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Rubrik unterwegs

Nachlese einer Bordellführung für Frauen

Von Elfriede Harth

Foto: il_cattivo/Flickr.com cc by-sa

Im Frankfurter Bahnhofsviertel. Foto: il_cattivo/Flickr.com cc by-sa

Seit einigen Jahren feiert sich das Frankfurter Bahnhofsviertel in der Bahnhofviertelnacht. Es handelt sich um den Stadtteil in Frankfurt mit der größten Mobilität. Nirgendwo wechselt die Bevölkerung so stark wie hier. Es ist unter vielem anderem das Banken- und Rotlichtviertel, und nirgendwo ist der Prozentsatz migrantischer Bevölkerung so hoch.

Dieses Jahr habe ich das Angebot des Vereins Doña Carmen e.V. wahrgenommen, an einer Bordellführung für Frauen teilzunehmen. Doña Carmen e.V. setzt sich seit vielen Jahren ein „für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten“. Wir taten gut daran, meine zwei Begleiterinnen und ich, schon eine gute Stunde vor Einlass anzukommen. Es war ein sehr großer Andrang. Beim Einlass hatte sich eine Warteschlange von mindestens 250 Frauen gebildet. Es durften jedoch nur immer zwanzig Frauen an einer vierzigminütigen Führung teilnehmen. Wir hatten Glück und wurden für die zweite Führung eingeteilt, was uns Zeit ließ, vorher noch was essen zu gehen.

Das „Laufhaus“

Unter der Führung einer der Vereinsfrauen ging es zu einem der zahlreichen „Laufhäuser“ gleich um die Ecke. Ein fünf- oder sechsstöckiger Altbau, der so umgebaut wurde, dass alle Obergeschosse in mehrere Einzelzimmer jeweils mit Bad und Kühlschrank eingeteilt sind, die alle in eine zentrale Diele münden. Wenn eine Prostituierte Arbeit sucht, steht sie in der Tür zu ihrem Zimmer, sodass die Freier, die durch das ganze Gebäude laufen, sie sehen und diejenige ansprechen, die ihnen zusagt. Willigt die betreffende Frau ein, betritt der Freier das Zimmer und die Tür wird geschlossen.

Im Erdgeschoß des Gebäudes befindet sich das Management des Bordells. Wir schauten uns das „Casino“ an: ein karger, fensterloser Raum mit einem größeren Tisch und einigen Bänken, wo die Frauen ankommen, mit dem Verwalter alle geschäftlichen Dinge besprechen und dann ihr Zimmer angewiesen bekommen. Die Frauen erhalten hier ein Frühstück und können auch mal eine Pause machen und sich aus einem dort aufgestellten Automat ein Getränk holen. Essen tun sie in ihrem Zimmer, falls sie es nicht vorziehen, in eines der umliegenden Restaurants zu gehen.

Die Zimmer werden jeweils für 24 Stunden vermietet. Im Preis von 140 Euro sind das Frühstück, zehn Kondome, Küchenkrepp und Toilettenpapier inklusive. Manche Frauen nutzen ihr Zimmer nur einen oder wenige Tage am Stück, andere wohnen dort für eine längere Zeit.

Der offizielle Grundtarif für eine „sexuelle Dienstleistung“ beträgt 25 Euro für 15 Minuten. Jede Frau ist jedoch „frei“, einen anderen Tarif zu verlangen und je nach gefragtem/gebotenem Service auszuhandeln. Das Management – in unserem Fall bestehend aus drei Männern, von denen nur einer deutscher Staatsbürger war, und auch er mit Migrationshintergrund – kontrolliert nach eigener Aussage nichts und macht auch keinerlei Vorschriften. Er kassiert nur die Miete und ist gegebenenfalls zur Stelle, wenn ein Freier „Probleme macht“ und die Frau Alarm schlägt. „Probleme“ scheint fast immer Zahlungsunwilligkeit zu bedeuten. Damit die Frau Alarm schlagen kann, gibt es bestimmte Knöpfe in jedem Zimmer, die ganz unauffällig bedient werden können, so dass der Freier überraschend damit konfrontiert wird, dass plötzlich ein männliches Schwergewicht in der Tür steht.

Um im Bordell ein Zimmer zu mieten, brauchen die Frauen nur einen Ausweis vorzulegen, der dann kopiert wird. Sie müssen mindestens 18 Jahre alt sein. Sind sie noch keine 21 Jahre alt, werden sie außerdem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Bordell keine Schule für Prostitution ist. Aber das Management ist durchaus – im eigenen Interesse – bereit, Frauen, die neu in das Gewerbe einsteigen wollen, mit den Gepflogenheiten desselben vertraut zu machen (was sie verlangen können, wie sie Alarm schlagen können, aber auch – wie eine Toilette benutzt wird, etc…, denn „manchmal kommen Migrantinnen an, die zum ersten Mal ein Klo mit Wasserspülung sehen“.) 94 Prozent der Prostituierten Migrantinnen sind, deshalb sei es von Vorteil, wenn die Manager selbst mehrere einschlägige Sprachen sprechen. So kann die Kommunikation mit den Frauen effizienter funktionieren.

Wir konnten auch die so genannte „Kommandozentrale“ besichtigen, den Raum, in dem der diensthabende Manager sitzt und über Kameras sämtliche Treppen und Etagen überwachen kann. Hier läutet es, wenn eine der Frauen Alarm schlägt. Außerdem gibt hier einen den Zähler, der die Personen zählt, die das Gebäude betreten. Bei voller Auslastung – was längst nicht immer der Fall ist – können in dem Laufhaus, das wir besuchten, 34 Frauen gleichzeitig arbeiten. Täglich kämen rund 1000 Personen in das Gebäude, aber nicht alle nehmen eine Dienstleistung in Anspruch, manche laufen auch nur durch. Ab und zu betritt auch eine Lesbe das Haus und fragt nach einer Frau, die bereit ist, auch für Frauen sexuelle Dienstleistungen zu erbringen.

Zum Abschluss der Führung gingen wir in den ersten Stock, um ein Zimmer zu besichtigen, das zurzeit unbewohnt ist. Es sieht aus wie ein Hotelzimmer mit abgedimmten Licht und hat einen blickdichten Vorhang, sodass man nicht von außen herein schauen kann. Das sei Vorschrift. Mir fiel ein Barhocker auf, sowie die verschiedenen verspiegelten Flächen. Die Frauen können das gemietete Zimmer je nach Wunsch durch persönliche Gegenstände ergänzen. Putzen müssen sie es selbst. Nur bei Auszug wird es einer gründlichen Reinigung unterzogen.

Drogen und Alkohol sind eigentlich verboten. Marihuana ist leicht zu kontrollieren, wegen des Geruchs, Heroin und Kokain allerdings nicht. Wenn betrunkene Männer das Gebäude betreten, werden sie meistens hinausgeworfen, um Problemen vorzubeugen.

Manche erfahrene Frauen bauen sich mit der Zeit eine Stammkundschaft auf. Sie können dann auch mehr verdienen. Die Freier seien sehr unterschiedlich und hätten ganz verschiedene Ansprüche. Auch da komme es auf die Erfahrung an, auf das Alter, auf die finanziellen Mittel, aber auch auf den kulturellen Hintergrund. Angehörige bestimmter Bevölkerungsgruppen seien „korrekte, pflegeleichte Kunden“, andere dagegen eher nicht. Wenn der Freier ankommt, führt ihn die Frau zunächst ins Bad und wäscht ihn. Und eine erfahrene Frau soll das so geschickt machen, dass der Mann bereits beim Waschen seinen Höhepunkt erreicht und damit die gesuchte Dienstleistung erbracht ist.

Austausch nach der Führung

Nach der Führung wurde uns noch Gelegenheit geboten, in den Räumen von Doña Carmen Fragen zu stellen und uns auszutauschen. Hier waren auch Männer zugelassen und es kamen auch zahlreiche.

Zunächst erfuhren wir, dass in Frankfurt täglich zwischen 600 und 900 Frauen als Prostituierte arbeiten. 94 Prozent davon sind Migrantinnen aus 34 Nationen. Knapp die Hälfte von ihnen kommt aus Rumänien und Bulgarien. Früher waren es überwiegend Lateinamerikanerinnen – daher der spanische Namen des Vereins. Sie erbringen insgesamt weit über drei Millionen sexueller Dienstleistungen im Jahr.

