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Rubrik Blitzlicht

Putin, der Böse

Von Juliane Brumberg

Warum es so bequem ist, Putin an allem die Schuld zu geben.

Bei der medialen Berichterstattung über den Angriffskrieg Russlands gegenüber der Ukraine, aber auch in privaten Gesprächen darüber, beobachte ich eine starke Tendenz, Putin als alleinigen Urheber des Unheils zu brandmarken. Das Entsetzen sowie unsere Sorgen und Zukunftsängste werden auf seine Person fokussiert. Das klingt manchmal so, als ob mit seiner Beseitigung die ganzen Probleme gelöst wären.

Vorweg: Ich finde den Kremlchef nicht gerade sympathisch und seine Strategien menschenverachtend. Doch die ganze Problematik nur an ihm festzumachen, ist zu kurz gegriffen.

Auch in Deutschland war es nicht nur Hitler, der den zweiten Weltkrieg geführt hat. Die Mehrheit der Bevölkerung hat ihn an die Macht gewählt und ist später bereitwillig und manchmal siegestrunken mit ihm in den Krieg gezogen. Im Nachhinein haben dann viele Menschen sich durch ihn „verführt“ gefühlt, ihre Mitschuld ausgeblendet und das ganze entsetzliche Geschehen dem bösen Diktator in die Schuhe geschoben. Tendieren wir, speziell in Deutschland, auch deshalb dazu, das Bild eines einzelnen bösen Mannes, des bösen Putin, zu pflegen? Soll das unbewusst dazu beitragen, die Deutschen von alten Schuldgefühlen zu entlasten?

Und trägt das dazu bei, auch jetzt nicht so genau hinzuschauen?

Laut Statistiken stehen 80 Prozent der russischen Bevölkerung hinter Putin. Wenn uns ein gerechter Frieden am Herzen liegt, müssen wir uns bemühen, die Menschen in Russland nicht nur als verführte Masse wahrzunehmen, die die raffinierte Propaganda eines bösen Diktators nicht durchschaut. Wir sollten versuchen zu verstehen, was es für die Menschen bedeutet, vor wenigen Generationen in einem bitteren Krieg mit Millionen Opfern den Nationalsozialismus besiegt zu haben – und jetzt den Alltag unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen ohne den Luxus des Westens meistern zu müssen. Einem Westen der sich auf seine freiheitlichen, demokratischen Werte beruft, der aber, wenn man genauer hinschaut, hauptsächlich an Konsum und billigem Gas interessiert ist, der Einschränkungen zu Gunsten des Weltklimas hinauszögert oder sogar verweigert und in dem es auch Korruption, Ausbeutung und verlogene Politik gibt. Trump hat in den USA die Wähler (und wohl auch Wählerinnen) gerade unter der ärmeren Bevölkerung mit dem Motto „Make America great again“ um sich gesammelt. Auch in Russland tun sich die Menschen schwer damit, in einem Land mit schwindender weltpolitischer Bedeutung zu leben.

Das rechtfertigt keinen Krieg, aber wenn wir einen guten und dauerhaften Frieden erreichen wollen, dürfen wir nicht die militärischen Siege im Auge haben, sondern es muss das Zusammenleben auch mit problematischen Nachbarländern so gestaltet werden, dass ein gutes Leben nicht nur für den Westen, sondern für alle möglich ist.

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 01.08.2022
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Anna Blietschau sagt:

    Liebe Juliane, ich sehe das genau so. Nur eine Person! Und die wird ständig dämonisiert. Er ist ein Autokrat, keine Frage. Aber das sind andere auch mit denen weiter Geschäfte gemacht werden. Und der Angriffskrieg gegen die Ukraine, war nicht der erste, den wir erleben. Aber keiner wurde medial dermaßen skandalisiert und kommuniziert. Ja, bitter, aber Mariopol sieht genau so zerstört aus wie Rakka oder Aleppo. Ich denke, wir leben auf einem Kontinent mit Rußland und müssen miteinander zurecht kommen. Ach ja, Saudi-Arabien führt seit etlichen Jahren einen Stellvertreterkrieg im Jemen. Da wurden nie Sanktionen verhängt. Ich denke dann: Es gibt recht unterschiedlich kommunizierte Angriffskriege. Das ist bedenklich.

  • Eveline Ratzel sagt:

