beziehungsweise – weiterdenken

Forum für Philosophie und Politik

Rubrik denken, hervorbringen

Vorsorge: zwei Seelen ach! in meiner Brust

Von Anne Newball Duke

“Bestattet eure Altersvorsorgeaufwendungen in der Luft”

PeterLicht in “Begrabt mein IPhone an der Biegung des Flusses”

Mit meiner Rente sieht es schlecht aus. Ich bin in Deutschland noch nie einer anständigen und schon gar nicht dauerhaften renteeinbringenden Lohnarbeit nachgegangen. Nach dem Studium Auslandsjahre (dort Arbeit in Führungsposition! Das ist gut für die Karriere!), Hochzeit, erstes Kind, Rückkehr nach Deutschland, das erste Jahr Hartz IV mit Kleinfamilie, mein Mann macht Karriere, ich wuppe Baby und Graduiertenkolleg pendelnd vom einen zum anderen Ende der Republik, dann zweites Kind, nun eine bereits drei Jahre anhaltende Sinnsuche gefüllt mit feministischer Lektüre und Klimakrise und Ehrenämtern noch und nöcher. Ein klassisches Hausfrauenleben? Aus der Sinnsuche ist mittlerweile ein Sinnauskosten geworden. Ich genieße die Möglichkeit des freien Denkens und Arbeitens mit allen Sinnen. Vielleicht bin ich eine “freie Hausfrau” im Sinne von Ina Praetorius. Ich mag die Vorstellung mittlerweile und hadere nicht mehr ganz so schlimm mit ihr. Ich bin zufrieden.

Und dennoch: fast täglich nagt die Zweiflerin an mir. Ich tue nichts für meine Rente. Nagnagnag. Ich lande nochmal in der Altersarmut. Hier eine Doku, da die nächste. Hier ein feministischer Beitrag zur Finanzvorsorge von Frauen im Alter, da der nächste. Nagnagnag.

Letztens las ich den Beitrag von Antje Schrupp und Barbara Streidl, hörte den Podcast und wieder fuhr das Übelkeit verursachende Schaukelschiff los in die hohen Wellen zwischen meinem guten, erfüllten Leben momentan und dem Horrorszenario einer Zukunft, in der ich plötzlich – das kann ja immer passieren – die Familie allein versorgen muss oder als alte gebrechliche Frau weder Zugang zur Gesundheitsversorgung habe noch ein Dach über dem Kopf. Diese schaurigen Gedanken sind der Preis dafür, jetzt tun und lassen zu können, was ich will, so kommt es mir vor. Vor allem das zu tun, was ich JETZT für richtig halte. Würde ich meine momentanen Tätigkeiten zwischen 8 und 22 Uhr aufteilen, dann käme in etwa raus: 28% Klima-Aktivismus, 30% Care-Arbeit und Familienzeit, 27% Texteschreiben und Gedanken gedeihen lassen (inklusive Lesen und Kino, also darin enthalten auch sogenannte “Freizeit”), 5% Nachdenken darüber, ob ich mittlerweile die Kapazitäten habe, um doch nochmal ein Buch zu schreiben, 5% An-die-Wand-Starren und 5% Entspannung vor Trash-TV (statt Yoga oder so, aber ich gelobe Besserung). Sicher habe ich irgendwelche wichtigen Posten vergessen. Jedenfalls, was hier klar wird: Ich kümmere mich – zumindest mit Lohnarbeit – nicht um meine Vorsorge.

Sinnvolle Vorsorge im ausklingenden Bürgertum

pixabay.com Die meisten Vorstellungen von Vorsorge führen direkt in ein Haus aus Geld.

Vorsorge. Das Wiktionary sagt, die Bedeutungen seien “Vorbeugung, Vorbereitung für spätere Entwicklungen”. Als Synonyme werden “Prävention, Prophylaxe, Vorbeugung, Vorbeugemaßnahme” angegeben. Gegenwörter sind “Nachsorge, Postvention”. Der Oberbegriff ist “Sorge” und Unterbegriffe sind “Altersvorsorge, Gesundheitsvorsorge, Krebsvorsorge, Pensionsvorsorge, Pflegevorsorge”. Als Beispiele werden folgende drei Sätze aufgeführt:

1. Die Vorsorge für das Pensionsalter bestand in Form eines Eigenheimes.

2. Falls es an meinem Geburtstag regnen sollte, habe ich Vorsorge getroffen.

3. „Ich entdeckte nämlich ein Mittel gegen Leichtfertigkeit, und zwar die Vorsorge.“

Charakteristische Wortkombinationen sind “Vorsorge für etwas treffen” und als Wortbildungen werden “vorsorglich, Vorsorgeplan, Vorsorgeprogramm, Vorsorgeuntersuchung” aufgeführt.

Still und leise wird hier der Lesenden bereits eingegeben, in welchem Bereich sich Vorsorge abspielt, und dass die einzige Vorsorgemöglichkeit durch Eigeninitiative geschieht. Eigeninitiierte Vorsorge ist klug, vorausschauend, absichernd – im Gegensatz zu verpeilt, also die (ohne Vorsorge drohende schaurige) Zukunft nicht im Blick habend, jetzt und heute mögliche und echt auch nötige Absicherungsformen verpennend. Ich habe nichts gegen die Gesundheit betreffenden Vorsorgeuntersuchungen. Diese zu verpennen, ist ganz sicher dumm und leichtfertig.