Laut Doña Carmen kommen die meisten Frauen freiwillig nach Deutschland, mit dem ausdrücklichen Ziel, in der Prostitution zu arbeiten. Sie würden von anderen Frauen, die bereits als Prostituierte arbeiten, dazu ermuntert. Mitglieder von Doña Carmen haben dazu einschlägige Studien durchgeführt, und viele Prostituierte interviewt. Die Frauen sähen in der Sexarbeit eine Möglichkeit, ordentlich Geld zu verdienen und so sich oder ihren Familien zu helfen. Auch deutsche Frauen entschließen sich zur Prostitution, manchmal erst, wenn sie mit vierzig Jahren nach einer Trennung mittellos auf der Straße stehen und keinen Job finden, aber dennoch ihren Lebensstandard halten wollen. Dass es im Rotlichtviertel so wenige deutsche Prostituierte gibt, liege unter anderem daran, dass heute das Internet neue Kontaktmöglichkeiten bietet, die wiederum den Migrantinnen nicht so offen stehen wie Deutschen, allein schon aus sprachlichen Gründen.

Da die große Koalition zurzeit das Prostitutionsgesetz von 2002 überholen will, hat Doña Carmen einen eigenen Gesetzesentwurf vorgelegt. Ziel des Entwurfs ist, dass Frauen, die als Prostituierte arbeiten wollen, als mündige Bürgerinnen behandelt werden, die weder besonderen Schutz noch besondere Reglementierungen brauchen. Daher soll die Prostitution ein Beruf werden wie (fast) jeder andere. Jegliche Sonderregelung aufgrund von „Prostitution“ soll gestrichen werden, sowie auch die „Sittenwidrigkeit“. Sperrzonen sollen aufgehoben werden.

Zwangsprostitution? – Gibt es laut Doña Carmen praktisch nicht. Was aber oft vorkomme, das sei sexuelle Gewalt gegen Frauen. Diese Gewalt sei kriminell und müsse geahndet werden. Denn keine Frau kann gezwungen werden, sich zu prostituieren. Wird eine Frau gezwungen, eine ungewollte sexuelle Handlung zu vollziehen, handelt es sich um den Strafbestand der Vergewaltigung und der ist im Strafgesetzbuch bereits kodifiziert – nicht nur im Umfeld von Prostitution, sondern auch für den Fall, dass es innerhalb der Ehe stattfindet.

Kinderprostitution? – Laut Doña Carmen ist das schlicht Pädophilie und sexuelle Gewalt gegen Kinder, also bereits jetzt ein Straftatsbestand, der nichts mit Prostitution zu tun hat. Prostitution sei ausschließlich konsensueller Sex zwischen zwei Erwachsenen, der gegen Geld erbracht wird.

Das Phänomen des „Loverboys“? Also dass ein Mann sich die emotionale Bedürftigkeit junger Mädchen oder Frauen zunutze macht, um sie in ein romantisches Abhängigkeitsverhältnis zu versetzen, das ihm erlaubt, sie sexuell auszubeuten, also sie dazu zu bringen, dass sie sich prostituieren, aber nicht zu ihrem eigenen finanziellen Vorteil, sondern um ihm Geld zu verschaffen?  – Dieses Narrativ sei eine Erfindung der Medien, um die Prostitution in ein schlechtes Licht zu stellen, zu kriminalisieren.

Warum wird Prostitution in unserer Gesellschaft in die Schmuddelecke verbannt und sogar kriminalisiert? Doña Carmen sieht die Ursache in der Tatsache, dass unsere (patriarchale) Kultur Sexualität mit Schmutz identifiziert und durch die Kontrolle der weiblichen Sexualität die Menschen (auch zum Teil die Männer) zu disziplinieren sucht.

Die herrschende sexuelle Norm verbindet Sexualität mit Liebe (insbesondere für Frauen), während Prostitution zwischen Sexualität und Liebe trennt. In der Prostitution geht es darum, Sexualität in einer Beziehung zu haben, in der keinerlei Bindung oder gegenseitige Verpflichtung besteht oder entstehen soll. Es geht um Sexualität, die reproduktionsfrei gelebt werden will. Männer seien beim Ausleben solcher Wünsche viel freier als Frauen. Ihnen wird zugestanden, ihre Sexualität außerhalb einer Liebesbeziehung zu leben. Für Frauen sei das jedoch ein Tabu.

Mit der zunehmenden Krise der Reproduktion im Kapitalismus, so die Analyse von Doña Carmen, ist die Diskriminierung, Marginalisierung und negative Besetzung von Prostitution ein weiteres Mittel, um insbesondere Frauen zu disziplinieren und durch die herrschende sexuelle Norm in Ehe und Familie (in der traditionellen Form) gefangen zu halten. Auf diese Weise sollen sie bereit sein, weiterhin kostenlose Care-Arbeit zu leisten, damit der Staat die Sozialleistungen kürzen kann.

Prostitution zu verteufeln oder unzulässig zu reglementieren geschehe aber auch aus Fremdenfeindlichkeit heraus. Migrantische Frauen sollten daran gehindert werden, nach Deutschland zu kommen. Die Prostitution als Beruf und eine Möglichkeit, sich ihre Existenz hier in Deutschland zu sichern, solle ihnen möglichst versperrt und erschwert werden.

Offene Fragen

Die Bordellführung und die anschließende Diskussion machten mich sehr nachdenklich. Ich will nur einige der Fragen auflisten, die ich mir stelle:

Da ist einmal die Frage der Definition von Begriffen: Was verstehe ich unter einer durch einen Begriff benannten Sache oder Sachverhalt, was wird gemeinhin darunter verstanden? Was ist für mich „Prostitution“? Was klingt für mich alles in diesem Wort mit?

Dann die Frage der Definitionsmacht: Wer bestimmt, was unter einem Begriff („Prostitution/Zwangsprostitution“) zu verstehen ist? Sind das die Betroffenen selbst? Die Freier? Die „restliche“ Gesellschaft?

Schließlich die Macht des Begriffes an sich: Wie wird die Wirklichkeit durch einen Begriff und ein Gefüge von Begriffen in meinem Bewusstsein „geschaffen“? Was klingt so alles bei einem Begriff noch mit, also im Fall von „Prostitution“ zum Beispiel Sex als Ware, Frauenkörper und Markt, männliches Begehren, und so weiter?

Selbst, wenn ich ganz konkret etwas an meinem eigenen Fleisch und Blut erlebe, wird es für mich in meinem Bewusstsein erst wirklich, wenn ich es deute und ihm einen Sinn gebe. Wenn ich es benennen kann und diesen Begriff und das damit Benannte/Erfahrene in einen persönlichen Zusammenhang einordne. Wenn ich es einfüge wie ein neues Stück des Puzzles in ein Netz von Vorstellungen und Ideen, die mein Denken ausmachen. Und das ist erst recht so, wenn ich Sachverhalte nicht am eigenen Leib erfahre, sondern „nur“ durch darüber Erzählen vermittelt bekomme. Wie sehe ich meine eigene Sexualität, wenn ich mich mit „Prostitution“ auseinandersetze? Wirkt diese Auseinandersetzung damit nicht wie eine neue Brille?

Sprache ist wichtig. Worte und Bezeichnungen sind wichtig. Manchmal verändern sie ihre ursprüngliche Bedeutung so stark oder nutzen sich derart ab, dass sie inadäquat werden.

Es geht bei Prostitution, bei käuflichem Sex, um Beziehungen. Welche Beziehungen zwischen welchen Menschen setzt die Prostitution voraus und wie werden durch die Prostitution Beziehungen zwischen Menschen gestaltet? – Laut Doña Carmen soll Prostitution Beziehungen ermöglichen, die keine gegenseitige Verpflichtung und/oder Bindung schaffen. Es soll lediglich eine Dienstleistung erbracht und konsumiert werden, „so wie man ja auch in ein Restaurant geht und dort isst“.

Sind es gleichberechtigte Beziehungen? Das heißt, ist die Machverteilung zwischen den Beteiligten gerecht und ausgewogen? Es geht um Tausch (Geld gegen Sex). Wie wird der Wert der getauschten Dinge bestimmt? Von wem? Wie ist die Verhandlungsmacht der Prostituierten dem Freier gegenüber? Wie findet diese Verhandlung überhaupt statt, wenn sich zwei Menschen gegenüber stehen, die gar nicht dieselbe Sprache sprechen? Vielleicht gibt es „vorsprachliche“ Codes? Warum stelle ich mir all diese Fragen im Zusammenhang mit Prostitution, während ich sie mir nur sehr selten stelle, wenn ich in ein Restaurant essen gehe?

Wie würde die Existenz eines Bedingungslosen Grundeinkommens die Verhandlungsmacht einer Prostituierten beeinflussen?

Leider kamen wir nicht mehr dazu, das „Geschäftsmodell Prostitution“ zu betrachten. Mich hätte sehr interessiert, zu erfahren, wie sich die Prostitution auf das Bruttosozialprodukt in Deutschland auswirkt. Es ist ein legales Gewerbe, das – zumindest in der Variante „Laufhäuser“ – laut Angaben von Doña Carmen sich wirtschaftlich mit dem Taxigewerbe vergleichen lässt. Wie sind die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten einer Prostituierten? Wie sieht es mit Rentenversicherung, Altersvorsorge, Arbeitslosengeld, etc… aus? Wie hoch ist der Verdienst der Bordellbesitzer? Wieviel Steuern nimmt der Staat aus dieser Dienstleistungsbranche ein? Gibt es Schätzungen über den Sektor der Schwarzarbeit in der Prostitution?

