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„Es war mir immer wichtig, dass vor allen Dingen die Frauen ins Sprechen kommen“

Von Birge Krondorfer

Für ihre feministische Arbeit hat die politische Philosophin und Erwachsenenbildnerin Birge Krondorfer das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien erhalten. Birge Krondorfer ist unserem Projekt bzw-weiterdenken.de schon lange verbunden, sie war auch bei den beiden Denkumentas dabei (zum Beispiel mit diesem Plädoyer für unbezahltes Tätigsein) und greift in ihrer Bildungsarbeit in der Frauenhetz in Wien immer wieder Themen auf, die auch uns hier beschäftigen. Aus Anlass des Preises spricht sie im Interview mit der Journalistin Beate Hausbichler über feministische Bildung und was sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Das Interview erschien zuerst auf derstandard.at, wir dürfen es mit freundlicher Erlaubnis der beiden auf unseren Seiten veröffentlichen. (Antje Schrupp)

Birge Krondorfer. Foto: privat

Beate Hausbichler: Sie leisten seit Jahrzehnten feministische Arbeit. Wie fühlte es sich für Sie an, dafür eine Auszeichnung zu bekommen?

Krondorfer: Es war schon ein bisschen ambivalent für mich, aber letztlich hat doch die Freude überwogen und auch etwas Stolz. Der widersprüchliche Anteil war, dass man so etwas Staatliches/Etabliertes entgegennimmt – also von einer Seite, die ich ja oft kritisiert habe. Letztlich freut man sich aber doch über eine öffentliche Anerkennung für explizit feministische Arbeit.

War die fehlende Anerkennung, in welcher Form auch immer, in den Jahren zuvor frustrierend?

Manchmal schon. Zumindest, wenn man wie in unseren Gesellschaften üblich Anerkennung mit Geld gleichsetzt. Die Anerkennung kommt sozusagen von innen. Der finanzielle Aspekt juckt mich aber erst seit meiner offiziellen Pensionierung, davor hat mich das nie besonders interessiert. Ehrenamtliches Tätigsein ist eben im doppelten Sinn „unbezahlbar“. Ich habe immer sehr bescheiden gelebt, wollte nie Wasser predigen und Wein trinken, aber ein bisschen kratzt es mich jetzt eben schon. Wenn man sich gesellschaftlich engagiert, mit – Hausnummer – 157 Projekten seit meinen frühen Zwanzigern befasst ist, dann ist das schon ein bisschen hart. Ich war bis auf drei Jahre in einem EU-Projekt nie angestellt und hab mich mit den Lehraufträgen immer so durchgewurschtelt.

Sie waren viele Jahre als Lehrende an verschiedenen Unis tätig – welche Veränderungen haben Sie beobachtet?

Ein großer Einschnitt war sicher der Bologna-Prozess und die daraus resultierenden Änderungen an den Unis. Dadurch hat sich mir gezeigt: Es ist wirklich erschütternd, wie schnell Strukturen auf die Mentalität von Menschen wirken. Ich hätte das in der Geschwindigkeit überhaupt nicht erwartet. Die Generation von Studierenden vor 2010 und die danach: Die Veränderung bei den Studierenden ist in meinen Augen unglaublich. Und das hat die Modularisierung, Ökonomisierung, Verschulung und insgesamt eine Verengung der gesellschaftspolitischen Dimensionen mit sich gebracht.

Der Begriff Kritik ist verloren gegangen und die Debatte untereinander. Der Austausch von Positionen – das ist weg. Selbstredend ist das nicht immer und überall gleichermaßen so. Aber heute wird oft brav gelernt und gemacht, was man vorgibt. Ein kritischer Text wird von vielen so gelesen, als ob es ein Text über die Biologie der Frösche wäre: Es wird akzeptiert, inhaliert – aber nicht reflektiert.

Sie waren und sind auch viel in der Erwachsenenbildung tätig. Was hat sich hier verändert?

Die Volkshochschulen Wien hatten in dem Moment einen Umbruch, als sie eine GmbH wurden. In den 1990er-Jahren gab es ein großes feministisches und frauenpolitisches Angebot. Viele Kurse, auch meine in Ottakring, waren damals auch noch von der Arbeiterkammer gefördert, und sie waren somit sehr günstig. Diese Kurse waren immer sehr gut besucht, es kamen die verschiedensten Frauen, und es entstanden gute Diskussionen und Verständigungsprozesse. Heute werden kritisch-feministische und theoretisch anspruchsvolle Kurse wegen zu wenigen Teilnehmer:innen abgesagt – etwa zu Care-Arbeit. Diese Art der Denkvermittlung ist inzwischen nicht mehr gefragt. Deswegen bin ich stolz, dass die Frauenhetz als feministisches Bildungskonglomerat noch immer hält. Es war mir immer wichtig, dass vor allen Dingen die Frauen ins Sprechen kommen. Eine eigene Position im öffentlichen Raum zu äußern ist – auch wenn es ein kleiner Raum ist – für Frauen allen Alters nach wie vor schwierig.

Ins Reden kommen, das klingt jetzt sehr einfach. Doch gerade bei feministischen Debatten haben viele den Eindruck, dass diese immer hochkompliziert sind und viele nicht mitreden können oder deshalb auch nicht mitreden wollen.

