beziehungsweise – weiterdenken

Forum für Philosophie und Politik

Rubrik erinnern

Zur Buh-Frau gemacht: Die Tagungsleiterin Herta Leistner

Von Juliane Brumberg

Foto: Juliane Brumberg

Von der Frauenbewegung im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts kennen wir einige wenige Gesichter, die sich die Medien herausgepickt haben und immer wieder hervorholen. Doch ohne die weniger prominenten vielen „Frauen aus der zweiten Reihe“ wäre der große Erfolg der Frauenbewegung nicht möglich gewesen. In einer kleinen Serie möchten wir auf bzw-weiterdenken über einige von diesen Frauen erzählen. Wie sind sie zu ihrem frauenpolitischen Engagement gekommen, was machen sie heute?
Wir freuen uns übrigens über Artikel oder Vorschläge zu weiteren Frauen, deren Leben wir hier vorstellen können.

Am Bahnhof in Bad Langensalza, mitten in Thüringen, holt Herta Leistner mich mit einem alten, dunkelroten VW-Bus vom Bahnhof ab. Hinten ist Platz zum übernachten und für ihre Hunde. Auf den Besuch bei ihr habe ich mich sehr gefreut. Es ist ein Wiedersehen nach mehr als 20 Jahren. In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte ich mehrmals die ‚Werkstatt Feministische Theologie‘ in der Evangelischen Akademie Bad Boll in Baden-Württemberg besucht und bin dort für meine weitere feministische Entwicklung geprägt worden. Durch ihre freundliche, zugewandte und souveräne Tagungsleitung machte Herta Leistner es mir als Erstbesucherin leicht, mich in dem mir neuen Milieu unter lauter fremden Frauen zurecht zu finden und wohl zu fühlen.

Über Feministische Theologie hatte ich bis dahin in den Büchern von Elisabeth Moltmann-Wendel und Catharina Halkes (Gott hat nicht nur starke Söhne) gelesen. Daraus ging hervor, dass Feministische Theologie nicht nur akademisch ist, sondern im Miteinander erfahren werden müsse. Und genau dazu hatte Herta Leistner zusammen mit Elisabeth Moltmann-Wendel 1979 die erste Werkstatt Feministische Theologie in Bad Boll organisiert. Viele weitere sollten folgen.

Von Anfang an waren sie sehr gut besucht. Im pietistischen Milieu Württembergs litten viele – insbesondere kirchennahe – Frauen unter dem althergebrachten Rollenbild und den hohen Anforderungen, die an sie gestellt wurden. Neue Formen Gottesdienste zu feiern – nicht mit einer Predigt oben von der Kanzel herab sondern in Austausch und Gespräch miteinander – , neue Lieder, in denen auch die christlichen Schwestern sichtbar waren, die Aufforderung, weibliche Bilder für das Göttliche zu entwickeln, gemeinsame Kreistänze, all das trug dazu bei, dass die Frauen gerne diese Möglichkeit nutzten, in Bad Boll einen anderen Zugang zu ihrer Religiosität zu finden. „Ich bin gut, ich bin ganz, ich bin schön“ wurde zum Schlüsselsatz dieser ersten Jahre, um den Gebete, Meditationen und Andachten kreisten. Endlich waren Frauen nicht mehr potentielle Sünderinnen. So wie sie waren, mit allen Schwächen und Besonderheiten, durften sie sich von Gott geliebt und gewollt fühlen. Das rüttelte natürlich am Selbstverständnis der männlichen Kirchenhierarchie und wurde im Nachgang der 1968er Zeit nicht überall gerne gesehen.

Und dann kam dann noch ein zweites Thema auf: Mehr und mehr zeigte sich, dass es offensichtlich auch in kirchlichen Kreisen frauenliebende Frauen gibt. Für die Kirchenmänner ein Tabu und für Herta Leistner, die lange selber keine Worte hatte für die Zuneigung, die sie zu anderen Frauen spürte, ein neuer Aufgabenbereich.

