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“Weimar weiblich” – Die Liebe der Frauen zum Kino

Von Jutta Pivecka

Eine Ausstellung im dff in Frankfurt am Main ist den filmschaffenden und -rezipierenden Frauen der Weimarer Republik gewidmet

Frankfurterinnen (aus der Stadt am Main) wissen vielleicht mehr um die Bedeutung der Frauen für das junge Medium des Films in der Weimarer Republik als andere, weil sie am Standort der von Karola Gramann, Heide Schlüpmann u.a. gegründeten Kinothek Asta Nielsen schon öfter Gelegenheit hatten, das vielfältige filmische Schaffen von Frauen aus der Frühzeit des Kinos zu bewundern. 

Im dff (Deutsches Filmmuseum und Filminstitut) in Frankfurt am Main ist am 28. März die Ausstellung „Weimar weiblich“ eröffnet worden, die „Frauen und Geschlechtervielfalt im Kino der Moderne (1918-1933)” gewidmet ist. Kuratorin Daria Berten hat in dieser Ausstellung in Zusammenarbeit mit Kolleg_innen der Deutschen Kinemathek in Berlin Materialien zusammengetragen, um nicht nur die Arbeit der filmschaffenden Frauen jener Jahre (wieder) sichtbar zu machen, sondern auch die Wechselwirkung zwischen filmischen Werken und weiblichem Publikum aufzuzeigen. 

Dass – scheinbar? – in jeder Generation das künstlerische Wirken von Frauen aus der Vergangenheit wieder „neu entdeckt“ werden muss, klang in einigen der Eröffnungsreden an. An die Pionierarbeit, die Gramann, Schlüpmann u.a. schon seit den 80er Jahren geleistet haben, um die Bedeutung der Frauen für und im Kino herauszuarbeiten, knüpfte leider keine der Vortragenden an. Es scheint, als verliere sich das einmal sichtbar gewordene Weibliche der Kunstproduktion immer wieder im Nebel einer männlich konnotierten künstlerischen Autorschaft, für deren Dominanz in der Filmwissenschaft nicht zuletzt die Nouvelle Vague und ihre Privilegierung des sogenannten „Autorenfilms“, den der (männliche) Regisseur als alleiniger Schöpfer dominiert, gesorgt haben. 

Dabei hatte Heide Schlüpmann in ihrer bahnbrechenden Ästhetik des Kinos (1) schon 1998 aufgezeigt, wie das Kino zu jenem Ort wurde, in dem die Wahrnehmung der äußeren Realität mitgeteilt werden konnte, als eine Beziehung zwischen der Darstellung des Weiblichen auf der Leinwand und den weiblichen Zuschauerinnen im Publikum. Schlüpmann forderte die Anerkennung des Kinos als jener Kunstform, in der die Aufklärung gerettet werden könne: „Diese Anerkennung bedeutet mehr, als auch Cineast zu werden. Sie impliziert nämlich die Anerkennung der Bedeutung der Massen, deren Kultur das Kino ist, für den Aufklärungsprozeß. Dies zu explizieren, dafür wird der feministische Standpunkt entscheidend. Die Liebe der Frauen zum Kino ist anders als die des traditionellen Cineasten…Die feministische Selbstaufklärung im Kino besteht zunächst in der Emanzipation von der Reproduktion des männlichen Imaginären und einer Selbstbewußtwerdung einer eigenen Form der Wahrnehmung. Als Folge davon bricht sie mit der Vorstellung einer Einheit der Wahrnehmung.“ Am Ende hält Schlüpmann fest, wie die Vernachlässigung des Frauenpublikums seit den 60er Jahren dieses selbstaufklärerische Kino hat zerfallen lassen. Jenes Kinos also, das die Verheißung der frühen Jahre war; eines Kinos, in dem Liebe kultiviert werden konnte, indem die Frauen mit ihrer Geschichte und als geschichtliche Personen sichtbar wurden: „Das kleine Ladenkino um die Ecke, ist ihnen ein Ort im städtischen Raum, an dem sie in zweifacher Weise sichtbar werden: als Teil des Publikums und als Erscheinung auf der Leinwand.

Die Frankfurter Ausstellung greift diese Gedanken auf, indem sie schon im Eingangsbereich vor der Ausstellung Fotographien von Frauen aus der Weimarer Republik zeigt, die von Frankfurterinnen und Frankfurtern aus ihren Familienarchiven zur Verfügung gestellt wurden. Sichtbar wird die Vielfalt der Frauen, ihrer Arbeiten und Arbeitsweisen, ihres Selbstbewusstseins und ihres Selbstdarstellungswillen. In der Ausstellung werden Bilder gezeigt, die Frauen von sich in Fotoautomaten, wie sie auf den Straßen vor und neben Kinos standen, machten, Bilder, auf denen sie kichern, Grimassen schneiden und Kinoposen einnehmen. Die Frauen stellen ein Bild von sich her, das das weibliche Bild im Kino prägt und umgekehrt entwirft das Kino ihnen ein Bild von sich, das sie imitieren können. 