Es ist ja auch kompliziert. Aber die Akademisierung und Spezialisierung der Diskurse schließt die meisten Frauen aus. Und der Anspruch der Frauenhetz war immer, dass alle Frauen kommen können – und es kommen auch nicht nur Feministinnen. Natürlich sind oft junge Akademikerinnen und Studierende dabei, aber auch andere und unterschiedliche Generationen. Und darum geht es ja – besonders heute.

Manche Veranstaltungen sind aber inzwischen sehr schwer zu organisieren. Es kommt aktuell vor, dass jemand sagt: Wenn die kommt, komm ich nicht. Das ist doch unglaublich! Ein Podium ist dazu da, dass Positionen auf den Tisch kommen und ausgetauscht werden. Doch wenn vorher schon zensuriert wird, gibt es von vornherein keinen Austausch.

Halten Sie das für ein neueres Phänomen?

Ja, das glaube ich tatsächlich. Nicht, dass es in den 1980ern und folgend nicht komplett arge Streitereien gab, aber für mich ist heute zu vieles einfach nur identitätspolitisch – damit hatte ich schon ein Problem, als es den Begriff noch gar nicht gab. Ich habe zum Beispiel nie verstanden, warum man früher oft von einer Frauen- und Lesbenbewegung sprach. Das könnte, wiewohl damals politisch berechtigt – und persönlich auch für mich befreiend –, im Nachhinein der Beginn von so was wie Identitätspolitik gewesen sein – bezogen auf die feministischen Kämpfe. Ich selbst habe nie explizit lesbische Politik machen wollen, sondern feministische Frauenpolitik. Mich hat immer die Perspektive auf das Ganze interessiert. Diese heutige Selbstbespiegelung und dass jemand nur dann anerkannt wird, wenn die Person der eigenen Position zustimmt, damit kann ich nichts anfangen. Wenn man das Politische genuin als einen immerwährenden Versuch ansieht, miteinander zu sprechen um so unsere gemeinsame Welt zu gestalten, dann brauchen wir als Voraussetzung und Ziel nun mal Auseinandersetzungen.

Wie hat Ihre Biografie Ihren Aktivismus beeinflusst?

Meine Großmütter hatten großen Einfluss: die eine protestantisch-säkular, die andere volkskatholisch und beide kriegsbeschädigte Flüchtlinge. Das hat mich geprägt, sowie auch besonders, dass meine Eltern mit uns Kindern drei Jahre mit der deutschen Entwicklungshilfe in Afghanistan waren. Wir waren auch in Indien, Pakistan und Persien. Ich habe als Kind die Armut gesehen, ich habe eine spezifische Form der Frauenunterdrückung gesehen. Ich werde nie vergessen, wie zum Beispiel im Himalaja-Gebiet Kinder in meinem Alter Steine nach uns warfen, weil sie den Anblick irgendwelcher Kolonialisten – oder wie man uns auch immer gesehen hat – nicht ertragen konnten. Solche Erfahrungen waren prägend. Ich empfinde die Selbstverständlichkeit unserer Wohlstandsgesellschaften seither als abstoßend.

Ihre feministische Arbeit war die meiste Zeit von Frauenpolitik unter rot-schwarzen Koalitionen geprägt, auch die meiste Zeit von SPÖ-Frauenministerinnen. Auf gesetzlicher Ebene passierte aber etwa zwischen 2010 und 2017, bevor das Kanzleramtsministerium zur ÖVP wanderte, kaum etwas, das sich nachhaltig und deutlich positiv auf die Gleichstellung der Geschlechter ausgewirkt hätte. Wo ist also der Unterschied zu heute?

Ich war 2010 Mitgründerin der Plattform 20000 Frauen, die auch die Frauenrechtedemonstration zu 100 Jahre Frauenwahlrecht mitorganisierte. Das war die größte Frauendemo nach 1945 in Österreich. Die damalige Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hat in der Tradition von Johanna Dohnal (SPÖ) immer eng mit feministischen Frauenorganisationen zusammengearbeitet. Sie förderte auch eine Kooperation mit der Plattform 20000 Frauen, die mit dem Frauenministerium gemeinsam sechs frauenpolitische Enqueten organisierte. Die Themen waren unter anderem Rassismus, Maskulinismus oder Frauenarbeit. Bei der inhaltlichen Ausrichtung ließ man den Frauenorganisationen weitgehend freie Hand. Es stimmt, dass sich damals auf der gesetzlichen Ebene auch nicht viel tat – aber trotzdem: Es ist mit der jetzigen Frauenpolitik nicht vergleichbar, die sich durch einen expliziten Antifeminismus, der sich auch in der Streichung der Subventionen für feministische Projekte zeigt, auszeichnet.

Autorin: Birge Krondorfer
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 28.01.2023
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Caroline sagt:

    Liebe Birge
    herzlichen Glückwunsch! Ich verstehe die Ambivalenz gegenüber so staatlicher Anerkennung, aber ich finde es toll, dass du den Preis erhalten hast! Dass deine Arbeit noch sichtbarer wird. Und das Interview hat mir sehr gut gefallen! ganz herzliche Grüsse, caroline

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