Denn man darf nicht die „illegalen“ Prostituierten vergessen, die – zum Beispiel minderjährig oder drogenabhängig – auf dem Straßenstrich Sex gegen Geld anbieten. Die nicht über den Komfort eines Einzelzimmers mit Bad und Bodyguard in einem Bordell verfügen, sondern womöglich schutzlos der Willkür irgendwelcher Freier in einem fremden Auto oder sonstwo ausgeliefert sind. Es wird eindeutig Sex gegen Geld getauscht. Aber kann hier immer noch von „konsensuellem Sex“ gesprochen werden? Und wenn nicht, wie soll dann dieses Phänomen genannt werden?

Hat die Legalisierung und Banalisierung der Prostitution irgendeine messbare Auswirkung auf die Gewalt gegen Frauen allgemein? Mit anderen Worten: Wenn „Sex ohne Liebe“, also unverbindlicher Sex, stärkere Verbreitung in der Gesellschaft findet, lässt sich dann eine Abnahme oder Zunahme der Gewalt gegen Frauen feststellen, oder besteht keinerlei Zusammenhang? Und, Zwischenfrage: Gehört die Bezahlung unbedingt dazu, um Sex „unverbindlich“ zu machen, sozusagen als „Barriere“?

Bei Prostitution geht es um Sex. Die Nachfrage kommt von den Männern, bis auf die wenigen Fälle, in denen eine Lesbe nach dieser Dienstleistung sucht. Das Angebot kommt von Frauen oder homosexuellen Männern. Auch einige Transfrauen arbeiten als Prostituierte und bieten ihre sexuelle Dienstleistung Männern an. Warum ist das so? Liegt die Wurzel wirklich an der Sozialisation der Geschlechter, die – nach Christine Delphy – Frauen von Geburt an darauf abrichtet, bereit zu sein, Männern bestimmte Dienstleistungen zu erbringen, sei es „aus Liebe“ (und kostenlos) oder gegen Geld?

Die italo-amerikanische Feministin Silvia Federici hat versucht, 1975 in einem Aufsatz mit dem Titel „On Sexuality as Work“ die Frage zu beantworten, was Sex als Reproduktions-Arbeit im sozialen und psychologischen, nicht im biologischen Sinn, für Frauen bedeutet. Es geht ihr um Sex, der nicht gegen Geld getauscht wird, sondern innerhalb von Beziehungen gelebt wird. In der heterosexuellen Beziehung, so sagt sie „sind es immer die Frauen, die an dem schizophrenen Charakter der sexuellen Beziehungen leiden, nicht nur, weil sie am Ende des Tages müde ankommen von der größeren Last an Arbeit und Sorgen, die sie zu bewältigen haben, sondern auch, weil Sex für uns Arbeit ist, eine Pflicht. Die Pflicht, zu gefallen, ist derart tief in unsere Sexualität eingeschrieben, dass wir es gelernt haben, Lust zu empfinden, weil wir Lust verursachen, weil wir einen Mann erregen“. Erschöpft sich darin das weibliche Begehren?

Autorin: Elfriede Harth
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 24.08.2015
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Eveline Ratzel sagt:

    Vor 3 Jahren bereits lud die Karlsruher Frauenbeauftragte eine Mitarbeiterin von Dona Carmen zu einem Gespräch ein. Im wesentlichen hat sie die Argumente vorgebracht, die Elfriede in ihrem Artikel erwähnt.
    Ich selbst hatte ehrenamtlich wie auch beruflich mit Frauen zu tun, die Männergewalt ausgesetzt waren. Und auch mit Mädchen (11-18 Jahre), die wir im autonomen Mädchenhaus Bremen aufgenommen hatten. Bei ihnen lag die Verbindung zur Prostitution besonders nahe, aus mehrerlei Gründen, die bekannt sind, Geldmangel ist nur einer, aber ein gewichtiger.
    Um auf den Vortrag der Mitarbeiterin von Dona Carmen zurück zu kommen: Mir wurde einfach nur schlecht. In meinem Beitrag bedankte ich mich bei ihr, schließlich habe sie mir offenbart, dass das mit der sexuellen Gewalt und Ausbeutung lediglich meine Alpträume waren, und wenn die Ehefrauen nicht so katholisch und sexualfeindlich wären, müssten ihre unbefriedigten Männer ja auch nicht ins Bahnhofsviertel gehen.
    Was mich am allermeisten betrübt, ist das:
    Ist denn schon vergessen, was die internationalen Frauenbewegungen seit Jahrzehnten an aktiver Arbeit gegen Prostitution, Versklavung, Leihmütter geleistet haben? Wie sie immer noch kämpfen? Ist auch vergessen, dass alle “Argumente” von Dona Carmen längst tausendfach widerlegt worden sind durch gesammelte Erfahrungen wie auch durch theoretische und politische Analysen, die inzwischen Bibliotheken füllen? Müssen wir ausgerechnet die Räder immer wieder neu erfinden, die am offensichtlichsten rund sind? Und brauchen wir als Frauen wirklich Führungen durch Laufhäuser?
    Die Zuhälter und internationalen Menschenhändler jedenfalls dürfen sich schon seit Jahren über Deutschlands Prostitutionsgesetz freuen, das liberalste (für sie) in Europa, von rot-grün verabschiedet und mit Champus mit Zuhälterinnen begossen.
    Ich antworte aus einem Urlaub in Polen, wo ich mir weitgehend Nachrichtenabsenz verordnet habe. Dieser Artikel jedoch hat meinen Zorn auflodern lassen.
    Mit windigem Ostseegruß, Eveline

  • Ein offensichtliche Unterschied zwischen Bordell und Restaurant ist, dass die Leute im Restaurant normalerweise nicht zu zweit hinter verschlossenen Türen essen. Müsste die Idee, dass Prostitution ein “Beruf wie jeder andere” ist, nicht auch Schluss mit der Scham machen? Warum braucht ein Mann, der sich einfach nur eine ganz normale Dienstleistung holt, die “Intimsphäre” des geschlossenen Zimmers?

  • Maria König sagt:

    Die offengebliebene Frage,»Was verstehe ich unter einer durch einen Begriff benannten Sache oder Sachverhalt, was wird gemeinhin darunter verstanden?« zeigt, wie falsch mittlerweile das Wort »Begriff« mittlerweile sehr häufig verwendet wird.

    Das, was man darunter versteht, ist nämlich der »Begriff«. Prostitiution ist ein Wort dafür.
    Das »Wort«, die »Bezeichnung«, der »Ausdruck«, der »Terminus« usw. sind eben der »Name« für einen Begriff.

    Wenn Sie statt »Begriff« das Wort »Bezeichnung« verwenden, dann werden Ihre Aussagen und Fragen, was Sie oder wir unter Prostition denn eigentlich begreifen, sehr stimmig.

    Danke für Ihren interessanten Beitrag!

  • Monika sagt:

    Ich danke Eveline SEHR für ihre Bemerkungen, denn auch mir war sehr unwohl bei diesem Artikel. Es scheint so, als ob alles gut funktioniert, der Rest (der sehr viele Frauen betrifft) ist mal eben vergessen.

  • Ute Plass sagt:

    @Eveline Ratzel: “Ist auch vergessen, dass alle „Argumente“ von Dona Carmen längst tausendfach widerlegt worden sind durch gesammelte Erfahrungen wie auch durch theoretische und politische Analysen, die inzwischen Bibliotheken füllen?”

    Weiterführend dazu ein Gespräch mit der Sexarbeits-Aktivistin Carmen Amicitiae, Antje Schrupp und Katrin Rönicke:

    http://erscheinungsraum.de/er035-es-gibt-keine-gesellschaftliche-notwendigkeit-dass-mit-allen-maennern-geschlafen-wird/

  • Martin Mair sagt:

    Ist im Kapitalismus nicht jede Lohnarbeit eine Form der Prositution, zumal heutzutage auch die Psyche schon als “Arbeitsmittel” bezeichnet wird und mensch in der Arbeit nicht nur gut ausschauen soll (mensch denke nur an die Fotos der Karriereportale und die dortigen Darstellungen!) sondern auch sich mit seinen “Soft Skills” und seiner “Persönlichkeit” voll und ganz einbringen soll!

    So zu tun, als sei nur Sexarbeit eine Form der Prostitution ist Heuchelei! Am ArbeitMARKT muss sich jeder Mensch verkaufen!