Die Vielfalt und Menge dieser Bilder lässt die Betrachterin schmerzhaft erkennen, was alles nach 1933 verloren ging, wie die Frauen zurückgesetzt und in ihrer Selbsterfahrung und Selbstdarstellung körperlich eingeschränkt wurden: die Bubikopf-Frisuren, die luftigen Chiffon-Kleider, die weiten Hosen, die sportlichen Haltungen. Die Durchsetzung des Faschismus lief und läuft über den Zugriff auf die weiblichen Körper, über die Enteignung der Frauen von ihren Körpern und ihrer Selbstrepräsentation. (Immer noch und überall. Wo sich der Faschismus regt, kann man ihn daran erkennen, dass er die Bewegungsfreiheit der Frauen einschränken und ihre sexuelle Selbstbestimmung verhindern will, egal ob er säkular oder religiös daher kommt.)

Ein anderer Teil der Ausstellung widmet sich den Biographien von Frauen aus vielen Gewerken des Filmschaffens. Erinnert wird z.B. an die faszinierenden Arbeiten von Lotte Reiniger, die bezaubernde Scherenschnitt-Filme schuf oder an Henni Portens Schwester Rosa, die Drehbücher schrieb oder an die Regisseurin Leontine Sagan, die mit „Mädchen in Uniform“ von 1931 den ersten Film in deutscher Sprache drehte, der lesbische Liebe thematisierte oder an die Komponistin Lena Stein-Schneider. Wenn eine sich die Zeit nimmt, diese Biographien im Einzelnen nachzuvollziehen, bleibt ein Erschrecken zurück. Denn die Karrieren der meisten dieser Frauen endeten Anfang der 30er Jahre abrupt. Jüdische Frauen wurden ermordet, einige politisch Engagierte interniert, viele verließen Deutschland, manche zogen sich in die innere Emigration zurück. Kaum eine konnte nach 1945 an ihr Leben und ihre Arbeit in der Weimarer Republik anknüpfen. 

Das Kino der 50er Jahre in Deutschland hatte kein Interesse an der Geschichte dieser Frauen, an ihrem Können, an ihren Erfahrungen, an ihrer Liebe zum Kino. Es hatte kein Interesse an den Frauen als Produzentinnen ihrer eigenen Wahrnehmungswelt. Und das Kino seit den 60ern, als „Papas Kino“ für tot erklärt wurde, knüpfte ebenfalls nicht daran an. Denn dieses Kino verachtete die Massen – und mit ihnen die Frauen – als Publikum. Es richtete sich an ein (männliches) Cineasten-Kennertum. 

Die Ausstellung hebt nicht nur das Schaffen dieser Frauen und ihrer Beziehung zu einem weiblichen Publikum, das sich im Kino selbst aufklärte, wieder ins Bewusstsein, sondern zeigt auch in den kommenden Monaten ein umfangreiches Begleitprogramm im Kino. Es lohnt sich zweifellos, diese, z.T. erst jetzt restaurierten und digitalisierten Filme, anzuschauen, die kaum eine schon gesehen hat. Die gemeinschaftliche Erfahrung des Filmschauens im Kino, wie es die Weimarer Jahre prägte und das Selbstverständnis und die Selbstverständigung der filmschaffenden und -schauenden Frauen ermöglichte, kann das Streamen vor dem heimischen Fernseher nicht ersetzen. 

“Weimar weiblich – Frauen und Geschlechtervielfalt im Kino der Moderne 1918-1933”, 29. März – 12. November 2023

(1): Heide Schlüpmann: Abendröthe der Subjektphilosophie. Eine Ästhetik des Kinos, Stroemfeld 1998

ebenfalls sehr lesenswert –

Heide Schlüpmann: Öffentliche Intimität. Die Theorie im Kino, Stoemfeld 2002

Autorin: Jutta Pivecka
Redakteurin: Jutta Pivečka
Eingestellt am: 31.03.2023
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Ulrich Wilke sagt:

    Ich bitte um Nachsicht: Aber mir ist das zu zweideutig:
    Immer, wenn ich “Frankfurt” höre, weiß ich nicht welches, denn
    “Weil Frankfurt so groß ist, teilt man es ein:
    in Frankfurt an der Oder und…”.

  • Jutta Pivecka sagt:

    Entschuldigung! Tatsächlich lebe ich so lange in und um Frankfurt am Main, dass ich immer nur an “mein Frankfurt” denke. Was natürlich falsch ist. Ich habe es im Text ergänzt.
    PS. Die Aktualisierung ist momentan bei mir noch nicht zu sehen. Ich weiß nicht genau, woran es liegt, gehe aber jetzt für mehrere Tage auf Reisen. Ich hoffe, die Veränderungen werden demnächst zu sehen sein. Sorry.

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