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Kannst du dir sparen!

Von Silke Kirch

16,5 Grad. Im kleinen Zimmer noch 18 Grad. Ich heize noch nicht. Es gibt Socken, Mützen, Decken, Schals, Tee, Wärmflaschen. Wozu also heizen? Sowieso. Wenn man nachts bei offenem Fenster schläft und die Türen geschlossen hält, ist es im restlichen Teil der Wohnung: wärmer. Ist das Empfinden von Wärme nicht ohnehin – zumindest zu einem Teil – ein Anpassungsvorgang, für den Abwechslung förderlich ist? 

Es ist früh am Morgen. Noch ist es dunkel. Ich knipse das Licht nicht an. Eine kleine Kerze genügt. Besser noch: ganz ohne Leuchte. Warum die Dunkelheit grell übertönen? Wer möchte so abrupt in den Tag befördert werden? Das war doch noch nie gut. Überwachheit ist auch mental ein Energieverlust. Ich finde mich im Dunkeln zurecht. Das ist wie eine kleine Exkursion in das Fundament der eigenen Gewohnheiten. Wir kennen doch die Topografie des Gehäuses, in dem wir leben, auswendig – besser: inwendig. Die Gebrauchsgegenstände des Alltags ebenfalls. Es macht Spaß, auf den Tastsinn zu vertrauen. Es ist möglich, im Dunkeln Tee zu machen, durchs Bad zu gehen, sich anzukleiden. Hell wird es draußen von allein. Ich tappe also im Dunkeln und fange an, und irgendwann ist der Tag da. Ganz von selbst. Niemand muss die Sonne über den Horizont ziehen. Denn auch die Dunkelheit steckt voll neuer Möglichkeiten, Erfahrungen und Gedanken. 

Also erst einmal Tee machen. Die Kanne wird eingewickelt in ein dickes Wolltuch, damit sie warm bleibt. Die Dunkelheit gibt das Tempo vor. Leise. Langsam. Dann waschen. Ja, klar! Wer wird sich denn duschen? Kalt etwa? Warm etwa? Was für eine Verschwendung! Eine Schüssel mit warmem Wasser reicht, und weil es so lange dauert, bis das warme Wasser aus der Leitung kommt, da meine Gastherme so eingestellt ist, dass sie Wasser nicht auf Vorrat heizt, habe ich mehr Wasser in den Wasserkocher getan, als ich für den Tee brauche, und schütte das übrige in eine Schüssel, ein wenig kaltes noch dazu, um mich nicht zu verbrennen. Und dann den selbst gestrickten warmen Waschlappen mit dem schwedischen Muster auf das Gesicht legen. Wunderbar. So schön ist Energiesparen. 

Natürlich ist das Bad nicht geheizt. Aber es gibt einen Rest Sommer in Form eines dieser Poncho-artigen Frotteezelte, die wir mit an den Strand nehmen, um uns in der Öffentlichkeit umziehen zu können, ohne dass andere sich davon gestört fühlen könnten. Das Frotteezelt hält beim Waschen ein bisschen die Kälte ab und so umzeltet kann eine anschließend zum Aufwärmen durch die kalte Wohnung tanzen, bevor sie in ihre kühlen Klamotten schlüpft. Und dann bloß nicht aus Versehen das Waschwasser wegschütten! Es lässt sich ja noch weiterverwenden, zum Nachspülen für die Toilette zum Beispiel. 

Halt, sagt meine Freundin. Du hast etwas vergessen. Du kannst doch nicht den leeren Wasserkocher mit der Restwärme einfach so stehenlassen. Was für eine Verschwendung! Wenn du da noch einmal etwas Wasser reinfüllst (und vergiss nicht, vorher den Mehrfachstecker abzuschalten), dann heizt sich dieses Wasser noch ein wenig auf und du kannst damit die Teetasse vom gestrigen Abend abwaschen. Oder sie zumindest einweichen, für den Fall, dass sich hartnäckige Ränder gebildet haben, weil du den Tee nicht ausgetrunken hast. 

