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“LIVING MEANS TO APPRECIATE YOUR MOTHER NUDE”

Von Jutta Pivecka

Rosemarie Trockel im MMK Frankfurt

Der bedeutendsten lebenden Künstlerin Deutschlands ist im Frankfurter MMK eine Werkschau gewidmet, die auf drei Stockwerken zeigt, warum dieser Superlativ auf Rosemarie Trockels Werk zutrifft. Das Werk der Künstlerin, die im vergangenen November 70 Jahre alt geworden ist, setzt sich mit den unterschiedlichen Strömungen und Produktionsweisen der modernen Kunst – Malerei, Fotografie, Video, Plastik –  nach 1945 auseinander und interpretiert, variiert und parodiert diese jeweils auf der Höhe ihrer Formensprache. Trockels Werk ist keine „Position“, von der man heutzutage gerne spricht, wenn von Kunst die Rede ist. Es ist vielmehr – auch – ein Kommentar auf dieses Verlangen nach Positionierung der Kunst; ein Kommentar, der darauf beharrt, dass Kunst nicht (politischen oder anderen) Aktivismen zu dienen und keine Antworten auf gesellschaftliche Fragen zu geben hat. Die Kunst einer Rosemarie Trockel hält daran fest, dass  Kunst auf höchstem Niveau das individuelle und gesellschaftliche Bewusstsein befragt und verstört, daran dass Dogmen und Normen, von wem immer sie zu welchen Zwecken aufgestellt wurden, durch die Kunst gebrochen, entblößt und verrückt werden. Und zwar immer so, dass Betrachterinnen einiges klar, aber nichts ge- und erklärt wird. Es ist kein Zufall, dass Rosemarie Trockel keine Interviews gibt und dass die Titel ihrer Werke (so sie welche haben) weniger erklären als kommentieren. Diese „Ästhetik des Widerstands“ sträubt sich dagegen, von irgendwem irgendwie in Propaganda verwandelt zu werden. 

Sabine, 1994

Deutlich wird dies auch und gerade an jenen Werken, die durch Materialwahl und/oder Sujet die patriarchale Verfasstheit der Kunstsphäre in Frage stellen, wie z.B. die elektrischen Herdplatten, die Trockel zu abstrakten Installationen verbindet, schwarze Kreise auf weißem Grund und an anderer Stelle (auf rostfarbenem Grund) auch Hitze abstrahlen lässt. Ästhetisch bestehen diese Werke neben denen männlicher Künstler des Minimalismus, aber zugleich karikieren sie durch den Rückgriff auf die Sphäre des Haushalts diese auch. Die Schwarz/Weiß-Fotografie „Sabine“ zeigt eine nackte Frau, die auf einem Dreiplattenherd hockt. Der Körper der Frau ist gespannt (der linke Fuß) und entspannt zugleich (die gefundene Balance, die leicht gehalten werden kann).

Was hat die Frau vor, die auf den Herd gehört?

Ohne Titel, 1988

Trockels berühmte frühe Strickbilder sind alle maschinell erstellt: Made in Western Germany, Wollsiegel. Auch sie beziehen sich auf die monochromen Arbeiten männlicher Künstlerzeitgenossen und erweitern die Wahrnehmung des Monochromen um die Textur der farbigen Wolle und des bei aller Gleichförmigkeit doch im Detail variantenreichen Strickmusters. Rosemarie Trockel führt damit eine als weiblich konnotierte Technik (Stricken mit Wolle) in die Kunst ein, löst aber zugleich die nostalgisch idyllische Sicht auf die „frauliche“ Tätigkeit auf, indem sie eben nicht strickt, sondern die Maschine stricken lässt. Damit unterläuft sie zugleich die Erwartungen an sich als Frau, aber auch an sich als Künstlerin, indem sie sich einer „Handschrift“ und einem „Strickstil“ verweigert.

Ihre Videos kombiniert Trockel öfter mit populären Songs der Rock- und Pop-Geschichte, z.B. von Janis Joplin. Jimi Hendrix Gitarrensolo „Third Stone from the Sun“ begleitet die abstrakt verfremdeten Aufnahmen riesiger Staren-Schwärme über „Napoli“ (dies ist auch der Titel der Werkes). Der psychedelische Sog des Films wird konterkariert durch die Drohung, dass die unverständigen Erdbewohner keine Surf-Musik mehr hören werden. In „Die Gleichgültige“ verwendet sie einen Ausschnitt aus dem Film „L´Hippocamp (Das Seepferdchen)“ von Jain Painlevés, der zeigt, wie ein weibliches Seepferdchen seine Eier in den Bauch des männlichen Seepferdchens legt, das dann die kleinen Seepferdchen gebiert. 

Living Means to Appreciate Your Mother Nude, 2001

In der Installation „Living Means To Appreciate your Mother Nude“ von 2001 liegt eine Frau auf dem Bauch auf dem Boden und betrachtet Dias. Die zweidimensionale Darstellung der Frau ist dreidimensional installiert. Der suggerierte Einblick in einen intimen Raum und Moment wird durch die formale Unzulänglichkeit der Zweidimensionalität konterkariert und zugleich gedoppelt, denn die Frau selbst betrachtet (augenlos, da ja zweidimensional nur ihr Hinterkopf abgebildet ist) intime Diafotografien. Der nackte weibliche Körper, der in der Titelgebung angesprochen wird, ist in der Kunstgeschichte als Ausdruck männlichen Begehrens omnipräsent. Die Anerkennung und Aneignung des weiblichen nackten Körpers durch die Frau und Tochter dagegen in Kunst und Kultur steht noch aus. Es scheint eine Haltung zu verlangen, die paradox ist: intim und abstrahierend zugleich. 

Das MMK in Frankfurt war eines der ersten Museen, die Rosemarie Trockels Werke ausstellten und ankauften. Die umfangreiche Ausstellung kann daher auch auf eigene Bestände zurückgreifen. In dieser Rezension kann nicht vollständig auf die Vielseitigkeit dieses Ausnahmewerks eingegangen werden. Es fehlen z.B. die Affenportraits, die Buchtitel-Gestaltungen, die Fotografie-Installation und…und..und..

Unbedingt sehenswert! Noch bis zum 18. Juni 2023!

https://www.mmk.art/de/whats-on/rosemarie-trockel-4

Autorin: Jutta Pivecka
Redakteurin: Jutta Pivečka
Eingestellt am: 18.02.2023
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