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Rubrik Blitzlicht

Begrüßung und Abschied materialisieren

Von Kathleen Oehlke

Foto: Kathleen Oehlke

Wie nah Leben und Tod beieinander sein können, hat mir das letzte Jahr mit voller Wucht gezeigt. Erfreuliche und leichte Tage wechselten sich mit schweren und dunklen so schnell ab, dass meine Seele kaum hinterherkam. Was mir bei all dem geholfen hat, war eine besonders schöne Art von Textilien, nämlich Quilts. Ein Quilt ist im Prinzip eine Steppdecke, d.h. es handelt sich um zwei Stoffschichten, zwischen die eine weiche Füllung eingenäht („gequiltet“) ist. Die Oberseite kann, muss aber nicht, aus vielen einzelnen Stoffstückchen bestehen, die ein Muster ergebend aneinander genäht wurden (Patchwork). Ein Quilt / eine Patchworkdecke kann sowohl von Hand als auch mit der Maschine genäht werden. Obgleich es auch einzelne Männer gibt, die solche Decken nähen, werden sie doch meist von Frauen hergestellt.

Ein typischer Anlass, einen Quilt zu nähen, ist die Geburt eines Kindes. Wie schön es ist, in der Erwartung eines neuen Menschenkindes eine Decke zu nähen, die es wärmen wird. Dem Kind zu zeigen, schau, du bist noch gar nicht auf der Welt, aber ich heiße dich schon willkommen und möchte dich und deine Eltern beschenken. Und mit jeder Naht rückt der Geburtstermin näher und mit Glück und / oder guter Planung fallen Fertigstellung des Quilts und Geburt des Kindes etwa in dieselbe Zeit. Unser „BZW-Baby“ wurde natürlich auch entsprechend beschenkt.

Das ganze Leben lang decken wir uns mit irgendetwas zu. Und ganz zum Schluss kommt nochmal eine Zeit, in der wir wieder und in besonderer Weise auf Unterstützung angewiesen sind: Wenn jemand, vielleicht schwer krank, die letzten Tage und Stunden seines Lebens vor sich hat. Als ich kürzlich einen Freund zum letzten Mal besuchte und sah, dass er von einem Quilt gewärmt wurde, den eine gemeinsame Freundin ihm vor einigen Jahren zum Geburtstag genäht hatte, hatte das bei aller Schwere etwas Tröstliches. Als sie den Quilt nach seinen Wünschen genäht hat, konnte sie nicht absehen, dass genau diese Decke den Freund schon bald auf seiner letzten Reise begleiten würde.

Wenn ein Quilt entsteht, sucht die Näherin mit Bedacht Stoffe aus, achtet darauf, dass die Nähte haltbar sind, stellt sich vielleicht vor, wie der oder die Beschenkte darauf die ersten Krabbelversuche unternimmt, nach dem Auszug aus dem elterlichen Haus darunter die ersten Nächte im neuen Zuhause verbringt oder sich auf dem Sofa mit einem guten Buch darin einkuschelt. Verbundenheit, Beziehungen, Freundschaft sind auch im Geiste lebendig, wenn wir weit voneinander entfernt sind. Und doch hilft oft auch etwas Materielles dabei, zu verarbeiten, was gerade passiert, indem es die Verbindung zum Körper herstellt. Ich finde, kaum etwas eignet sich dafür so gut wie ein selbst genähter Quilt.

Um den Zyklus von Leben und Tod ging es schon mal z.B. hier: https://www.bzw-weiterdenken.de/2010/05/mit-schwester-tod-in-beziehung-sein/

Autorin: Kathleen Oehlke
Redakteurin: Kathleen Oehlke
Eingestellt am: 12.02.2023
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Antonia Federer-Aepli sagt:

    in St. Gallen (CH), Textilmuseum, findet noch bis zum 10.4.2023 die 8. europäische Quilttrienale statt. Sehr sehenswehrt,
    Fünfzig Textil- und Quilt-Kunstwerke aus fünfzehn Nationen: Aus mehr als 150 Einsendungen wählte eine international besetzte Jury Werke aus, die eindrücklich belegen, dass Kreativität, künstlerische Inspiration und zeitkritische Aussagen nicht allein Malerei, Bildhauerei, Grafik und Fotokunst vorbehalten sind.

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