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Rubrik erinnern

Eine vergessene Dichterin

Von Christiana Puschak

Zum 125. Geburtstag der Lyrikerin Margarete Kollisch

Die Lektüre eines Gedichtes sollte ein Dialog zwischen  Dichter und Leser sein“ (Margarete Kollisch)

Letzthin schrieb ich für das Kleine Lexikon des ‚Wir Frauen Kalenders 2019‘ zum Thema ‚Großmütter, Mütter und Töchter‘ einen Beitrag über die Literaturwissenschaftlerin Eva Kollisch und ihre Mutter, die Dichterin Margarete Kollisch. Anlass genug, mich aufs Neue mit beiden zu befassen, hatte ich doch im Rahmen einer Wiener Tagung Eva Kollisch 2009 persönlich kennengelernt, mit ihr über ihre Mutter und ihr poetisches Werk gesprochen und einen Beitrag zum Lexikon ‚Biografien bedeutender österreichischer Wissenschafterinnen‘ beigesteuert. Nach wie vor ist Margarete Kollisch nur Eingeweihten bekannt, obwohl sie von manchen Kennern der Lyrikszene als „eine der besten deutschsprachigen Dichterinnen in Amerika – wenn nicht die beste“ bezeichnet wird.

Quelle: Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser: Lexikon der österreichischen Exilliteratur. Wien: Deuticke 2000. Archiv der Theodor Kramer Gesellschaft

Geboren wurde Margarete Kollisch am 9. Dezember 1893 in Wien als Tochter des Rechtsanwalts Ignaz Moller (1859–1937) und seiner Frau Hermine (1870–1928), geb. Bunzl-Federn. Sie wuchs in einer Familie auf, in der Literatur, Kunst und Musik große Bedeutung hatten. Regelmäßig verbrachte sie ihre Sommerferien in der Bergwelt der Alpen, aus der sich ihre Naturverbundenheit erklärt. Da sie sich zur Kunst hingezogen fühlte, besuchte sie oft Museen und Konzerte:
Musikvereint im Großen Saal / sie standen manches liebe Mal / drei lange Stunden, dicht gedrängt, / von ihresgleichen eingeengt / hinten im Stehparterre.
Während der Jahre ihrer Kindheit und Jugend fühlte sie sich in ihrer Familie wohl behütet: „Ich wandle durch die Gärten meiner Kindheit / Wo ich geborgen ging an Mutters Hand“. Früh, „angefangen von meinem 10. Lebensjahr“, schrieb Margarete Kollisch Gedichte, die sie immer vor sich hinsang. Später gab ihr ihre Musikalität den Impuls, Opernlibretti zu verfassen, für die sie aber „nie einen Komponisten finden konnte”. Hingegen wurden einige ihrer Gedichte vertont. Überhaupt war ihr die Musik wichtig, so verkehrte sie in jungen Jahren in Kreisen der Avantgarde um Arnold Schönberg.

An der berühmten Schwarzwaldschule, der ersten Oberschule für Mädchen in Wien, gegründet von der österreichischen Sozialreformerin und Pädagogin Eugenie Schwarzwald, legte Magarete ihre Matura ab. Musische Fächer und künstlerische Interessen wurden dort besonders gefördert, aber auch Kenntnisse der Sozialwissenschaft vermittelt. Unter den Absolventinnen dieser Schule waren zahlreiche Frauen, die später hohen Bekanntheitsgrad erlangten: die Schriftstellerinnen Hilde Spiel, Alice Herdan-Zuckmayer und Vicki Baum, die Schauspielerin Helene Weigel, die Malerin Edith Kramer oder die Kinderpsychoanalytikerin Anna Freud. Eugenie Schwarzwald, die sich stets für die Bildung von Frauen energisch einsetzte, gehörte zu Margarete Kollischs wichtigsten Vor- und Leitbildern.