Aber was ist mit der finanziellen Absicherung im Alter? Was ist mit dem Eigenheim? Während der Flutkatastrophe sahen wir, wie diese Form der Absicherung fürs Alter eine Hochrisiko-Vorsorge geworden ist. All das Lohnarbeiten, und dann geht kurz vor Abzahlungsende das Eigenheim in einer Flut unter? Noch ein paar solcher klimakrisenbedingten Extremwetterereignisse, ein paar soziale Unruhen im untergehenden Kapitalozän dazugemixt, und mit der ganzen betrieblichen und privaten Rentenvorsorge ist es auch nicht mehr weit her. Oder? Ich höre das bürgerliche Raunen vom “SOOOschlimmwirdesnicht” bis zu “zuvielPolemikundSchwarzmalereischadetderDebatte”. Die Bürger*in ist vernünftig und rational, die klimakrisenbelesene Apokalyptikerin steht mit ihrem Horrorszenarienvokabular daneben, und beide finden keine gemeinsame Sprache. Die Apokalytikerin weiß, wie sie klingt für bürgerliche Ohren, sie hört sich selbst immer noch ungläubig zu, aber sie hat es gelesen und es sind verlässliche Quellen, und es sind verdammt viele Quellen, es sprudelt nur so, ein offenes Leck, jeden Tag aufs Neue, und außerdem ist es doch schon mitten unter uns, also warum klingt sie wie eine Apokalyptikerin, fragt sie sich, und die andere “normal”, müsste es nicht andersherum sein, oder wie lange dauert das bitteschön denn noch: das Einsehen, dass es einfach vorbei ist mit den bürgerlichen Gewissheiten, dass Vernunft und Besonnenheit und Rationalität in ganz andere sozio-ökonomische Umlaufbahnen gelenkt werden müssen, wo sie nicht mehr so viel Schaden anrichten, sondern helfen, uns Menschen in die planetaren Grenzen zu hieven.

Was bedeutet Vorsorge also in Zeiten der zunehmenden Erderhitzung; in Zeiten, in denen bereits neun von fünfzehn unumkehrbaren Kipppunkten angestupst sind, in der bei gleichbleibendem CO2-Emissionen nur noch drei Jahre verbleiben, um irgendwie noch irgendwas Annäherndes bei 1,5 Grad hinzubekommen?

Erste Möglichkeit: klimarealistische apokalyptische Vorsorge

Betreibe ich Vorsorge für ein Alter im Elfenland oder für ein Alter in einer ungewissen klimakriselnden Welt? Und welche Vorsorge ist dann die Richtige? Zugegebenermaßen wohnen diesbezüglich ach! zwei Seelen in meiner Brust: die eine möchte “private” apokalyptische Vorsorge betreiben. Die andere Seele denkt sich immer tiefer in eine von Liebe umrankten planetenrettenden Idealismus hinein.

Die erste Seele brütet zum Beispiel an folgender Idee: Meine Eltern wohnen dicht am Wasser, sehr beliebt, wunderschön da, Immobilie aktuell viel wert. Noch. Gucke ich aber auf die Entwicklung des Ostsee-Meeresspiegels in den nächsten 20 bis 50 Jahren, könnte das Haus und das Grundstück bereits in ein paar Jahrzehnten Algen und anderen Meeresbewohner*innen und dem natürlich gewordenen Müll, Gift und Dreck vorbehalten oder zumindest regelmäßig von Extremwettereignissen betroffen sein. Kein guter Investitionsstandort, pocht mein privates Vorsorge-Herz unruhig. Also vielleicht schonmal beginnen, die Eltern zu beackern, das Haus zu verkaufen, in Zeiten, wo das noch nicht alle gecheckt haben, und mit dem freiwerdenden Geld könnten wir sodann in eine Immobilie in sichereren Gefilden investieren. Da ist die sich logisch daran anschließende Frage: Ja ist Deutschland dann überhaupt noch ein guter Standort? Welches Land, welche Region wird Gewinnerin einer sich im Dauerausnahmezustand befindenden klimakrisengebeutelten Welt? Denn – so zu lesen in einigen Artikeln, z.B. hier: “Es gibt nicht nur Verlierer im Klimawandel. Für einige bisher eher benachteiligte Regionen könnte die globale Erwärmung sogar Vorteile bringen.” Warum also dann nicht gleich Nordeuropa, Sibirien, Kanada oder der Süden Argentiniens? Ich kann spanisch. Meine Kinder auch. Das wär doch was. Es grummelt in diesem Teil meiner Seele. Meine Fähigkeit zu apokalyptischem Zukunftsdenken muss doch jetzt was bringen für meine Familie, wenn ich schon nicht lohnarbeite momentan; ich könnte mein Wissen und Vorausahnen doch auf diese vorsorgerische Weise nutzen. Sollen die anderen doch weiter ruhig schlafen in ihren bürgerlichen Eigenheimen mit Blick auf Meere und Flüsse. In einigen der meistbetroffenen Gebiete der Flutkatastrophe vom Juli hat wieder die CDU gewonnen. Renaturierung, Bäume und Totholz tragen in den bürger*innennahen Reden wesentliche Mitschuld an der Katastrophe (hier ab etwa Minute 2:40 in Frontal vom 28.09.21), Applaus Applaus, thats Klimaleugner*innenspirit wie er leibt und lebt, macht nur weiter so und gute Nacht und adios, ich bin dann mal weg. Denn ich bin cleverer.

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Doch Moment mal, hüpft meine apokalyptische Vorsorgeseele schon wieder aufgeregt herum: Denken da eventuell noch mehr Leute wie ich? Muss ich mich gar schon beeilen? Ich recherchiere.

In einem Artikel des Stern aus dem Jahr 2019 heißt es:

“Ein Artikel auf “Forbes” vom vergangenen Sommer stellte ein USA-Kartenmodell der Zukunft vor, auf dem weite Teile der Küsten unter Wasser liegen. Daher würden extrem reiche Menschen derzeit viel Grund im Landesinneren von Amerika aufkaufen und dort Schutzkeller für die mögliche Apokalypse bauen. Der “Business Insider” berichtete, Immobilienfirmen reagierten auf die Nachfrage und boten mittlerweile luxuriöse Bunker für bis zu drei Millionen US-Dollar an. In den teils mehrstöckigen Untergrundschutzräumen hätten auch gepanzerte Fahrzeuge Platz und es gebe riesige Stauräume für Wasser und Nahrung.”

