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Rubrik denken, erinnern

Ruthie

Von Sandra Divina Laupper

Liebe Maria Coors, anders als als Brief an Dich kann ich diesen Text nicht konzipieren, auch wenn ich ihn als eigenständigen Text ansehe und nicht einfach als Kommentar zu Deinem Artikel „Anderes Frau-Sein verstehe ich nicht – da haben wir doch etwas gemeinsam“ vom 1. April 2022. Diesen Text zu lesen hat für mich den Weg geöffnet zu Wahrheiten, die für mich auf intuitive Weise offensichtlich (und für Dich vielleicht wertvoll) sind, über die ich mir aber nie bewusst Gedanken gemacht habe, bevor ich nicht Deinen Text gelesen habe und mich ehrlich den Fragen gestellt habe, die er aufwirft.

Jetzt habe ich mir kurz Dein Profil angesehen und gelesen, dass Du 1986 geboren bist. Das ist meiner Meinung nach schon einmal ein markanter Unterschied zwischen Dir und mir: Du bist 19 Jahre jünger als ich; 1986 hatte ich Matura! Tatsächlich schreibst Du, die „junge“ Frau: „Was mich so wütend macht sind Positionen, bei denen Menschen aus ihrem eigenen Frau-Sein das Recht oder sogar die Pflicht ableiten, andere Menschen in eine Geschlechtlichkeit zu zwingen, bzw. sie aus dieser gewaltsam auszuschließen. Ich verstehe das nicht. Ich verstehe das nicht!!“

Ich, die „alte“ Frau, verstehe das aber sehr wohl. Um das zu verstehen, brauche ich mir nur meine eigene Geschichte anzuschauen. Es war 1989-90, als ich (ca. 23-jährig) an der Universität von Verona studierte und zum ersten Mal mit dem Denken der sexuellen Differenz in Kontakt kam. Ich besuchte im Frühling 1989 das Seminar von Diotima, der Gemeinschaft von Philosophinnen an der Uni Verona, die sich damals schon dieses Denkens annahm. Es war alles ganz toll und aufregend, auch wenn ich – fürchte ich – nicht viel verstand. Tatsächlich hatte ich erst im Februar 1990 mein erstes richtiges Aha-Erlebnis, als ich an einem Treffen von feministisch interessierten Studentinnen teilnahm. Hier hielt Antonia De Vita, eine der Initiatorinnen des Treffens, die schon viel mehr Erfahrung mit der Frauenpolitik und insbesondere mit dem Ansatz der sexuellen Differenz hatte als ich, ein einleitendes Referat, gegen das ich einen Einwand wagte. Erst kürzlich hatte ich nämlich erfahren, dass es irgendwo auf der Welt schon einmal (oder auch öfter) vorgekommen war, dass ein Mann sich einer Operation unterzog, um alle körperlichen Merkmale seiner Männlichkeit entfernen zu lassen und sich dahingehend umoperieren zu lassen, dass er aussah wie eine Frau. Eigentlich unvorstellbar. Aber Tatsache. Und wie die Logik lehrt: Alles, was wirklich geschieht, ist auch möglich.

Mein Einwand gegen Antonias Ausführungen zur Wichtigkeit der sexuellen Differenz, die nicht duldet, dass von der Würde eines Menschen „abgesehen von seiner Geschlechtlichkeit“ gesprochen werde, bzw. dass die Würde eines Menschen in der Vorstellung einer hypothetischen „Neutralität“ beruhe, anstatt in der Annahme der eigenen, subjektiv zu interpretierenden geschlechtlichen Partialität, war folgender: Wenn wir wirklich darauf bestanden, dass die Vorstellung eines neutralen und universellen Menschen (der in Wirklichkeit doch als Mann konzipiert war) eine patriarchale Vorstellung war, die dazu diente, die weibliche Differenz (und damit ein freies Frau-Sein) zu leugnen – wenn dem so war, was war dann mit einem Mann, der zu einer Frau wurde? Verkörperte er da nicht eben jenes Neutrum, das die Notwendigkeit der sexuellen Differenz leugnete, da er in Wirklichkeit weder das Eine noch das Andere – also weder Mann noch Frau – war?

Antonia De Vitas Antwort war genial: „Wer zeigt die Bedeutsamkeit der sexuellen Differenz deutlicher als jemand, der sogar bereit ist, sich einer Operation zu unterziehen, um das eigene Geschlecht zu ändern?“

Aha.

Sexuelle Differenz bedeutete eben freie Interpretation der eigenen Differenz – was genau das Gegenteil von einer aufgedrängten Geschlechtszuweisung ist.

Du schreibst: „Mein Frau-Sein ist ein politisches.“ Allerdings. So habe ich das auch erfahren. Zu einem freien Frau-Sein habe ich dank den bewusst gepflegten Beziehungen zu anderen Frauen gefunden. Beziehungen, die sich als verbindlich und somit als politisch verstanden. Beziehungen, dank derer ich mich in einer freien symbolischen Ordnung wiederfinden konnte – der „symbolischen Ordnung der Mutter“, wie wir nach 1991 – nach dem Erscheinen des Buches Die symbolische Ordnung der Mutter von Luisa Muraro – sagten.

