Die Gleichsetzung von „Patriarchatskritik = gegen Männer zu sein“ ist einer der Gründe, warum ich bis jetzt gezögert habe, über Armbrusters Texte zu schreiben. Denn ich weiß, dass viele – Männer und Frauen – beim Thema Patriarchat sogleich aufhören zu lesen, weil sie der Meinung sind, es ginge um Männerhass. Das ist sehr schade. Dass viele auch meinen, es sei eine weitere Spaltung der Gesellschaft und dies leid sind, verstehe ich. Aber so ist es nicht. Und auch ich möchte nicht spalten.

Das Patriarchat spaltet die Gesellschaft. Auf vielen gesellschaftlichen Ebenen.

Nicht darüber zu schreiben, wäre feige. Ich erinnere mich an die vielen Anfeindungen und auch Bedrohungen, denen ich ausgesetzt war, wenn ich für Frauenrechte eingetreten bin (weiter unten im Text mehr dazu). Ich denke, diese Erinnerungen haben auch dazu beigetragen, dass ich das Schreiben darüber bisher vermieden habe.

Jedoch:
Die „Bestellungen beim Universum“, die eine Zeit lang angesagt waren, sind wieder vom Bücher-Himmel verschwunden, weil es so nicht funktioniert. Die Bestellung allein genügt nicht. Man muss schon etwas dafür tun.
Wenn sich ein neuer Weg an einer Wegkreuzung auftut, muss man ihn gehen. Es reicht nicht, an der Kreuzung sitzen zu bleiben und zu warten, dass der Weg zu einem kommt. Man muss schon etwas dafür tun – ihn gehen, auch wenn es vielleicht vorerst ein steiniger Pfad ist und keine Autobahn.
Wenn viele Frauen vom Ende des Patriarchats sprechen, sitzen sie doch an der Wegkreuzung und warten, dass das Universum das erledigt. Wobei das Universum doch bereits so kräftig mitwirkt – siehe Klimakatastrophen – es schreit sozusagen: Es reicht!

Die Patriarchtskritik schreit nicht – obwohl sie das tun könnte – aber sie weist mit vielen Erkenntnissen darauf hin. Sie macht vieles klar, warum es so gekommen ist und warum es so nicht weitergehen kann.

Es bedarf einer höchst notwendigen intensiven und diffizilen Auseinandersetzung damit.

Den Weg gemeinsam gehen – Frauen und Männer.  

Ich weiß, dass sich Kirsten Armbruster mit dem Thema Patriarchatskritik Angriffen und Unverständnis aussetzt. Ich erinnere mich an Johanna Dohnal, als sie 1990 (!) die erste Frauenministerin Österreichs wurde – wie sie angefeindet und lächerlich gemacht wurde. Wieviel Unverständnis für die Notwendigkeit von Frauenrechten es gab. Wie unnötig und störend ihre männlichen Kollegen dies alles fanden.

„Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“ (Mahatma Gandhi)

Armbruster bringt zur Sprache, was zur Sprache gebracht werden muss.  
Und dies sehr professionell, ausführlich und umfassend.
Auf 650 Seiten fasst sie ihre Arbeit zusammen. Sie „decodiert die Gehirnwäsche des Patriarchats, der wir alle ausgesetzt sind, mithilfe eines wissenschaftlichen, interdisziplinären Forschungsansatzes, in der Erkenntnisse der Archäologie, der Anthropologie, der Religionswissenschaften, der Linguistik, der Soziologie, der Biologie, der Genetik, der Kulturwissenschaften und der Landschaftsmythologie einfließen.“ (Armbruster)

Begleitet und unterstützt wird sie dabei von ihrem Mann Franz Armbruster, der eine reiche Auswahl an Fotos beisteuert. Mich faszinieren u.a. die vielen Höhlenzeichnungen, die ich sonst nicht zu Gesicht bekommen hätte. Sebastian Tippe, Diplompädagoge, hat den Text „Toxische Männlichkeit“ beigesteuert; Rona Duwe, Grafik- und Webdesignerin, Feministin und Autorin, den Text „Liebe und Sexualität“.
Zur Archäologie und Umdeutung der Geschichte: Jahrhundertelang hatten Männer die Deutungshoheit über Ausgrabungen – weil es keine Archäologinnen gab – und wenn, dann nur als Zuarbeiterinnen für die Männer. Männer deuteten aus der Sicht der Männer.
Zu Frauenrechten: Johann Dohnal, wie schon erwähnt, erst 1990 die erste Frauenministerin in Österreich. Wie wurde sie angefeindet, wie musste sie kämpfen. Männer fanden ihre Sicht als Frau in der Politik nicht wichtig und auch störend.
Erfindungen: Wurden den Männern zugeschrieben. Erst in den letzten Jahrzehnten kam an die Öffentlichkeit, wieviele Erfindungen von Frauen gemacht wurden. Was nicht sein sollte, durfte nicht sein.
Psychoanalyse: Ein weites Feld, das zeigt, dass Frauen am Beginn des letzten Jahrhunderts noch als Hysterikerinnen behandelt wurden und in Irrenhäusern landeten, wenn sie nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen wollten, selbständig sein wollten, oder in der Ehe vergewaltigt und missbraucht wurden (was damals nicht so gesehen oder bezeichnet wurde).