Der Stern-Artikel fasst einen von Douglas Rushkoff verfassten Text zusammen, der am 24.07.2018 in The Guardian erschienen ist. Rushkoff erzählt darin, wie er von “five super-wealthy guys – yes, all men – from the upper echelon of the hedge fund world” eingeladen wurde, um ihnen Tipps bei der Anlage zur apokalyptischen Vorsorge – “apocalypse insurance”, yes, so heißt der Fachbegriff – zu geben. So heißt es im Stern weiter:

“Zum anderen interessierten sich die fünf Reichen aus Rushkoffs Artikel für den Machterhalt nach dem Zusammenbruch. Im Moment könnten sie natürlich einfach bewaffnete Sicherheitsleute einstellen, die ihre Festungen im schlimmsten Fall gegen den wütenden Mob verteidigen. Doch mit der Welt gehe ja auch das Geldsystem unter und sie würden ihre überlegene Position verlieren. Die Milliardäre hätten daraufhin diskutiert, die Essensvorräte in speziellen Safes zu lagern, die mit Schlössern gesichert werden, zu denen nur sie die Kombination hätten. Oder sie würden von allen Wachmännern verlangen, ‘disziplinierende Halsbänder irgendeiner Art’ zu tragen – was genau sie damit meinen, wird nicht weiter ausgeführt. Am einfachsten aber wäre es, wenn bis zum ‘Ereignis’ die Technologie weit genug fortgeschritten wäre, damit Roboter die Anlagen bewachen könnten.” Das “Ereignis” – “the Event” – “was their euphemism fort he environmental collapse, social unrest, nuclear explosion, unstoppable virus, or Mr Robot hack that takes everything down”.

Wie wichtig feministische Vorsorge gewesen wäre, zeigt sich nach der Apokalypse

Das, was dieser Rushkoff erlebt hat, entstammt nun keinem Science Fiction-Roman. Pessimistische und apokalyptisch veranlagte Feminist*innen ahnen sodann, dass diese Untergangsversion sicher auch nix Gutes für die Frauen bringt. Suzy McKee Charnas hat in Walk to the End of the World 1974 (von Thomas Ziegler leider nur mäßig gut übersetzt. Es ist mit dem Titel Tochter der Apokalypse 1983 im Knaur Verlag erschienen.) ein Schreckensszenario entwickelt, das unmittelbar andockt an ein – natürlich bis dato nur fiktiv – tatsächlich so eingetretenes “Ereignis”, wie es den Prepper-Bunkervisionen dieser superreichen Männer entspricht:

Im Prolog dieses Science Fiction-Romans heißt es:

“Die prophezeite Katastrophe, die Verheerung, ist hereingebrochen und – wie es scheint – wieder abgeklungen. Umweltverschmutzung, die Erschöpfung der Ressourcen und unvermeidliche Kriege zwischen den unter Geburtenexplosion und Armut leidenden Ländern haben die Welt verwüstet und sie dem Unkraut überlassen. Wer hat überlebt? Eine Handvoll hoher Politiker besaß Zugang zu den Bunkern, die man für den Fall eines feindlichen Angriffs angelegt hatte. Einige von ihnen dachten daran, Frauen mitzunehmen. Die Frauen hatten resigniert oder waren als Idealisten oder Hysteriker [sic] hinausgeworfen worden. Als die Welt draußen zerfiel und die Finsternis anbrach, glaubten die Männer, Vorwürfe in den bleichen Gesichtern der Frauen zu erkennen, die sie gerettet hatten, und die Stimmen der Frauen klangen anklagend in ihren Ohren. (…) Die Männer bemerkten nicht die Entsetzen in ihren eigenen Gesichtern und die Verzweiflung in ihren Stimmen. Sie hatten, wie sie glaubten, verantwortungsvoll und richtig gehandelt – und alles verloren. Sie erkannten nicht, dass sie auch ihre geistige Gesundheit verloren hatten. Sie untersagten es den Frauen, sich zu versammeln, und befahlen ihnen, die Augen gesenkt zu halten, zu schweigen und sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern, und zwar um die Fortpflanzung.” (S.11f.)

Einige Generationen später lieferten die “Geschichtshymnen” bereits folgende Version von den “Hexenweibern (…), die die mächtige Zivilisation der Ahnen zerstört hatten”: “Auf dem Höhepunkt ihrer Macht waren die Männer der alten Zeit so fasziniert von ihrem eigenen technischen Fortschritt gewesen, dass sie die Überwachung ihrer verräterischen Frauen vernachlässigt hatten. Die Technik schien ihnen die Möglichkeit zu geben, das dumpfe Chaos der Leere selbst durch die Verbreitung des männlichen Willens vom Antlitz der Erde bis hinaus zu den Sternen zu besiegen. (…) Wie dem auch sei, für den logisch denkenden Verstand lag die Antwort auf der Hand: Es hatte Tierweiber gegeben und die Weiber unter den Schmutzhäuten, und die Söhne der Männer waren unter dem Einfluss ihrer Mütter verrückt geworden. Von allen Unmännern waren die Hauptverantwortlichen für Verderbtheit und Rebellion die Weiber gewesen.” (S.71) Weiber “besaßen keine Seelen, ihr Inneres bestand aus belebter Dunkelheit, die von der Leere jenseits der Sterne erschaffen worden war. Ihr Tod hatte keine Bedeutung.” (S.70)

Es sei nun der Fantasie jeder Leser*in überlassen, wie diese “Weiber” in dieser Gesellschaftsform (über-)leben; verraten kann ich, dass es wieder düster geworden ist in der ausschließlich dem weiblichen Geschlecht vorbehaltenen Höhle Platons, und zwar nicht nur metaphorisch.

Huch, wie bin ich gedanklich in diese fiktive Dystopie gerutscht, wo ich doch über “Vorsorge” schreiben wollte? Denn so schlimm kommt es sicher nicht! Das sind nie eintreffende Preppermind-“Ereignisse” und ein Roman einer mit sehr viel düsterer Fantasie ausgestatteten Science-Fiction-Autorin, die zu viele Folgen The Handmaid’s Tale – Report der Magd genetflixt hat (oder wars andersrum, was war zeitlich nochmal zuerst, I am getting more and more confused…).