  • Ute Plass sagt:

    @Monika –
    Es scheint so, als ob alles gut funktioniert, der Rest (der sehr viele Frauen betrifft) ist mal eben vergessen.

    Ich habe den Beitrag von Elfriede Harth nicht so verstanden.
    Im Gegenteil.
    Deutlich wird mir wieder der Zusammenhang von Armut und
    Prostitution. Und wenn es gilt sich zu empören, dann über die real vorherrschenden Armuts- u. Elendsverhältnisse, die
    Menschen zu “Sexarbeit” zwingen.

  • Antje Schrupp sagt:

    Ich möchte mich Ute anschließen – bei der gängigen (feministischen) Kritik an Prostitution wird fast nie thematisiert, dass der “Zwang” zu dieser Tätigkeit in sehr vielen Fällen (vermutlich den allermeisten) aus Armut resultiert. Und die Frage, inwiefern ein Verdrängen von Prostitution in die Illegalität jenen Frauen, die keine anderen Möglichkeiten haben, in Deutschland an Geld zu kommen, helfen würde. Sollen die einfach zurück in ihre Herkunftsländer und ihre elenden Lebensverhältnisse gehen?

    Mir fiel das besonders auf, als ich das Buch von Rachel Moran las, die ja derzeit eine der bekanntesten Aktivistinnen für ein Prostitutionsverbot ist. Sie schreibt sinngemäß, das einzige, wobei ihr die Prostitution jemals geholfen habe, wäre gewesen, aus der Obdachlosigkeit herauszukommen. Tja, was wäre die Alternative gewesen? Sie hatte keine (oder sie sah keine). Und das ist der Kern des Problems.

    Also ich finde, diesen Verweis auf die ökonomische Seite der Prostitution (aus Sicht der Frauen) müssen wir sehr ernst nehmen. Nicht einverstanden bin ich hingegen mit der Forderung von Dona Carmen, Prostitution als “Arbeit wie (fast) jede andere” zu sehen. In dem Zusammenhang finde ich die Begründung von Amnesty International gut, die sich gegen die Kriminalisierung von Prostitution aussprechen, aber gleichzeitig auch skeptisch gegen eine Legalisierung sind, also eine gesetzliche Regelung in Parallele zu anderen Arbeitsgesetzen. Warum, erkläre ich etwas ausführlicher in dem Gespräch, das Ute oben schon verlinkt hat: Katrin Rönicke fragte dort nämlich, was dagegen spricht, Hygienebestimmungen usw. zu erlassen und die von einer Art Gewerbeaufsicht überprüfen zu lassen, in Analogie zu dem Restaurantbeispiel. Während ich aber der Auffassung bin, dass der Staat durchaus die Aufgabe hat, sicherzustellen, dass das Essen in Restaurants hygienisch ist, hat er nicht die Aufgabe, diesen Service quasi für Freier anzubieten, indem Prostituierte reglementiert und kontrolliert werden.

    Übrigens auch interessant in dem Zusammenhang die (schon ältere) Argumentation von Martha Nussbaum zu dem Thema: http://philosophy.uchicago.edu/faculty/files/nussbaum/Whether%20From%20Reason%20or%20Prejudice.pdf

  • Gunhild sagt:

    @Eveline Ratzel, Ihr Kommentar ist eine Wohltat nach diesem Artikel!

    Zum Artikel: Leider ist noch weitgehend unbekannt, dass Dona Carmen im Grunde die Marketingabteilung der Prostitutionslobby ist und keineswegs die Interessen der prostituierten Frauen vertreten. Die Tatsache, dass sie die Abschaffung des Paragraphen zur Strafbarkeit von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung fordern, sagt genug über diesen Verein und seine eigentlichen Ziele. Verharmlosung und Schönreden der Prostitution, um für die Profiteure der Prostitution den Weg frei zu machen. Prostitution ist nicht Sex, sondern Gewalt: eine Person wird mittels Geld zu sexuellen Handlungen manipuliert, die sie selbst nicht will.

    Und da ändern auch vermeintlich progressive Positionen nichts daran, die Prostitution als eine Art von Arbeit verkaufen wollen. Auf diese Weise sexuelle Ausbeutung mit Arbeitsausbeutung gleichzusetzen nivelliert und relativiert sexuelle Gewalt und ist Ausdruck von Sexismus. Denn bei Prostitution geht es nicht nur um kapitalistische Zwänge sondern auch um sexistische Machtstrukturen. Diese sind integraler Bestandteil des Systems Prostitution.

    Und welche andere Arbeit gibt es eigentlich, bei der als Folgeerkrankung eine posttraumatische Belastungsstörung wahrscheinlich ist?

  • Jutta Pivecka sagt:

    Mir gefällt an diesem Artikel, das Elfriede Fragen stellt, statt zu werten. Gerade aus den Fragen im letzten Abschnitt ergeben sich für mich auch Argumente, die dagegen sprechen, Prostitution als eine “Arbeit wie jede andere” zu betrachten.

  • Interessanter Bericht. Danke dafür.

  • Gunhild sagt:

    @Antje Schrupp

    Ja, Rachel Moran schildert die Notlage, die sie – zusammen mit dem Zutun eines Zuhälters – in die Prostitution trieb. Und die Folgerung, die sie daraus zieht, ist, dass die Freierbestrafung allein keinen Sinn macht, sondern mit guten Ausstiegsoptionen kombiniert werden muss. Genau das also, was das Nordische Modell beinhaltet. Daran sieht man, wie wichtig es ist, den Survivorn der Prostitution zuzuhören.

    Wer hingegen sagt: naja, wenn sie in so einer Notlage ist, ist Prostitution eben eine mögliche Option, überlässt die Betroffenen ihrem Schicksal. Wir als Gesellschaft müssen uns überlegen, ob es Männern erlaubt sein darf, die Notlagen von Frauen und Mädchen (Rachel war 15 als sie in der Prostitution anfing) auszunutzen. Außerhalb der Prostitution nennen Aktivistinnen gegen sexuelle Gewalt diese Form der Manipulation Vergewaltigung. An Frauen in der Prostitution darf kein geringerer Maßstab angelegt werden, andernfalls zwingt man sie in einen geringeren Menschenrechtsstatus und bestätigt zugleich die Idee einer sexuell benutzbaren Klasse von Frauen .

    Amnesty ist dabei keine gute Quelle, da sie die Ausbeuter der Frauen entkriminalisieren wollen, wodurch das Verbrechen nicht etwa kontrollierbar wird, sondern zu einem akzeptablen Geschäftsmodell. Das bedeutet für die Polizei keinerlei Handhabe, denn gegen ehrbare “Prostitutionsmanager” lässt sich nicht ohne weiteres vorgehen: http://www.kriminalpolizei.de/ausgaben/2013/juni/detailansicht-juni/artikel/ausser-kontrolle.html. Dass die prostituierten Menschen entkriminalisiert werden müssen, ist klar, und gehört zu den ersten Forderungen, die Abolitionistinnen geschichtlich überhaupt erhoben haben.

    Amnesty weiß sehr gut, dass es mit der Vermischung der Ausbeuter und der Betroffenen gegen die Betroffenen arbeitet, und nimmt es in Kauf, da sie gekauft wurden: https://thinkoutsidetheboxer.wordpress.com/2014/10/06/ngos-the-best-pr-and-spin-doctors-that-sex-industry-money-can-buy/. Die Prostitutionslobby ist eben nicht tatenlos, wenn es darum geht, ihre millionenschweren Interessen durchzusetzen.

    Dieser Artikel zum Thema Amnesty und linken Scheuklappen spricht mir aus dem Herzen: http://kritischeperspektive.com/kp/2015-17-die-prostitutions-lugenlobby/

  • Prostitution soll heutzutage verharmlost werden, denke ich. Vor allem ist sie ein Milliardengeschäft zu Lasten der Frauen, die kaum dabei verdienen und noch mehr zu Lasten der Frauen, die ihrem Mann zuhause im Bett nicht sagen können: “Ohhhhhhh, wie bist du toll!”
    Diese INDUSTRIE produziert unzufriedene (Ehe)Männer. Die sollen ja schließlich als Kunden immer wieder kommen, nicht wahr???

  • Vielleicht wäre es gut, auch in der Prostitutionsdebatte zu akzeptieren, dass Frauen verschieden sind? Statt der jeweils anderen Seite vorzuwerfen, sie habe “den Frauen nicht zugehört”? Wer “den Frauen zuhört” erfährt nämlich logischerweise von verschiedenen Realitäten und entsprechend von verschiedenen Meinungen. Wenn ich immer schon vorher weiss, dass Frauen, die nicht das erzählen, was ich selber für die Realität halte, patriarchal fremdbestimmt sind, unterlaufe ich weibliche Freiheit.