Aber ein freies Frau-Sein ist nie selbstverständlich, auch nicht für eine Frau, die ihr Frau- Sein als ein politisches versteht. Es gibt immer wieder etwas Neues zu entdecken und dazuzulernen. Für mich war es als junge Frau z.B. schwer zu akzeptieren, dass es Männer gab, die sich als Frauen verkleideten – konsequent, jeden Tag, einem bestimmten Lebensstil entsprechend – und von sich selbst auch als „Frauen“ sprachen. Mit solchen “Karnevals-Figuren” wollte ich nichts gemein haben!

Allerdings.

Es lebten allerdings einige solcher Gestalten in der Nähe der Wohnung, wo ich als Studentin in Verona lebte. Ich kann mich an eine erinnern, die ich nie für einen Mann gehalten hätte, wenn nicht wegen ihrer tiefen Stimme. Sie war, wie ich, Kundin des Bioladens in der via S. Nazaro, eines Familienbetriebes. Im Unterschied zu mir hatte die Inhaberin des Bioladens – eine gestandene Frau mit zwei Kindern, einem Sohn und einer Tochter, die nur wenige Jahre jünger waren als ich – offensichtlich keine größeren Probleme mit der befremdlichen Weiblichkeit dieser Gestalt. Zwischen ihnen ergaben sich somit auch persönlichere Gespräche, weshalb die Bioladen-Inhaberin einiges über diese Leute, die in einer Wohngemeinschaft in der via S. Nazaro lebten, in Erfahrung bringen konnte. So erfuhr auch ich, dass es sich in Wirklichkeit um junge Männer handelte, die sich aber als Frauen fühlten, sich jeweils einen weiblichen Vornamen gegeben hatten und eben als Frauen auftraten. Für die Inhaberin des Bioladens waren sie „die Mädchen aus der Wohngemeinschaft“.

Zugleich erfuhr ich aber auch etwas über das grausame Schicksal dieser Leute. Eben aufgrund ihrer unorthodoxen Geschlechtlichkeit war es ihnen, die von ihren Familien verstoßen worden waren, unmöglich, in einem gesellschaftlich anerkannten Beruf Fuß zu fassen, weshalb sie sich prostituierten, um zu leben. Nun war für mich – wohl zu Recht – Prostitution unvermeidlich mit der Erduldung von Gewalt und Ausbeutung verbunden, weshalb ich für diese „Mädchen von der via S. Nazaro“ neben der Abscheu vor ihrer „gekünstelten“ Geschlechtlichkeit auch Mitleid empfand für die soziale Ausgrenzung, die sie zu erdulden hatten. Mitleid – aber zugleich erst recht das Bedürfnis, mich abzugrenzen. Denn ihre soziale Stellung erweckte in mir Angst und Abwehr.

Wenn ich mein Frau-Sein als ein politisches verstehe und mich somit über mein Verhältnis zu anderen Frauen als Frau definiere, stellt sich heute wie damals die Frage, ob ich solche „Transvestiten“ als Bezugspunkte für mein Frau-Sein akzeptiere oder nicht. Heutzutage kann ich das Problem aus einem etwas weniger rigiden Gesichtspunkt als damals betrachten. Ich denke, ich habe, wie alle anderen Frauen auch, vor allem über das Verhältnis zu meiner Mutter gelernt, mich als eine Frau wiederzuerkennen: Ich gehöre dem gleichen Geschlecht an wie die Frau, die mich auf die Welt gebracht und in die Welt eingeführt hat. Etwas, das ich immer als ein Privileg angesehen habe.

Aber die Sache ist relativ. Es mag auch Leute geben, die mit den körperlichen Merkmalen eines anderen Geschlechts als dem ihrer Mutter auf die Welt kommen, die sich aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht in dem Geschlecht, das ihnen auf Grund ihrer körperlichen Merkmale zugeschrieben wird, wiederfinden, sondern vielmehr das Geschlecht ihrer Mutter annehmen wollen und kein anderes – auch ohne deshalb die Notwendigkeit zu verspüren, ihren Körper schmerzhaften Operationen zu unterziehen. Warum nicht? Heute hätte ich keine Schwierigkeiten mehr, mich in meiner sexuellen Differenz auch über die Beziehung zu Leuten zu definieren, die ihr Frau-Sein in dieser Weise bekunden.