Meine Erfahrungen als Psychotherapeutin (1989) im tiefsten ländlichen Bereich an der tschechischen Grenze: Männer bedrohten mich mit Gewalt, weil ihre Frauen den Anspruch erhoben, am Abend das Auto benutzen zu dürfen, um zu Workshops und in Therapie zu fahren, etc. – Diese ‚Flausen‘ hätte ich ihnen in den Kopf gesetzt. Zum ersten Mal in ihrem Leben sprachen die Frauen über den Alkoholmissbrauch ihrer Männer und über Gewalt in der Beziehung.  

„Die Patriarchatskritik delegitimiert die Definitionsmacht des Patriarchats und entlarvt sie als androzentrischen Irrtum, wie Gerda Lerner es 1995 bereits in ihrem Buch „Die Entstehung des Patriarchats“ treffend formuliert hat. Lerner schrieb:
„Historiker haben das Wirken von Frauen zugeschüttet (…) Frauen hatten keine Geschichte – das wurde ihnen gesagt, und das glaubten sie. So war es letzten Endes die Hegemonie des Mannes über das anerkannte Symbolsystem, durch die die Frauen am entschiedensten benachteiligt wurden“.

Viel wäre da noch dazu sagen.
Vieles steht im Buch.
In das Buch – so umfangreich – habe ich bis jetzt nur hinein geschmökert. Trotzdem empfehle ich es. Weil es notwendig ist, sich damit auseinander zu setzen. Und ich bin mir sicher, dass ich nicht immer einer Meinung mit Armbruster sein werde. Nicht bei der Geschichte, das ist allein ihre Domäne, aber vielleicht bei den Lösungsansätzen. Das ist normal! Man kann nicht immer in allem einer Meinung sein. Ich stimme nicht allem bedingungslos zu, nur weil ich eine Frau bin.

Doch wenn es einen grundlegenden und wesentlichen Inhalt gibt, mit dem ich übereinstimme, lohnt es sich, sich damit auseinanderzusetzen und in einen Diskurs zu treten.
Und das ist es.
Lasst uns darüber reden.

Begriffserklärung: „Unter Androzentrismus wird eine Sichtweise verstanden, die Männer als Zentrum, Maßstab und Norm versteht. Androzentrismus kann also als eine gesellschaftliche Fixierung auf den Mann oder ‘das Männliche’ verstanden werden (vergleiche Männlichkeit). Ein androzentrisches Weltbild versteht den Mann als die Norm, die Frau als Abweichung von dieser Norm. 
Androzentrismus ist eine spezifische Form von Sexismus, in der das Weibliche nicht zwangsläufig als minderwertig bezeichnet, sondern einfach als  ‚das Andere‘, ‚das von der Norm Abweichende‘ aufgefasst wird. Stillschweigend wird dabei Mensch als Mann und die männliche Sicht der Dinge als die allgemeingültige gesetzt. …“ https://de.wikipedia.org/wiki/Androzentrismus

Zum weiterlesen:

Kirsten Armbruster, Patriarchatskritik, Books on Demand; 650 S., 33,99 €, ISBN: 3753404233.

Kirsten Armbruster: https://herstory-history.com

https://mutterwut-muttermut.de/?fbclid=IwARhttps://mutterwut-muttermut.de/?fbclid=IwAR1c4j8tIJ17O985UlT_P5xJcrmOdpfb8U-k5TjcDp9at6f7s6EDvPXe-Dw

Sebastian Tippe: https://feministinprogress.de/ueber-mich/

Rona Duwe: https://rona-duwe.de/?fbclid=IwAR1bfnXgypBT4Xvygnko5734mQFJ7GRvGXouNEY-ygH8Mt4eFMQXRFoLiuI

Die Entdeckung der MATRIFOKALITÄT, Die Ursprünge der Patriarchatsforschung und ihre Emanzipation von der Matriarchatsforschung: https://www.gabriele-uhlmann.de/matrifokal.htm

Sabine Lichtenfels: https://www.tamera.org/de/heilung-der-liebe/

Autorin: Monika Krampl
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 17.09.2021
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Brigitte Leyh sagt:

    Großartig, wichtig und richtig!
    Wir haben viel zu lange so getan, als wäre das Patriarchat nur für Frauen ein Unglück. Die Zeiten, in denen wir dankbar waren, wenn die Männer uns für Frauenrechte kämpfen ließen und einfach nicht im Weg standen, sollten vorbei sein. Nehmen wir endlich auch die Männer in die Pflicht, sie gehören im Kampf für Menschenrechte an unsere Seite!

  • Gré Stocker-Boon sagt:

    Liebi Lüüt
    Mit minimale Ausbildung,u.a.biografisch bedingt, aber in Selbststudium und späteren guten Umfeld dazu gelernt, habe ich mitbekommen über vielen Jahren, dass meine 85 jährigen Partner/Mann,seinen Einsatz als Lehrer der Krankenpflegeschule und mehr als 16 Jahren auf Station Pflegedienste geleistet hat.Und heute mit Handreichungen für andere immer noch tut.Er hat die grosse Frauenbewegung verstanden und dementsprechend gehandelt.Auch dann, wo der Pflegedienst für eine Familie finanziell nicht genügend sein kann.Und er bescheiden wurde und sich in den Bedürfnissen zurück nahm.

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