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Den Tod ins Leben holen

Von Juliane Brumberg

Für mich ergab es sich, dass ich dieses Buch während einer langen Bahnfahrt auf dem Weg zu einer Trauerfeier gelesen habe. Was Besseres konnte mir gar nicht passieren. Denn es stimmte mich auf so liebevolle und einfühlsame Weise ein auf das Thema ‚Sterben und Tod‘, dass ich auch die Trauerfeier, die sehr würdevoll war, mit sehr offenen Sinnen erleben konnte.

Oft erfahre ich aber, wie Menschen es verdrängen und vermeiden, darüber zu sprechen. Die Autorin Ajana Holz schreibt in der Einleitung ihres Buches: „In kaum einem anderen Land (in Europa) ist Tod so ein Tabuthema, so angstbesetzt und so ins schwermütige Dunkel verdrängt, wie hier. Ich glaube fast, nirgendwo sonst sind Menschen so stark von ihren Toten abgeschnitten, herrscht so viel Angst vor der Berührung mit toten Körpern, solch eine Angst vor dem Verfall. Kaum irgendwo sonst darf darüber so wenig geredet werden und schon gar nicht gescherzt.“ Damit ist eigentlich schon formuliert, was das Anliegen der Autorin ist: selbstverständlich und ohne Scheu mit den Toten umzugehen und den Tod mit ins Leben zu nehmen. Diese Haltung prägt das ganze Buch. Obwohl sie ständig von Tod und Sterben schreibt, liegt eine wohltuende Leichtigkeit über den Kapiteln, keine Minute stellt sich Düsternis ein. Nicht einmal bei dem sehr schweren Abschnitt ‚Wenn Kindern sterben‘.

Ajana Holz ist Bestatterin und hat 1999 das bundesweite Bestattungsunternehmen „DIE BARKE – Bestattung und Begleitung in Frauenhänden“ gegründet. Damit war sie eine der ersten Frauen in Deutschland und erhebt auch einen feministischen Anspruch. In ihrem Buch erzählt sie viel über sich, ihren Werdegang und ihre Erfahrungen mit ganz unterschiedlichen Trauerritualen. Bei ihr geht es nicht darum, die Verstorbenen „schnell unter die Erde zu bringen“. Sie weist immer wieder darauf hin, wieviel Zeit man sich nehmen kann und auf welche Weise es ihr gelingt, mit Ruhe herauszuspüren, was die Angehörigen und was die Toten jeweils brauchen. Sie sieht sich selbst als Hebamme für Toten beziehungsweise als ‚Seelen-Hebamme‘. Dazu scheibt sie: „Wenn wir den Toten wieder den Raum geben, uns von ihrem besonderen Zauber berühren lassen und unsere Herzen dafür öffnen, dann werden wir reich beschenkt. Und das ist die beste Voraussetzung dafür, dass Trauer zu der lebendigen Kraft wird, die uns hilft, weiterzuleben“.

Ausführlich widmet sie sich dem Ritual der Totenwaschung und räumt dabei auf mit der Mär vom ‚Leichengift‘, das es, so schreibt sie, definitiv nicht gibt. „Wären tote Lebewesen an sich giftig, wäre alles vergiftet, denn all das, was lebt und stirbt, wird wieder zu Erde. Der ewige Kreislauf.“ Zumindest bei einer Erdbestattung. Und dann schreibt sie noch einen Satz, den ich sehr einleuchtend und auch tröstlich finde: „Humus, die kostbare fruchtbare Erdschicht, entsteht aus allem, was gestorben ist. Also auch rein biologisch gilt: Ohne Tod kein Leben“. Alles verwandelt sich, wir gehen nicht ganz und gar verloren. So gibt es also keinen Grund, die Toten nicht zu berühren und dieses zu tun kann sehr hilfreich für beide sein, die Trauernden und die Toten. Ajana Holz geht es darum, die Verstorbenen nicht nur zu versorgen, sondern sie zu begleiten.