Nach der Matura studierte Margarete Germanistik, Anglistik und im Nebenfach Romanistik an der Wiener Universität und schloss ihr Studium 1917 mit einer Lehramtsprüfung ab. Nach dem ersten Weltkrieg war sie Sekretärin und Übersetzerin bei der französischen Gesandtschaft in Wien und arbeitete als Lehrerin am Lyzeum. Außerdem gab sie Privatunterricht, war Journalistin und publizierte ihre ersten Gedichte in Anthologien. Dichterische Vorbilder waren ihr Rainer Maria Rilke, Eduard Mörike, Karl Kraus und „immer wieder Goethe“. Auch nach ihrer Eheschließung 1923 mit dem Architekten Otto Kollisch blieb sie berufstätig, was in ihren Kreisen eher ungewöhnlich war. Sie bekam zwei Söhne, Stefan und Peter, und eine Tochter, die 1925 geborene Eva. Nach dem sogenannten ‚Anschluss‘ 1938 wurde die Familie wegen ihres jüdischen Glaubens verfolgt. Die Kinder, vor allem Eva – die sich später zeitlebens dem Thema ‚Außenseitertum‘ widmen sollte – litten schon lange unter den Anfeindungen in der Schule von Seiten ihrer MitschülerInnen. Die Eltern schickten die Kinder im selben Jahr mit einem Kindertransport nach England und flüchteten selbst nach Amerika, wohin Stefan, Peter und Eva später nachfolgten.

Der Empfang war freundlich, aber lau“, so ein Vers eines Gedichts von Margarete Kollisch. Von den ersten Eindrücken in New York war sie überwältigt wie auch viele andere, die dem Schrecken entkommen waren. So schrieb z.B. die mit ihr befreundete Dichterin Gertrude Urzidil: “Ungeheure Lichterfülle, Wolkenkratzer […]  Menschenmassen, enormer Autoverkehr“.

Margarete Kollisch fand eine Arbeitsstelle als Sekretärin bei einem Antiquar, gab Französisch- und Deutschunterricht, ließ sich zur Heilmasseurin ausbilden und lernte Englisch für den Alltag. Der Beruf der Masseurin wurde ihr zum Brotberuf – sie übte ihn 25 Jahre lang aus. Ihr Mann arbeitete als Bürstenvertreter und das Ehepaar führte nun ein ganz anderes Leben als sie es von Wien her kannten, „auf die unterste Stufe der sozialen Leiter hinab gerutscht“. Neben ihrer Arbeit als Masseurin schrieb Margarete Zeitungsartikel, Erzählungen, Märchen und Gedichte und hielt Lesungen in deutscher Sprache. Im Lauf der Zeit gelang es ihr, sich mit dem Leben in der Fremde und ihrem Alltag zu arrangieren, wobei ihr das Schreiben eine große Hilfe wurde. Zahlreiche Gedichte entstanden, die das Thema Verlust der Heimat widerspiegeln: „Getürmte Dächer in des Himmels Bläue, / Unrast und Lärm im Werden und Vergehen […] / Nur wo in Gärten kleine Häuser stehen / weckt uns ein Vogelruf in alter Treue.

In ihrer Lyrik legte sich Margarete Kollisch auf keine Form fest. Sie schrieb in freien Rhythmen, gereimt oder ungereimt. Es „kommt ganz von selbst“, bekannte sie in einem Interview. Ihre wichtigsten Themen waren die „Liebe in jeglicher Gestalt“ – zum Menschen, zu Gott, zur Mutter und zur Natur. Auch Satiren schrieb sie gern und immer wieder Märchen. Zahlreiche im Exil entstandene Gedichte wurden in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, so u.a. im ‚Aufbau‘, der ‚New Yorker Staats-Zeitung und Herold‘ und in ‚Lyrica Germanica‘. Ihr erster Gedichtband ‚Wege und Einkehr’ erschien 1960. Die in diesem Band enthaltenen Gedichte thematisieren Daseinsaspekte, Erfahrungen und Stimmungen, die in der Haltung der Demut vorgetragen werden, Exil und Emigration ansprechen, Jahreszeiten verinnerlichen und den Krieg rigoros ablehnen: „Alle sind sie ‚auf dem Felde der Ehre‘ gefallen, / Zur Schande dem Lande, das sie entsandt, / Von Geist und Menschentum abgewandt, / Zur Schande der Zeit, / Die deinen heiligen Namen entweiht.

Zehn Jahre später folgte der Band Unverlorene Zeit‘, eine Sammlung von Gedichten, die Natur- und Liebesgedichte, sprachphilosophische Betrachtungen sowie Vor- und Rückblicke vereinen und eine Brücke zwischen der Alten und der Neuen Welt bauen.

