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Mary Daly und ihr Traum in GRÜN

Von Gudrun Nositschka

Eine FEMMAGE

Mary DalyAm 3. Januar 2010 starb im Alter von 81 Jahren Mary Daly, eine radikal – feministische Denkerin und Autorin. Ihr Traum in GRÜN begegnet uns in ihrem erkenntnisstarken Werk und bietet uns die Chance, selbst vom Baum der Erkenntnis zu essen und so eine Reise in die Andere Welt zu beginnen, auf deren Weg wir Ignoranz und Unwissenheit einer phallokratischen/patriarchalen Denkweise verlieren und hinter uns lassen können. Indem wir diesen Weg beschreiten werden wir “an der Göttin in uns teilhaben, das heißt, am Sei-en, am Wissen”.

Die Überlebens-Notwendigkeit für Frauen, sich auf diese nicht ungefährliche Reise in einem Fortschreiten in physischem und intellektuellem Mut zu begeben, war bei Mary Daly selber ein langer Entwicklungsprozess.  Ausgestattet mit einer glücklichen Kindheit bei irisch-amerikanischen Eltern im Staat New York, der Möglichkeit lernen zu dürfen, wenn auch nicht Physik und Philosophie, erweiterte sie systematisch ihr Wissen aus dem Angebotenen. Ihr Studium der kath. Theologie in Fribourg/Schweiz schloss sie mit 35 Jahren mit einer Dissertation ab, der zwei Jahre später eine Dissertation in Philosophie folgte. Erst jetzt war sie so weit, die Lügen der Phallowissenschaft aufzudröseln und die patriarchalen Scheuklappen und Geistbandagen, die sie die Jahre zuvor zwar ahnte, aber nicht benennen konnte, abzulegen. Zwei Erkenntnisformen zeichneten von nun an Mary Daly aus: Leidenschaft in der Intuition verknüpft mit logischen Folgerungen.

Doch es bedurfte des Aufbegehrens anderer christlicher Frauen in Amerika, das sie ermutigte, ihren ersten feministischen Artikel zu schreiben, der Öffner wurde für ihr erstes Buch “The Church an the Second Sex” (Kirche, Frau und Sexus,1970). Bei aller Kritik meinte Mary Daly noch, dass die christliche Frauenfeindlichkeit heilbar wäre und kämpfte für eine religiöse Dimension der Frauen in der Kirche. Bereits in ihrem zweiten Buch “Jenseits von Gottvater, Sohn & Co.”, 1972, deutsch 1980, hatte sie nicht mehr die Hoffnung, dass das Christentum zu reformieren und für Frauen tragbar wäre, ein Affront für ihren Arbeitgeber, das Jesuiten College in Boston. Der Lebensfeindlichkeit des Patriarchats setzte Mary Daly von nun an die weibliche Spiritualität entgegen, empfindet sich selber als piratische Plünderin und Schmugglerin sogar Alchemistin, wenn sie theologische und philoso-phische Schriften sezierte. Diese erweiterten Erkenntnisse veröffentlichte sie in “Gyn/Ökologie. Eine Meta-Ethik des radikalen Feminismus”, 1978, auf Deutsch 1980, erweitert 1991. Dazu sagte Mary Daly: “Mein Schwerpunkt liegt nicht auf der Verschmutzung der Umwelt allein wie beim Ökofeminis-mus, sondern in erster Linie befasse ich mich mit der Verschmutzung von Seele/Geist/Körper durch patriarchale Mythen und Sprachen auf allen Ebenen … Phallische Mythen und phallische Sprache schaffen, rechtfertigen und verschleiern die reale Umweltverschmutzung, durch die alles empfindende Leben auf dieser Erde mit Vernichtung bedroht ist”. Gyn/Ökologie handelt von uns Frauen, wie wir leben, lieben, unser Selbst schaffen, unseren “Kosmos”.

