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Rubrik Blitzlicht

Schwierige Themen zwischen den Generationen gab es schon immer, vielleicht sind wir, die Boomer, jetzt mal dran, es besser zu machen?

Von Heike Brunner

© Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung

Als ich Kind war, rebellierten die 1968er gegen die Eltern, die sich nach dem Krieg nach Struktur, Reinheit und Sauberkeit sehnten und die die feministischen Werte wieder auf jene der Kaiserzeit zurückschraubten. Aktuell nehme ich zwei große Generationenkonflikte wahr. Da ist zum einen das Engagement der jungen Menschen gegen die Klimakatastrophe – völlig zu recht, und zum anderen sind da die jungen queeren Menschen mit und ohne Gebärmutter, die sich und ihre Rechte – ebenfalls völlig zu recht, positionieren wollen.

Achtung scheint das Schlüsselwort auf allen Ebenen zu sein. Mehr davon tut Not. Warum meine Generation, die der um 1960 Geborenen, sich darüber aufregt, statt zu respektieren, dass “Kinder” demonstrieren gehen, verstehe ich in einem demokratischen Land nicht. Ich selbst war mit zwölf auf antirassistischen Demos, mit knapp vierzehn auf der Räumung des Hüttendorfes an der Startbahn-West und mit elf schon auf den damaligen großen Schülerdemos in Hessen. Wer und Welche das nicht erlebt hat oder nicht erleben konnte aus Mangel an Demokratie oder davon gar nichts mitbekommen hat, hat einen wichtigen Teil bundesdeutscher Geschichte verpasst. Es ist nicht das erste Mal, dass Jugendliche engagiert, informiert und freiwillig für demokratische Werte oder diese nutzend, auf die Straße gehen.

Auch die Spaltung der feministischen Szene ist nichts Neues. Aktuell bewegt sie sich zwischen “alt” Feministinnen, die als TERF bezeichnet werden und der tendenziell jüngeren LGTBQ+ Bewegung. Unterschiedliche Sicht- und Vorgehensweisen begleiten die feministische Bewegung ebenfalls schon mehr oder weniger seit der Entstehung und zwar auch im Konflikt der Generationen. Auch jetzt handelt es sich primär um eine horizontale Differenz innerhalb der Bewegung zwischen alt und jung und nicht um eine vertikale Spaltung, aufgezwungen von “denen da Oben”, bzw. einer intellektuellen Elite, auch wenn das in Verschwörungstheorien leichtfertigerweise behauptet wird. Diese Spaltung einer übergeordneten Macht zuzusprechen, ist auch eine Form des nicht Anerkennens. Schon Ende des 19. Jahrhunderts gab es die Spaltung in konservative feministische Frauenzirkel und die “moderne” feministische Frauenbewegung. Die “Moderne” waren jüngere, radikalere Frauen, die Freiheit und Entfaltung, einen modernen, (sexuell-) selbstbestimmten Lebensstil, weg von patriarchal geprägten Familiennormen, beanspruchten.

Hier direkt ein Lesetipp: Ingvild Richardsen: Leidenschaftliche Herzen, feurige Seelen – wie Frauen die Welt veränderten. S. Fischer.

Auch damals wurde sehr um einen richtigen Weg gerungen.

Mehr Toleranz gegenüber den jungen Menschen und Anerkennung ihrer Sorgen ist daher meine Parole zum Herbst, wenn Klimastreik und der Tag des Safe Abortion Day anstehen. Auch wir, die seinerzeit neue Wege gingen, hätten uns Anerkennung gewünscht und müssen nun schauen, wo wir uns als „Alte“ hin-, statt wegbewegen. Das scheint mir zumindest unsere “Boomer” Aufgabe zu sein.

