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Vom Hunsrück über Schottland und die Fidschi-Inseln bis nach Wien und wieder zurück

Von Maria Coors

Joan ist als Tochter von US-amerikanischen zivilen Militärangehörigen im Hunsrück aufgewachsen und lebt seit 15 Jahren in Wien. In der Bundesrepublik gilt sie als US-Amerikanerin, in Wien ist sie ein Piefke. Sie lebt und arbeitet im Internet und hat den letzten Coronawinter dazu genutzt, sich durch Ahnenforschung auf Identitätssuche zu begeben. Zwar hat Joan nicht ihre Identität gefunden, aber viele tolle Geschichten, und Maria hat Joan (“Joanalistin”) dabei auf Twitter gefunden und schon im Sommer mit ihr über Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutscher und amerikanischer Familiengeschichtsschreibung, feministische Ahnenforschung und vieles mehr geredet.

Maria: Wie bist du auf die Idee gekommen, dich mit deiner Familiengeschichte zu beschäftigen?

Joan: Ich habe mich eigentlich mein ganzes Leben lang mit Familiengeschichte beschäftigt, zumindest indirekt. Meine US-amerikanischen Eltern haben mir den ganzen Tag von ihren Vorfahren erzählt. Meine Mutter erzählte mir immer, wir stammten vom schottischen König Robert The Bruce ab. Was für mich immer absurd erschien, da unser reales Leben als Großfamilie auf einem abgerockten Kleinbauernhof nichts Adeliges und Schickes hatte. Durch die Pandemie hatte ich auf einmal Zeit und entschied mich, diesen Anekdoten meiner Familie nachzugehen. Ein bisschen verwirkliche ich hiermit auch meinen Berufswunsch aus Teenagertagen, als Investigativ-Journalistin zu arbeiten. Auch dieses Ahnenforschungsprojekt hat wirklich stark mit dem Aufdecken von Geschichten, ja sogar Skandalen zu tun.

Maria: Hattest du konkrete Fragen bzw. ein „Suchkonzept“ oder lief das eher wie „Suche jeden Schnipsel über…“?

Joan: Mein Konzept bzw. Vorgehen würde ich jetzt, nachträglich betrachtet, so beschreiben: Am Anfang steht immer das Gespräch mit älteren Verwandten, für die groben Eckdaten, Namen und Informationen. Mit diesen Eckdaten arbeitet man dann weiter. Als zweiten Schritt habe ich dann versucht, diese Informationen zu verifizieren. D.h. ich habe versucht, andere Anhaltspunkte dafür zu finden, dass Personen, von denen ich schon Namen hatte, wirklich existierten, bzw. im Idealfall weitere Informationen zu diesen oder weiteren Vorfahren, an die sich niemand mehr erinnert. Hier ergibt sich aber aufgrund meiner US-Herkunft ein großer Unterschied und ein großes Privileg: Die Digitalisierung und zentrale Kategorisierung und Online-Zugänglichkeit alter Dokumente sind in den USA auf einem ganz anderen Niveau. Einwanderer*innen interessieren sich üblicherweise stark für ihre Wurzeln. Hier kann man vor allem der Mormonenkirche dankbar sein, die haben die größte kostenlose Online-Datenbank zur Ahnenforschung aufgebaut. Sie beinhaltet auch europäische Dokumente, wenn sich ein US-Bezug herstellen lässt, also wenn die Personen in die USA ausgewandert sind. Ich habe hier viele Sachen rausgefunden, u.a. nicht nur die Wohnadressen, sondern auch die Berufe von Vorfahren. Sehr zu empfehlen. Als nächsten Schritt, den man auch parallel zur Archivsuche machen kann, habe ich einen Stammbaum angelegt. Ich würde empfehlen, das am besten auch online zu machen, weil sich dadurch auch neue Familienstränge ergeben. Ich habe meinen Stammbaum einmal auf MyHeritage und einmal auf Ancestry.com angelegt. Da hier auch andere Menschen ihre Stammbäume anlegen, ergeben sich „matches“ und man erfährt was über noch unbekannte Vorfahren. Ich habe alle Information, die ich finden konnte, auch immer noch bei Google eingegeben. Hier tauchen manchmal Personen an überraschend anderen Stellen auf. Und zuletzt hat mir auch Facebook geholfen. Ich habe entfernte Verwandte, die noch leben, via Facebook gesucht und konnte durch die Kontaktaufnahme spektakuläre Dinge herausfinden.