Existiert die Menschheit schon lange? Oder kurz?

Denn wenn die Welt schon für uns Menschen untergeht, dann sicherlich nicht mit einem großen Katastrophenknall, sondern schleichend, über Jahrzehnte.

In planetarer Zeitrechnung natürlich immer noch ein Knall, in welchem diese nun kommenden Jahrzehnte nur eine hundertstel oder gar tausendstel Sekunde oder noch viel weniger einnehmen; zumindest in Rutger Bregmans Gedankenspiel in Im Grunde gut (2019), das mir eine neue Perspektive auf die Menschheit eröffnete und mein Vorstellungsvermögen extreeeem stretchte und dehnte hin zu einem Langzeitdenken (wie es ja Roman Krznaric in The Good Ancestor. How to think Long Term in a Short Term World (2020) fordert): “Das Erste, was man bei der Untersuchung der Menschheit realisieren muss, ist, wie jung sie ist. Wir fangen gerade erst an zu existieren. Um Ihnen eine Vorstellung zu geben: Nehmen wir an, dass die Geschichte des Lebens auf der Erde nur ein einziges Kalenderjahr statt 4000 Millionen Jahre umfassen würde. Dann hätten die Einzeller den Planeten bis Mitte Oktober für sich allein gehabt. Erst im November entstand das Leben, wie wir es kennen, mit Beinen, Knochen, Zweigen und Blättern. Und der Mensch? Der betrat am 31. Dezember, gegen 23 Uhr, die Bühne. Dann verbrachten wir rund eine Stunde als Jäger und Sammler, um im letzten Augenblick, etwa gegen 23:58 Uhr, die Landwirtschaft zu erfinden. In den 60 Sekunden vor Mitternacht ereignete sich alles, was wir ‘Geschichte’ nennen, mit Pyramiden und Burgen, Rittern und Burgfräuleins, Dampfmaschinen und Flugzeugen.” (S.69)

Immer wieder lese ich nun, dass Menschen nicht fähig sind, in eine Zukunft weit über zehn Jahre hinaus zu schauen. Ich glaube das nicht. Ich bin mit der Roman Krznaric der Meinung, dass wir unser Langzeitdenken nur verkümmern haben lassen, weil es in unserer aktuellen Gesellschaftsordnung als hinderlich gilt; als nicht effektiv, nicht profit- und wachstumsorientiert, nicht auf das schnelle Glück, das Leben im Jetzt und im Augenblick hin ausgerichtet. Und unsere Vorstellungen von Vorsorge entsprechen genau den Notwendigkeiten der marktwirtschaftlichen Interessen. Wer nicht durch monetäre Luftikus-Zukunftsinvestitionen mögliche Prävention betreibt, riskiert im Alter ein dachüberdemkopfloses Leben. Unsere angebliche “private Vorsorge” ist tief verankert in diesen Interessen; so tief, dass es nie daraus zu entfernen ginge. Und die staatliche und betriebliche Vorsorge… nun gut. Ich möchte keinen Nazi an die Wand malen, aber ein paar mehr gesellschaftliche Unruhen aufgrund von Bankencrashs, klimakrisenbedingten Katastrophen, und ich traue unserem patriarchal-kolonial-kapitalistisch-imperial grundiertem und ausstaffiertem gesellschaftlichen Fundament nicht mehr allzuviel zu, obwohl ich gleichzeitig – und das steht dazu nicht in Widerspruch – an das Gute im Menschen glaube.

Kümmere ich mich wirklich nicht um meine Vorsorge?

Momentan ist ja auch klar, warum wer in Altersarmut landet. Ich möchte mich hier nur mit einem dieser aus den neoliberalen Werkzeugkoffer entstammenden Argument beschäftigen, da es wieder unser Zukunftsdenken betrifft: “Viele Menschen beschäftigen sich erst zu spät mit der eigenen Altersvorsorge.”

Natürlich ist in unserem Gesellschaftssystem jede einzelne Person selbst schuld, wenn sie in Altersarmut landet. Markus Grübel, mit Direktmandat aus Esslingen gerade wieder frisch in den Bundestag gewählter CDU-Mann, äußerte beispielweise in einer Podiumsdiskussion vor der Wahl sein Unverständnis darüber, dass nicht jede Person sich einfach in einem günstigen Moment eine kleine Eigentumswohnung zulegt; das sei doch eine super Vorsorge. Diesem Vorschlag würden sicher auch viele mit der FDP sympathisierende Menschen zustimmen. Und es ist sicher auch noch in anderen gesellschaftlichen Gruppen common ground. Und jede Person, die diese Vorsorge leichtfertig nicht betreibt – außer Leichtfertigkeit scheint es keine weiteren Gründe zu geben in diesem Happyland –, wird mahnend und seufzend darauf hingewiesen, dass es tja nun leider ihr eigenes doch so einfach verhinderbares Verspielen eines guten Lebens im Alter ist. Ohne money kein gutes Leben im Eigenheim, na klar. Ohne money kein gutes Leben im Bunker, na klar. Huch, hier vermischen sich ein Land und ein -ozän. Das Elfenland mit dem apokalyptischen Postkapitalozän. Welche Szenerie von beiden ist realistischer in etwa 29 Jahren?

Im Elfenland wird mir suggeriert, dass ich eine leichtfertige Person bin. Dabei ist es doch so: Ich beschäftige mich gefühlt über alle Maßen hinaus, nämlich täglich mehrere Stunden mit lebenswerter Zukunft und Vorsorge! Mein Vorsorge-Konzept ist nur ein anderes. All mein Wissen und meine Erfahrung zu Klimawandel und Gesellschaft sagen mir: Je weniger wir gegen die Erderhitzung JETZT tun, desto hochrisikomäßiger wird es; für mein Eigenheim, für die Sicherung von so überlebensnotwendigen Dingen wie Wasser und Nahrung und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den mein Eigenheim benötigt, um mir ein Gefühl der Heimat und Geborgenheit vermitteln zu können.

