beziehungsweise – weiterdenken

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Rubrik Blitzlicht

Besuche im Leben der Anderen

Von Maria Coors

Ich treffe mich mit einer Freundin am Abend auf ein Glas Wein und ein Lebensupdate. Wir wohnen in derselben Stadt, sind ungefähr gleich alt. Vergleichbarer familiärer und beruflicher Hintergrund, ähnliche Interessen. Viel zu erzählen.

Aber unser Thema seit einiger Zeit ist unsere Differenz. Sie überlegt, ob sie ein Kind bekommen möchte und wenn ja in welcher Elternkonstellation. Ich lebe mit meinen zwei Kindern und deren Vater. Weil es ihre Lebensfrage ist, stellt sie mir viele Fragen. Z.B. wie ich das mit dem Geld mache, wieviel Freizeit mir bleibt und wie ich diese verbringe. Die Antworten überraschen sie nicht wirklich, aber wir schälen die Differenz so deutlich heraus, dass wir irgendwann beide lachen müssen. Auch mit mir macht das was. In dem Gespräch schaue ich auf ein Leben, das nicht weit von meinem entfernt ist, ja meins sein könnte. Gleichzeitig ist es unendlich und, ja, auch unerreichbar weit weg. Das Leben einer Anderen.

Besuche im Leben von anderen, eine irgendwie basale Erfahrung. Aber es ist die Grundlage von menschlicher Beziehung überhaupt, von Bezugnahme aufeinander, von Gesellschaft und Politik. Es ist so absurd, irrwitzig und unmöglich, dass das überhaupt manchmal funktioniert. Ich muss schon wieder lachen.

Autorin: Maria Coors
Eingestellt am: 25.05.2023
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Ein schöner Text, der zum Nachdenken / Nachfühlen anregt. Ja, intensive menschliche Begegnungen mit nicht bewertendem Vergleich mit dem “Leben der
    Anderen” sind unglaublich wichtig und immer auch inspirierend. So viel mehr als bloß “virtuelle” Kontakte!

  • Kathleen Oehlke sagt:

    Ach liebe Maria, ich bin ja auch so eine, die in vielen Bereichen ein ganz anderes Leben lebt als du. Um so mehr freue ich mich, dass wir zueinandergefunden haben und dass ich an deinem Leben teilhaben darf.

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