Maria: Hast du während der Recherche gemerkt, dass dich manche Personen oder Familienstränge mehr interessieren als andere?

Ja. Ich stolperte z.B. bei MyHeritage über den Geburtsort meiner Ururururgroßmutter Jessie, die 1845 in Burma geboren wurde aber im Staat New York 1903 starb. Mir erschien das sehr rätselhaft. Ich hatte instinktiv das Gefühl, es steckt eine größere Geschichte dahinter. Und tatsächlich führte mich meine Recherche an das Ende der Welt, nämlich zu entfernten Verwandten auf den Fidschi-Inseln. Ihr Vater war General der West India Tea Company gewesen. Diese Spur führte mich dann schließlich zu einer 83-jährigen Dame, die seit 50 Jahren nach den Nachfahren meiner Ururururgroßmutter suchte, weil sie im Besitz von Kunst und Dokumenten von ihr war. Ihre Eltern hatten das ehemalige Haus meiner Vorfahren in New York gekauft und dort diese Gegenstände gefunden. Unter den Zeichnungen meiner Ururururgroßmutter Jessie war das Örtchen Oberwesel, ein Ort, an dem 140 Jahre später zwei ihrer Urururenkel, meine jüngere Schwester und mein Bruder, geboren wurden. Das war natürlich ein verrückter Zufall, durch den ich aber auch noch einiges über die Zeit damals gelernt habe. Der Zufall wird nämlich erklärbar, wenn man weiß, dass der Ursprung der Rheinromantik gar nicht deutsche, sondern eben britische Künstler*innen und Tourist*innen waren, die um 1840 ins Rheintal reisten, viel Landschaft zeichneten und diese veröffentlichten. Es könnte also sein, dass meine Vorfahrin als Touristin nach Oberwesel kam. Aber noch wahrscheinlicher ist es, dass sie nicht da war, aber nach der Vorlage eines anderen Bildes gezeichnet hat. Tatsächlich habe ich bei Google über die Funktion „Ähnliche Bilder suchen“ ein sehr ähnliches Motiv gefunden.

Jessie Taylor Ferrie (Joans Urururururgroßmutter), Oberwesel

Ich hätte gerne mehr über meine slowakischen Vorfahren erfahren, aber hier ist die Recherche deutlich eingeschränkter.

Maria: Wie kommt das?

Joan: Also, das hat mehrere Gründe. Das fängt schon dabei an, dass die europäischen Einwanderer*innen ja meistens erst mal in Ellis Island ankamen. Und schon dort bei der Einreise wurden dann manchmal ihre Namen verändert. So wurde mein Vorfahre dort als Andrew Kissel geführt. Da das aber sicher nicht der slowakische Name ist, ist es ganz schwer, da weiterzusuchen.

Bei meinen schottischen Vorfahren konnte ich jedoch sehr weit zurückgehen. Da hatte ich Glück, dass mein Urururururgroßvater Rev. William Ferrie, der neben seiner Tätigkeit als Pastor bei der Church of Scotland auch am St. Andrews College Geschichte unterrichtete, Vorarbeit geleistet hatte. Ich fand zwar die von meiner Mutter erwähnte Robert De Bruce-Verbindung noch nicht, aber dafür eine Verbindung zu Robert Wallace aka Braveheart. Die Verbindung ist jedoch als spekulativ zu werten. Relativ gut gesichert ist jedoch die Verbindung zu William Penn, dem Gründer von Pennsylvania. Das ist der Neffe meiner Ururururururururururrururugroßmutter gewesen.

Maria: Wie hat deine engere Herkunfts-Familie auf deine Forschungen reagiert?