Szenarienentwicklung für mögliche Vorsorge-Arten

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Bleibt alles, wie es ist? Die Beantwortung dieser Frage ist zumindest mal einfach: in gar keinem Fall. Unter gar keinen Umständen. “Change is Coming Whether You Like It or Not” is so true. Damit nicht alles ganz anders wird, müssten ab sofort die aktuell noch radikal klingenden Klimaschutzmaßnahmen in allen Bereichen umgesetzt werden. Dazu gehören nicht nur die bekannten Klimaschutzthemenfelder wie Energie-, Agrar-, Mobilitätswende und die immer noch viel zu oft paternalistisch-kolonial gedachten Klimagerechtigkeitsbestrebungen usw., sondern auch die Einführung eines feministisch ausgedeuteten BGE und (Lohn-)Arbeitszeitverkürzungen überall. Diesen Wandel sehe ich gerade nicht – zumindest nicht rechtzeitig – kommen. Also wird alles sehr anders werden. Und deswegen rechne ich nicht mit einer wie auch immer gearteten Rente. Wer sollte die denn zahlen? Alle Menschen, auch die jetzigen FDP-Erstwähler*innen, sind 2050 damit beschäftigt, eine klimawandelbedingte Katastrophe nach der anderen zu managen. Typische FDP-Wähler*innenjobs, die einstmals fiktives Zukunftsgeld in die Rentenkassen gespült haben, gibt es gar nicht mehr. Die Katastrophen schlucken nur Geld.

Für mich geht es in einem Szenario ab dem Moment entweder in Richtung riesige Konzernmonopole, welche die neuen Weltenregulierer sein werden, indem sie sich alle Körper sowie Wasser- und Nahrungsquellen untertan machen; “ich wüsste niemanden, der sich selbst gehörte”, singt PeterLicht im bereits eingangs zitierten IPhone-Lied. Meine Freiheit, was ist dann mit meiner Wahlfreiheit, zittert und fiebert dann das neoliberal imprägnierte Freiheitsherz. Armes Herz, alles wird gut, es gibt dann in ihrer Gewaltanwendung ganz natürlich wirkende Entziehungskuren (jetzt habe ich zu viel genetflixt).

Oder ein anderes Szenario (es gibt sicher noch viele andere; welche fallen euch ein?) wäre, dass kein neuer Wirtschaftszweig sich wettbewerbsträchtig wieder aus diesen und jenen Trümmern erheben kann, und somit gibts auch keinen Wettbewerb und keine Konkurrenz mehr. Alle Arbeit gilt der Sorge und dem täglichen Überleben, total nicht profitorientiert, waswardasnochmalwiesowardaswichtig, einfach nur existenzorientiert. Bei all dem Postventionieren (Verb von Postvention?) in einer irreversiblen Klimawandelrealität, bei all dem Geheile, Geräume und Gesorge um das Nötigste ist der einst systeminhärente Wachstumszwang aus dem Blick verloren worden. Neue Wirtschaftsformen sprießen aus dem Boden; dabei wird viel geseufzt: hätten wir doch früher mit dem Umbau angefangen, dann würden wir jetzt nicht derartig in der Patsche sitzen, in welcher das gute Leben und selbst “zerfetzte Freuden” (Donna Haraway) für sososo viele Menschen unmöglich oder zumindest noch viel seltener geworden sind.

Ich schließe daraus:

1) Wenn wir klimagerechtigkeitsmäßig nichts tun, dann wird alles anders: mir ist es absolut schleierhaft, wer oder was mir da eine Rente zahlen sollte. Die beste Altersvorsorge sind da wahrscheinlich immer noch eigene Kinder, die einem ab und zu einen Brei oder einen Bratapfel hinter den Ofen reichen. (Grimm’sche Märchen wie “Der alte Großvater und der Enkel” haben mich nachhaltig geprägt, merke ich gerade.)

2) Wenn wir klimagerechtigkeitsmäßig jetzt alles alles tun, was in unseren Möglichkeiten und Fähigkeiten steht, dann wäre darin inbegriffen, dass wir uns in 29 Jahren bereits auch in ein neues Gesellschaftssystem hineinentwickelt haben bzw. uns mitten in der Transformation befinden. In diesem würde bereits mitgedacht werden, dass das menschenwürdige Sorgen für die Alten auch anders “finanziert” – sagen wir besser – organisiert werde müsste als momentan.

3) Im ersten Fall gehe ich nur von “privater” Armut aus. Was diese schleichenden klimawandelbedingten Veränderungen jedoch mit der Gesellschaft macht, die es nicht geschafft hat, sich aus Kapitalismus und Imperialismus und Patriarchat hinauszubewegen, das steht dann nochmal auf einer anderen Karte, und was auf der steht, das lese ich jetzt nicht vor; den Inhalt überlasse ich jeder einzelnen apokalyptisch-dystopischen Seele, die wohl in jedem Menschen mehr oder weniger laut vorhanden ist.

Wie ich es auch drehe und wende: ich habe keine Ahnung, wie und wo ich mit 71 Jahren leben werde. Konnte ich “privat” vorsorgen? Lebe ich mit meinem Mann dann in Argentinien, und versuchen wir gerade, unsere Töchter aus irgendeinem Katastrophengebiet (sie wollten ja nicht auf uns hören!) zu uns einfliegen zu lassen, koste es, was es wolle? Oder sitze ich im einst elterlichen Haus an der Ostsee und haben wir die Biege gerade noch bekommen: Haben wir Demokratie gestärkt, indem neue demokratischere Gesellschaftsformen ausprobiert werden? Halten die Deiche und Dämme? Halten wir die Erderhitzung gerade noch so in den Grenzen des Menschlichen? Probieren wir neue Wirtschaftsformen aus, in der alle Menschen bekommen, was sie zum Leben brauchen? Wie soll das denn bitte gehen? In nur 29 Jahren? Argentinien ist da wesentlich wahrscheinlicher, höre ich es in meinem ersten Seelenteil murmeln und grummeln.

