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Frauengeschichte – mühsam erarbeitet

Von Juliane Brumberg

Dieses Buch bietet einen interessanten Rückblick in die Anfänge der Frauengeschichtsschreibung in Deutschland und erinnert daran, wie mühselig die Kämpfe waren, die Feministinnen mit den Kollegen, mit den Institutionen und miteinander seinerzeit führen mussten. Es dreht sich allerdings nur um eine Protagonistin der Frauengeschichte neben vielen anderen, die es auch gab. Und zwar um eine, die viel erreicht hat, aber die sich auch schwer tat – vielleicht am meisten mit sich selbst. So klingt es jedenfalls bei Barbara Degen, die über ihre Zeit mit Annette Kuhn geschrieben und dem Buch den Untertitel „Wie Kunst, Poesie und Liebe in die Frauengeschichte kamen“ gegeben hat. Dieser Untertitel verrät schon, dass das Buch ein gewagtes Unterfangen ist, in dem die Autorin viel von sich selbst preisgibt. Gleichzeitig bleibt sie bei aller Liebe zu und aller Kritik an ihrer Gefährtin immer achtsam gegenüber der Freundin, mit der sie über 6 Jahre, von 2000 bis 2006, eine Liebesbeziehung verband. Eine Liebesbeziehung, die letztendlich scheitern musste. Zu problematisch ist die jeweilige Vorgeschichte der beiden Frauen und zu problematisch waren eben auch die Zeiten damals, in denen die Frauen auf allen Ebenen kämpfen mussten. Letztendlich durchzieht das ganze Buch eine Aura des Scheiterns, und das, obwohl Annette Kuhn (1934 – 2019) eine erfolgreiche Frau war.

Mit 33 Jahren wurde sie die jüngste Geschichtsprofessorin in der Bundesrepublik und war später Inhaberin des ersten Lehrstuhls für Frauengeschichte in Deutschland. Wir erfahren, wie sie über die Didaktik der Geschichte zur Frauengeschichte kam und sich zeitlebens an ihr abarbeitete. Neben vielen anderen Publikationen gab sie 1992 „Chronik der Frauen“ heraus. In ihrem Ruhestand gründete Annette Kuhn unter erheblichem Aufwand und mit vielen finanziellen Eigenleistungen ein Haus der Frauengeschichte in Bonn. Über Annette Kuhns Verdienste, aber auch über Ihr Ringen um die Frauengeschichte und ihre Frustrationen erzählt Barbara Degen, die im Laufe der Jahre begann, sich ebenfalls mit Frauengeschichte zu beschäftigen. Ihre Schilderungen sind ein Beispiel dafür, wie Interessen durch Beziehungen geweckt werden können. Überhaupt ist das ganze Buch als ein Beziehungsbuch aufgebaut, durchsetzt von vielen Gegenüberstellungen. Barbara Degen, eine feministisch schon immer engagierte Juristin, hat ihr Buch in sieben Oberkapiteln untergliedert. Darin springt sie allerdings immer wieder zwischen den frauengeschichtlichen, den persönlichen, den politischen den und den zeitlichen Ebenen hin und her. Und dann versucht sie auch noch die Poesie und die Liebe einzuflechten. Deshalb ist es für die Leserin manchmal schwierig, einen eigenen roten Faden zu finden. Dankenswerterweise hat die Autorin einen Anhang mit den biografischen Daten beider Frauen hinzugefügt, das hilft bei der Orientierung zwischen all den vielen Namen und Geschehnissen.

Was finde ich in diesem Buch – neben dem Rückblick in die Anfänge der Frauengeschichte – außerdem interessant? Beide Frauen haben eine problematische Mutterbeziehung, was offensichtlich in dieser Generation noch häufiger der Fall ist als heute. Beide haben jüdische Wurzeln, das spielt auch in ihren Beziehungen immer wieder eine große Rolle. Sie haben es beide lange nicht gewusst, weil es von den Eltern bzw. der Mutter ausgeklammert wurde. Mir war nicht klar, dass es diese Tabuisierungen nicht nur in den Täterfamilien des Nationalsozialismus gab, sondern auch bei den Opfern. Barbara Degen schreibt: „Das Erzählen von Erinnerungsgeschichte war auch für sie (Annette Kuhn) ein Mittel, sich gegen die deutschen und die eigenen deutsch-jüdischen Schweigetabus zur Wehr zu setzen. Aus vielen Erzählungen weiß ich, dass sich das Schweigen nicht auf die Täter und Täterinnen beschränkt, sondern für viele wichtige persönliche und wissenschaftliche Fragen nach der NS-Zeit gilt.“ Die intensive Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus war ein weiteres Thema, das die beiden Forscherinnen verband. Dazu gehört auch ein Aufsatz von Annette Kuhn mit dem Titel „Der Antifeminismus als verborgene Theoriebasis des deutschen Faschismus“. Und damit sind wir ganz dicht an dem aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine, das ja auf russischer Seite ebenfalls von Frauenfeindlichkeit und einem sehr patriarchalen Männerbild geprägt ist.

Ob es eine gute Idee war, das Buch rund um die Liebe aufzubauen, wage ich zu bezweifeln, auch wenn deutlich wird, dass die Liebe zur Frauengeschichte für Annette Kuhn oberste Priorität hatte. Die Liebe und die Sehnsucht nach ihr sind ein schwieriges Feld. Zumindest erfahren wir, um wieviel komplizierter Dinge, die heute, auch dank der Frauenbewegung, selbstverständlich sind, vor nur zwanzig oder dreißig Jahren zu gestalten und zu leben waren. Das gilt besonders für Protagonistinnen aus einer Generation, die noch von einem ganz anderen Rollenbild geprägt war. Dieses zu erkennen und zu überwinden, dazu haben beide, Annette Kuhn und Barbara Degen mit ihrem Lebenswerk beigetragen.

Barbara Degen, Meine Zeit mit Annette Kuhn, Wie Kunst, Poesie und Liebe in die Frauengeschichte kamen, Hentrich & Hentrich Verlag Leipzig 2022, 205 S., 22,90 Euro.

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 12.04.2022
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Dr. Gisela Forster sagt:

    Danke für die schöne Beschreibung des Buches. Mein Interesse, es zu lesen, ist geweckt.

    Es ist immer wieder gut, zurückzuschauen, wie viel schwieriger es Frauen mit Leben und Lieben noch vor einigen Jahren hatten und zu erkennen, wie viele Schwierigkeiten weiter anhalten. Genau betrachtet, sind Männer inzwischen weiter und mutiger als Frauen, sie leben offener ihre Wünsche und Sehnsüchte. Frauen kommen nur sehr schwer aus der Erwartungsrolle ihrer Familien, ihrer Eltern, ihrem kulturellen und politischen Umfeld heraus. Manche Frauen denken schon: Sie könnte es gut für mich sein, aber vom Ersehnen zum Wagen und schließlich Tun ist ein weiter Weg – und es wird Jahre dauern, bis Frauen die Kraft haben, ihr Sehnen und Wollen in ihr eigenes Leben zu integrieren.

    Gut ist, dass wir in diesem Forum immer wieder von mutigen Frauen hören und lesen.

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