Teeränder. Ich gestehe, auch ich neige zuweilen zu verschwenderischem Verhalten. Zum Ausgleich trockne ich Teebeutel. Man kann sie wiederverwenden. Ein Teebeutelreigen pendelt am Gläserregal über der Spüle. Kamillentee schmeckt ja auch beim ersten Mal nach nicht viel. Die anderen Sorten erst beim zweiten Mal. Fällt also kaum auf. Und auf diese Weise ist auch das Problem mit Teerändern nicht so gravierend, vielmehr im Wortsinne eine Marginalie, eine Randerscheinung. Die allerdings tief blicken lässt. Wir können uns die Beutelei auch gleich sparen. Ein kleines Gefäß mit Wasser. So kostbar. Wer bräuchte mehr.

Autorin: Silke Kirch
Redakteurin: Jutta Pivečka
Eingestellt am: 06.10.2022
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Ute sagt:

    Genau! Und die Schimmelfleckchen an der Badezimmerdecke mit Leuchtesternchen überkleben. Das ist viel mehr als Camouflage, das ist romantisch und erleichtert das nächtliche Irrlichtern.

    Grandioser Beitrag!

  • anna blietschau sagt:

    Ich wohne auf dem Land. Ich wohne in einem Haus, dass meine
    Großeltern 1930 erbaut haben.
    In diesem Haus, unten 40qm, oben 40qm., gibt es keine Zentralheizung.
    Es gab hier noch nie eine.
    Ich wohne oben.
    Im Winter wird nur ein Raum beheizt. Die anderen Räume nicht, bzw.
    nicht durchgängig. Will sagen, wenn ich in die Küche gehe, um dort am
    Abend noch eine zu rauchen, ziehe ich eine dicke Jacke an und eine
    Wollmütze auf. Dann habe ich so ein kleines Elektroheizgerät, den stell
    ich mir vor die Füße. So kann ich eine rauchen, ohne dass mir kalt
    wird. (Ich rauche nur in der Küche.)
    Nun zum duschen. Im Winter nur einmal in der Woche.
    Es läuft folgendermaßen ab: Ich setze mich auf mein Fahrrad und fahre
    30-35km über die Feldwege. (Bin Radsportlerin).
    Ich komme erhitzt und verschwitzt wieder hier an.
    Im Bad ist alles vorbereitet. Schnell ausziehen, unter die heiße Dusche,
    einseifen, abspülen, fertig.
    Die Duschkabine ist sehr klein. Ich habe Abwärme. Ich greife kurz
    nach draußen und ziehe das Handtuch in die Duschkabine.
    Abtrocken, raus aus der Dusche. Neue Sachen anziehen – und bevor
    mein Körper merkt, dass der Raum eiskalt ist, bin ich bereits mit
    duschen fertig.
    Ihr denkt vielleicht, das ist ein Witz.
    Nein, es ist kein Witz. Ich lebe wirklich so.
    Finde ich das schlimm???
    Nein, ist nach 20 Jahren für mich Normalität geworden.
    Schimmel gibt es hier im Haus nirgendwo.
    Denke, das es an der Bauweise liegt.
    Die ist so, dass das Haus Schimmelfrei bleibt.
    Nächsten März werde ich 72 Jahre alt.
    Bin ein zäher Typ.
    Zehn Jahre kann ich dieses Programm so noch fahren.
    Und dann?? Dann sehen wir weiter.

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Silke Kirch; heißt das, du meinst, dass es keinen Grund/keine Gründe gibt, die eigenen Gewohnheiten hier und da auf den Prüfstand zu stellen?