Im Schwabenland bodenständig aufgewachsen

Foto: Juliane Brumberg

Aber der Reihe nach: Herta Leistner war nämlich nicht für Feministische Theologie oder Lesbentagungen als Studienleiterin an der Evangelischen Akademie angestellt geworden, sondern lange vorher, 1974, als Referentin für Gruppenarbeit und gruppendynamische Prozesse. Und dass sie einmal Feministin werden würde, war ihr nicht in die Wiege gelegt. Aufgewachsen ist sie auf dem Land im Schwarzwald in einem kirchlich geprägten evangelischen Elternhaus, gut eingebunden in Jungschar und Mädchenkreis. Eine Zäsur war der Tod ihrer Mutter in dessen Folge sie als 16jährige den Haushalt für Vater und Bruder führen musste. „Mein ursprüngliches Ziel, Sportlehrerin zu werden, habe ich dann nicht mehr weiter verfolgt“, berichtet sie, heute ganz ohne Bitterkeit. Nachdem ein Jahr später ihre Tante den Haushalt übernahm, brach die 17jährige 1959 zu einem Diakonischen Jahr bei der Evangelischen Diakonissenanstalt nach Stuttgart auf und absolvierte eine Ausbildung zur Gemeindehelferin.

Dann wurde sie Bezirksleiterin für Mädchenarbeit in Ulm. Dazu erzählt sie: „Damals war die Jugendarbeit noch streng nach Jungen und Mädchen getrennt. Im Zuge des 1968er Aufbruchs wünschten wir uns Koedukation und kamen auf die Schiene, dass es gemeinsam doch viel besser gehen müsste.“ Erst Jahre später, als sie in Bad Boll Manager in Gruppenarbeit weiterbildete und diese dann auch Frauen dorthin schickten, „kamen wir zu dem Punkt, dass wir getrennte Kurse für Frauen und Männer brauchten.“ Doch vorher hatte die junge Herta berufsbegleitend das Abend-Abitur gemacht und in Tübingen nicht etwa Theologie sondern Sozialpädagogik studiert. „Latein und Griechisch zu lernen, das war nicht so mein Ding, ich schätze mich mehr als Praktikerin ein und nicht als Theoretikerin.“ Damit passte sie gut an die Evangelische Akademie in Bad Boll und wirkte dort, wie sie selber sagt, „an einen Arbeitsplatz, aus dem frau was machen konnte.“

Erste Erfahrungen jenseits von Gottvater

1977 hatte sie das Glück, für ein halbes Jahr zur Weiterbildung nach Amerika geschickt zu werden. „Was Gruppendynamik angeht, waren sie dort viel weiter als in Deutschland.“ Die einschneidendste Erfahrung war dort für sie, dass eine Studentenpfarrerin ihr das Buch von Mary Daly ‚Beyond God the Father‘ – Jenseits von Gottvater Sohn & Co.‘ in die Hand drückte. „Das war dann mein Thema, mit dem ich nach Deutschland zurückkehrte: Ist der männliche Erlöser für Frauen akzeptabel? Dazu wollte ich an der Akademie etwas anbieten und fand in Elisabeth Moltmann-Wendel eine geniale Mitstreiterin.“

In Tübingen hatte sie bereits die sich formierende Frauenbewegung miterlebt. Und an der Akademie in Bad Boll waren unter 54 Studienleitern nur vier oder fünf Frauen. Auch die eigene Institution wurde kritisch angeschaut. Die Zeit war reif! „Wir wollten nicht nur kritisieren, wir wollten Gottesdienste so gestalten, wie wir sie gerne hätten. Wir haben selber Theologie gemacht. Feministisch war ein Reizwort und wir scheuten den Konflikt nicht. Inhaltlich war es uns wichtig. Man muss auch Fronten schaffen, um etwas deutlich zu machen!“ So wurde die ‚Werkstatt Feministische Theologie‘ geboren. Und die Frauen kamen, manchmal waren es mehr als 200 bei einer Tagung. „Es war das Highlight meiner Berufskarriere“, sagt Herta Leistner rückblickend, „dass ich diese Themen aufgreifen und weitertreiben konnte.“

Sie könne nicht Feministische Theologie betreiben, ohne über Europa hinauszuschauen, hatte die spätere Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter zu ihr gesagt, weshalb „wir von Bad Boll aus sehr früh angefangen haben, international zu werden und Anregungen aus der Befreiungstheologie, aber auch aus dem asiatischen Raum aufzunehmen,“ berichtet Herta Leistner mit Stolz. „Es kamen immer wieder außereuropäische Theologinnen, die in der Frauenfrage aktiv waren. Die Frauen hier waren dadurch kirchenpolitisch und über die politische Situation in anderen Ländern, z.B. in den Philippinen, informiert und wir haben viele Spenden für Frauenprojekte sammeln können“.