Joan: Die waren ganz entzückt. Meine zwei Geschwister, deren schottische Urururgroßmutter ihren Geburtsort in Deutschland im 19. Jahrhunderte zeichnete, haben eine wichtiges für sie historisches Kunstwerk entdeckt. Bei meinem Vater gab es auch eine schöne Entdeckung, nämlich das Foto seines Urururururgroßvaters. Das hatte eine gemeinsame Vorfahrin auf einer Plattform hinterlassen. Dabei muss man wissen, dass mein Vater mit seinem Großvater keinerlei Kontakt hatte, weil dieser früh die Familie verließ. Und auf einmal hatten wir ein Foto, das eine eindeutige Verwandtschaft mit einem Mann zeigte, der bereits 1860 im Zuge des amerikanischen Bürgerkrieges starb. Mein Vater war sehr gerührt.

Maria: Was waren deine spannendsten Entdeckungen?

Joan: Da gibt es so viele.

Die erwähnte Verbindung zu den Fidschi-Inseln war sicherlich ein Highlight, wie auch die entdeckte Kunst meiner Ururururgroßmutter.

Die Töchter des Neffen von Jessie Taylor Ferrie auf den Fidschi-Inseln

Die Verbindung zur Church of Scotland, bei der drei meiner Großväter als Pastoren dienten, war aber auch sehr spannend. Ihre Tätigkeit zwang sie regelmäßig zur Flucht vor den Engländern und ließ sie schließlich den Schritt der Auswanderung in die USA vollziehen. Einer dieser Großväter war nicht nur Pastor, sondern, wie erwähnt, auch Professor am St. Andrews College. Dort experimentierte man 1845 mit dem neuen Medium Fotographie, und so existiert tatsächlich ein Foto meines Ururururgroßvaters, der zu den ersten fotografierten Menschen in Schottland gehört. Deshalb liegt das Foto auch im Archiv. (https://collections.st-andrews.ac.uk/item/prof-ferrie/37425)

Weitere Religionsflüchtlinge in meiner Familie sind Quäker. Die Familie, die den Mädchennamen meiner Urgroßmutter trägt, kam 1669 in den USA an, also rund 50 Jahre nach der Mayflower. Daher auch die Verbindung zu den Gründervätern der USA mit William Penn, weil natürlich die frühen Bewohner der USA alle eng miteinander vernetzt waren und sich gegenseitig heirateten.

Spannende Entdeckungen brachten auch meine DNA-Ergebnisse. Sie bestätigten im Grunde meine starken schottischen und irischen Wurzeln. Sie zeigen jedoch auch einen starken iberischen Zweig. Eigentlich gibt es keine spanischen und portugiesischen Hinweise in meiner Familie. Eine Erklärungsmöglichkeit wäre die Existenz der sogenannten „Black Irish“. Deshalb haben meine Eltern auch einen DNA-Test gemacht, weil ich auch diesem Geheimnis auf die Spur kommen möchte.

Maria: Was ist denn „Black Irish“?

Joan: Das ist geschichtswissenschaftlich eine umstrittene Sache, die ich vielleicht mit meiner DNA-Analyse untermauern kann. Es geht um folgende These: Im 15. Jahrhundert sollen spanische Seeleute in Irland gelandet sein und dort Beziehungen zu irischen Frauen eingegangen sein. Und damit könnte man erklären, warum in Irland heute nicht nur rothaarige Menschen leben, sondern auch dieser Typ „helle Haut, dunkle Haare“. In meinem DNA-Test kam jetzt raus, dass ich 19% iberische Vorfahren habe. Das war eine totale Überraschung, die sich auch niemand erklären konnte, weil wir eben in der Familie nur die schottischen, irischen und slowakischen Vorfahren kannten.

Maria: Siehst du Ahnenforschung v.a. als persönliche Entdeckungsreise oder steckt da auch was Politisches drin? Gibt es für dich z.B. „feministische“ Ahnenforschung?

Joan: Bei Ahnenforschung wird auf einmal Weltgeschichte sehr persönlich. Bei der Recherche kommt man auch mit dem damaligen Zeitgeschehen in Kontakt und erfährt viel über Kriege und Konflikte. Und ja, es wird sehr nachvollziehbar, welches Schicksal Frauen damals hatten. Mir sind die teilweise großen Altersunterschiede bei den Ehen aufgefallen. Frauen oder besser gesagt, junge Mädchen, heirateten oft 20 Jahre ältere Männer. Ein trauriger Fall ist hier meine Urururgroßmutter mit dem schönen Namen Keziah. Sie heiratete mit 18 Jahren in der Einöde von Ohio zwei Wochen vor der Geburt meiner Ururgroßmutter einen 40 Jahre alten Mann mit dem Namen Isaac Kepler, einen deutschen Einwanderer. In meiner DNA gibt es jedoch keine deutschen Hinweise. Jetzt frag ich mich natürlich, was hinter dieser Geschichte steckt. Übrigens starb Keziah mit gerade mal 20 Jahren bei einer Fehlgeburt. Allein diese Geschichte zeigt im Kern das Leid, eine Frau zu sein, und wie Schwangerschaften ein Todesurteil bedeuten konnten.