Bestes Vorsorge-Paket: Das Erreichen sozialer Kipppunkte verhindert Kipppunkte im Klimasystem

Vielleicht ist an dieser Stelle der Ruf nach Selbstwirksamkeit angebracht. Ulrich Schnabel lässt seinen am 23.09. in Der ZEIT erschienenen Artikel “Und wir ändern uns doch” folgendermaßen enden: “Statt mit langsamen, graduellen Entwicklungen in der Gesellschaft zu rechnen, sollten wir uns darauf einstellen, immer wieder von (sozialen) Kippmomenten überrascht zu werden. Denn entschlossen handelnde Minderheiten haben mehr Macht, als man ihnen für gewöhnlich zutraut. Zugleich widerlegt die Kipppunktforschung den Glauben, wir seien alle nur unbedeutende Rädchen in einem globalen Getriebe. Im Gegenteil, die Modelle zeigen: Der Mensch wird nicht nur verändert, er verändert auch selbst. Wirklich? Auf mich als kleinen Rädchen soll es ankommen? Ja, genau. Wenn günstigen Bedingungen zusammenwirken, kann tatsächlich jede Einzelne und jeder Einzelne etwas auslösen.” [Keine sonstwie neue Erkenntnis für schon länger Beziehungsweise Weiterdenken-Lesende und Schreibende, siehe z.B. hier.]

Ich sehe schon, wie jetzt einige Leser*innen wieder “Aha” sagen und “Da ist er wieder, der Appell zum politischen Aktivsein, ohne den kein Artikel von Anne mehr auskommt”.

Wahrscheinlich ist es auch so. Und auch heute stelle ich eine Frage, aber mit dieser endet das Gedankenspiel noch nicht:

Welche Vorsorge – unsere Kinder, also die nächste Generation, und vielleicht auch bis zur siebten Generation nach uns mit eingedacht – ist eine, die ein gutes Leben für alle Würderträger*innen dieser Welt am ehesten sichern könnte?

Vorsorge für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen! Richtig! Wasser, Luft, Nahrung, ein Dach über dem Kopf, Ruhe und Schlaf, Kunst und Kultur, Sicherheit und Schutz, Sinn, (auch weltliche) Zugehörigkeit, Gesundheitliche Versorgung.

Wie geht das, wie können wir diese Vorsorge betreiben? Sobald der Kopf mal ordentlich durchgepustet wurde und die stickige imperial-kolonial-kapitalistisch-patriarchale Luft ausm Gehirn auf Nimmerwiedersehen davongeflogen ist, nehmen wir plötzlich Dinge wahr, die jetzt schon in ebendieser Gesellschaft (denn zum Glück ist ja nicht alles patriarchal ausstaffiert und auch die Grundierung wird an einigen Orten bereits fleißig abgeschliffen; das Patriarchat ist zu Ende usw.) in diese Richtung betrieben werden, stehen hier nicht mehr nur Fragezeichen.

Bei den Fragezeichen bleiben gerade ZEIT-Journalist*innen nur allzu gerne stehen; z.B. letztens wieder Bernhard Pörksen in “Aufmerksamkeitscrash” am 23.9.21, wenn er u.a. fragt: “In welcher Diskurs- und Medienumwelt wäre eine visionäre Zukunftserzählung möglich, die der Realität der Klimakatastrophe tatsächlich gewachsen ist?” Er bietet der Leser*in daraufhin schöne-Worte-Antwortmöglichkeiten an, an die er selbst nicht glaubt, aber sicherlich schön formuliert findet, und lässt seinen Artikel mit dem Satz enden: “Bloß nicht zu genau hinschauen.” Ins Feuer, meint er. Am Rande des Highways, knapp 100km nördlich von Los Angeles. Boah, da bin ich geplättet, Applaus Applaus, mutig nicht-weitergedacht.

Bernhard Pörksen, schau mal genau hin, da gibt es schon ganz viel im Angebot, das nicht nur schöne leere Worthülsen sind: hier findest du Ina Praetorius’ Plädoyer fürs postpatriarchale Durcheinander, da hinten Luisa Muraros Auf dem Markt des Glücks, dann dort siehst du Donna Haraways Unruhig bleiben leuchten, und gleich daneben Gabriele Winkers Zusammendenken von Klima und Care in Solidarische Care Ökonomie (2021). Und hier in diesen und vielen vielen weiteren Denkhallen einer neuen symbolischen Ordnung, nach der du ja irgendwie fragst, ermüdest du auch nicht in bürgerlich-dandyhafter Ennui-Manier, verloren im nichtssagenden schöne-Worte-Gestrüpp, sondern hier sind ganz klare Gewächse genannt und beschrieben, die bereits jetzt tentakelhaft in eine neue Gesellschaftsform hineinranken; über ein freudvolles Eintauchen in eine neue symbolische Ordnung, in neue Sinnzusammenhänge, eine weltlich verbundene Philosophie und Technik-Ausrichtung und somit auch in eine weltlich geerdete, von Liebe triefender Diskurs- und Medienumwelt (Mithu Sanyal z.B. hier), ein feministisch gedeutetes BGE bei gleichzeitiger rigoroser Lohnarbeitszeitverkürzung, um Zeit freizumachen für planetare Sorge-Tätigkeiten usw. usf.

Aber wie diese Ansätze unters Volk und zu Bernhard Pörksen bringen, wie das alles in der nur noch so kurzen verbleibenden Zeit bis zur Irreversibilität der Veränderung ökologischer Systeme anrühren und umsetzen? Alle müssen mit anpacken, um unser Wirtschaften in die planetaren Grenzen zu katapultieren. Die beste Vorsorge ist somit diese: dafür zu sorgen, dass wir Menschen uns in die planetaren Grenzen verlieben, sie ehren und achten; all unser Vermitteln, Forschen, Erfinden, Demonstrieren, Pflanzen, Bewahren sollte sich nur noch innerhalb der planetaren Grenzen abspielen. Da kann dann auch kein Mensch mehr sagen: “Och nö, Klimaarbeit ist nicht so mein Ding”, weil mensch ja die planetaren Grenzen liebt und Liebe… ja Liebe… verändert Perspektiven und nicht ganz selten auch den Bezugspunkt, den Gegenstand der Liebe.