    Wenn ich die Feindschaft gegen den Kriegstreiber Putin verstehen will, etwa im Vergleich mit Nixon, den Bushs etc, die ungleich mehr Verderben den Menschen in Vietnam, Irak, Lybien und vielen anderen mehr zugefügt haben, möchte ich gerade aus deutscher Sicht das Erdgeschoss verlassen und in einen tief gelegenen dunklen Keller steigen. Lediglich eine Funzel wirft ein erahnbares Licht auf tiefgelegene Ängste, Vorurteile, Rassedenken. Da ist DER RUSSE (die Russin gibt es nicht), der russische BÄR; tapsig, grob, kulturlos, gefährlich. In seiner Gefolgschaft die minderwertigen Slawen, Tschechen, Polen, DIE Jugoslawen und unter ihnen die Schlimmsten, die Fahrenden, die Zigeuner. Sehe ich hier die Millionen russischer Menschen, Opfer des 2. WK? Nein, aber DIE russischen Soldaten als Vergewaltiger deutscher Frauen. Ich sehe nicht die US-Soldaten, als Vergewaltiger, die haben UNS Nylonstrümpfe, Schokolade und Zigaretten geschenkt. Und uns vor der russischen Revolution gerettet. Wir vergessen nicht, wer die Guten und wer die Bösen sind – welche Rolle spielen da die Fakten? Irgendwie gehören die Slawen der minderwertigen Rasse an, das haben wir gründlich verinnerlicht. Und irgendwie sind sie auch dunkelhäutiger als WIR (egal ob sie das sind). Gerade haben die Sinti und Roma in Auschwitz ihrer gequälten und ermordeten Menschen gedacht. Das bleibt UNS merkwürdig fremd. Merkwürdig? (Ich erinnere an das Buch: “Europa erfindet seine Zigeuner”). Infolge des 2.WK’s war fast ein Drittel der deutschen Bevölkerung auf der Flucht. Vergessen, verdrängt, tabuisiert. Nein, sie waren in UNSEREM Bewusstsein keine Flüchtlinge. Die hatten WIR allerdings auch. Das waren diejenigen Geflüchteten, die an der Aussprache zu erkennen waren: “Stanislav, wo kummsch du dann her?” Als Kind stand ich neben meiner Großmutter im Laden, wir waren an der Reihe. Die nette Bäckerfrau verkaufte uns ein Brot, es war das letzte im Regal. Hinter mir eine Stimme: “Immer die Flüchtlinge…” Wenn ich die Kellertreppe hochsteige und im Sonnenlicht die oberste Etage sehe, UNSERE Regierung, die aufrüstet, Waffen liefert, UNSERE Rüstungsindustrie, seit vielen Jahren milliardenschwer, packt mich die Wut. Das ist keine Zeitenwende, das ist Rückfall in Zeiten, als die deutsche Sozialdemokratie Kriegskrediten zugestimmt hat. Und heute hat die SPD an ihrer Seite die Grünen, während ihrer Gründungszeit Friedenspartei. Heute schreien sie so laut sie können nach Waffenlieferungen in die Ukraine. 1937 hatte Bertrand Russell mit vielen Prominenten, u.a. Einstein, einen Offenen Brief verfasst, in dem er warnte: Im Zeitalter von Atomwaffen muss unter allen Umständen ein Krieg vermieden werden, es kann nur Verhandlungslösungen geben.
    Ich wünsche, dass Viele mutig in den Keller gehen .

  • Vielen Dank für diesen sehr guten Artikel, dem ich auch vollkommen zustimme.

  • BettinaS sagt:

    Ich finde diesen Beitrag beunruhigend unterkomplex. Wie die Autorin selbst sagt, ginge es darum, genau hinzuschauen. Das passiert hier gerade nicht.

    Zuerst wird die Beobachtung gemacht, dass Putin von vielen dämonisiert wird. Es wird eine Parallele gezogen zu Hitler (gewagter Sprung…). Auch dort wurde eine Dämonisierung betrieben, u.a. um die eigene Mitschuld nicht anzuerkennen. Vor diesem Hintergrund und mit diesem historischen Wissen wird ein genaues Hinschauen gefordert. Und jetzt kommt der grosse Sprung: Wir sollten die russische Bevölkerung verstehen suchen, die zu 80% diesen Krieg will, aus historischen Gründen und weil sie u.a. Mühe hat den Verlust ihrer weltpolitischen Grösse anzuerkennen.

    Bitte??

    Erstens gibt es noch ganz andere Erklärungen, warum 80% der Bevölkerung diesem Krieg scheinbar zustimmen. (Z.B. werden sie telefonisch dazu befragt und geben sich dann sicher nicht als Kriegsgegner:innen zu erkennen.)

    Zweitens: Wenn es so wäre, dass sie aus den genannten Gründen diesem Krieg zustimmen, dann wäre das meines Erachtens Anlass für vehemente feministische Kritik. (Das ist doch genau toxic masculinity, um diesen Begriff einmal zu brauchen: den Verlust der eigenen “Grösse” nicht verkraften zu können.)

    Der ganze Text macht m.E. genau das, was eigentlich kritisiert werden soll: personalisiert, psychologisiert und simplifiziert eine hochkomplexe geopolitische Situation, die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine entstanden ist. Es wird mit ideologischen Bilder operiert, z.B. das des bösen Westens, der seine demokratischen Werte nur so vor sich herträgt, dabei eigentlich nur das Gas will.

    Dass dann das “gute Leben für alle” als Fazit kommt, möchte ich stark kritisieren. Es ist an uns Feministinnen, dass diese wichtige Forderung nicht zur abgedroschenen Phrase wird. Sie darf nicht einfach verwendet werden, um einen unausgegorenen ideologischen Kommentar zu machen. Einspruch!

  • BettinaS sagt:

    Liebe Frauen, ich hab vor einer Weile einen Kommentar geschrieben und vermisse ihn hier. Gibt es einen Grund? Liebe Grüsse Bettina

  • Antje Schrupp sagt:

    Liebe Bettina – danke dass du dich nochmal gemeldet hast, es lag an der Urlaubszeit, ich hab deinen Kommentar jetzt freigeschaltet, sorry!

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