Für die Trauerfeier schlägt sie viele durchaus farbenfrohe Varianten jenseits der herkömmlichen kirchlichen Gottesdienste vor. Sie beschreibt sie als Abschiedsfeier, bei der die Menschen zusammenkommen, die mit der oder dem Toten verbunden waren, oft ohne dass sie sich vorher gekannt hatten. Ein vielfältiges Beziehungsgeflecht wird sichtbar. Das Leben des verstorbenen Menschen wird gewürdigt – und das muss nicht unbedingt durch den Pfarrer oder die Pfarrerin geschehen. In Bezug auf eigene Ideen und Akzente ist viel mehr möglich, als wir gemeinhin wissen. Ajana Holz ermuntert dazu, hier kreativ und mutig zu sein. Sie schildert besondere Rituale mit denen sie gemeinsam mit den Trauernden die Verstorbenen verabschiedet hat.

Im Schlusskapitel gibt sie allerlei praktische Ratschläge und wichtige Informationen für die erste Zeit nach dem Tod. Zum Beispiel dass es beim Sterben in den eigenen vier Wänden Sinn machen kann, nicht gleich den Notarzt zu rufen, sondern ganz in Ruhe und Nähe zu dem verstorbenen Menschen durchaus ein paar Stunden auf die Hausärztin zu warten. Neben vielen rechtlichen Hinweisen ist ihr die „kostbare Zeit zwischen Tod und Bestattung“ besonders wichtig, auch wenn in ihr viel organisatorische Arbeit geleistet werden muss. Nicht zuletzt bietet sie ein Musterformular an, mit Hilfe dessen die Wünsche für die eigene Bestattung durchdacht und formuliert werden können.

Auf dem Buchcover steht: „Ajana Holz will Mut machen. Mut für den eigenen Weg beim letzten Abschied, für die ganz eigene unvergleichbare Art, der Trauer Ausdruck zu geben.“ Das ist ihr mit diesem Buch gelungen.

Ajana Holz, Vom Leben getragen, Für eine lebendige Bestattungskultur, Mabuse-Verlag Frankfurt 2021, 210 Seiten, 24,95 €.

Eine weitere Buchempfehlung zum Thema: Erni Kutter, Schwester Tod.

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 30.08.2022
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Sonja sagt:

    Habe mir erlaubt, den Link mit der schönen Buchbesprechung in mein Blog zu holen. Ich hoffe, das geht in Ordnung!
    Gruß von Sonja

  • Dr. Gisela Forster sagt:

    Danke an Juliane Brumberg für den einfühlsamen Kommentar zu dem oben bezeichneten Buch.

    Viele Menschen wissen in der Tat nicht, wie sie mit Sterbenden umgehen sollen und schieben diese in den letzten Minuten des Lebens noch in ein Krankenhaus ab. Das muss nicht sein,
    denn Sterben zu Hause kann so schön sein: Die Intensivgeräte, die vielen Schläuche und Infusionen sind nicht mehr an und im Körper, der Mensch kommt allmählich zur Ruhe, die Organe geben nacheinander ihren Lebenswillen ab, und so kann Mensch in eine schmerzfreie Ruhe versinken.

    Lässt man der Natur ihren Lauf, stört man die Wege der Natur nicht, dann ist Sterben nicht problematisch: Die Natur ist nicht grausam, grausam ist nur der Mensch, wenn er zu viel in den Sterbeprozess eingreift.

    Nach dem Todeseintritt ist es gut, bei dem Menschen zu bleiben und die Transzendenz und Entspannung des Verstorbenen mitzufühlen. Tote dürfen viele Stunden zu Hause gelassen werden, Notärzte sollten nicht gerufen werden, es besteht die Gefahr, dass sie den Toten wiederbeleben, also gelassen die Todesstunden abwarten, am Bett sitzen, ein Lied gemeinsam hören, Verwandte und Bekannte fragen, ob sie dazu kommen wollen, die nächste Nacht den Verstorbenen im Familienkreis lassen und erst am folgenden Tag bei dem Bestatter anrufen.

    Verstorbene strahlen so viel Ruhe und Gelassenheit aus, dass zu keinem Zeitpunkt Hektik und Aktionismus eintreten müssen, sondern dass sich vielmehr die Begleiterinnen und Begleiter ruhig selbst diesem Frieden des Todes hingeben können, ohne die Angst haben zu brauchen, irgendetwas zu versäumen oder irgendetwas falsch zu machen.

    Dies schreibe ich, weil ich seit vielen Jahren eine ambulante Altenpflegefirma habe und Angehörige immer wieder ermutige, einen natürlichen Sterbeprozess zuzulassen und sich Zeit für diesen Lebensabschnitt zu nehmen.

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