In der Zwischenzeit sind allerdings nicht nur einige Jahrzehnte vergangen, in denen sich in gesellschaftlicher Hinsicht, aber auch für mich in meinem persönlichen Leben, vieles verändert hat. In der Zwischenzeit habe ich mich auch bewusst mit meinen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt auseinandergesetzt. Der Angst und Abwehr, mit der ich als junge Frau den besonders drastischen Formen von sexualisierter Gewalt, denen “Transvestiten” ausgesetzt sind, begegnete, kann ich heute ein freieres Bewusstsein entgegensetzen; ein freieres Bewusstsein, das mir über etwaige Vorurteile hinweghilft; ein freieres Bewusstsein, das ich mir dank einer viele Jahre langen, u.a. auch professionell begleiteten Auseinandersetzung mit der Thematik der von mir selbst als Tochter eines von patriarchaler Gewalt geprägten Elternhauses erduldeten (sexualisierten) Gewalt erarbeitet habe. Ein solches Bewusstsein ist aber auch in feministischen Kreisen nicht unbedingt als selbstverständlich vorauszusetzen, weshalb es mich nicht wundern würde, auch hier zwischendurch auf Abwehr und Abgrenzungsbemühungen gegenüber Leuten, die das weibliche Geschlecht erst mit der Zeit angenommen haben, zu stoßen. Ich frage mich, ob es etwas in dieser Art ist, das Dir begegnet ist, als Du geschrieben hast: „Was mich so wütend macht sind Positionen, bei denen Menschen aus ihrem eigenen Frau-Sein das Recht oder sogar die Pflicht ableiten, andere Menschen in eine Geschlechtlichkeit zu zwingen, bzw. sie aus dieser gewaltsam auszuschließen.“

Was Du und ich gemeinsam haben, ist, dass wir unser Frau-Sein als ein politisches definieren – also als ein Frau-Sein, das Sinn und Bedeutung aus den (verbindlichen, politischen) Beziehungen zu anderen Frauen herleitet. Ich denke, es kann sinnvoll sein, den eigenen Beziehungshorizont auch auf Frauen auszuweiten, die erst im Laufe ihres Lebens – in der einen oder anderen Form – das weibliche Geschlecht als das ihre angenommen haben. Das, denke ich, tut einer freien Interpretation des eigenen Frau-Seins keinen Abbruch, ganz im Gegenteil! Aber freilich erwarte ich auch von solchen Frauen – genauso wie von jeder anderen Frau, mit der ich mich auf eine verbindliche Beziehung einlasse –, dass sie eine freie Interpretation der sexuellen Differenz zulassen und sich nicht etwa zu Vorkämpferinnen einer vorgefertigten, klischeebeladenen Vorstellung von weiblicher Identität machen. Da könnte ich nämlich streitlustig werden!

Du schreibst: „Anderes Frau-Sein verstehe ich nicht.“ Aber ist es wirklich notwendig, jedes andere Frau-Sein als das mir vertraute zu „verstehen“? Sind die politischen (Beziehungs-)Praktiken, die uns helfen, uns in einer häufig verwirrenden, unverständlichen, leider noch häufiger gewaltbereiten und ungerechten Welt zurechtzufinden, nicht wichtiger?

Manchmal ist es aber auch die Lektüre bestimmter Bücher, die hilfreich sein kann. Letzthin habe ich ein Buch gelesen, in dem eine Gestalt namens Ruthie vorkommt. Ruthie war für einen guten Teil ihres Lebens ein Mann, bevor sie entdeckte, dass sie lieber als Frau leben wollte. Im Buch „Wundes Land“ von Antje Babendererde, das 2003 im Merlin-Verlag (Gifkendorf) erschienen ist, spielt Ruthie nur eine Nebenrolle, aber sie hat trotzdem einen starken Eindruck bei mir hinterlassen. Das hat sicher mit dem sehr lebendigen Erzählstil der Autorin zu tun, aber auch damit, dass eine solche Romangestalt sehr ungewöhnlich ist. Hier, knapp zusammengefasst, ihre Geschichte: 1969 heißt Ruthie noch Ralph, ist verheiratet und Vater eines zweijährigen Sohnes, als er für den Kriegsdienst in Vietnam (wir sind in den USA) eingezogen wird. Aber als er in Vietnam ankommt, entdeckt Ralph, der ein Lakota (Sioux) ist, dass die Leute, gegen die er kämpfen soll, ihm in ihrem Aussehen sehr ähnlich sind – viel ähnlicher als die Leute, von denen er in den Krieg geschickt worden ist, um für sie zu kämpfen.

Ralph beschließt, auf keinen Fall gegen die Vietnamesen zu kämpfen und versucht nur noch, heil aus der Sache wieder herauszukommen. In Folge einer schweren Verletzung am Bein wird er wieder in die USA eingeflogen und verbringt dort längere Zeit im Krankenhaus. Er hat Zeit, über sein Leben nachzudenken. Der Gedanke an den Krieg und an das, was er aus den Menschen macht, erfüllt ihn mit Zorn. Im Krieg hat seine Abneigung gegen die männliche Geltungssucht noch zugenommen. Er spürt: Seine Neigungen, eigentlich als Frau leben zu wollen, sind stark.