Sehr gerne erinnert sie sich auch an die Kirchentagsarbeit: „1981 gab es zum ersten Mal ein großes Frauenzentrum auf dem Evangelischen Kirchentag in Hamburg. Zusammen mit Elisabeth Moltmann-Wendel und Heidemarie Langer haben wir eine Bibelarbeit zum Thema ‚Mit Miriam durchs Schilfmeer‘ gestaltet, verbunden mit einem Rollenspiel. Auf dem Vorbereitungstreffen der Bibelarbeiter des Kirchentags wurden unsere Ideen von den Herren Theologen belächelt. Doch dann war die Halle mit über 2000 Frauen brechend voll und alle waren begeistert.“

Von konservativen Kreisen zur Buh-Frau gemacht

Ein Thema zieht das andere nach sich. „Als einmal eine Frau während einer Tagung weinte, weil sie mit ihrer Frauenbeziehung in unseren Liturgien nicht vorkam und sie mit niemandem darüber sprechen konnte, war klar, dass ich darüber nicht hinweggehen konnte.“ Obwohl sie es selbst viele Jahre nicht fertig gebracht hatte, sich zu outen.

Hier zeigte sich, dass Herta Leistner sich zu einer guten Strategin entwickelt hatte. Zunächst holte sie sich die Rückendeckung des Akademiedirektors und erklärte ihm, dass sie das Thema ‚Lesbische Frauen in der Kirche‘ aufgreifen wolle. „Seine Antwort war, dass er hinter mir stehen würde. Er fügte aber hinzu: ‚Sei Dir bewusst, dass Du dann in der Kirche nichts mehr werden kannst‘.“

Also organisierte sie mit einigen Mitstreiterinnen 1985 die erste Tagung im hessischen Arnoldshain „…und danach gleich noch eine. Die Einladungen dazu wurden unter der Hand weitergegeben. Viele hatten Angst um ihre Arbeitsplätze. Deshalb waren wir zunächst nicht offen lesbisch, sondern organisierten die Tagungen unter dem Motto ‚Lebensformen‘: Wie leben allein lebende Frauen? Welche Probleme haben geschiedene Frauen? Wie leben Frauen zusammen?“

Ihr eigenes Outing erfolgte erst mit dem Erscheinen des Buches ‚Hättest du gedacht, dass wir so viele sind? Lesbische Frauen in der Kirche‘, das sie gemeinsam mit Ute Wild und Monika Barz 1987 herausgegeben hat. Darin erzählen Diakoninnen, Pfarrerinnen, Theologinnen, Lehrerinnen und andere überwiegend anonym von ihren Erfahrungen. Dieses Buch war ein Meilenstein für lesbische Frauen und hatte erhebliche Konsequenzen, im Positiven wie im Negativen. „Danach war das Leben zehnmal leichter. Wir mussten nichts mehr unter dem Deckel halten und haben so viele gute Gespräche geführt.“ Herta Leistner weist immer wieder darauf hin, dass das „ohne die Stärkung und all die Erfahrungen durch und mit der Feministischen Theologie nicht gegangen wäre. „Nur dadurch hatten wir den Mut dazu. Und wir wollten dem außerordentlichen inneren Druck, als lesbische Frauen Sünderinnen zu sein, etwas entgegensetzen.“

