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Kunst “mit Objektiv und Gummiball”* – eine Ausstellung zu Frieda Riess und Yva in den Opelvillen

Von Jutta Pivecka

Yva, Werbefoto für Mousson-Creme

Die Opelvillen in Rüsselsheim zeigen Werke zweier künstlerisch und kommerziell überaus erfolgreicher Fotografinnen der Weimarer Republik: Frieda Riess (geb. 1890), „die Riess“, wie sie ehrfurchtsvoll genannt wurde, und Yva (geb. 1900), bürgerlich Else Ernestine Neuländer-Simon. Riess´ Fotografien widmete Alfred Flechtheim, der bedeutende Berliner Galerist und Förderer der modernen Kunst, 1925 eine erste fotografische Einzelausstellung. Beide unterhielten große Ateliers in Berlin (die Riess am Kurfürstendamm, Yva in der Schlüterstraße im selben Haus wie das legendäre Hotel Bogota). Zu Yvas Lehrlingen gehörte u.a. Helmut Newton, der in seiner Autobiographie ausführlich auf diese Lehrjahre eingeht. Die Herrschaft der Nationalsozialisten beendete die Karrieren der beiden jüdischen Frauen abrupt. Riess ging nach Paris, wo sie in den 50er Jahren völlig verarmt und vereinsamt starb. Nicht einmal ihr genaues Todesdatum ist überliefert. Yva wurde 1942 deportiert und im Vernichtungslager Sobibór ermordet. 

In der Weimarer Republik gelang es diesen beiden Frauen, sich mit einem Medium, dessen Ausdruckskraft als eigenständige Kunstform gerade erst Anerkennung gewann, mit der Fotografie, als Künstlerinnen und Unternehmerinnen zu etablieren. In ihren Arbeiten wirkten sie auch an einem neuen Entwurf von Weiblichkeit mit, durch den das (fotografische) Abbild „der Frau“ nicht (männliche) Mythen um „Heilige“ oder „Hure“ bediente, sondern Frauen als sich selbst inszenierende Subjekte sichtbar machte: sportliche, aktive, forsche, oft androgyn wirkende Frauen. An diese Sicht- und Darstellungsweisen wurde nach 1945 nicht angeknüpft. In den 50er Jahren dominierte wieder der „male gaze“ die Fotografie und männliche Fotografen den Markt. 

„Die Riess“ war bekannt für ihre herausragenden Porträts von damals bekannten Film-, Theater- und Revue-Stars. Riess´ technische Brillanz wird durch die für die Ausstellung entwickelten plakatgroßen Modern Prints besonders deutlich. Negative sind kaum erhalten, die Ausstellung musste sich größtenteils auf die in Verlagsarchiven befindlichen Abzüge stützen. Die meisten der Fotografien erschienen ursprünglich in kleinerem Format in Zeitschriften und Zeitungen bzw. wurden für das Portofolio der Künstlerinnen und Künstler genutzt. 

Riess bedient sich ikonographischer Vorlagen aus kunsthistorischen Porträtformaten. Sorgfältig inszeniert werden die Modelle in expressionistischen Settings platziert, die gekonnt mit der Wirkung von Hell und Dunkel spielen. Ein Selbstporträt zeigt die Fotografin mit einem Papagei auf der Schulter, an den sie sich beinahe liebevoll anschmiegt. Der Papagei steht für Prosperität und Potenz, die sich die Fotografin hier selbstbewusst aneignet und zuspricht. (Link zum Bild: https://www.moma.org/interactives/objectphoto/artists/24555.html)

Ihr Porträt der Revuesängerin Margo Lion machte diese berühmt: der extrem gedrehte, schlanke Körper, der im dunklen, eng anliegenden Kleid vor dem hellen Hintergrund eine scharfe Kurve bildet, die ausgestreckten Arme und verschränkten Hände in den dunklen Handschuhen, das kontrastreiche Make-up und der leicht geöffnete Mund verbinden sich zu einer Pose, die die Bewegung und Bewegtheit der Auftritte Lions repräsentiert. (Anzuschauen im digiguide zur Ausstellung: https://digiguide.opelvillen.de/de/guide/frieda-riess-und-yva/)

Die Macherinnen der Ausstellung haben sich viel Mühe gegeben, die Biographien der Dargestellten zu rekonstruieren. Denn jedes Porträt ist ein Zusammenwirken zwischen dem Selbstdarstellungswillen der Porträtierten und der Repräsentationsanstrengung der Porträtierenden. Riess gelingt es in ihren Porträts beides miteinander zu verbinden: die Persönlichkeit der dargestellten Person einzufangen und zugleich das über die individuelle Person hinaus Wirkende, für die Zeit, die Profession und die Haltung Repräsentative zur Erscheinung zu bringen. Es ist traurig, dass es nicht in allen Fällen möglich war, die Identität bzw. die Lebensgeschichte der Dargestellten zu ermitteln, doch es tut der Wirkmächtigkeit dieser Porträts keinen Abbruch, wenn dieser Hintergrund fehlt. Auch daran erweist sich ihr künstlerischer Wert. 