Schließlich kauft Ralph nach einigen Jahren der Selbstfindung eine Blockhütte in den Black Hills, nimmt den Namen „Ruthie“ an und lebt von nun an als Frau. Aber von ihrer Familie muss Ruthie sich verabschieden. Sie kann nicht mehr zu Frau und Kind zurückkehren. Aus der Entfernung verfolgt Ruthie allerdings den Lebensweg ihres Sohnes, dem sie sich erst offenbart, als er schon das College besucht. Nach anfänglicher Ablehnung von Seiten des Sohnes, der seinen Vater tot glaubte, gelingt es den beiden, zu einem vertrauten Verhältnis zu finden. Keenan, der Sohn, nennt Ruthie „Auntie“, Tantchen.

Ruthie ist eine fiktionale Gestalt aus einem Roman, der allerdings sehr realistisch gestaltet ist. Bei aller Spannung eines klassischen Kriminalromans, die „Wundes Land“ vermittelt, spiegelt dieser Roman doch auch die gesellschaftlich gegebenen Spannungen und Widersprüche der Zeit wider – d.h. jene Spannungen und Widersprüche der heutigen profitgierigen globalisierten Welt, in der wir leben. So wirken auch die einzelnen im Roman vorkommenden Gestalten, ihre Gedanken, Sehnsüchte, Handlungsweisen und Ängste, sehr glaubwürdig. Ich habe bei der Lektüre nicht umhin können festzustellen, dass Ruthie Leidenschaften pflegt, wie ich sie auch mit anderen Frauen teile: den Gartenbau, die Pflege eines gesunden Lebensstils, z.B. durch das Sammeln und Trocknen von Kräutern, das Kochen von gesunden Speisen, die Achtsamkeit im Umgang mit den kleinen (und großen) Wundern der Natur… Ruthies Abneigung gegen den Krieg und gegen männliche Geltungssucht kann ich sehr gut nachvollziehen – es sind Themen, die in Frauengruppen und Frauenbeziehungen sicher nicht zufällig immer wieder zur Sprache kommen. Andererseits sind es nicht nur die Ähnlichkeiten, die es für mich interessant machen, mich als Frau (auch) über mein Verhältnis zu einer Gestalt wie Ruthie bewusster wahrzunehmen. Vielleicht sind die Unterschiede da sogar interessanter!

Was wirklich einnehmend wirkt bei Ruthie, ist, wie wertschätzend und zugleich einfühlsam sie mit Ellen Kirsch, der Protagonistin dieses Romans, der ein Umwelt-Krimi ist und dessen eigentliche Handlung im Sommer 2002 im Indianerreservat „Pine Ridge“ in Süd-Dakota in den USA spielt, umgeht. Immerhin haben sich die beiden unter denkbar komplizierten Umständen kennengelernt! Ruthie wirkt wie eine Frau, die die Schattenseiten des Lebens gründlich kennengelernt hat, die aber Gewalt und Unrecht nicht nur erfahren, sondern auch richtig einzuordnen und als solche zu beurteilen und zu verurteilen gelernt hat. Sie stellt sich den Konflikten, nimmt Anfeindungen in Kauf, bleibt aber dem treu, woran sie wirklich glaubt: der Liebe zu ihrem Sohn und vor allem auch der Liebe zu sich selbst.

Ruthie kann ihrem Gegenüber aufmerksam zuhören und sich in die Lage der anderen versetzen, sie kann aber auch Grenzen ziehen und ihr Gegenüber mit unangenehmen, aber notwendigen Wahrheiten konfrontieren. Mit anderen Worten, Ruthie tut das, was wir in der Frauenbewegung mit „Autorität ausüben“ benennen. Wie wir aus jahrzehntelanger Praxis und vor allem auch aus der gründlichen Reflexion über diese Praxis (auch hier auf bzw-weiterdenken) wissen, ist eine Frau, wenn sie ihre Autorität wirksam ausüben will, darauf angewiesen, von ihrem Gegenüber auch als Autorität anerkannt zu werden. Das ist bekannterweise der Unterschied zur Macht, die darin besteht, anderen auch entgegen deren Widerstand den eigenen Willen aufzudrängen. Im Unterschied zur Macht, der auch „schlichte“ Druckmittel wie Gewalt und Erpressung reichen können, kann Autorität nur dann Einfluss erlangen, wenn sie die Anerkennung durch jene, auf die sie wirken sollte, genießt. Aber wie Annarosa Buttarelli in ihrem Beitrag („Autorität hervorbringen, Macht abbauen“) zum Diotima-Buch „Jenseits der Gleichheit. Über Macht und die weiblichen Wurzeln der Autorität“ (Liguori 1995, deutsch: Ulrike Helmer Verlag 1999) gesagt hat, erfolgt die Anerkennung der Autorität nicht etwa auf Grund des Konsenses – ganz im Gegenteil: Die Suche nach Konsens ist eine typische Vorgehensweise der Macht. Um in der Ausübung der eigenen Autorität anerkannt zu werden, ist es hingegen notwendig, grundsätzlich bereit zu sein, auch einen Konflikt auf sich zu nehmen, falls sich unterschiedliche Sichtweisen ergeben.