Es gab aber auch Töchter von Kirchenoberen, die deren Lebensform nach dem Outing nicht akzeptieren würden oder nicht akzeptiert haben. Aus der Kirchenhierarchie kamen die negativen Folgen, denen die friedliebende und immer eher auf Konsens und Einvernehmlichkeit bedachte Studienleiterin in der Folge ausgesetzt war. „Die Evangelikalen, die in Württemberg stark vertreten sind, haben mich und meine Lebensform herausgepickt, um die Akademie in Bad Boll, die ihnen mit ihren fortschrittlichen Themen schon immer ein Dorn im Auge war, anzugreifen. Ich wurde zur Buh-Frau gemacht!“ In der Landessynode gab es Kreise, die die Mittel für die Akademie ganz erheblich kürzen wollten. Sie warfen Herta Leistner vor, aus der Akademie „einen Tempel der lesbischen Liebe“ gemacht zu haben und unterzogen sie während einer Kuratoriumssitzung einer Art Verhör. „Es wurde gefordert, dass alle diese Themen aus dem Programm der Akademie gestrichen werden.“ Parallel dazu erschien ein Artikel mit der Überschrift ‚Die Sünde hält Einzug in die Kirche‘. Daneben ein Foto von Herta Leistner!

„Meine Chefs haben die Freiheit der Akademie verteidigt und es ist damals zwar ganz knapp, aber gut ausgegangen“.

Eine ähnliche ‚Hexenjagd‘ wiederholte sich, als die EKD 1993 entschied, ein eigenes Frauenstudien- und Bildungszentrum in Gelnhausen einzurichten und Herta Leistner zu einer der beiden Studienleiterin bestellte. Evangelikale Gruppen sammelten Unterschriften und organisierten eine unglaublich hässliche Kampagne mit einem ‚Bitt- und Bußgottesdienst‘. Dessen Predigt gipfelte mit dem Hinweis auf die Bibelstelle ‚dass wenn ein Mann bei einem Mann liegt, wie bei einer Frau, ihr sie töten sollt‘.

Und eine dritte Kampagne gab es, als sie 1996 das Bundesverdienstkreuz für ihre ‚Verdienste um die Wahrnehmung und Emanzipation lesbischer Frauen in Kirche und Gesellschaft‘ erhalten sollte und auch erhielt. Das Bundespräsidialamt knickte jedoch ein, distanzierte sich von der Laudatio und hob hervor, dass die Ehrung Herta Leistners gesamtem Engagement in Jugend- und Frauenarbeit galt. Trotzdem gab es einen Theologieprofessor, der seinen Orden aus diesem Anlass unter Protest zurückgab.

Es gibt kaum eine andere Frau in der Kirche, die wegen ihrer Lebensform so geächtet wurde. Was hat das alles mit Herta Leistner gemacht? „Ein paar Narben hat das schon hinterlassen. Zum Beispiel möchte ich keine kirchliche Segnung, das brauche ich nicht. Ein schönes Ritual unter Freudinnen ist mir mehr wert.“

Und trotzdem ist es ihr gelungen, unglaublich viel für die Feministische Theologie und für das Selbstbewusstsein lesbischer Frauen zu erreichen. Herta Leistner hat einen riesigen Beitrag dazu geleistet, dass die Frauenbewegung innerhalb der Kirche Veränderungen erwirken konnte. Nicht wenigen Frauen entsprach dieser Strang der Frauenbewegung mehr, als Frauendemos auf der Straße. Die offiziellen Frauenarbeitsgremien in der Kirche standen geschlossen hinter ihr. Trotz aller Anschuldigungen hat sie sich ihren beruflichen Anforderungen unaufgeregt gestellt und sich weiterentwickelt. 1993 veröffentlichte sie, gemeinsam mit Monika Barz, eine Doktorarbeit mit dem Titel ‚Aus der Nichtexistenz auftauchen – Beitrag der Tagungsarbeit zum Identitätsbildungsprozess lesbischer Frauen in der Kirche‘. „Das war so ein Zufall“, sagt sie bescheiden, „was sollte ich mit dem Doktortitel? Aber es ging um meine Arbeit, also war ich dabei und es hat Spaß gemacht.“

Bis zu ihrer Pensionierung arbeitete sie am Frauenstudien- und Bildungszentrum in Gelnhausen. Dass es das heute nicht mehr gibt und es in ein kleines Studienzentrum der EKD in Hannover überführt wurde, kommentiert sie gelassen: „Wir haben erreicht, dass es das Frauenstudienzentrum in Gelnhausen über 10 Jahre gegeben hat und dort das vielfach durchgeführte ‚Fernstudium Feministische Theologie‘ auf den Weg gebracht werden konnte. Alles hat seine Zeit. Man muss sehen, wie viel Fortschritt es gegeben hat und natürlich auch, was noch im Argen liegt. Die alten Zeiten des Aufbruchs, auch in Bad Boll, lassen sich nicht zurück holen. Wenn ich heute noch dort wäre, würde ich ganz andere Dinge machen. Ich war damals einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

