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Rubrik erinnern

Sind Frauen (nicht) die besseren Menschen?

Von Cornelia Roth

Müssen Frauen ständig beteuern, dass sie nicht die besseren Menschen sind? Diese Frage warf vor kurzem Antje Schrupp auf anlässlich des Buches „Das Glück, eine Frau zu sein“ von Luisa Muraro.

Die Heilige Ursula und vier ihrer Gefährtinnen. Schrein in der Kirche St. Quirin in München

Mich beschäftigt dieses Thema – sind Frauen die besseren Menschen? – schon seit meinen ökofeministischen Zeiten in den 90igern. Meine Freundinnen und ich feierten Frauenfeste zu allen Jahreszeiten. Unausgesprochen sah ich – vielleicht auch wir – uns Frauen als die besseren Menschen. Wir sahen das biologisch: Frauen haben mit der Menstruation einen zyklischen Rhythmus, wie er in vielen Naturvorgängen auch vorkommt und sind daher näher dran an den Bewegungen des Lebens. Und sie tragen und gebären neues Leben und sind daher intensiv mit dem Leben und der Sorge für alles Lebendige verbunden.

Unsere Frauenrituale hatten Schönheit und schufen Freiheit, weil sie offen waren für Unvorhergesehenes und sowieso – immer draußen – wegen des Wetters und spontaner Ideen immer anders ausfielen. Wir hatten viel Spaß. Es gab auch Streit. Aber gefühlt unter denen, die wissen, wer sie sind und wie sie sind – endlich. Die sich – endlich! – nicht in Frage stellen müssen. Außer bei der Frage (dazu kam es bei uns zum Glück nur in der allerersten Zeit), was denn nun ein der Biologie entsprechendes Verhalten sei. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen in der Zeit verbreiteten Streit um Tampons. Es ging irgendwie ums Prinzip, vielleicht um den Fluss des Lebens?

Dieses „Wissen, wer wir sind“ war angesichts der Heimatlosigkeit von Frauen in einer männlich geprägten Gesellschaft für uns wie ein wohliges Bad. Ein Bad, das immer wieder neu gefüllt wurde und guttat. Und das war auch wirklich gut.

Aber es beschränkt nicht nur die weibliche Freiheit, sondern die Lebendigkeit, immer schon zu wissen, wer man ist. („Von sich selbst ausgehen und sich nicht finden lassen“ nennt die Diotima-Feministin Luisa Muraro das Gegenmittel). Mit der Zeit wurde das in unseren Jahreszeitritualen spürbar und wir wurden immer freier darin, was sie uns bedeuteten, auch wenn wir das gar nicht zum Thema gemacht haben. Das Gefühl eines Besserseins spielte eigentlich keine Rolle mehr.

Frauen als die bessere Hälfte der Menschen: Ich spürte irgendwann, dass sich bei dieser Vorstellung etwas im Kreis dreht und das Ganze vor allem zur Selbstvergewisserung wurde. Vielleicht nicht einmal, weil die biologische Tatsache, zu menstruieren und Kinder auf die Welt zu bringen, keinen Einfluss hat. Aber welchen? Das eigentliche Problem ist weniger, dies (nicht) herauszufinden. Vor allem geht es darum, welchen Sinn Frauen (Menschen mit Uterus) den biologischen Tatsachen verleihen und was sie daraus machen wollen. Läuft nicht die Behauptung, Frauen seien näher am Leben dran und daher bessere Menschen, darauf hinaus, dass sie auf Vorstellungen festgelegt sind, was das sei?