Yva hat in ihrem Werk andere Schwerpunkte gesetzt. Auch von ihr gibt es faszinierende Porträts der Protagonistinnen der damaligen Glamour-Welt Berlins. Dabei orientieren sich ihre Bildfindungen jedoch weniger an der Malerei als am neuen Medium des Films. Während Riess ganz „malerisch“ die rechteckige Bildfläche zu einer konzentrierten Repräsentation nutzt, wird in Yvas Fotografien über die Fläche hinaus erzählerisch auf ein Geschehen, auf Handlung verwiesen. Auch der Einsatz von Detail-Aufnahmen in der Werbefotografie (beringte Hände, Armreife am Unterarm) zeigt Anklänge an filmische Motivfindungen. Das Erzählerische der Fotografien Yvas wird am deutlichsten umgesetzt in Bildergeschichten, die sie erfand und die – u.a. versehen mit Texten Erich Kästners – in Zeitschriften erschienen. Durch Mehrfachbelichtung wird vielfach die Illusion von Bewegung erzeugt, u.a. in Aufnahmen von Tänzerinnen. Mit Überblendung arbeitet Yva in diesem „futuristischen“ Selbstporträt: 

Yva, Selbstporträt 1926

Beate Kemfert, Vorstand der Stiftung der Opelvillen, und ihr Team haben sich entschieden, Frieda Riess´ und Yvas Fotografien in der thematisch aufgebauten Ausstellung in jedem Raum miteinander zu konfrontieren. Von dieser Entscheidung profitiert die Betrachterin enorm. Denn auf diese Weise wird zugleich die zeitliche und künstlerische Nähe der beiden Fotografinnen anschaulich, aber das Auge auch geschult, die Differenzen in der Herangehensweise und Motivauswahl zu erkennen. 

Diese Schau zum fotografischen Werk der beiden bedeutenden Fotografinnen ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Tradierung der Arbeiten weiblicher Künstlerinnen, sondern verweist auf einer Meta-Ebene auch auf die Ungleichzeitigkeit der sozialen und emanzipatorischen Kämpfe, wie sie sich auch in unserer Gegenwart wiederfindet. Denn Riess und Yva stehen für ein neues weibliches Selbstverständnis, für finanzielle Unabhängigkeit und neue Bilder „der Frau“, aber sie repräsentieren zugleich nur eine sehr kleine, vergleichsweise wohlhabende Schicht in den Metropolen der Republik, während – wie ein Filmzusammenschnitt über die Weimarer Zeit in der Ausstellung zeigt – „Deutschlands Kinder hungern“. 

Nicht verpassen! Noch bis zum 4. Juni 2023.

Opelvillen Rüsselsheim: Frieda Riess und Yva. Fotografien 1919 – 1937

*“Ich habe die Riess um eine Ausstellung ihrer Photographien gebeten, weil sie mit Objektiv und Gummiball Kunst macht.” (Alfred Flechtheim 1925, zitiert nach dem digiguide zur Ausstellung. Auf diesen sei hier nochmals verwiesen. Wer es gar nicht schafft, sich die Ausstellung unmittelbar in Rüsselsheim anzusehen, kann sich mit Hilfe des Guides einen Eindruck verschaffen: https://digiguide.opelvillen.de/de/guide/frieda-riess-und-yva)

  • Die Fotografie einer Wand der Ausstellung, an der ein Porträt Asta Nielsens von Frieda Riess mit einer Rückenansicht derselben von Yva zusammen zu sehen ist, wurde aus lizenzrechtlichen Gründen aus dem Text entfernt.

Autorin: Jutta Pivecka
Redakteurin: Jutta Pivečka
Eingestellt am: 22.04.2023
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Ulrich Wilke sagt:

    Dass Jutta Pivecka (und ihre Quellautorinnen ) die vertriebenen Künstlerinnen wieder bekannt macht, ist sehr verdienstvoll (“Manches Herrliche der Welt ist durch Krieg und Streit zerronnen. Wer beschützet und erhält, hat das schönste Los gewonnen.”). Dass die Bildunterschriften vertauscht wurden, ist vermeidbar.

  • Jutta Pivecka sagt:

    Andere Quellen als die Ausstellungstexte und den digiguide habe ich nicht verwendet, sonst hätte ich sie — selbstverständlich — genannt. Allerdings hatte ich das Glück, an einer Führung durch Frau Dr. Kemfert teilzunehmen.

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