Und genau das ist es, was Ruthie kann: Sie ist fähig, sich Konflikten zu stellen, sowohl solchen mit ihrer Umgebung, als auch solchen mit sich selbst. Das macht sie vertrauenswürdig und befähigt sie dazu, ihre Autorität auszuüben, wo sich dies als notwendig erweist. Aber eben die auf Vertrauen beruhenden verbindlichen Beziehungen und die Ausübung und Anerkennung von Autorität sind jene zentralen politischen Praktiken, die die Frauenpolitik nunmehr seit Jahrzehnten als solche kennzeichnen und erkennbar machen. Wie ich glaube, Deinem Text entnehmen zu können, Maria, ist es für Dich durchaus vorstellbar, auch ein schlicht auf Neigungen beruhendes Frau-Sein zu akzeptieren. Ich würde gerne erfahren, ob es evt. für Dich auch vorstellbar wäre, es als eine Bereicherung für Dein Selbstverständnis als Frau anzusehen, wenn Du es mit einer Frau wie Ruthie zu tun haben solltest?

Dein Text hat mir die Gelegenheit gegeben, mich einmal ernsthaft mit diesen Fragen zu befassen. Ich hoffe, auch Dir mit meinen Überlegungen behilflich gewesen zu sein! Liebe Grüße, Sandra

Autorin: Sandra Divina Laupper
Eingestellt am: 29.06.2022
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Ulrich Wilke sagt:

    Selbst, wenn ich eine Frau wäre, würde ich fragen: Wieso ist es ein Privileg, Frau zu sein.
    Selbst wenn ich unterprivilegiert wäre, halte ich mich für einen Feministen.

  • Brigitte Leyh sagt:

    Ich habe es lange für eine Frage von Toleranz gehalten, Transfrauen zu akzeptieren, will das eigentlich immer noch.
    Dann aber stieß ich auf die Aussage, dass neun (!) von zehn jungen Menschen, die ein anderen Geschlecht annehmen wollen, Mädchen sind – und das alarmiert mich.

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Sandra,
    zunächst einmal finde ich es anregend und auch auf eine Art interessant, wie du versuchst, dich dem Thema zu nähern. Schwierig ist es teils, weil du dich öfter widersprichst (vor allem darin, dass du immer wieder betonst, dass alle Frauen” so sein können, wie sie sein wollen, Differenz und so, aber dann bestimmten Auslegungen mit Angst und Abwehr gegenüber standest/stehst), aber ich habe versucht, die Essenz herauszulesen.
    Meines Erachtens hättest du dich dabei nicht so auf Maria beziehen müssen, denn vielleicht beginnt hier schon der Grund für mein Unbehagen beim Lesen: Ich glaube, du musst nicht Maria erstmal irgendwo von dir aus “verorten”, als “junge” oder “hilfsbedürftige” (klingt so im letzten Satz durch) Frau. Das Nichtverstehen, das sie hat – und das auch ich habe – hat meines Erachten nichts mit dem Alter zu tun. Und die Hilfe, die ich bräuchte, um das besser zu verstehen, wäre, dass Frauen, die die Räume für trans Personen so eng machen, genau schauen, was diese Räume IN IHNEN SELBST einstmals so eng gemacht hat, und wie sie sie weiten könnten und neue Beziehungsweisen und Seinsweisen in ihrem So-Sein und In-der-Welt-Sein aufzunehmen in den eigenen denkerischen Körperkosmos. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das gar nicht mehr so weh tut und – richtig angegangen – keine irgendwann durch wasauchimmer einmal entstandenen Verletzungen aufreißen muss, sondern dass es vielmehr noch besser heilen kann.
    Was wären sonst “ältere” Frauen für mich? Sie wären dann nur aufgrund ihrer zu anderen Zeiten stattgefundenen feministischen Prägung und damals anderen Dringlichkeiten zu jener oder dieser Zeit Frauen, die das “Neue”, das schon immer da war, aber nie im Diskurs ankommen durfte, nicht weiterdenken wollen, sondern sie beharren auf einer einmal eingerichteten und für sich als gut befundenen Position. Ich finde das keine gute Definition von “älteren” Frauen, aber zu so einer Deutung werde ich hier ungewollt tatsächlich verleitet.

