beziehungsweise – weiterdenken

Forum für Philosophie und Politik

Rubrik denken

Kapitel 16: Die Öffentlichkeit, die Frauen und das männliche Imaginäre

Von Antje Schrupp, Dorothee Markert, Andrea Günter

Zum 20. Jubiläum der Flugschrift „Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik“ wurde das Büchlein im Christel Göttert Verlag neu aufgelegt und wird hier im Forum auch erstmals online veröffentlicht (hier der Link zum Anfang). Dies ist das 16 Kapitel: Die Öffentlichkeit, die Frauen und das männliche Imaginäre.

Flugschrift
Flugschrift “Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn”

Die Regierungsbildung in Deutschland 1998 hat ein interessantes Phänomen gezeigt: Die Nichtberücksichtigung von Frauen für die zentralen Ämter wurde nicht mehr mit der mangelnden fachlichen Kompetenz der Frauen begründet, sondern mit der mangelnden persönlichen Reife der Männer: Es wurde argumentiert, dass es dem ein oder anderen Mann nicht zugemutet werden könne, bei der Besetzung dieser oder jener Position nicht zum Zuge zu kommen. Ein Wechsel der Taktik, der sowohl den Erfolg der auf Fachkompetenz zielenden Strategie der Frauen zeigt — als auch ihre Grenzen.

In der gegenwärtigen Präsentation von Frauen und Männern im öffentlichen Raum der Politik beobachten wir einen bedeutsamen Unterschied im Umgang mit Professionalität und Kompetenz: Für Frauen wird Professionalität zum Selbstzweck, während sie für Männer eher Mittel zum Zweck ist.

Frauen sind immer noch dabei zu beweisen, dass sie die Funktion, in die sie gewählt wurden oder die sie innehaben, als Frau auch ausfüllen können. Darin liegt aber die Gefahr, sich auf die Funktion reduzieren zu lassen, das heißt, ihre Grenzen als gegeben zu akzeptieren, statt das übernommene Amt primär als Persönlichkeit auszufüllen. Häufig machen in politischen Funktionen Frauen „die Hausaufgaben“ – und sie machen sie gut. Aber sie bleiben als Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit blass, erscheinen als Neutrum. Männer nutzen öffentliche Ämter und Funktionen – genau wie den Bereich der beruflichen Tätigkeit – um sich ihre männliche Größe zu spiegeln.

Die Erfahrung der Frauen, dass die Politik der Frauenförderung in Wirtschaft und Politik auf so hinhaltenden männlichen Widerstand stößt, hat nicht nur mit konkreten materiellen und Macht-Interessen und dem drohenden Verlust von Privilegien zu tun. Es geht vielmehr um das männliche Imaginäre: Männer verteidigen Männer-Räume, weil sie ihnen die Möglichkeit bieten, ihre Männlichkeit unter Männern zu spiegeln.

In unserer Kultur ist das männliche Imaginäre nun aber fest mit der Besetzung der gesellschaftlichen Macht- und Einflussbereiche sowie mit einer inhärenten Frauenfeindlichkeit verknüpft. Deshalb wird das Vordringen von Frauen in politische und wirtschaftliche Bereiche als Bedrohung für die Männlichkeit überhaupt interpretiert.

Die bisherige Doppelfunktion der Politik und des Wirtschaftsmanagements, Gesellschaft zu regeln und Männerraum zu sein, muss dringend aufgebrochen werden. Es müssen gesellschaftlich neue Männer-Räume entwickelt werden, die dem männlichen Imaginären Entfaltungsraum geben, aber nicht Frauen von den Räumen der gesellschaftlichen Macht ausschließen.

Aus: Ulrike Wagener, Dorothee Markert, Antje Schrupp, Andrea Günter: Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik. Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 1999, Neuauflage 2019

Autorin: Antje Schrupp, Dorothee Markert, Andrea Günter
Eingestellt am: 25.03.2022
Tags: ,

Kommentare zu diesem Beitrag

Verweise auf diesen Beitrag

Weiterdenken