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Das Poesiealbum verrät nichts über die Zukunft

Von Adelheid Ohlig

Das Umschlagbild zeigt eine junge Frau im zugeknöpften Wolljäckchen, die ihre Arme verschränkt. Auch ohne Kopf wirkt das Bild trotzig – symbolisiert den Trotz der beschriebenen Generation der um 1960 Geborenen? Pascale Hugues erinnert sich ihrer Schuljahre in Strasbourg, besucht Mitschülerinnen, Freundinnen, vertraute Orte, verändert nun.

Poesiealben – gibt es die heute noch? – werden betrachtet. Die Sprüche darin handeln von Liebe und Heimat; fast immer geht es um Blumen, denn Mädchen sollten damals am besten den Blumen ähneln: der gottgeweihten Lilie, dem Veilchen im Moose. «Mit solchen Direktiven wurden wir in den stürmischen Fluss des Lebens geworfen……Wenn ich heute dem Raunen lausche, das unser Poesiealbum um unsere Kindheit verbreitete, sagte ich mir, dass wir einen ziemlich weiten Weg zurückgelegt haben. Keine von uns ist zu einer dieser unscheinbaren Frauen geworden, in unseren Alben gepriesen werden. Dieses auf den ersten Blick harmlose Büchlein trägt allem Anschein zum Trotz die Spuren der seit fünfzig Jahren ausgefochtenen Kämpfe, der Errungenschaften und Rechte, die – wie wir alle befürchten – heute wieder in Frage gestellt werden könnten.»

Wie in ihrem ersten Buch «Marthe und Mathilde» über ihre beiden Grossmütter beschreibt die Autorin – sie ist zudem Deutschlandkorrespondentin des französischen Nachrichtenmagazins «le point» – auch hier wieder Zeitgeschichte. Die 1960er und 1970er Jahre werden spürbar, greifbar anhand der Erinnerungen. Darüber hinaus taucht bisweilen die wechselvolle Geschichte des Elsass auf: von den Deutschen gebaute Kanäle, um die Sümpfe trocken zu legen; ein Jugendstil Schwimmbad aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts.

Ihre Lehrerin, Madame Franz, legte ihr die Pflichten ans Herz, die unumgänglich seien, um Mensch zu werden. «Eine Lehrerin ist wie die erste Liebe, unvergesslich. Wir alle bewunderten sie.» Das Bild der angehimmelten Lehrerin Madame Franz möchte Pascal Hugues bewahren. Als sie in einer Strassburger Buchhandlung eines ihrer Bücher vorstellt, sucht sie, um nicht den Faden zu verlieren, «nach einem wohlwollenden Gesicht im Raum». Eine elegante alte Dame gilt ihr dann als Anker.

Am Ende der Veranstaltung reiht diese sich in die Schlange der Freunde aus der Vergangenheit ein: «Erkennen Sie mich nicht mehr? Ich bin Madame Franz.» Ein rührender Augenblick.

Die «Mädchenschule» weckt eigene Erinnerungen, auch wenn ich einer früheren Generation angehöre – doch ich ging in den 1950er/60er Jahren auf eine Klosterschule. Ja, wir legten einen weiten Weg der Emanzipation zurück. Und noch immer gibt es einiges zu tun….

Das Buch ist geschmeidig übersetzt, liest sich flott, lässt den Stil der Autorin aufscheinen. Gern hätte ich allerdings manches Mal Anmerkungen der Übersetzerin gewünscht: Was bedeutet Strümpfe versiegeln? Und einen Traktor hab ich noch nie als Traktion bezeichnet gelesen. Shunga, Canard und K-Way suchte ich mir im Internet.

Gleichwohl: die Lektüre erfreut.

Pascale Hugues, Mädchenschule – Porträt einer Frauengeneration, Rowohlt Verlag Hamburg 2021, 302 Seiten, 20 Euro.

Autorin: Adelheid Ohlig
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 19.02.2022
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Vera Bianchi sagt:

    Vielen Dank für die schöne Rezension! Ich bin sehr gespannt auf das Buch, denn “Marthe und Mathilde” habe ich zweimal gelesen und mehrfach verschenkt, weil ich es historisch so interessant und gleichzeitig so spannend geschrieben fand. Viele Grüße Vera

  • Anne Lehnert sagt:

    Auch ich habe das Buch gern gelesen. Mir gefällt daran zum einen der Blick auf das Aufwachsen dieser Mädchen im Straßburg der 50er- und 60er-Jahre. Ich fand auch spannend, die Orte bei einer Straßburgfahrt aufzusuchen.
    Vor allem aber gefiel mir an dem Buch, wie Hugues die ehemaligen Mitschülerinnen für das Buch wiedertrifft und sie dann auch zu Hause besucht und ihre ganz unterschiedlichen Lebenswege nachzeichnet.

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