    Aus dieser (“älteren”, wie ich sie gerade hergeleitet habe) Position heraus zu denken und schreiben ist durchaus okay. Aber es ist nicht die Position, um von dort aus andere verstehen. Dafür muss sich bewegt werden. Mein Nichtverstehen beginnt nämlich genau hier: Warum ist es nicht möglich, sich zu bewegen? Warum muss immer noch mit Begriffen hantiert werden, die für andere verletzend sind, und die das auch so klar und deutlich gesagt haben? “Transvestit”, “Karnevals-Figuren”, “gekünstelt” usw., ja, du hast sie in Anführungsstriche gesetzt, aber das N-Wort benutzen wir auch nicht mehr, weißt, was ich meine? Und woher kommt eigentlich überhaupt dieser merkwürdige Glaube/Vorstellung whatever, dass trans Frauen “Vorkämpferinnen einer vorgefertigten, klischeebeladenen Vorstellung von weiblicher Identität” sind? Wann bitte? Wo? Ich habe das noch nie erlebt, weder persönlich noch aus Medien noch sonst irgendwo. Bitte, falls das nochmal eine* anbringt: ich bitte dann um ein sehr präzises Beispiel.
    Ich empfinde das so, als wenn einfach die körperlich natürlich anstrengende – zumal wenn harte Kämpfe und Verletzungen im Spiel sind – Denkleistung nicht vollbracht wurde, sich in andere Lebenswelten hineinzuversetzen. Ich schätze deinen Versuch sehr, Sandra, aber ich verstehe ihn weiterhin nicht, weil du in deinem Denken weiterhin nur mit Klischee/vorurteilsvollen (imaginären wie echten) Trans Menschen umgeben bist. Ruthie ist so eine.
    Und für mich wirkt es so, als würdest du die Diotima-Philosophie als eine Art Glaubenssatz verwenden, mit dem du andere Frauen* bemisst und bewertest. Passen sie rein, dann “aufgenommen”, passen sie nicht, dann raus. Von einer Philosophie auszugehen, ist für mich kein Von-Sich-Ausgehen. Deswegen frage ich wieder die Frage, die ich schon unter Marias Text gestellt habe: warum müssen Menschen ein bestimmtes Sein erfüllen, um hier oder da akzeptiert zu werden? Warum müssen sie das für dich? Was nehmen sie dir – ganz spezifisch dir – damit weg? Nehmen sie etwas weg von deinem Sein? Brechen sie ein in deine Lebenswelt, diskriminieren sie dich, verletzen sie dich persönlich? Nehmen sie dir die Luft zum Atmen? Ich sehe in deinem Text keine persönliche Begegnung, in der du nicht vorurteilsfrei – wie die Besitzerin des Bio-Ladens – agieren kannst, sondern die Bewertung hat schon stattgefunden, eine Einordnung ist schon da, und da fallen dann all die unpassenden Begrifflichkeiten – ob in Anführungszeichen oder ohne.

    Ein Weiterdenken beginnt für mich an der Wurzel. Wir denken weiter, wir denken tief, wir graben noch einmal schon Begrabenes auf, weil etwas nicht mehr stimmig ist und wir doch nochmal schauen müssen, worin unsere Haltungen und unser Denken wurzeln. Wir können natürlich auch weiter oben über der Erdoberfläche an unseren Vorurteilen ansetzen – wo denn sonst, tabula rasa geht nicht ohne Trauma – aber tiefes Denken befähigt uns dazu, das dann doch in Frage zu stellen. Denn nur das tiefe Denken rüttelt an den Blütenblättern der Vorurteile (ich bleibe jetzt mal in dem Bild).
    Ich finde das Ruthie-Beispiel wenig sinnvoll. Weil es wieder dazu einlädt zu glauben, dass es Gründe haben muss, um eine Frau zu werden (das brutale, unmenschliche Mannsein, das Indenkriegziehenmüssen etc. pp.). Das sind – sorry to say so – aber das sind keine relevanten – da ideologisch sehr vorannahmevolle (diplomatisch ausgedrückt) – Ansatzpunkte für ein Verstehen von trans Geschlechtlichkeit. (Ich kenne das Buch nicht; ich gehe davon aus, wie du es beschreibst.) Deine Figurenanalyse ist eine einzige Bewertung; als “wahre Frau” muss Ruthie in eine von dir so und nicht anders ausgelegte Form und Farbe passen, die du mit von dir und deinem körperlichen Durcharbeiten so und nicht anders verstandenen Diotima-Kriterien hergeleitet hast. Ist es das, was die Philosophinnen im Sinn hatten? Dass wir schauen, ob Frauen* so sind und das und dies und jenes erfüllen? Du antwortest hier zweischneidig: Jeder das ihre, aber bitte nicht als “Vorkämpferin für …”, da könntest du streitlustig werden. Und ich stelle nochmal die Frage: Wer ist je als eine solche “Vorkämpfer*in” aufgetreten? Wenn es kein Beispiel dafür gibt, dann fällt die Zweischneidigkeit weg, und dann bleibt nur ein was stehen.