Kommentare zu diesem Beitrag

  • liebe heike, du sprichst mir so aus dem herzen! bleiben wir in bewegung und bewegen diese welt weiter! mit anarcha-feministischen grüßen, immer noch. gudrun

  • Elfriede Harth sagt:

    Liebe Heike, ich, als noch viel aeltere als Du, bin der Meinung, dass wir unbedingt Mut machen sollten. Momentan herrscht Apathie, Lethargie… wahrscheinlich eine emotionale und gesellschaftliche Form von Long-Covid, fuer die nicht das Virus als solches, sondern die stattgefundene koerperliche Abstandhaltung bei gleichzeitiger massiver Verlagerung der menschlichen Interaktion in das Virtuelle (komisch, dass “Virus”, “Vir” (Mann) und “Virtuell” die gleiche Stammwurzel haben!) verursachend scheinen. Wie irgend jemand mal sagte, Zaertlichkeit und Gewalt unterscheiden sich durch die Dosierung von Naehe und Abstand. Waehrend Zaertlichkeit die groesstmoegliche Naehe bei Beibehaltung des groessmoeglichen Abstands (also Respekt vor d: Anderen) ist (siehe Streicheln) ist Gewalt die abstandslose Naehe (siehe eine Ohrfeige). Unsere Seelen brauchen die Nahrung koerperlicher Naehe, brauchen Beruehrung. Wie organisieren wir das? Das muessen wir gemeinsam herausfinden. Zwischen Jung und Alt.

  • Bari sagt:

    Liebe Heike
    finde ich richtig und wir sollten uns nicht auseinander dividieren lassen im Kleinkrieg um die einzig richtige Methode .
    ich glaube ohne das Engagement von uns Alten, sähe es jetzt überall viel schlimmer aus, wenn ich allein an die Luftverschmutzung in Europa denke.
    Aber es hat definitiv nicht gereicht und deshalb ist es gut , dass die jungen Menschen weitermachen mit ihrer Art des Protestes.
    Was m.E. nicht hilft sind Nebenkriegsschauplätze aufzumachen wie der Streit um kulturelle Aneignung, das bindet wie ich finde Kräfte an der falschen Stelle.
    Zusammenarbeit für die Zukunft ist erfolgreicher, wenn wir über Generationen, Geschlechter und Kulturen zusammenarbeiten und keine ideologischen Grenzen ziehen.
    liebe Grüße Bari

  • Heike Brunner sagt:

    Liebe Frauen, Danke Euch allen, die so schnell geantwortet haben für Euer Feedback. Und liebe Bari, ich persönlich denke es ist einfach so, Störung hat Vorrang, so heißt es im Coaching. Wenn die Debatte jetzt von den “Jungen” z. B. zur kulturellen Aneignung auf den Tisch kommt, ist das jetzt der Zeitpunkt. Genau da liegt glaube ich der Hase begraben, es geht einfach weiter und wird weiter gedacht, das braucht es auch. Ich finde es sehr berfruchtend, dass all diese Debatten entstehen. Jede Bewegung war sich glaube ich immer nur für einen Bruchteil einer Sekunde “eins”, sage ich jetzt mal so, zumindest habe ich es so erlebt. Es lebe die Vielfalt, das hat auch sehr viel Kraft.

  • Brigitte Leyh sagt:

    Wahrscheinlich werde ich schon aufgrund meines Alters als TERF eingeschätzt = trans-exkluding radical feminist. Das eigene Identitätsgefühl zu respektieren erschien mir auch lange wichtig, aber wenn auffallend viele Mädchen in diesen Tagen das Bedürfnis anmelden ihre Geschlechtsrolle wechseln zu wollen, dann bin ich alarmiert. Zehnmal so viele junge Mädchen wie Jungen wollen angeblich das Geschlecht wechseln, wer Skepsis anmeldet, bekommt schnell das einschüchternde Urteil “Transphob!” um die Ohren gehauen.

  • Fidi Bogdahn sagt:

    Ja,“ wir sollten uns (wirklich) nicht auseinander dividieren lassen“ (Bari)
    Als alte Mathelehrerin sage ich: dividieren wir doch selbst!
    Da wo es nötig ist, um für uns selbst unsere je EigenArt zu ergründen;
    weg von verbrauchten Bequemlichkeitsbegriffen wie „Alten” und „Jungen”.
    So erhalten wir in doppeltem Sinn „lebendige, kraftvolle Vielfalt.“ (Heike)