Ich erinnere mich gut an eine Veranstaltung vor ungefähr 20 Jahren beim Verein Frauenstudien München über „Frauen–Vorbilder“. Die Referentin Andrea Günter vertrat, statt an weiblichen mythologischen Gottheiten oder der Symbolik weiblicher Heiligenbilder sollten sich Frauen lebende weibliche Vorbilder suchen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Viele der anwesenden Frauen – einschließlich mir – waren empört: Wie gut tat es, die Existenz weiblicher Gottheiten wiederzuentdecken und sich mit ihren verschiedensten Aspekten zu identifizieren! Welch anderes – weibliches – Weltbild tat sich da zugleich auf! Andrea Günter verwies (soweit ich mich erinnere) auf die Selbstnormierung und den Stillstand, auf den diese Begeisterung hinauslaufen kann. Lebende weibliche Vorbilder sind sperriger, uneindeutiger. Frauen bräuchten den Widerspruch als Herausforderung. – Wie unangenehm…  

Ich mag diese Frauenfeste und Jahreszeitenfeste (einschließlich weiblicher Heiliger und Gottheiten) immer noch und finde sie sinnvoll – gerade angesichts der Klimakrise. Aber es bedeutet für mich einen großen Fortschritt, von der „Kultur der Frauen“ zu sprechen. Was meine ich mit Kultur der Frauen? Ein großes Spektrum an Unterschiedlichkeit unter Frauen, widersprüchlich auch, schwer festlegbar. Aber darunter liegen bestimmte Strömungen, Neigungen, Tendenzen: Das empfinden im allgemeinen Frauen so, wollen viele so, machen es so… Zum Beispiel liegt vielen Frauen etwas an Schönheit und Ästhetik in ihrer Umgebung, öfters mal mehr als an technischer Ausgebufftheit.

Diese Tendenzen kennt man. Und diese Tendenzen sind wandelbar. Das Wort, der Gedanke „weibliche Kultur“ bedeutet, dass eine Kultur der Frauen nicht stillsteht, sondern sich weiterentwickelt, in welche Richtung das auch immer geht (zum Beispiel habe ich heutzutage – aus Zeitmangel, weil ich andere Prioritäten setzt – nicht mehr große Lust, Socken mit Löchern zu stopfen, wie es mir meine Mutter als junge Frau beigebracht hatte. Nicht schade drum – oder doch?).

Weibliche Kultur hat sich entwickelt, ist gestaltbar und wird fortlaufend von Frauen gestaltet oder der Gestaltung überlassen.

Jetzt kommt die heiße Frage: Was heißt „bessere Menschen“? Also: Frauen und Männer im Vergleich.

Na ja, kann ich sagen, das sieht man ja, was männlich geprägte Kultur anrichtet, da braucht man sich nur den gegenwärtigen Zustand der Erde anzuschauen, das braucht gar nicht groß aufgezählt zu werden. Von „toxischer Männlichkeit“ sprechen inzwischen auch Männer. Aber ich meine, auch da geht es um „männliche Kultur“. Sie wurde schon lange zur Herrschaftskultur. Aber genauso wenig wie die „Kultur der Frauen“ nur und nicht einmal hauptsächlich Opferkultur ist, ist männliche Kultur nur Herrschaftsgebaren. Viele Ergebnisse der Technikaffinität männlicher Kultur genieße ich, auch wenn das Technikdenken (bzw. was dahintersteht) als Herrschaft alles an die Wand fährt.

Mir scheint es sowieso klar, dass immer mehr Männer über die gegenwärtige männliche Kultur verunsichert sind und beginnen, sich davon zu verabschieden. Allerdings mit heftigem Gegenwind anderer Männer und mit der Belastung, dass ihnen ihr Mannsein abgesprochen wird, was eine bedrohliche Unterlegenheitsposition gegenüber anderen Männern definiert. Frauen hierzulande haben dies ja auch durchgemacht – und das kombiniert mit so viel Gewalt – und machen es zum Teil heute noch durch. Und im Unterschied zu ihnen gilt es für Männer, Privilegien aufzugeben.