Als Schwäbin in Thüringen

Foto: privat

Heute ist sie an einem ganz anderen Ort. Wie kommt eine eingefleischte Schwäbin – „Es ist vorgekommen, dass Tagungsteilnehmer sich darüber beschwert haben, dass ich kein richtiges Hochdeutsch spreche.“ – in ein kleines thüringisches Dorf? „Für mich war klar, ich wollte in meinem Ruhestand auf keinen Fall in meinem Beruf weitermachen. Als Tierarzt-Tochter habe ich mich schon immer gerne mit Tieren beschäftigt und wollte das intensivieren. Unsere Hunde sind das gemeinsame Hobby von mir und meiner Partnerin. Sie ist Pfarrerin der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands und hat sich als Tierhomöopathin mit Fragen der Schöpfung beschäftigt. Da sie als Krankhauspfarrerin berufstätig ist, haben wir uns um ein kleines landwirtschaftliches Anwesen hier in der Gegend bemüht.“

Foto: Juliane Brumberg

Voller Stolz zeigt sie mir in der Scheune ihren großen Traktor und einen Rasentrecker zum Weide mähen. „Ich bin in der Landwirtschaft tätig, da bist Du ganz schön beschäftigt.“ Sogleich kommen auch die beiden Pferde und zwei Shetlandponys zur Begrüßung. Mit einer Heugabel kräftig ausholend wirft Herta Heu in die Futtertröge. Ich denke mir, dass sie mit dieser harten körperlichen Arbeit auf ihre alten Tage gar nicht so weit weg ist von ihrem Jugendtraum, Sportlehrerin zu werden.

Foto: privat

 

Und in der Tat arbeitet sie mit den Tieren auch sportlich. Sie erzählt: „Als Kind bin ich bei einer Schulfreundin Pferdewagen gefahren. Das hat mich nun wieder gelockt. Also haben wir 2003 in Niedersachsen auf einem Pferdehof einen Kutscherkurs mit Prüfung gemacht und dann unsere Haflingerstute und 5 Jahre später zwei Shetlandponys gekauft, davon eines schon eingefahren. Mit dem nehme ich im einachsigen Sulky an Wettkämpfen teil. Wir fahren dann auf einem Kegel-Parcours zwischen Hindernissen hindurch.“ Dass sie dabei erfolgreich ist, zeigen die vielen Schleifen im Treppenhaus. Zusätzlich gibt es noch den zweiachsigen Kutschwagen, in dem sie Gäste mitnehmen oder z.B. Brautpaare zur Trauung fahren kann. Außerdem ist sie in zwei Hundesportvereinen und nimmt an Hundeturnieren teil. „Das sind hier meine Sozialkontakte. Ansonsten unterhält sich frau im Dorf über Feste, Gartenbau, Wiesenbewirtschaftung und Tierhaltung“, erklärt sie mir voller Leidenschaft.

Kirchlich engagiert sie sich noch in der Weltgebetstagsarbeit. „Für den Frauenkreis im Dorf bestelle ich das Material und bereite Informationen über das jeweilige Land vor. Die Frauen hier sind alle perfekt im Backen und wenn ich ihnen die Rezepte aus den Ländern bringe, sind sie sofort dabei. Am Weltgebetstag feiern wir erst die Liturgie, singen die Lieder – und dann gibt’s das Buffet. Den Frauen macht es Freude und ich kann etwas andere Themen als der Pfarrer unterbringen.“

Der Kirche fühlt sie sich immer noch verbunden, auch wenn sie bedauert, dass viele junge Pfarrer „so konventionell“ sind. „Ich bin eine treue Frau, aber mit vielem, was Kirche heute anbietet, kann ich nichts anfangen. Ich gehe zur Kirche im Dorf, weil ich dazugehöre, aber meine Kraft beziehe ich eher aus den Beziehungen zu meinen Freundinnen.“