  • Heidrun Weykam sagt:

    Aus meiner Sicht geht es noch um weit mehr als nur um Prostitution, sie ist nur der niedrigste Teil dessen, was Sex bedeutet.
    Es gibt drei Bereiche des Menschen, die einen inneren Zugang zum Göttlichen haben. Das sind die Geburt, die menschliche Sexualität, da gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen menschlicher Sexualität und Sex, wir kennen gar nichts anderes als eben nur Sex, und der Tod. Alle drei Bereiche werden sehr stark reglementiert und kontrolliert, weil es um Bewusstsein geht, wovon wir ständig abgeschnitten oder weggezogen werden.
    Barry Long war einer der ganz wenigen Weisheitslehrer der Menschheit, der sich des sexuellen Elends, wie er es nannte, wirklich angenommen hat.
    In seinen Vorträgen, auch in Deutschland, riet er den Frauen:”schmeiß ihn aus dir raus, schmeiß ihn aus deinem Bett, wenn er Sex macht” und erklärte den Männern, dass sie “beim Sex die Frau als sexuellen Spucknapf mißbrauchen”. Sex zerstört die Liebe, so Barry Long. Wahre Sexualität erneuert sie und bringt immer mehr davon hervor.
    Das ist sehr radikal und leider auch sehr wahr. Er hat unzähligen Menschen geholfen, aus der Falle von Sex und Abreagieren wieder herauszukommen und die Liebe zwischen Mann und Frau neu zu leben. Zu unserem Glück hat er viele gute Bücher geschrieben, damit wir zumindest beginnen können zu verstehen.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Barry_Long
    http://www.barrylongweb.com/DE/mb-verlag.html

  • Gudrun Nositschka sagt:

    Ich finde die Sprache im Beitrag sehr aufschlussreich, in dem die Autorin durchgängig von FREIERN spricht. Freier? Freier ist ein Mann, der um die Gunst einer Frau wirbt. Warum spricht Elfriede Harth nicht einfach von Sexkäufern? Warum wird nicht thematisiert, wie oft am Tag eine Frau einen Sexkäufer bedienen muss, um die Miete in dem Haus zu bezahlen? Mindestens 6 mal, dann hat sie ggf. 10€ zum Leben übrig. Sieht so die Bekämpfung ihrer Armnut aus? Eine Frau ist doch keine Sexmaschine.

  • Ute Plass sagt:

    Stimme dem Kommentar von @Ina Prätorius zu.

    Ich gehe davon aus, dass allen, die sich hier im Forum zu Wort melden, es ein Anliegen ist, dass Ausbeutungs/Gewaltverhältnisse zu einem Ende kommen müssen.
    Sich darauf zu besinnen dürfte die Kommunikation hier konstruktiver gestalten im Sinne von : Wege suchen aus Armut- und Unterdrückungsverhältnissen.

  • Elfriede Harth sagt:

    Ich war mir dessen bewußt, daß dieser Beitrag heftige Emotionen auslösen würde. Sexualität ist einfach ein Thema, das uns tief berührt. Noch (technischer Fortschritt läßt grüßen) verdanken wir alle unser Dasein der Tatsache, daß sich in einem Frauenkörper unsere menschliche Gestalt heranbildete und wir dann – zumindest die meisten von uns – durch “das Tor des Paradieses” in das Licht der Welt entlassen wurden. Und wie es eine Freundin mal formulierte, im Unterschied zu den Frauen versuchen Männer (die ja nicht gebären können) unbewußt im Koitus wieder an den Ort des Ursprungs zurückzukehren.

    Natürlich ist Sex nicht nur Koitus. Es ist nicht nur Genitalität. Es ist nicht nur Heterosexualität. Es ist nicht nur Reproduktion. Aber es ist auf jeden Fall Ausdruck von Sehnsucht nach Nähe. Diese Sehnsucht kann manchmal zerstörerische Züge annehmen, wenn zum Beispiel der Vergewaltiger seinen Penis als Waffe einsetzt.

    Gewalt hat mit Nähe zu tun. Genauso wie Zärtlichkeit. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, daß Zärtlichkeit die größtmögliche Nähe mit der größtmöglichen Distanz vebindet, während Gewalt derart nah kommt, daß keine Distanz mehr bleibt.

    Sexualität ist und bleibt die Quelle des Lebens für uns als Gattung. Noch. Und da wir ja als Sterbliche geboren werden (im Gegensatz zu gewissen Einzellern, die durch Teilung entstehen) ist Sexualität auch die Quelle des Todes. Kein Wunder, das Sexualität daher in allen Religionen so eine zentrale Rolle spielt. Daß sie tabusiert wird. Daß es zu etwas wird, dem wir mit Ehre und mit Furcht begegnen (sollen).

    Und Sexualität ist auch etwas, das das Zusammenleben von Individuen unserer menschlichen Gattung strukturiert. Im Gegensatz zu anderen Säugetieren haben wir zwar Instinkte, Triebe, aber wir haben auch Moral. Wir lernen von Geburt an, also sobald wir “aus dem Paradies” entlassen werden, was “Gut” und “Böse” ist, was erlaubt und was verboten ist. Wir lernen, was tabu ist. Und eines der ersten Tabus, das wir lernen, ist das Tabu des Inzests. Es sagt uns, was “Familie” ist: es sind alle die Personen, die sexuell tabu sind. Und so entwickelt der Mensch, im Gegensatz zu den anderen Säugetieren, eine offene Sexualität. Der Sexualtrieb kann befriedigt werden durch alles mögliche, angefangen von der Fantasie bis zu allen jenen Sachen, die in einem Sexshop angeboten werden. Sexualität ist also auch (eine) Quelle der menschlichen Kultur, also dessen, was uns von den anderen Säugetieren unterscheidet.

    Prostitution ist eine Form, in der in unserer Gesellschaft Sexualität gelebt wird. Da ich Sexualität als so zentral für unser Menschsein erachte, möchte ich verstehen, wie Prostitution funktioniert, was sie mit uns allen macht, ob wir Sex-ArbeiterInnen sind oder Sex-UnternehmerInnen oder aber Menschen, die – angeblich – nichts damit zu tun haben. Denn für mich leben wir alle in einem großen Zusammenhang und die Lebensbedingungen der einen bedingen die Lebensbedingungen der anderen. Da Prostitution Sex mit Geld in Verbindung bringt, kommen noch ganz andere Aspekte hinzu: Was hat Menschsein mit Geld zu tun? Wer hat Zugang zu Geld und wer nicht? Warum ist das so?

    Ich habe wenig Antworten, dafür umso mehr Fragen.

  • Antje Schrupp sagt:

    @Gudrun – Ja, so sieht die Bekämpfung ihrer Armut leider offenbar aus. Was sollen die Frauen denn deiner Meinung nach stattdessen machen? Betteln? Klauen? Hungern? Eventuell könnten sie illegal putzen, aber dazu müssen sie bereits Kontakte haben und ein bisschen deutsch können. Und da sind die Verdienstmöglichkeiten auch nicht gerade dolle. Bulgarinnen und Rumäninnen haben hier in Deutschland normalerweise keinen Anspruch auf soziale Unterstützung irgend einer Art, und die Lebensbedingungen in ihren Herkunftsländern sind miserabel, und falls es Roma sind schlicht unmöglich.

  • Ute Plass sagt:

    @Heidrun Weykam –
    “Barry Long war einer der ganz wenigen Weisheitslehrer der Menschheit, der sich des sexuellen Elends, wie er es nannte, wirklich angenommen hat.”

    Welche Gründe hat er für dieses “sexuelle Elend” angeführt, und wie müssen gesellschaftliche Verhältnisse beschaffen sein um, die von ihm postulierte, “wahre Sexualität” (was ist das?) leben zu können?

  • Heidrun Weykam sagt:

    @Ute Plass
    “Welche Gründe hat er für dieses “sexuelle Elend” angeführt, und wie müssen gesellschaftliche Verhältnisse beschaffen sein um, die von ihm postulierte, “wahre Sexualität” (was ist das?) leben zu können?”

    Im Grunde kann ich für die Beantwortung dieser Frage nur die Bücher von Barry Long empfehlen, denn dort hat er sehr klar definiert, was Liebe im Unterschied zu Sex überhaupt ist. Ich nannte “wahre Sexualität” selber, um den Unterschied deutlich zu machen. Für mich ist es eigentlich die menschliche Sexualität im Gegensatz zum Sex. Da geht es um Praxis, um eine andere Praxis, wobei der Mann gefordert ist, seine Sexualkraft nicht zu ejakulieren, sondern zu lernen, diese Kraft zu lenken und mehr.
    Bei Barry Long geht es nicht um gesellschaftliche Verhältnisse, sondern um unsere eigene Lebens-, Liebes- und Sexualpraxis, die entweder die Liebe zerstört oder aber aufbaut.
    Schauen wir uns die vielen Ehescheidungen und Trennungen an, können wir von dem sexuellen Elend sicherlich einiges erahnen, denn überall ist die einstige Liebe wieder gestorben. Der Ausspruch Barry Longs, dass “Sex die Liebe zerstört”, macht da für mich durchaus Sinn.
    Gelebte Liebe zwischen Mann und Frau, die sich durch eine andere Sexualität ständig erneuert und aufbaut, würde ganz sicher eine andere Gesellschaft bzw. gesellschaftliche Verhältnisse hervorbringen, als wir sie derzeit haben. Nach Barry Long kann der Ansatz nicht die Gesellschaft sein, sondern wir selber.