  • Johanna Helen Schier sagt:

    Hallo liebe Anna Blietschau! Freue mich über den Beitrag einer “Mitstreiterin”.
    Ich wohne im Haus meiner Großmutter, das etwa 1904 erbaut wurde.
    180 qm. Früher habe ich eine Haushälfte vermietet. Man kann sich vorstellen, dass
    ich in diesen harten Zeiten nicht das ganze Haus mit der installierten Elektroheizung
    heizen kann. Es gibt darüberhinaus einen Ofen und elektrische Radiatoren.
    Ich werde im kommenden Jahr 70J. und bin wie Du leidenschaftliche Fahrradfahrerin.
    Bis jetzt habe ich das Landleben unter den gegebenen Bedingungen gut durchgehalten und weitere 10 Jahre könnte ich durchaus schaffen. Dennoch:
    Derzeit werden verschiedene neue Lebensmodelle für den nächsten Lebensabschnitt gründlich geprüft. Danke nochmals für Deinen Beitrag.
    Ich bin keine Einzelkämpferin, wie man sieht.
    Grüße von der Nordseeküste von Johanna Helen

  • anna blietschau sagt:

    Liebe Johanna Helen, schön von dir zu hören.
    Ich kenne noch einige in Berlin, auch so um die 70.
    Auch sie ohne Zentralheizung. Haben aber das Kachelofensystem.
    Ist etwas besser. Aber leben natürlich im Winter mehr mit der Kälte.
    Sie bekommen öfter mal das berüchtigte Russlandhoch.
    ( Sie nennen das die ” russische Kältepeitsche”. Bitte nix politisches
    draus machen!)
    Wir haben meistens Süd-West-Strömung.
    An der Nordseeküste ist auch öfter mal ein kalter Wind.
    Habe ich eigentlich gesagt, dass ich auf der Zülpicher Börde
    wohne? Ja, ist so. Hier ist “Warmgebiet”. War aber immer schon
    so.
    Freut mich, dass es noch andere alte Radsportlerinnen gibt.
    Einen ganz herzlichen Gruß von mir.
    Jetzt sage ich mal jenen berühmten Satz: Wir schaffen das!!
    Wir Radsportlerinnen sind zäh.
    Liebe Grüße. Anna

  • Johanna Helen Schier sagt:

    Anna, bei uns in Ostfriesland, nahe der holländischen Grenze, bin ich als
    Radfahrerin keine Besonderheit oder gelte als herausragende Radsportlerin.
    Es ist für die alten Frauen hier normal, alle notwendigen Alltagsangelegenheiten
    sowie selbstverständlich auch Extratouren mit dem Fahrrad zu unternehmen.
    Moin. Moin!

  • Silke sagt:

    @Anne Newball Duke: Wie kommt es zu der Frage? Das verstehe nicht. Der Text sagt ja nichts über meine Gewohnheiten. (Ich lebe im Übrigen – ähnlich wie andere das hier in den Kommentaren beschreiben – schon lange so sparsam, dass ich meine Gewohnheiten jetzt kaum ändern muss).

  • anna blietschau sagt:

    Na, dann, Johanna Helen, sag ich mal ein Hoch auf die alten radsportbegeisterten Ostfriesinnen!! Beispielhaft. Bin begeistert.
    Grüße an Alle. Anna, von der Zülpicher Börde, weit und breit die
    einzige Radsportlerin Ü 70.

  • Johanna Helen Schier sagt:

    Hallo liebe Anna Blietschau! Danke. Danke. Ich fahre täglich, im Durchschnitt betrachtet, etwa 20 km mit dem Fahrrad. Manchmal auch noch mehr km ….Eigentlich hast Du Recht: Das i s t Radsport.

  • Johanna Helen Schier sagt:

    Hallo Anna. Wenn Du das möchtest, kannst Du in der Redaktion (Antje Schrupp)
    meine private E-Mail Adresse erfragen. Ich habe der Redaktion meine Erlaubnis
    übermittelt. Gruß, Johanna Helen aus Ostfriesland.

  • Kathleen Oehlke sagt:

    Danke für den Tipp mit dem versehentlich zu viel erhitzen Wasser. Natürlich versuche ich, die benötigte Menge gut abzuschätzen, aber manchmal vertue ich mich doch. Dieses warme Wasser zum Spülen zum Geschirr zu nutzen, war mir noch nie in den Sinn gekommen. Meine Küche sieht neuerdings gleich viel aufgeräumter aus. (ist wirklich ernst gemeint).
    Außerdem freue ich mich sehr über die (fast)Ü70-Radfahrerinnen hier.

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