Und auch zum Thema Frauengeschichte: Erst vor kurzem ist noch ein sehr spannendes Detail dazugekommen. Ich habe tatsächlich noch eine sogenannte Salemhexe gefunden. Sagen dir die Prozesse von Salem was?

Maria: Nein, gar nicht. Erzähl mal.

Joan: In den USA gab es Hexenverfolgungen eigentlich nur eine sehr kurze Zeit. Ich glaube, es wurden insgesamt 19 Frauen damals in Massachusetts hingerichtet. Meine 12-fache Urgroßmutter, Mary Bradburry konnte aber vorher flüchten. Die Vorwürfe gegen sie waren natürlich total absurd, also sie könne sich in Tiere verwandeln usw. Aber vermutlich war der echte Grund ein anderer: Ungewöhnlich war ohnehin, dass sie zum Zeitpunkt der Anklage schon 77 Jahre alt war, was ein ziemlich hohes Alter für Frauen in dieser Zeit war. Und sie hatte wohl der Heirat einer ihrer Nichten nicht zugestimmt. Jedenfalls hat sie überlebt und wurde noch 85 Jahre alt.

Und dann ist da natürlich noch der feministische Aspekt mit den weiblichen Familienlinien. Viele meiner Verwandten, die auch Ahnenforschung gemacht haben, haben da nur die männliche Linie verfolgt. Das lief wahrscheinlich viel über die Identifikation mit demselben Nachnamen, und die Frauen haben den Namen mit der Heirat abgegeben und dann wurden diese Linien nicht weiterverfolgt. Also, da war ich tatsächlich die erste, die diese Linien verfolgt hat, und da kamen so coole und interessante Geschichten raus. Aber das war nicht leicht. Der Mädchenname wird ja ganz oft in der weiteren Lebensgeschichte nicht mehr angegeben, und dann muss man über den Abgleich von Vornamen und Geburtsdaten gehen, und das ist wirklich aufwändig.

Maria: Ich bin ja an den Twitter-Kurzberichten über deine Fundstücke hängengeblieben, weil ich mich selbst für Ahnenforschung interessiere. Als ich das jetzt nochmal durchgegangen bin, habe ich gemerkt, dass sich deine Recherche für mich so liest, als ob du viele schöne und spannende Geschichten gefunden hast. Auch ein paar traurige, aber insgesamt eben gute Geschichten. Und dann dachte ich daran, dass das wahrscheinlich ein entscheidender Unterschied ist, ob man nun „deutsche“ Ahnenforschung macht oder nicht. Ich rechne erst mal mit einem ganzen Haufen Nazi-Geschichten, was bei aller Neugier und kritischer Distanz doch auch eine ganz schöne psychische Barriere für mich darstellt. Das ist noch keine Frage…Aber ein bisschen unschöne amerikanische Geschichte hast du ja doch auch gefunden. Kannst du sagen, was das mit dir macht?

Joan: Als ich als Kind mit meinen US-amerikanischen Eltern nach Deutschland zog, fiel mir schnell auf, wie wenig meine Schulfreunde über ihre Vorfahren wussten. Das ist in Österreich – ich wohne seit 15 Jahren hier – nicht anders. Ich denke also das Thema „Angst vor Schandflecken“ existiert nicht in dem Ausmaß bei mir. Als ich rausfand, dass ein Urgroßvater in Alabama geboren wurde, war mir jedoch sofort klar, dass ich auf Sklaven stoßen würde. Das ist einfach unvermeidbar, wenn man einen Südstaatenbewohner entdeckt im Stammbaum. Und so habe ich erfahren, dass mein Urururgroßvater Henry, der auch später im Bürgerkrieg fiel, eine 12 Jahre ältere zweifache Witwe heiratete, die 18 Sklaven besaß. Die 18 Sklaven gingen ca. 1850 auf seinen Namen über. Ich hatte gehofft, nicht solche Vorfahren zu haben. Aber ich habe sie leider. Und so muss ich damit leben, dass meine Vorfahren zum Teil des Problems gehören, das wir bis heute in den USA mit Rassismus haben. Ein bisschen „Ausgleich“ sind hier meine Quäker-Vorfahren, die zumindest geflüchtete Sklaven aufnahmen. Und so gibt es auch hier Licht und Schatten.