Es geht auf keinen Fall um die Reform des Patriarchats. Radikaler Feminismus ist ein Weg des Werdens von Frauen, das aus drei Quellen gespeist wird: – Wissen aus der Vergangenheit; – Erfahrungen der Gegenwart; – Hoffnung/Visionen für die Zukunft. Diese Quellen sind untrennbar!

Auf dieser Reise verlassen wir den “patriarchalen Zustand des Todesschlafs, erfahren einen Kontext an Schwesterlichkeit, der mithilft, Realitäten zu erkennen, frei zu werden. Wir erleben ein Gefühl der Wirklichkeit, die die Irrealität einer Welt verbannt, in der sich alles nur um den Mann dreht”. Bei diesem Durchgang zur “Anderswelt” spüren wir wieder Grund unter unseren Füßen, entwickeln Vorstellungen von Frauenfreiheit und bringen sie zur Welt.

Frauen lernen, den verinnerlichten Vatergott in seinen Legionen von Erscheinungsformen sichtbar zu machen und eigenständig auszutreiben – eine extremistische Tat und politische Bewusstseinser-weiterung, die uns unsere Vergangenheit und gleichzeitig unsere Zukunft gibt. Bei dem Begriff Gott sieht Mary Daly keinerlei Möglichkeit mehr, das Wort von männlich/maskulinen Vorstellungen zu befreien. Gott steht nun für die Nekrophilie des Patriarchats. Göttin ist kein feministischer Ersatz-begriff für Gott, weil sie bereits vor ihm da war, sondern das Synonym für das Lebendige-liebende-Sei-en von Frauen und Natur. Den Begriff Lesbe definiert Mary Daly für die Beschreibung von Frauen, die frauen-identifiziert sind, die falsche Loyalitäten zu Männern auf allen Ebenen abgelegt haben. Falsche Loyalitäten bedeutet, sich nicht mehr mit männlichen Mythen, Ideologien, Stilen, Praktiken, Institutionen und Berufen verbunden zu fühlen. Mary Daly hat ein anti-androkratisches Buch geschrieben, nicht männerfeindliches. Das wäre ein phantasieloses und irreführendes Klischee. Es geht vielmehr darum, die Irrgärten des Patriarchats hinter sich zu lassen,  “das Labyrinth unserer eigenen Entfaltung /unseres Werdens ent-decken” sowie “das Feuer der Frauen-Freundschaft entzünden” und den “Mut zur Selbst-Annahme stärken”.

So gestärkt werden wir in uns und um uns herum die ungeheuerlich politische Tat wachsen sehen, nämlich uns wieder mit uns selbst, mit der Natur, ihren Tieren und Pflanzen sowie mit dem Kosmos zu verbinden, indem wir selber das Kosmische Gewebe spinnen. Mary Dalys Traum in Grün.

Alle Zitate aus: Gyn/Ökologie -Eine METAETHIK des radikalen Feminismus – 5. Auflage München 1991, und aus Auswärts Reisen – Die Strahlkräftige Fahrt, 1994  (beide erhältlich Verlag FrauenOffensive, München)

Weitere Werke von Mary Daly in deutscher Sprache: (alle deutschen Übersetzungen von Erika Wisselinck)

  • Kirche, Frauen und Sexus, Olten 1970
  • Jenseits von Gottvater, Sohn & Co., München 1980
  • Reine Lust, München 1986
  • Nur in englischer Sprache: “Quintessence”, 2000
  • AMAZON  GRACE – Re-calling the courage to sin big, 2006

Autorin: Gudrun Nositschka
Redakteurin: Christel Göttert
Eingestellt am: 26.01.2010

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Esther Gisler Fischer sagt:

    Danke liebe Gudrun Nositschka für diesen Ihren Bericht, den ich erst jetzt zu lesen vermochte. Ich habe an derselben Alma Mater wie Mary Daly studiert und dort sowohl Befreiendes wie Einengendes erlebt.

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