In der Forschung zum Erd-System sind die Kipppunkte der pure Horror. Aber ich mag die Idee mit den sozialen Kipppunkten. Deswegen bin ich felsenfest davon überzeugt: wenn jede Person dazu beiträgt, dass ein möglicher Kipppunkt hier oder da erreicht wird, dann vergrößert sich die Chance auf viele Kipppunkte in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen.

Vorsorge durch “making the world a better place”

Klar, was soll das sein, wie könnte das gehen, usw. usf., das ist wieder viel Pionierarbeit, oder Arbeit, die Einzelne schon immer getan haben, ohne je dafür notwendige und adäquate soziale Resonanz bekommen zu haben. Aber vielleicht ist es jetzt soweit? Wer weiß das schon? Woher die Zeit und andere notwendige Ressourcen nehmen, solange das BGE noch in der Ferne am Horizont schimmert? Vielleicht wäre ein erster Schritt, vom “alten” Begriff der Vorsorge abzulassen und die so freiwerdende Energie und Kapazitäten und natürlich auch money in eine klimarealistische Vorsorge zu investieren. Keine Person darf mehr glauben, dass ein Eigenheim für sich selbst oder die eigenen Kinder vor Flutkatastrophen, Wasser- und Nahrungsknappheit und Kriegen beschützt. Denn fehlt nur eines der eben aufgelisteten Dinge, die wir Menschen zum (guten) Leben brauchen, dann sorgt auch ein isoliertes, scheinbar gesichertes DachüberdemKopf nicht mehr für Sicherheit.

Vielleicht kommen dann auch Silicon Valleys “verrückt gewordene” (Suzy McKee Charnas) Vorsorge-Planer von Bunkern, Augenlasereien, Robotersoldat*innen (why not Gendersternchen; spätestens seit Marge Piercys Er, sie und es weiß ich, dass das Geschlecht auch hier nicht egal ist) in eine wieder weltliche Umlaufbahn des Zukunftsdenkens zurück und investieren – wie Rushkoff schreibt – lieber in “making the world a better place” anstatt in “just one thing: escape”.

Und zugegeben: für mich klingen die noch bestehenden bürgerlichen Gewissheiten einer “privaten, betrieblichen und/oder staatlichen Altersvorsorge” bereits nach “alte Welt”; einer elfenländischen Zukunftsvorstellung. Sie sind mir mittlerweile fremder als die imaginären Bunker-Flucht-Escape-Room-Vorstellungen (deren Überlegungen tatsächlich auch so weit gehen, in Betracht zu ziehen – ach so süß, sozial und empathisch! –, auch die Familien ihrer Flugmaschinen-Pilot*innen mit in den Bunker nehmen!).

Mein Lösungsvorschlag wäre: aktiv dafür sorgen, dass es auch ein gutes Leben in einer sich durch Klimawandel verändernden Welt geben kann. Donna Haraway lässt in ihren “Camille Geschichten” am Ende von Unruhig bleiben ihre Erzählerin aus der Zukunft berichten, dass es neben dem ganzen Tod und Aussterben auch “über das Jahr 2400 hinaus” Menschen gab, die “die zerfetzten Freuden des normalen Lebens und Sterbens genossen”. Dieser Gedanke beruhigt mich. Und aktiviert mich zugleich. Denn damit das stattfindet, muss ich pi mal Daumen 80% meiner Zeit in das gute Leben für alle stecken. Und die 20 restlichen Prozent? Die darf ich dann ja wohl in Prepp-und Trash-Gedanken stecken. Ich bin ja auch nur ein Kind meiner Zeit.

Jetzt Regen im Sommer 2050 wahrscheinlich machen, ist Vorsorge

Wie wärs mit folgenden drei Beispielsätzen zu “Vorsorge” im Jahr 2050:

1. Die Vorsorge für das Pensionsalter bestand in der Sicherung und dem einfachen und bedingungslosen Zugang zu sauberem Grundwasser für alle Würdeträger*innen dieser Welt, inklusive Baum und Fuchs.

2. Falls es im Sommer meines 71. Geburtstagjahres regelmäßig regnen sollte, haben anscheinend die gesellschaftlichen Vorsorge-Aktivitäten geholfen.

3. „Ich entdeckte nämlich ein Mittel gegen Leichtfertigkeit, und zwar die Vorsorge.“

Der dritte Satz kann dann in einem neu gesetzten Gesellschaftsrahmen auch so stehenbleiben.

Ein Rutger-Bregman-Satz aus dem Text hallt in mir noch nach: “Wir fangen gerade erst an zu existieren.” Ich frage mich: In wie vielen Jahrhunderten oder Jahrtausenden wäre in dieser Logik dann folgender Satz gerechtfertigt: “Jetzt existiert die Menschheit doch schon eine ganze Weile.”

Zum Schluss raune ich meinen Eltern noch ein paar beruhigende Worte zu, falls diese den Text lesen: Bleibt in eurem Traumhaus wohnen, bis ganz zum Ende, vielleicht kommen all die Sintfluten ja auch erst nach euch. Aber sorgt ebenfalls für soziale Kipppunkte, nutzt eure Energie und eure Stärke und eure Liebe dafür. Und erzählt euren Enkelkindern vom Leben im Umbruch, das im Klimarealismus angekommen ist, nehmt es bewusst wahr, seht alles klar und deutlich; es muss Chronist*innen dieser Zeit an diesem wunderschönen und so gefährdeten Ort geben, an dem ihr wohnt.