Wenn Herta Leistner auf ihr Leben zurückblickt, kommt sie auf ihre Großmutter zu sprechen: „Die hat gesagt: ‚Mädel, heirate nur ja nicht, steh auf deinen eigenen Füßen‘. Das hat mich geprägt, das habe ich gelebt, aber nun genieße ich es auch, dass ich seit 15 Jahren in einer guten Partnerinnenbeziehung lebe.“

Mehr Infos:
Monika Barz, Herta Leistner, Ute Wild, Hättest Du gedacht, dass wir so viele sind? Lesbische Frauen in der Kirche, Kreuz Verlag Stuttgart 1987, 236 S.

Im Rahmen dieser Serie wurden bisher die Donaupriesterin Gisela Forster, die Feministin Barbara Linnenbrügger, die Malerin Waltraud Beck, die Professorin Monika Barz und die Historikerin Irene Franken vorgestellt.

 

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 14.12.2018
Tags: ,

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Ute Plass sagt:

    Großartiger Artikel, liebe Juliane, über eine großartige Frau
    und ihre beeindruckende Lebensgeschichte.

    Die Diffamierungen, denen Herta Leistner ausgesetzt war, erinnern mich auch an Elga Sorge und deren ‘Hexenjagd auf evangelisch’.

  • Dagmar Gruß sagt:

    Danke für den Artikel über Herta Leistner,
    die ich in einer zweijährigen Fortbildung Feministische Liturgie in Gelnhausen erlebte. Ich erinnere mich an ihre herzliche, unaufgeregte Art, mit der sie kluge Gedanken in die Welt streut.
    Schade, dass es viele spirituelle Frauenorte nicht mehr gibt: Gelnhausen, die Akademie Mülheim und der Quellengrund bei Wuppertal ist auch nicht mehr da. Und mit den Orten gingen kämpferische Frauen – aus der Öffentlichkeit ins Private, lösten ihre feministisch-theologischen Bibliotheken auf und bestücken ihre Identitäten neu, suchen nach vielen Verletzungen Heilendes, kehren zu ihren Ursprüngen zurück.
    Aber vieles ist selbstverständlich geworden, nichts war umsonst, auch wenn sich die Salonièren in Bloggerinnen verwandelt haben.

  • Dr. Gisela Forster sagt:

    Danke an Juliane Brumberg für diesen großartigen Artikel über eine so beeindruckende Frau. Es berührt sehr, wie entschlossen und überzeugt Herta Leistner in Bad Boll ihre Aufgaben wahrnahm, wie sie sich nicht einschüchtern ließ und wie konsequent und doch auch tolerant sie durchs Leben gegangen ist und immer noch geht. Herta Leistner- eine Frau, an der frau sich orientieren kann: Sehr hilfreich, sehr überzeugend…

  • Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel über eine wunderbare Frau, an die ich aus der feministischen Ritualarbeit so viele tolle Erinnerungen habe!

  • Juliane Brumberg sagt:

    Welch eine positive Überraschung! Fast zeitgleich mit Erscheinen dieses Artikels hat es am 3. Advent auf der 33. Lesbentagung in Bad Boll eine offizielle Bitte um Vergebung gegeben. Prälatin Gisela Arnold hat um Vergebung gebeten dafür, dass Menschen aus dem LSBTTIQ*-Bereich, in diesem Fall Lesben, in der Kirche sehr viel Leid und Unrecht erfahren haben. Hier nachzulesen: https://www.evangelisch.de/inhalte/154254/18-12-2018/praelatin-gabriele-arnold-bad-boll

  • Ursula Jung sagt:

    Aufgewachsen mit der Kreuzestheologie
    Neugierig auf Karl Barth und Bultmann
    Dorothee Sölle entdeckt
    Begeistert von der klugen, liebevollen Herta Leistner
    Lustvolle Arbeit in den “Fem. Werkstätten” Bad Boll u. Mülheim

    Und nun soll ich mich mit Martin Luther begnügen?
    Ursula Jung
    84 Jahre alt

Verweise auf diesen Beitrag

Weiterdenken