    Noch einmal, das ist mir echt wichtig: Weiter- oder Tieferdenken hat nichts mit Alter zu tun. Die Diskussion immer wieder darauf zu bringen, finde ich wenig sinnvoll.
    Das Ziel ist ein gutes Leben für alle Würdeträger*innen dieser Welt. So. Wie geht es Menschen gut? In welchen Beziehungsweisen? In welchen Netzen? Wir sind da noch ganz am Anfang. Jede hat für sich kleine Inseln und Netze erarbeitet, gefunden und gesponnen, einige diesbezüglich am Rande der Gesellschaft (gezwungenermaßen, so wie auch schon die Schneekönigin in Andersens Märchen ins “ewige Eis” abgedrängt wurde, obwohl sie der Gesellschaft Gutes bringt und ja eigentlich Teil von ihr ist), andere mittendrin, eins dort, eins hier, aber eine umfängliche Gesellschaftsform dafür gibt es noch nicht. Es gibt Menschen, die ständig aufgrund von irgendwas, was sie nicht erfüllen, oder was sie nicht sind, oder wo sie anders sind, nur sehr wenig Gesellschaftsnetz abbekommen und dazu noch in ihren mühevoll kleinen aufgebauten Netzen attackiert werden. Sie werden rausgeschmissen aus dem Gesellschaftsdenken, sind aber doch da. Und wenn sie aber rein in mein Denkschema von Gesellschaft wollen, dann aber nur so oder so oder so. Nicht zu “karnevalig”, nicht zu doll dies, nicht zu sehr das, nicht zu laut, nicht zu groß, pssst, ganz leise, nur als eine Frau, wie ich sie als “richtig” begreife, dann lasse ich euch in euren kleinen Netzen da hinten zumindest in Ruhe, und ich lächle euch am Bio-Stand auch mal zu. Was soll das? Warum? Wer oder was ist hier brutal und ausschließend mit wem?

    Wenn wir uns auf den Weg machen wollen, dann hilft es nicht, Menschen in irgendwelche alten Backformen-Begrifflichkeiten zu pressen, ja es helfen nicht mal mehr die alten Gefühle, es hilft nicht, auf wie auch immer geartete “Ausnahmen” zu schauen, um sich immer und immer wieder im eigenen So-Sein und So-Denken wiederzufinden und sich da auszuruhen. Weiterdenken ist anstrengend und es schneidet immer ins eigene Fleisch, es dreht Organe um und untersucht da alles, was blubbert und schleimt und irgendwelche Dinge von sich gibt. Ich unterstelle dir nicht, dass du nicht weiterdenkst. Aber ich denke doch, dass du immer noch nicht genug – nur in Bezug jetzt auf dieses Thema natürlich!! – von dir ausgehst, deine Ängste unter die Lupe nimmst, woher sie kommen, die Vorurteile an ihren Wurzeln zu untersuchen, andere Texte zu lesen, die dir helfen, die Vorurteile und das Unwohlsein aufzudröseln. Zum Beispiel: Wie kam es überhaupt dazu, dass du Menschen als “Karnevals-Figuren” wahrgenommen hast? Ich nehme wahr, dass du versuchst, dich da rauszuschälen, aber wenn du dir, wie du schreibst – heute wie gestern noch dieselben Fragen stellst, dann war deine Auseinandersetzung eindeutig noch nicht tief genug, dann konntest du dich noch nicht zu neuen Fragen vorarbeiten. Oder? Wie gesagt, es ist immer eine Frage dessen, was wir wollen. Wollen wir das gute Leben für alle? Okay, dann müssen manche Knoten erst gelöst werden, damit neue Verbindungen entstehen können. Es ist Zeit, hier und jetzt.
    PS: Und ich antworte hier nicht nur Sandra, sondern das ist auch ein Kommentar zu einigen anderen Kommentaren hier und unter Marias Text.

  • Sandra Divina Laupper sagt:

    Hallo Brigitte!
    A propos “Toleranz”… In meinem Text habe ich versucht zu vermitteln, dass meines Erachtens “Toleranz” gegenüber Frauen, die ein anderes Frau-Sein verkörpern als das mir von Geburt an vertraute, zu wenig ist. “Toleranz” ist ein Begriff, der sich meinem Empfinden nach zu wenig stark von “Gleichgültigkeit” unterscheidet. Dass ich dulde, dass es Menschen gibt, die sich im Laufe ihres Lebens einer Geschlechtsumwandlung unterziehen, ist, finde ich, schon das Mindeste.
    Aber es reicht für mich, die ich mein Frau-Sein als ein politisches verstehe, nicht. Ich denke, da ist es notwendig, wirklich den Schritt zu vollziehen, den mich Antonia De Vita bei der ersten Versammlung der femministisch interessierten Studentinnen an der Uni Verona im Februar 1990 gelehrt hat, nämlich das Frau-Sein als ein radikal freies zu verstehen, weshalb es eben Frauen gibt, die Frauen sind, weil sie mit den für Frauen typischen körperlichen Merkmalen auf die Welt gekommen sind – und weshalb es gleichzeitig aber auch auch Frauen gibt, die Frauen sind, obwohl sie nicht mit den für Frauen typischen körperlichen Merkmalen auf die Welt gekommen sind.
    Wenn ich mein Frau-Sein als ein radikal freies verstehen will, ist es, finde ich, auch mehr als sinnvoll, grundsätzlich auch bereit zu sein, mich auf verbindliche Beziehungen sowohl mit Frauen, die das von Geburt an sind, als auch mit Frauen, die auf anderen Wegen zu ihrem Frau-Sein gefunden haben, einzulassen. Da ich mich in jeder neuen Beziehung zu einer anderen Frau auch selber neu entdecke, besteht meine Freiheit genau darin, solche Beziehungen zu anderen Frauen zu pflegen. Eine Einschränkung meines Beziehungshorizontes ausschließlich auf Frauen, die sich von Geburt an als Frauen wiedererkennen haben können – oder aber umgekehrt: ausschließlich auf Frauen, die erst mit der Zeit zu ihrem Geschlecht gefunden haben, würde auch eine Einschränkung meiner Freiheit mit sich ziehen!
    Mit Trans-Frauen in eine verbindliche Beziehung zu treten – oder zumindest bereit dazu zu sein – ist mehr als Toleranz. Es ist Freiheit.

