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Rubrik Blitzlicht

Präsenz und Freiheit

Von Dorothee Markert

Weil ich einen Mailwechsel zwischen Antje Schrupp und Traudel Sattler vom Mailänder Frauenbuchladen mitlesen durfte, erfuhr ich, dass Theresa Bücker einen Artikel geschrieben hatte mit dem Titel: “Willst du Präsenz oder Freiheit von mir?” Sie bezog sich dabei auf ein Zitat aus dem 1987 erschienenen Buch Wie weibliche Freiheit entsteht. Dort war behauptet worden, Frauen wüssten, dass die Männergesellschaft zwar ihre Präsenz brauche, aber nicht ihre Freiheit. 

Mich begeistert es immer, solche nebeneinandergestellten gedanklichen Begriffe an verschiedenen Kontexten und Situationen auszuprobieren. Zunächst schaute ich mir Beziehungen daraufhin an, ob hier ein Partner oder eine Partnerin einfach nur da sein soll (Präsenz), aber mit der eigenen Sichtweise, eigenen Prioritäten, Visionen und Entscheidungen (Freiheit) nicht willkommen ist. Ich dachte an Arbeitsplätze und Ehrenämter, wo Frauen zwar gebraucht werden, aber ja nicht auf die Idee kommen sollen, etwas entsprechend ihrer eigenen Urteile umzugestalten. Ich fragte mich auch selbst, an welchen Orten ich einfach nur dazugehören und mitmachen will, aber meine Vorstellungen und Verbesserungsvorschläge kaum einbringe, also noch nicht einmal versuche, von meiner Freiheit Gebrauch zu machen.

Dann las ich in meiner Tageszeitung einen langen Artikel über die von zwei Ministerinnen vorgestellten Leitlinien für feministische Außen- und Entwicklungspolitik, der mich kein bisschen inspirierte, und stellte fest, dass in dem Zeitungstext nur Formulierungen gewählt worden waren, die sich auf mehr Präsenz von Frauen bezogen – Gleichberechtigung, Gender Mainstreaming, Gleichstellung, Geschlechtergerechtigkeit, „die Hälfte der Macht für Frauen“, mehr Repräsentanz von Frauen, „Außenpolitik soll weiblicher werden“ –, während nicht erwähnt wurde, dass all das nur dann die dringend notwendige Veränderung bringt, wenn die Frauen in den angestrebten Positionen von ihrer Freiheit Gebrauch machen, bisher Ungedachtes und Unerhörtes in ihre Politik einzubringen, aus ihrer eigenen Perspektive, die bis jetzt an vielen Stellen fehlt. Auch wenn Annalena Baerbock betont, bei der feministischen Außenpolitik gehe es nicht um eine Politik von Frauen für Frauen, laden andere Formulierungen im Konzept der beiden Ministerinnen dazu ein, es genau auf diese Weise misszuverstehen. 

Autorin: Dorothee Markert
Redakteurin: Dorothee Markert
Eingestellt am: 13.03.2023
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Dr. Gisela Forster sagt:

    Es ist sehr schwer, Annal.Baerb. zu verstehen, und wenn sie ihre harte Kriegssprache bringt, ist es besser, Mann oder Frau hört gar nicht hin.
    Eine Frau in einem wichtigen politischen Amt sollte eine Frau bleiben und die Begabungen und Emotionen zeigen, die Frauen weit mehr haben, als Männer.
    Die gegenwärtige Politik ist mehr als enttäuschend, es ist, als hätte jemand irgendetwas falsch verstanden.

  • Gudrun Nositschka sagt:

    Ich verstehe gerade Frau Baerbock sehr gut, da sie bereit ist, Klartext zu sprechen. Eine Frau in diesem Amt sollte sich eben nicht scheuen, in der Öffentlichkeit Emotionen zu zeigen. Dafür achte ich sie sehr.

  • Kathleen Oehlke sagt:

    Liebe Dorothee, vielen Dank für diesen Denkanstoß, der mich sehr stark anspricht. Ich glaube, ich erkenne eine Parallele zur vielen Situationen wie Veranstaltungen, Festen, Projekten etc., bei denen sich ja auch oft die Frage stellt, ob ich „nur“ Gästin bin oder Mit-Veranstalterin. D.h. kann ich mitgestalten oder darf ich bitteschön einen Salat mitbringen und beim Aufräumen helfen, am besten, ohne dass die Erwartung konkret ausgesprochen wurde? Ich habe auch bei anderen schon öfter mitbekommen, dass es darüber zu Missverständnissen und Streitereien gekommen ist. Persönlich kläre ich das nun vorher ab, sofern es nicht eindeutig aus der Situation hervorgeht. Rollenklärung könnte man dazu auch sagen. Und dann entscheide ich, ob bzw. wie ich die mir zugedachte Rolle ausfüllen möchte oder ob ich „nachverhandle“, um eine andere Rolle zu bekommen. Im Großen und Ganzen habe ich damit gute Erfahrungen gemacht, allerdings nicht in jedem Fall Beliebtheitspunkte gesammelt. Das Attribut „hart“ wurde mir in so einem Zusammenhang auch schon zugeschrieben. Wo von Frauen keine Klarheit erwartet wird oder erwünscht ist, kommt es womöglich zu einer Verwechselung mit Härte. Natürlich kann auch beides nebeneinander vorliegen, aber ein genauer Blick lohnt sich meiner Meinung nach.
    (PS: Natürlich packe ich auch als Gästin mit an, wenn’s was zu tun gibt, aber dann, weil ich das so entscheide.)

  • Sandra Divina Laupper sagt:

    Danke Dorothee, für diesen knappen aber sehr aussagestarken Text! Ihn zu lesen, hat in einer jungen Freundin von mir ein einschneidendes Aha-Erlebnis ausgelöst, und sie hat mir gedankt, dass ich ihn ihr geschickt habe!
    Liebe Grüße,
    Sandra Divina

  • Jochen sagt:

    Liebe Dorothee,
    anlässlich unseres kleinen Lu-Treffs am vorletzten Wochenende kamst Du mit Cousine Dorothee zur Sprache, für mich Anlass über meine Geschichte mir dir nachzudenken und dir jetzt zu Deinen Gedanken hier ein Buch zu nennen, das ich mit einiger Mühe, immer wieder Einschlafen und aber auch Fasziniertsein über diese Frau und ihre Geschichte zwischen Anpassung und persönlicher Freiheit, die sie radikal vertritt, in vielen kleinen Etappen gelesen habe: Goliarda Sapienzia, “Die Kunst der Freude”. Auch spannend, der historische Hintergrund Italiens. Ich vermute natürlich, dass Du es schon lange kennst, ich bin über ein Kalenderblatt (Aufbau Vlg.) darauf aufmerksam geworden.
    Herzliche Güße Jochen

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