  • Vielen Dank für diesen Text! Auch für die Fragen am Ende, die mich an die erste Zeit erinnern, als ich angefangen habe mich mit Prostitution zu befassen. Mir ging es genauso: Ich habe erst einmal über Sexualität nachgedacht – meine eigene und Sexualität im Kontext breiterer gesellschaftlicher Verhältnisse. Was für mich persönlich dabei rum gekommen ist, ist dass ich viel gelernt habe und ganz viel Ballast aus meiner Sozialisierung ablegen musste: Die Idee, dass man als Frau keine Lust oder keinen Sex haben kann/soll/darf, wenn nicht auch Liebe involviert ist; Die Vorstellung, dass man irgendwas verliert (die Würde, z. B.), wenn man Sex ohne Liebe hat; die Vorstellung, dass Frauen sexuell immer unterlegen sind (angeblich, weil man sie ja penetriert…). Bewusst wurde mir bei der Lektüre der Texte der Hurenbewegung (“Wir sind Frauen wie andere auch”), wie viel emotionale und sexuelle Arbeit wir als Frauen täglich verrichten, weil man das von uns erwartet und selbstverständlich ist.
    Die Prostituierte zerstört diese romantischen Prinzessinenlektionen aus dem Märchenbuch und sagt: “Das willst Du? Ok, aber es ist Arbeit und ich will Geld dafür. Kostenlos gucke ich nicht süß, ich schminke mich auch nicht und schon gar nicht habe ich Sex mit Dir, weil Du so ein toller *Prinz* bist”. Und das ist eine Haltung, die ich grundsätzlich erst einmal respektiere – sehr sogar.
    Ich weiß, dass es viele Frauen gibt, die Sex ohne Liebe und/oder Sex gegen Geld undenkbar finden. Es gib auch welche, die Sex außerhalb einer Beziehung oder komplett ungebundenen Sex mit Männern und/oder Frauen* undenkbar halten. So ist nun mal das Spektrum an gelebter Sexualität und ich finde das müssen wir akzeptieren.
    Was nun die Arbeitsbedingungen der Prostitution betrifft: Ja, darüber müsste man mal ordentlich reden. Auch über die staatliche und polizeiliche Überwachung und Schikane, die Kriminalisierung durch Sperrgebiete. Aber soweit kommen wir aktuell in der Debatte nicht, weil wir (naja, nicht wir – aber die Debatte) bei pauschalen und stigmatisierenden Opferzuschreibungen stecken bleibt, in der die Migrantin grundsätzlich nicht in der Lage ist, eine für sie akzeptable Entscheidung zu treffen. Ja, Migrantinnen ohne Sprachkenntnisse sind stärker für Ausbeutung anfällig, weil sie weder Rechte noch Sprache sprechen. Aber das ist in der Reinigungsindustrie, der Gastronomie und im Haushalt nicht wirklich anders. Migrantinnen sind allgemein in der Care Arbeit überrepräsentiert. Warum der gleichen Frau von den Prostitutionsgegner*innen zugesprochen wird, sich freiwillig für einen unterbezahlen Job in diesen anderen Bereichen entscheiden zu können, aber nicht für die Sexarbeit, bleibt mir schleierhaft. Schließlich sind die Armut und die Ausbeutung oft vergleichbar. Auch sexuelle Gewalt ist außerhalb der Sexarbeit verbreitet – das scheint hier auch oft vergessen zu werden.
    Fragen bleiben offen und ich wünsche mir, dass wir offen über Fragen reden können, ohne dass ständig die seit Jahren per copy-paste verbreiteten Kommentare hin- und her geschmissen werden, in denen alle, die nicht sofort gegen Prostitution sind, als Prostitutionslobbyisten bezeichnet werden. Kommentare, in denen die Ansicht eines nostalgischen Kriminalpolizisten Manfred Paulus schwerer wiegt, als die Stimme aller Frauen, die ihm widersprechen (Paulus fordert die alten Zwangsuntersuchungen zurück, die übrigens auch “promiske” Frauen trafen….wie man übersehen kann, dass das eine Form sexueller Gewalt ist, ist mir schleierhaft).

  • Ach so – noch eine Sache: Die Vorstellung, dass man Sex und Liebe nicht trennen sollte, dass das alles so ein “sexuelles Elend” sei, ist aus meiner Sicht die Grundannahme, die hinter jedem Slut-Shaming, hinter jeder Verurteilung von Sexualität außerhalb vorgebener Beziehungsformen steckt. Wer Sex ohne Liebe als Elend verurteilt, verurteilt immer auch die Menschen mit, die Sexualität so leben. Und hier sind wir aber schon lange nicht mehr nur im Bereich der Sexarbeit sondern im Bereich von nicht-kommerzieller Sexualität – die übrigens auch ziemlich oft ohne Liebe von statten geht (oft tatsächlich auch in Beziehungen – ohne Liebe). Wer Sex (ausschließlich) als Ausdruck von Liebe leben will, soll das tun. Aber lasst doch bitte die Leute in Ruhe, die Sexualität anders Leben, erleben und empfinden. Und ob da manchmal auch Geld fließen kann – oder vielleicht nur ein Dinner oder irgendein Geschenk, da sei jeder*m selbst überlassen.

  • Ich frage mich immer, warum sich niemand ganz banale Fragen stellt, bevor wir darüber reden, wie “normal“ Prostitution sein soll. Zum Beispiel: Hört jemand ein Kind sagen: Berufswunsch: Prostituierte? Allein die Vorstellung ist doch absurd. So normal ist der Beruf also. Oder was wir darin sehen.
    Sich für die Rechte und den Schutz von Prostituierten einzusetzen ist etwas anderes als zu sagen, dass Prostitution normal ist. Das ist etwas, was stark unterschieden werden müsste.
    Es gibt selbst bei der Bundesregierung, das lässt sich leicht über Google herausfinden, genug Infos, dass es eben kein Beruf wie jeder andere ist und dass die Frauen, die dort arbeiten, sehr oft, sehr ähnliche und schlimme Geschichten haben. Und ist es human und menschlich, diese in ihrer Situation zu lassen? Das gleiche sehe ich aber auch so, wenn diese Frauen in Berufe abgeschoben werden, die zwar nicht körperlich ausbeutend, dafür aber auf andere Art ausbeuterisch sind. Hier müsste eine angeblich soziale Gesellschaft Regeln schaffen, dass gerade die Schwächsten in der Gesellschaft geschützt werden. Macht sie aber nicht, vor allem nicht in Deutschland, wie wir ja sehen. Macht sie nicht mal ansatzweise, auch nicht in der Werbung. Nirgendwo.
    In dem Sinne ist das Problem weitergehend als nur in der Prostitution zu sehen, dass nämlich Mädchen und Frauen niemals wirklich geschützt werden, wenn wir mal ehrlich sind, aber dann auch Jungen und Männer nicht, vor den Bildern, die hier überall auf uns eingedroschen werden.