 (Manche Leute, Frauen wie Männer, sagen: Es geht um die Herstellung eines Gleichgewichts, der richtigen Balance, Yin und Yang – mit diesem bekannten schwarz-weißen Symbol – zwischen weiblicher und männlicher Kultur. Das bezweifle ich. Denn was soll man über Balance denken, wenn offen ist, ob sich Apfel und Birne nicht gleichzeitig in Gurke und Tomate entwickeln mit leichten gegenseitigen Anleihen? Aber der Gedanke eines sich veränderlich beweglichen Mit-/Zwischen-/Gegeneinanders hat etwas Reizvolles.)

Vor Jahren gab es angesichts des Foltergefängnisses von Abu Ghraib einen Aufschrei über eine amerikanische Soldatin, die an den Folterungen und Demütigungen aktiv beteiligt war. Es gab heftige Diskussionen in der westlichen Frauenbewegung über eine Frau, die so etwas tut. Sie war sicher kein „besserer Mensch“ (und – wer weiß). Die Diskussion mündete unter den Frauen, die ich kenne, in den Schluss: Eine Frau ist durch ihr Frausein nicht auf etwas Bestimmtes festgelegt. Frauen können alles tun, das ist weibliche Freiheit. Und Frauen klären ihren Maßstab für Handeln in der Bezugnahme aufeinander und in der Auseinandersetzung unter Frauen, denn im männlich geprägten Maßstab haben sie nicht ihre Heimat (zumindest nicht, solange ein männlich geprägter Maßstab als „allgemeingültiger“ Frauen Vorschriften machen will). Schon lange interessiert mich: Wie stehen weibliche Freiheit und weibliche Maßstäbe für Handeln zueinander? Begrenzt das eine das andere im Sinne einer sozialen Kontrolle von Frauen untereinander? Oder: Müssen sich Frauen nie an etwas halten? Oder: Tun sie aufgrund ihrer Kultur sowieso immer das bessere?

In meinen ökofeministischen Anfangszeiten gab es ein schönes Lied, das lautete: „Rainbow woman, do what you want to do and go where you want to go, cause love is guiding you…“ Das fand ich sehr befreiend: Was ich auch tue, wohin ich auch gehe, es ist in Ordnung…

Ja? Wenn’s stimmt, gerne.

Noch einmal zum Anfang: Müssen Frauen beteuern, dass sie nicht die besseren Menschen sind?

Ich verstehe diese Beteuerungen so, dass Frauen darauf hinweisen wollen, dass ihr besseres gesellschaftliches Wirken nicht naturgegeben ist, sondern Teil ihres kulturellen Erbes. Oder Teil ihrer kulturellen Übereinstimmung und Leistung – vor allem auch dies! Sie könnten also auch anders (zum Glück? leider?). Ich verstehe diese Beteuerungen deshalb auch als einen Versuch, Männern eine Option der gleichen Augenhöhe aufzuzeigen – dass sie ihre Kultur verändern können.

Es kann hinter solchen Beteuerungen natürlich auch der Versuch stehen, Männern, die sich so schnell in ihrer männlichen Ehre verletzt fühlen, nicht auf den Schlips zu treten. Das ist aber unvermeidlich und wäre dann die unnötige Variante.

Frauen müssen nicht beteuern, dass sie nicht die besseren Menschen sind. Umgekehrt gefällt es mir, davon zu sprechen, dass es die weibliche Kultur ist, die die Welt braucht, jedenfalls in ihrem jetzigen Zustand. Für Frauen selbst ist die Bezeichnung „Kultur“ wichtig, weil sie weniger Stillstand unter Frauen produziert als ein Rückgriff auf die Biologie. Und Männer können die Kultur der Frauen ja mal auf sich wirken lassen bei der Weiterentwicklung der eigenen.

Autorin: Cornelia Roth
Eingestellt am: 08.02.2020

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Sammelmappe sagt:

    Ist schön zu lesen, wie Du so zurückblicken kannst.

    Ich habe diese früheren Zeit leider mit zu vielen Männer verbracht. Mathematik, Informatik, Systemadministration. Zweiter Bildungsweg, große Liebe, großes Leid, immer finanziell unsicher.

    Die besseren Menschen habe ich immer gesucht und manchmal gefunden.

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