  • Liebe Heike, ich füge deinen Ausführungen folgenden Aspekt hinzu. Es geht m.E. nicht um die Bewertung, sondern um die Unterstützung des Protestes. Es ist ja auch das Klima nicht das Thema der jungen Menschen, sondern unser gemeinsames Thema. Und natürlich habe ich Respekt vor Trans Menschen und ihren Anliegen! Es ist falsch, den Jugendlichen den Protest zu überlassen und uns die Rolle der Bewertung anzumaßen. Es geht doch noch immer um das Gleiche Problem, nämlich den patriarchal geprägten Kapitalismus , der exkludiert und Vielfalt und Lebendigkeit beschränkt. Wir sollten nach Formen der Unterstützung suchen, nicht nach Bewertung. Wir sollten weiter denken und mit den jungen Menschen gemeinsam die Veränderungen be- denken! Und beteiligt und nachdenklich sein, so wie ich für mich sagen kann, dass ich dies immer war und bleiben werde.

  • Dolors Zoé sagt:

    Liebe Heike, liebe Kommentatorinnen
    Mich macht dieser Artikel etwas ratlos… Ich habe drei Fragen oder Einwände:

    1. Generationelle Differenzen mit dem Hinweis auf die Geschichte zu erledigen, hilft meines Erachtens nicht weiter, die aktuelle Situation zu verstehen. Die Frauenbewegung befindet sich das erste Mal in der Geschichte in der jetzigen Situation. Was wir heute an Auseinandersetzungen erleben, ist meines Erachtens ein total ungeklärter Streit zwischen verschiedenen (es sind mehr als zwei!) feministischen Ansätzen in der sogenannten Postmoderne. Diese Auseinandersetzung hat sich im US-amerikanischen Feminismus schon in den späten 1980ern angebahnt (der Band “Streit um Differenz” (1993) von Benhabib/Butler/Cronell/Fraser zeugt davon). Wenn ich das richtig sehe, hat diese Debatte im deutschsprachigen Raum aber nie (oder noch nicht?) so richtig Feuer gefangen und darum fliegt uns heute möglicherweise die ungeklärte Subjektfrage des Feminismus um die Ohren. Und diese Frage hat sich den Feministinnen eben noch nie in derselben Weise gestellt.

    2. Weil sich uns diese Frage noch nie in dieser Weise gestellt hat, reicht es meines Erachtens eben nicht, einfach Achtung voreinander zu haben. Was wir brauchen, ist eine kultivierte feministische Streitkultur – auch in der medialen Öffentlichkeit. Was im Moment an gegenseitigem Bashing in Feuilletons quer durch alle Zeitungen und natürlich im digitalen Raum veranstaltet wird, macht mich wütend und hilflos. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass der Feminismus hier eigentlich von mehrheitlich männlich dominierten Redaktionen vorgeführt oder instrumentalisiert wird. Oder ist es wirklich im Sinne des Feminismus, dass sich hier zwei “verfeindete Lager” derart (negativ) profilieren? Eine konstruktive feministische Debatte sieht für mich irgendwie anders aus. Und: “Mehr Differenz bitte!” Es gibt doch viel mehr feministische Themen und Auseinandersetzungen als als “Queers vs. TERFs”.

    3. Womit wir beim Stichwort wären: TERF ist eine zwar deskriptiv scheinende, aber abwertend gemeinte Bezeichnung aus dem Queer-Feminismus. Er bezeichnet sicher nicht alle “Alt”-Feministinnen und auch nicht alle radikalen Feministinnen, weder der zweiten Welle noch heute. Ich wehre mich dagegen, dass dieses Akronym, das wie alle Akronyme unscharf ist, jetzt für alle “Alt–feministinnen gelten soll.

    4. Und zuletzt möchte ich noch die folgende Frage in den Raum stellen: “Welche Generationenbeziehungen unter Frauen wollen wir?” Achtung, Respekt, Solidarität, ja, natürlich, sofort! Aber da ist noch mehr: Generationenbeziehungen gestalten sich meiner Erfahrung nach durch gegenseitiges Fragen und Zuhören, durch kritisches Mit-, Gegen- und Weiterdenken, durch einen gemeinsamen Alltag und geteilte Räume, in denen Euphorie, Kraft, Wut, Widersprüche, Ängste etc. noch anders kommuniziert und verhandlet werden können, als “nur” verbal. Achtung klingt für mich da zu distanziert, ich würde eher sagen: “Hands on!” – mehr Berührung, mehr Reibung, mehr Handshakes zwischen Frauen!

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