Auch wenn Donna Haraway am Ende ihres Buches nochmal viele ihrer Wortneuschöpfungen und -kompositionen aufführt, die den Abschnitt eventuell nicht ganz verständlich machen, so möchte ich ihn hier doch nochmal anbringen. Denn ich glaube, auch ohne dass jedes Wort und der Kontext klar ist, wird deutlich, worum es geht:

“Die SprecherInnen für die Toten haben auch den Auftrag, die neuen Dinge auf der Erde in die Köpfe und Herzen zu bringen. Sie erzählen nicht nur von Symbionten und Symanimagenen, von ihren Gemeinschaften und Korridoren, sondern auch von den entstehenden Wesen und Lebensweisen einer sich immer weiterentwickelnden Heimatwelt. Die SprecherInnen für die Toten setzen Energien des vergangenen, des aktuellen und des zukünftigen Chthuluzäns [das Chthuluzän folgt gemäß Haraways Utopie auf das Kapitalozän] frei, mit seinen unzähligen Tentakeln (…). Die Kinder der Kompostisten werden an der vielschichtigen, neugierigen Praxis des Mit-Werdens mit anderen festhalten: für eine bewohnbare, aufblühende Welt.” (S.229)

Foto: Manfred Pellmann

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Ulrich Wilke sagt:

    “Ich malte schwarz; doch dichtern Flor zög’ ich dem Bilde lieber vor.”
    Eine Vorsorgepassivität fehlt noch: weniger Kinder.

  • Ingrid Wittmann sagt:

    Liebe Anne,
    Danke für Ihren Bericht,
    Sie haben sich so viele Gedanken gemacht über das Leben!

    Eine Antwort könnten die sehr empfehlenswerten Ausführungen von Axel Burkart auf Geisteswissenschaft TV sein :
    z.B. https://www.youtube.com/watch?v=PECQ8PKMdmg

    Auch das Buch von Masaro Emoto “Wasser und die Kraft des Gebets” ist eine Antwort auf die aktuelle Situation! Weltweit geschürte Ängste verhindern und “verschmutzen” auch unser Wasser (auch wir bestehen überwiegend aus Wasser)!

    Es sind wirklich interessante Zeiten zum Aufwachen!
    Gottes Segen für Sie liebe Anne und alle Leserinnen und Leser!
    Ingrid

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Ingrid Wittmann, vielen Dank für die Lese-Tipps und die ermutigenden Worte!

    Lieber Ulrich Wilke, ja, das mit den “weniger Kindern” sagt auch Donna Haraway; immer wieder argumentiert sie für “Macht euch verwandt, nicht Kinder!”/ “Making kin not babies!” Ich stolpere über diese Schlussfolgerung noch, muss ich ehrlich sagen. Ich bin da auch noch in einem Meinungsbildungsprozess. Es ist ja grundsätzlich so: Führende Klimaforscher*innen wie Will Steffen gehen davon aus, dass es bei gleichbleibendem CO2-Ausstoß um die Jahrhundertwende, also 2100, also in etwa 80 Jahren, nur noch etwa eine Milliarde Menschen geben wird. Und mein Grundimpuls ist, dass wir das System ändern müssen. Denn Geburtenkontrollen oder andere dystopische Vorschläge, in denen mit Gesetzen usw. wieder auf den Körper der Menschen, die schwanger werden können, zugegriffen werden will (also in meinem Verständnis extrem unfeministisch und dystopisch, wie im obigen Roman oder ja auch bei Margaret Atwoods “Der Report der Magd” fiktiv auserkundschaftet; und wir wissen ja auch, dass dies nicht nur Fiktion ist), werden nichts an der Zerstörung der Lebensgrundlagen ändern; das schaffen auch die jetzt auf der Welt lebenden Menschen, in ihrer jetzigen weltumgreifenden kapitalistischen und imperialen Gesellschaftsordnung, ganz allein. Also eine patriarchal gedachte “weniger-Menschen”-Politik, wie immer sie auch ausgestaltet werden würde, würde nichts an der Zerstörung und an der klimakatastrophenbedingten massiven Reduktion der Anzahl der Menschen ändern, wenn diese Ordnung so bestehen bleibt. Und ganz weit ins Utopische gedacht: wenn Menschen lernen würden, die planetaren Grenzen zu lieben, würde sich die Anzahl der Menschen eben auch in diese planetaren Grenzen begeben; über viele viele Generationen hinweg, gewaltlos. Aber das ist zugegebenermaßen reinste wilde Spekulation.

  • Anne Newball Duke sagt:

    Ich hatte es in vorherigen Artikeln schon erwähnt, aber vielleicht ist es wichtig, es auch nochmal in – bzw. jetzt unter – diesem klarzumachen: Ich bin vielerlei Hinsicht privilegiert: ich bin gut ausgebildet und lebe in einer guten Partnerschaft, wir haben zwei Kinder; mein Mann verdient gut. Mein Tätigkeitsmodell lässt sich von einer alleinerziehenden Frau mit zwei Kindern im Hartz-IV-Bezug nicht leben, da sie permanent aufgefordert wird – zumal wenn Ihre Kinder älter sind, so wie meine Töchter – erwerbstätig zu sein. Ich hoffe sehr, dass dies klar ist, denn ich möchte unter gar keinen Umständen andere, die nicht diese Privilegien besitzen, unter Druck setzen; ich hoffe, dieser Eindruck entsteht nicht. Wie auch in meinen vorherigen Texten möchte ich gerade mit den provokanteren Thesen eher ähnlich privilegierte Menschen wie mich auffordern, über ihr Denken und Handeln in Zeiten höchster Dringlichkeit nachzudenken. Es besteht ja nun mal das Dilemma einer “ablaufenden Zeit” (bzgl. Kipppunkten im Erdsystem, CO2-Budget), um schlimmere und schlimmste Formen der Klimakatastrophe noch aufzuhalten. Und da es ein BGE usw. – also gesellschaftliche, politische und ökonomische Rahmenbedingungen – noch nicht gibt, die es allen gesellschaftlichen Gruppen ermöglichen würden, an diesem so wichtigen Engagement zu partizipieren, richte ich eben meine Appelle an die Privilegierten, denn für sie sind z.B. Zeitumschichtungen, also andere Prioritätensetzung in der Zeitnutzung, m.E. eben am ehesten möglich. Ich danke Gabriele Winker, die mich dazu angeregt hat, diese Ergänzung (v.a. den ersten Teil) vorzunehmen.

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