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Lebensnotwendiger Feminismus

Von Adelheid Ohlig

Wieder einmal kam ein Buch zu mir, dessen Autorin mir geläufig war, hatte ich doch ihren wohl grössten Erfolg vor Jahrzehnten begeistert gelesen: Benoîte Groult (1920-2016) beschrieb 1988 mit dem erotischen Roman «Salz auf unserer Haut» weibliche Leidenschaft. Sie schildert darin freizügig ihre jahrzehntelange Liebschaft, die sie während ihrer ebenfalls Jahrzehnte währenden Ehe pflegte.

«Leben heisst frei sein» nun, vom Verlag als Roman betitelt, ist eigentlich eine Autobiographie – nicht im üblichen Sinne, denn es ist angereichert mit den Gesprächen, die sie mit einer jüngeren Journalistin über ihr Leben führte. Und es enthält essayartig ihre Betrachtungen zum Feminismus, den sie für lebensnotwendig hält. Ohne diesen, so schreibt sie, habe sie an Calciummangel gelitten. Es fehlte ihr an Vorbildern. «Ich musste mich vom Halseisen der Traditionen befreien, von all den angeblich notwendigen Fesseln…ich wollte aussprechen, was ich entdeckt habe: dass es wichtiger ist als alles andere, sich selbst zu verwirklichen.»

So ist dieses Buch die Geschichte einer Bewusstwerdung. Im französischen Original schreibt Groult von der évasion, der Flucht also aus den Konventionen. Sie setzte sich für ein liberales Abtreibungsgesetz ein, machte immer wieder Vorschläge für weibliche Berufsbezeichnungen, mit denen man sich in Frankreich noch heute schwertut. Allein, dass sie sich écrivaine/Schriftstellerin nannte, wurde für anmassend gehalten. Groult prangerte früh die Klitorisbeschneidung als Verstümmelung an, wandte sich damit gegen Soziologen, Anthropologen, Ethnologen, die in diesem Gewaltakt einen förderlichen Initiationsritus sahen. Die Schriftstellerin war Mitgründerin der ersten – inzwischen eingegangenen – feministischen Zeitschrift.

Eine tatkräftige Frau voller Lebenslust, die ehrlich in den Spiegel ihres Lebens schaut, tritt uns entgegen, anregend und ermunternd: «Solange ich weiss, wo ich wohne, solange ich bei der Ankunft vom Lächeln meiner Gärten empfangen werde, solange die Erde nichts von ihrer Farbenpracht verloren hat, das Meer nichts von seiner geliebten salzigen Bitterkeit, die Menschen nichts von ihrer Sonderbarkeit und das Schreiben und das Lesen nichts von ihrer Anziehungskraft, solange meine Kinder mich immer wieder zu den Wurzeln der Liebe zurückführen – ja, solange muss sich der Tod ganz still verhalten. Solange ich lebendig bin, kann er mir nichts anhaben.»

Benoîte Groult: Leben heisst frei sein, Roman, aus dem Französischen von Irène Kuhn, Knaur Taschenbuch München, 1999, 378 Seiten.

Autorin: Adelheid Ohlig
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 04.11.2021
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Elfriede Harth sagt:

    “Feminismus hat noch niemanden getötet. Machismus tötet jeden Tag.” Das ist eines ihrer Aussprüche.
    Ihre Autobiographie, die 2008 erschien, “Mon evasion”, ist auf Deutsch unter dem Titel: “Meine Befreiung” erschienen. Absolut lesenswert! Sie war eine Frau, die sich über alle Konventionen hinwegsetzte und sich, als Feministin, von keinem “Orthofeminismus” beschränken ließ, sonder immer sich und ihrer Sichtweise treu blieb.

  • Danke für den Hinweis, liebe Adelheid Ohlig! Alle Bücher standen in meiner Bibliothek und vielleicht stehen sie heute noch – muss ich erst nachsehen – nach diesem spontanen Kommentar. Werde mir das Buch sofort in meiner Buchhandlung bestellen.
    Liebe Grüße Monika

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