    Ehrlich gesagt, der Bericht hat mich ziemlich angeekelt, wie jedes Bahnhofsviertel mich anekelt und ja, auch weil ich Menschen kenne, die in diesen Gegenden gelandet sind und daran kaputt gegangen sind. Es ist nicht so leicht, wie es erzählt wird, es ist schlimm. Und es verändert auch die Männer, die dorthin gehen. Es verändert den Blick, den sie auf Frauen haben, der ja vorher sowieso schon schlimm war. Es gibt diesen Brief von Tanja Rahm, der einiges aussagt, die in der Prostitution gearbeitet hat und versucht hat auszudrücken, was es mit einem macht. Es gibt das Buch “Es macht die Seele kaputt“ von Ingrid Strobl und es gibt viele unterschiedliche Studien und Untersuchungen und auch das Buch von Lydia Cacho Sklaverei, das dazu unbedingt gelesen werden muss. Ich empfinde es immer noch so: Eine Gesellschaft, die wirklich frei ist, wirklich frei, sollte ohne Prostitution funktionieren, ohne jegliche Ausbeutung. Mich kann jetzt jede/r gern als zu idealistisch ansehen, aber, wenn so viel Gewalt möglich ist und so viel Ausbeutung ist auch das Gegenteil möglich. Wir gestalten ja die Gegenwart mit. Und ich akzeptiere es nicht, etwas als “normal“ zu empfinden, was ich nicht als normal empfinde. Und nicht als richtig.
    Wo ist bitte die banale Frage, warum bitteschön Prostitution normal sein soll, wenn das nur eine Bevölkerungsgruppe betrifft und oft genug Menschen dafür ausgebeutet werden, die nie eine Chance hatten, ja oder nein zu sagen?
    Ich werde niemals etwas als normal akzeptieren, dass einerseits Männern den Stempel aufdrückt, dass sie das wohl brauchen und andererseits Frauen den Stempel „mögliche Prostituierte“ aufdrückt, egal ob sie es wollen oder nicht. Nein, danke.
    Wenn wir hier Frauen aus anderen Ländern in das Land holen, dann bitte mit der Möglichkeit, würdevoll zu arbeiten, geschützt. Geschützt vor allem auch in ihrer körperlichen Integrität.
    Das ganze Problem liegt auch darin, dass es konstruiert ist. Es geht überhaupt nicht um Sexualität an sich, sondern eine bestimmte Form, die als “Normalität“ gesetzt wird. Ist sie aber nicht. Das heißt genauso, dass es geändert werden kann. Es ist ein Geschäft und keine Sexualität.
    Ich habe das Gefühl, dass generell jetzt immer mehr Gewalt mit Sexualität gleichgesetzt wird, auch in Büchern und in Filmen und das ist etwas, was aufhören muss, weil sowieso schon so viele Menschen unter Gewalt gelitten haben. Wir brauchen nicht auch noch eine Gesellschaft in der Gewalt gleichgesetzt wird mit Sexualität.
    Und wieso soll Prostitution eine Befreiung sein für die weibliche Lust? Da geht es doch gar nicht um weibliche Lust. Es geht um eine konstruierte männliche Lust, die auch noch dazu allen vorgaukelt, dass Männer wohl sowas brauchen würden. Ich als Mann wäre beleidigt.
    Es ist doch eher die Frage, wie wir leben wollen.
    Was für uns denn Begehren ist.
    Es ist jetzt eher etwas sehr Verletzliches, aber: ist es nicht furchtbar, dass Sexualität das sein soll? Es geht mir nicht darum, dass manche Menschen das vielleicht wirklich freiwillig machen etc, sondern dass das jetzt immer mehr als “normal“ gelten soll. Das empfinde ich als übergriffig, auch weil Kinder jetzt damit aufwachsen, dass das “normal“ ist. Ist es das? Wollen wir das?
    Sexualität kann ja auch ganz anders aussehen. Und vielleicht lässt sich auch fragen, ob wir nicht etwas falsches unter Liebe verstehen, wenn wir das als einengend empfinden, Liebe mit Sexualität zu verbinden? Ist Sexualität freier ohne Liebe oder was heißt das? Dann müssten wir erst einmal definieren, was wir unter Liebe verstehen und dann wird es interessant.
    An Elfriede Harth:
    Ich wäre hier sehr, sehr vorsichtig. Wenn jemand vergewaltigt ist es Gewalt, nix weiter. Das hat nichts mit Sehnsucht zu tun, es ist Gewalt. Für das Opfer sowieso.
    Vergewaltigung hat nichts mit Nähe zu tun, der Täter glaubt dadurch Macht zu bekommen, Pseudo-Macht. Es hat aber nichts mit Nähe zu tun. Das ist sehr wichtig.
    Hier ist dann auch wieder die Frage, was bitte Nähe sein soll oder Sehnsucht, wenn das in einem Satz mit Vergewaltigung auftaucht. Sehr krude oder?
    „Gewalt hat mit Nähe zu tun“. Eben nicht. Gewalt zerstört Nähe. Jegliche Nähe. Auch die Nähe zu sich selbst. Gewalt hat damit zu tun, dass eigene Ängste und auch eigene Probleme an anderen ausgelebt werden. Aber sicherlich nichts mit Nähe. Ich würde zurückfragen, was Nähe ist.
    Ich empfinde das als sehr verdrehend, weil Gewalt nichts mit Nähe zu tun hat und Zärtlichkeit aber sehr viel, aber diese beiden Worte in einem Satz zu lesen empfinde ich als sehr schlimm.
    Das klingt sehr verdreht.
    Da wäre die Frage, was hier unter Nähe verstanden wird, was unter Sexualität auch.
    Die gleiche Sache, wenn gesagt wird, dass Sexualität die Liebe zerstört. Ich sehe das nicht so, es sind nur bestimmte Formen, die die Liebe zerstören können. Aber auch hier ist wieder die Frage, was wir unter Liebe verstehen.
    Wenn ich mir heute Bücher angucke, dann will ich es manchmal lieber nicht wissen. Oder wenn ich solche Sätze lese wie oben zitiert.

    Ich bin auch dafür, dass Frauen ausleben dürfen, was auch immer sie sich wünschen, aber dann müssen alle vorher mal fragen, wie frei das ist, wenn das dann wieder nur unter den angeblichen und eher konstruierten weil ja so “normal“ empfundenen Wünschen der Männer passiert. Ist das Freiheit? Ich denke nicht.
    Es geht mir eher darum, dass das heute als “Normalität“ gesetzt wird oder als einzige Alternative. Ich kenne so viele Frauen, die glücklich mit sich sind und ihrer Sexualität und die auch gut leben können mit Männern, die auch ihre eigene Sexualität haben.
    Hier klingt das immer so als ob jemand entweder die Wahl hätte eine “langweilige, unfreie“ Sexualität in der Ehe zu haben oder Prostituierte zu werden. Das ist dann doch etwas sehr seltsam. Oder aber keine Sexualität zu haben, weil das die Liebe zerstört. Welche Liebe?
    Und ehrlich gesagt tut es mir eher für die Menschen leid, die nur den einen Ausweg sehen oder den anderen. Das ist so als ob es nur schwarz oder weiß geben würde.
    Ich frag mich nur manchmal, ganz banal wieder, was Kinder sehen oder was wir sehen würden, wenn wir einfach als Kinder durch die Viertel gehen würden. Würden wir das dann so “normal“ finden? Das ist immer eine gute Herangehensweise, weil Kinder so oft die Wahrheit sagen.
    Und es gruselt mich dann eher, was sie sehen würden.
    Und was wir als so wunderbar frei betiteln. Und so wunderbar normal. Es macht mich wütend.
    Vielleicht wäre mal eine größere Frage angebracht, wie wir überhaupt Liebe oder Sexualität sehen und warum sexuelle Gewalt überall so weit verbreitet ist, nicht nur in der Prostitution. Und ob das nicht auch mit daran liegt, dass wir immer annehmen, dass Männer eben so seien. Ob das nicht in Wahrheit immer noch dahinter steckt und das so unterschwellig immer vermittelt wird.
    Und Gewalt ist immer die Entscheidung jedes einzelnen. Und hier Sätze zu lesen wie Vergewaltigung und Nähe in einem Satz, das ist sehr krude. Das zeigt schon, wie gefährlich das alles ist.
    Ich für meinen Teil möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der solche Wörter in einem Satz erwähnt werden, weil es das nicht ist. Ich kann auch aus eigener Erfahrung und von anderen sagen, dass Vergewaltigung nur mit der kranken Entscheidung des Vergewaltigers zu tun hat und sicherlich nichts mit seiner Sehnsucht. Es sind die Ängste, die Probleme, die kranken Gedanken im Kopf desjenigen. Und eine falsche Entscheidung. Und sonst nichts.
    Es geht ja dabei eben nicht um die andere Person oder irgendwas, das ist es ja eben, sondern nur um den Vergewaltiger. Und egal was derjenige für Sachen im Kopf hat, eine andere Person zu verletzen für die eigenen kranken Gedanken ist alles andere als Nähe oder sonst irgendwas. Es ist Gewalt. Die schlimmste Gewalt, die ein Mensch einem anderen antun kann.

  • und an Martin Mair bzw. Menschen die denken wie Martin Mair, ich empfehle mindestens ein halbes Jahr einmal selbst als Prostituierter in dem Fall zu arbeiten, dann werden wir sehen, ob das ein Beruf ist wie jeder andere im Kapitalismus. Dann können Sie dabei auch mitreden.
    Es ist etwas völlig anderes in der Prostitution zu arbeiten als in irgendeinem anderen Job, egal was hier so schön verharmlost wird. Das ist es einfach. Genauso wie in Jobs, wo gerade Frauen immer wieder Erniedrigungen und sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Als ob es vergleichbar damit ist, dass sich jemand für einen Schreibtischjob oder selbst für den Bau oder sonst irgendwas gut darstellen muss.
    Ich gehe mal davon aus, dass Sie selbst das noch nicht ausprobiert haben, hier wäre ihre Chance. Es gibt bestimmt Menschen, die da etwas anzubieten haben. Vielleicht sehen Sie dann, wie Sie Menschen damit beleidigen, die wirklich etwas Schlimmes erlebt haben.