  • Sandra Divina Laupper sagt:

    Liebe Anne!
    Zuerst einmal vielen Dank für Deinen so langen und ausführlichen Kommentar! Ich habe ihn ein paar Mal durchlesen müssen, um das Gefühl zu bekommen, das passt, jetzt glaube ich schon, eine Vorstellung davon bekommen zu haben, was Du mir sagen möchtest. Aber ich schließe nicht aus, dass ich mich irre!
    Ein Punkt, in dem ich glaube, dass ein Missverständnis vorliegt, besteht darin, dass Du der Tatsache, dass ich das Bedürfnis habe, den Altersunterschied zwischen Maria und mir zu unterstreichen (wie übrigens Antje Schrupp auch!), eine andere Bedeutung beimisst als ich. Maria meint, sie kann nicht verstehen, warum es Menschen gibt, die gegenüber Leuten, die sich mit einem anderen Geschlecht identifizieren als jenem, das ihnen bei ihrer Geburt aufgrund ihrer körperlichen Merkmale zugeschrieben worden ist, diskriminatorische Positionen vertreten: Laut Maria drängen diese Menschen jene Leute gewaltsam in eine Geschlechtlichkeit, die diesen nicht entspricht.
    Ich kann mir Marias Nicht- Verstehen (wie, glaube ich, auch Antje Schrupp) nur damit erklären, dass sie so viel jünger ist als ich. Für sie ist es eine Selbstverständlichkeit, Transsexualität zu akzeptieren, genauso, wie es für sie sicher auch selbstverständlich ist, Homosexualität zu akzeptieren. Für Menschen in meiner Generation – und da können sie in vielen Bereichen schon von Jugend auf noch so tolerant aufgetreten sein, wie sie wollen – ist es das nicht. Es hat für mich z.B. einen langen Weg gebraucht um zu akzeptieren, dass es Menschen gibt, die sich von Menschen ihres eigenen Geschlechts erotisch angezogen fühlen und sich dessen nicht schämen, sonderen offen dazu stehen wollen. Ich finde es eine gute, aber auch sehr überraschende Entwicklung, dass es im Alltag immer öfter vorkommt, dass homosexuelle Paare als solche akzeptiert werden – sogar in vielen Familien. Homosexualität galt Leuten meiner Generation – wenn sie sie nicht rundweg verurteilten und dabei auch normalerweise mit Pädophile gleichstellten – im besten Fall als mehr oder weniger harmlose Marotte von irgendwelchen exzentrischen Künstlern oder dekadenten Adeligen.
    Es war für mich spannend, im Laufe der Jahre (bzw. Jahrzehnte) zu entdecken, dass Homosexualität auch etwas ganz Alltägliches sein kann. Ich habe in der Zwischenzeit auch entdeckt, dass es unter meinen vielen Freundinnen nicht viele gibt, die nicht in der einen oder anderen Form Erfahrungen mit Homosexualität gemacht haben.
    Ich glaube, aus dem Text von Maria Coors herauslesen zu können, dass es für sie anders war und ist. Und, wie gesagt, ich glaube, dass das an unserem Altersunterschied liegt. Deshalb habe ich gemeint, es könnte für sie vielleicht hilfreich sein, eine Erklärung dieser Art für das Fehlverhalten gewisser Leute – zumindest wenn sie der gleichen Generation angehören wie ich – zu bekommen.
    Persönlich erkläre ich mir diese “stille” Revolution, die in der Öffentlichkeit zu einer immer größeren Akzeptanz von Homosexualität und Transsexualität geführt hat, u.a. auch damit, dass durch den Aufbruch des traditionellen Rollenverständnisses von Mann und Frau, der dank der Kämpfe der Frauen um ein freies, selbstbestimmtes Dasein stattgefunden hat, auch Homosexualität (und Transsexualität) einen anderen Stellenwert bekommen hat in der Gesellschaft. Ich habe aber den Eindruck, dass wir “alte” Feministinnen – im Unterschied zu den jungen – selber ein bisschen überrascht sind von dieser Entwicklung – und manchmal wohl auch etwas überfordert.
    So, jetzt muss ich schlafen gehen, aber ich hoffe, mich wenigstens in einem Punkt etwas deutlicher ausgedrückt zu haben!
    Liebe Grüße,
    Sandra

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