War ihre Alltagssprache englisch, so schrieb sie ihre lyrischen Texte nur auf Deutsch, wie auch zahlreiche andere ins Exil getriebene Schriftstellerinnen, Herta Narthoff, Hilde Marx oder Gertrude Urzidil zum Beispiel: „Denn meine Heimat ist das, was ich schreibe“. Die Sprache ihrer Heimat gab den Schreibenden ein Gefühl von Identität, war aber gleichzeitig als Protest zu verstehen, denn ihnen war es wichtig, „diejenigen geistigen wie literarischen Werte zu erhalten und zu pflegen, die in der ‚alten Heimat‘ mit Füßen getreten oder dem Scheiterhaufen übergeben wurden“.

Neben der Gestaltung von Radiosendungen hielt Margarete Kollisch Lesungen ab. Sie las im ‚Austrian Institute’, dem ‚Austrian Forum’ sowie vor der ‚Social Scientific Society‘. Privat pflegte sie eine enge Freundschaft zu Mimi Grossberg, einer gebürtigen Wienerin, die im Exil wieder in ihrem gelernten Beruf als Hutmacherin arbeitete, bevor sie selbst zu schreiben begann und sich für die Verbreitung österreichischer Literatur einsetzte.

Die Beziehung zu ihrer Tochter Eva gestaltete sich für Margarete Kollisch zeitweise als äußerst schwierig, da Eva, die sich politisch in der Worker`s Party engagierte und auch sonst eigene Wege ging – sie nannte sich selbst eine „Feministin und Sozialistin von Jugend auf“ –  zu ihrer Mutter und deren Freundeskreis Distanz hielt und sich lange Zeit der deutschen Sprache verweigerte. Später erfolgte eine Wiederannäherung von Mutter und Tochter. Zwischenzeitlich hatte Eva Kollisch Germanistik und Literaturwissenschaften am Brooklyn College und später an der Columbia University studiert, gemeinsam mit Gerda Lerner und Joan Kelly einen Lehrplan für Frauenforschung am Sarah Lawrence College entwickelt und schließlich dort als Professorin englische, deutsche, vergleichende Literaturwissenschaft und Frauen-Literatur unterrichtet. Neben ihrer akademischen Karriere engagierte sie sich weiterhin politisch in der Frauen-, der Menschenrechts- und der Friedensbewegung und schrieb nach ihrer Emeritierung berührende Porträts über ihre Eltern und andere Menschen aus ihrer Kindheit und Jugend.

Margarete Kollisch, die 1969 die ‚New York Collage Poetry Medaille’ für fremdsprachige Lyrik erhielt, versuchte in ihrem Schreiben immer wieder das Exil zu überwinden, „In der alten Heimat grünster Grüne / stillesteht mein Atem auf Sekunden / tropft mein Lebenssaft aus ungeheilten Wunden“ und ließ es mit Zeilen der Hoffnung enden, “weiß nicht, ob ich abwärts, ob ich aufwärts steige / immer noch der Lichtung zugewendet.“

Bevor ihr Gedicht- und Prosaband ‚Rückblendung’, der ihre sprachliche Meisterschaft bezeugt, erschien, starb Margarete Kollisch am 11. Oktober 1971 in Staten Island: „Wenn ihr mich bettet in die Totenruhe, / bedeckt mein Grab mit kräftigem Geflecht / von grünem Efeu, daß ich recht und schlecht / den Winter überträum` in guter Ruhe.

Vier Jahre vor ihrem Tod würdigte der Schweizer Germanist Emil Staiger in einem Brief das lyrische Sprechen Margarete Kollischs: „Sie haben nicht das Bedürfnis, etwas unerhört Neues zu leisten, finden aber doch sehr oft den Weg zu einer fühlbaren Eigenart. Den Wortführern der heutigen literarischen Kritik werden sie als traditionell gelten, den breiteren Kreisen der an Lyrik Interessierten bereits als ziemlich modern. Aber weder dies noch jenes darf Sie kümmern. Sie sprechen sich selbst aus und eben die Wahrheit dieser Aussage rechtfertigt ihre Poesie vollkommen.“

 

Autorin: Christiana Puschak
Eingestellt am: 09.12.2018
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