Aber ja, mein US-amerikanischer Hintergrund beeinflusst natürlich meine Recherchen. Wie schon gesagt, es ist einfacher durch die Vorarbeit z.B. der Mormonen. Aber es ist auch viel üblicher. Ich habe gelesen, dass nach Gärtnern Ahnenforschung das zweitbeliebteste Hobby in den USA ist.

Maria: Mir ist auch aufgefallen, dass ich in Deutschland z.B. eigentlich niemanden kenne, der so eine DNA-Analyse hat machen lassen. Das hat sicher auch ein bisschen mit in Deutschland grundsätzlich größeren Bedenken zum Datenschutz zu tun. Aber vielleicht auch mit einem Unwohlsein gegen solche DNA-gestützte Zuteilung zu ethnischen Gruppen und eine befürchtete Nähe zur NS-Rassenforschung.

Joan: Oh ja, das ist mir auch aufgefallen, das ist wirklich ein Unterschied. Und da verstehe ich die deutsche Perspektive auch voll. Hier gibt es eben einfach diese Geschichte der „staatlichen Ahnenforschung“. Und auch bei den DNA-Analysen sind natürlich die US-amerikanischen Datenbanken viel größer, US-Amerikaner*innen finden viel mehr, und es kommt zu diesen irren Geschichten, dass Leute ihr biologischen Eltern oder Geschwister finden. Aber natürlich gibt es auch in den USA Menschen, die diese Analysen nutzen, weil sie zeigen wollen, dass sie keine schwarzen Vorfahren oder so haben. Für mich persönlich ist Ahnenforschung aber ein Partythema.Und zu dem Datenschutz…Ja, also wenn einem Anonymität wichtig ist, sollte man eher keine DNA-Analyse machen lassen. Vielleicht zahle ich auch irgendwann in der Zukunft einen Preis für meine Neugier jetzt, wer weiß. Aber es ist wirklich interessant, was man da finden kann.

Ja, und dann haben Joan und Maria sich noch ein bisschen darüber unterhalten, warum Geschichte überhaupt interessant oder uninteressant ist. Einig waren sie sich ganz schnell darin, dass die Verbindung der eigenen (Familien-)Geschichte mit (Welt-)Geschichte beides zugänglicher und interessanter macht. Aber hat das Gestern und Vorgestern mit dem Heute und Morgen etwas zu tun? Kann man vielleicht sogar, wie Joan vorschlägt, Geschichtswissenschaft wie Big Data verwenden, um etwas für die Zukunft zu lernen? Ein Schüler der 6. Klasse, in der Maria mal Geschichte unterrichtet hat, hat sich jedenfalls sehr gewünscht, in Geschichte etwas über die Zukunft zu lernen. Und Maria hat auf jeden Fall viel über freudvolle Ahnenforschung gelernt. Anregung für den nächsten Coronawinter…Vielen Dank, Joan!

Autorin: Maria Coors
Eingestellt am: 07.12.2021
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Antje Schrupp sagt:

    Danke für dieses super spannende Gespräch. Ich habe lustigerweise den ersten coronawinter auch ein bisschen zur Ahnenforschung genutzt, bin aber nur bis zu meinen Ururgroßeltern gekommen. Aber da ich weiß, dass es auch in den USA Schrupps gibt, werde ich jetzt vielleicht myheritage mal ausprobieren. Tatsächlich fand ich es sehr irre, wie schnell Familiengeschichte auch verloren geht. Von meinen Ururgroßeltern mütterlicherseits habe ich ein Foto, aber schon der Vorname meiner Ururoma ist heute niemandem mehr bekannt. Und es ist eine junge Frau mit auf dem Foto, die sehr vertraut wirkt und vielleicht eine Schwester meines Uropas ist, aber auch das weiß schon niemand mehr. Ich fand es auch spannend, etwas über die politischen Positionen herauszufinden. Einer meiner Uropas war als „Minderbelaster“ Nazi eingestuft, aber ich kann jetzt nicht sagen, dass mich das wundert oder auch belastet, es ist doch auch ohne Ahnenforschung klar, dass sowas sein kann. Es ist ja nicht meine Schuld, nur meine Verantwortung. Von einer meiner Omas fand ich ein Jugendfoto, auf dem sie vor einer Flagge der „Eisernen Front“ posiert, die kannte ich gar nicht (es war eine Anfang der 30er Jahre entstandene sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Bewegung gegen die „drei autoritäre Ideologien“: monarchismus, nationalismus, Kommunismus.) – naja, lange Rede kurzer Sinn: Ich finde es richtig cool, wie weit zurück du gekommen bist!

  • Jutta Pivecka sagt:

    Liebe Maria, das ist wirklich spannend, finde ich. Nur zu Ergänzung: Du kennst (auch wenn Du es nicht wusstest) jemanden, die eine myheritage-Analyse hat machen lassen -> nämlich mich. Ich weiß relativ viel über meine Vorfahren mütterlicherseits, weil sie schon lange dort ansäßig waren, wo ich auch aufgewachsen bin und es einige Ahnenforscher (alle männlich, übrigens) in der Familie gegeben hat. Väterlicherseits gibt es auch einen Onkel, der sich schon länger damit beschäftigt und zumindest einen Zweig der Familie bis ins 15.Jahrhundert zurück verfolgen kann. Mich hat die genetische Analyse interessiert, weil es in unserer Familie eigentlich keine Erzählungen über Vorfahren gegeben hat, die von weiter her gekommen wären. Tatsächlich hat meine Analyse das auch teilweise bestätigt: Ich habe fast gar keine Übereinstimmungen mit Menschen südlich der Alpen, aber sehr viele mit Nordeuropäern, Schotten und einige mit Slawen. Es liefert mir zumindest eine Erklärung dafür (wenn natürlich auch eine ziemlich herbeigeholte), dass ich so wenig Sehnsucht nach Süden und Sonne verspüre, dass “meine inneren Landschaften” immer grün sind und kühl und durch Nadelwälder geprägt. Interessant fand ich, wie sesshaft meine Vorfahren waren, wie eng der regionale Rahmen, in dem sie sich bewegt haben. Vom Rhein an den Main, von der Wetterau in den Westerwald, viel weiter hin und zurück ging das selten, zumindest was die “direkten Linien” angeht. Aber es muss viele Auswanderer gegeben haben im 19. Jahrhundert, denn ab dann finden sich unzählige Cousinen und Cousins 3. Grades in den USA und Kanada. Das passt ja auch zu dem, was man weiß: Wie unglaublich arm die Leute in Mittelhessen, im Hunsrück und Westerwald waren.

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Maria, vielen Dank für das Gespräch, superspannend. Ich finde das Thema auch total interessant. Ich habe nur – wie immer bei solchen Projekten – Angst vor einem riesigen Zeitaufwand, und natürlich, die Fragen, die du stellst bzgl. der möglichen Nazigeschichten usw., die bohren auch in mir. Es gibt eine Legende, von der ich nichts weiß, außer diesen Satz: die Vorfahren meiner Oma mütterlicherseits seien Hugenotten gewesen, die aus Frankreich flüchten mussten, und zwar taten sie dies mit einer Schatzkiste, die sie dann aber irgendwo verbuddeln/zurücklassen mussten. In der DDR war Ahnenforschung verpöhnt; es ging um die Zukunft und den “neuen Menschen”, weg von Aristokratie und Bourgeoisie, das war hinderlich für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft, und das haben meine Großeltern sehr verinnerlicht. Dennoch juckt mich diese Geschichte schon seit einigen Jahren… mal schaun, ob ich dem doch mal irgendwann nachgehe. Du hast meine Lust jedenfalls nochmal angestachelt! Das wäre dann ja sowas wie ein geschichtliches Von-sich-selbst-Ausgehen… ;)

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