  • Friederike sagt:

    Prostitution ist, wie die Sexualität allgemein, ein sehr differenzierter Bereich, der viele Formen und Möglichkeiten bietet. Dementsprechend ist eine differenzierte, von Vorurteilen freie Betrachtung zu fordern. Gerade viele Frauen erliegen gerne der Falle, ihre eigenen Vorstellungen und Präferenzen auf andere zu übertragen; davon muss man sich lösen. Man muss sich selbst informieren und sich ein unabhängiges Urteil bilden. In diesem Kontext ist die Aktion von Dona Carmen sehr begrüßenswert. Un den Bericht von Elfriede Harth fand ich sehr gut zu lesen.

    Beim Lesen des Kommentars von @Eveline Ratzel dreht sich mir dagegen der Magen um: Eveline braucht keine Führung durch ein Laufhaus, weil sie ja schon alles weiß, ohne sich die Verhältnisse ansehen zu müssen. Für sie sind die Argumente von Dona Carmen “tausendfach widerlegt”, ohne dass man näher darauf eingehen muss. Aus solchen Denkweisen entsteht dann so etwas wie das neue “Prostitutionsschutzgesetz”.

    Ich schreibe das hier, weil ich selbst Prostituierte bin – ich kenne sicher nicht alles in diesem Bereich, aber doch sehr vieles, und ich kenne viele Kolleginnen und deren Motivationen. Und deswegen kann ich sagen, dass es eben nicht ausreicht, sich auf die tausendfach gefüllten “Bibliotheken” zu berufen, die man erstens sowieso nicht gelesen hat und die (ich habe eine ganze Reihe dieser Studien tatsächlich gelesen) überwiegend ganz enge Fenster und spezifische Situationen untersuchen – was ja seriös durchaus zulässig ist. Dass zahlreiche dieser “Studien” schlichtweg vorurteilsgebundener Trash sind (z. B. die Werke des berüchtigten Prof. Dreher aus Heidelberg) steht auf einem anderen Blatt.

    Zu “Osteuropa”: meine Wahrnehmung aus vielen persönlichen Gesprächen deckt sich mit der Aussage von Dona Carmen. Die vielen Rumäninnen und Bulgarinnen kommen durchaus zielbewusst und mit rationaler Überlegung nach Westeuropa. Der Grund für die zahlenmäßige Zunahme in den letzten Jahren ist die Freizügigkeitsregelung der EU, nicht das Prostitutionsgesetz. Solange in Rumänien eine ausgebildete Lehrerin ein Monatsgehalt von 250 Euro und nur ein schäbiges Leben in einem düsteren Plattenbau zu erwarten hat, ist sogar das Laufhaus in Frankfurt eine rationale Alternative. Die Gutmenschen meinen, sie tun diesen Frauen einen Gefallen, wenn sie ihnen diese Alternative verbauen; in Wirklichkeit erweitern sie nur den kriminalitätsgeneigten Sektor.

  • Antje Schrupp sagt:

    @Sabrina – Wir “holen” diese Frauen nicht nach Deutschland, sie kommen von selber her, weil sie in ihren Herkunftsländern keine Chance haben und hier das Geld ist. Dein Idealismus in allen Ehren, und ich hätte auch lieber eine schöne, freie Welt ohne Probleme und ohne Armut und ohne sexuelle Gewalt. Aber wir können diese Welt nur bekommen, indem wir hier die Lebensumstände so verbessern, sodass keine Frau sich mehr prostituieren muss, um genug Geld zum leben zu haben. Ich wette, wenn es ein Grundeinkommen gibt, wenn es eine gerechte Wirtschaftsstruktur in Europa gibt, wenn es weniger Gefälle zwischen Arm und Reich gibt, wenn Frauen viele Optionen haben, um ihr Leben zu gestalten (und zwar alle Frauen, nicht nur deutsche weiße mittelständische Frauen), dass dann nur wenige als Prostitutierte arbeiten werden. Ich bin aber dagegen, dass wir uns diese schöne Welt in Deutschland machen, indem wir arme Frauen aus anderen Ländern zurückweisen, denn nichts anderes bedeutet es faktisch, wenn ihnen die Möglichkeit genommen wird, durch Prostitution hier Geld zu verdienen, ohne dass sie andere Optionen bekommen.

  • steffen sagt:

    ich finde den Artikel aus Frauensicht für einen Freier wie mich sehr interessant. Offen und wertfrei geschrieben, Danke dafür.
    Was mich immer wieder wundert, sind diejenigen Äußerungen von Frauen, für die immer wieder alles was mit Prostitution zu tun hat nur schlecht & schmutzig ist und nur auf Ausbeutung basiert. Was ist schlecht daran, wenn sich eine Frau aus Rumänien hier die Basis für etwas mehr Lebensstandard erwirbt, weil es im eigenen Land schwierig ist. Warum ist es schlecht, wenn eine junge deutsche Frau, die alleinerziehend mit Minijob sich dadurch etwas dazuverdient. Natürlich ist dieser Job nicht für jede geeignet. Ich kann die Argumentation von Matin Mair schon ein Stück weit nachvollziehen, auch wenn ich nicht meine, dass jede Arbeit auch eine Art von Prostitution ist, aber es ist auch eine Art von Arbeit, wenn auch komplex und hart; was aber auch für viele andere Tätigkeiten zutrifft. Das es hier Menschen gibt, die Schlimmes erlebt haben und dass es auch sexuelle Gewalt gibt, will ich nicht in Abrede stellen, aber das ist nicht der Normalfall. Dann müssten da draußen Millionen Männer herumlaufen, die nichts anderes zu tun hätten, als Frauen zu verletzen oder zu erniedrigen. Und das ist der normale Freier oder Ehemann definitiv nicht.
    Ich kann nur allen empfehlen, an solchen Angeboten wie das von Donna Carmen teilzunehmen, um selbst direkte Hintergrundinfos und Eindrücke zu bekommen. Ich finde soclhe Organisationen machen einen Riesenjob, leider bekommen sie nicht die Anerkennung die ihnen zusteht.
    Ich führe als Freier und Clubgänger ständig Gespräche mit den Damen aus allen Teilen der Welt und zwar mehr als nur 10 min. Smalltalks; ich habe ne Menge gelernt, habe sowohl negative wie auch positive Eindrücke erhalten, wobei eigentlich durchweg das Feedback kommt, dass die überwiegende Zahl der Freier sich vernünftig verhält. Schade, dass die Politik oder die Medien immer gerne die schlechten Beispiele aufgreifen und breittreten. Damit kann man sich als Gutmensch besser darstellen, gewinnt mehr Wählerstimmen oder bekommt mehr Zuschauer oder Auflage. Ich sehe da derzeit eher eine moralgetriebene Debatte, als dass man sich mit den Realitäten wirklich auseinandersetzen will.
    2001 hat der europäische Gerichtshof die Prostitution zu den Erwerbstätigkeiten erklärt, trotzdem wird diesem Beruf immer noch die gesellschaftliche Anerkennung verweigert und es werden Hürden geschaffen, um diese einzuschränken und zu maßregeln. Es wird in dem neuen P-Schutzgesetz so getan, als ob erwachsene Menschen nicht in der Lage wären, in diesem Bereich eine freie Entscheidung zu treffen, was sie wie tun wollen und was nicht und man unbedingt Regeln einführen muss, ob jemand mit Kondom Sex hat oder nicht, oder wie er wofür bezahlt wird und welche Praktiken er zulässt und man unbedingt die armen Opfer schützen müssen.
    Ich versuche jeder Frau, der ich in diesem Bereich begegne den Respekt zu geben, den sie verdient und sie fair zu behandeln. Mir geht es auch nicht nur um Sex. Ich bin dankbar für deren Dienstleistung und ich bekomme wirklich eine Menge von ihnen zurück. Eine Zwangsprostituierte habe ich übrigens noch nicht kennengelernt.

  • @Antje
    Danke für diesen letzten Kommentar. Das ist, glaube ich, der andere Punkt, der mich in dieser Prostitutionsdiskussion stört: Es geht um Migration. Letztendlich ist die pauschalen Opferzuschreibung das weibliche Pendant zum “männlich” geprägten Anti-Migrationsdiskurs der “Sozialschmarotzer”. Männer sind Schmarotzer und Frauen sind halt armen Opfer, die zu dumm sind um eigene Entscheidungen zu treffen: In beiden Fällen steckt die Annahme dahinter, dass diese Migration aus genau diesen osteuropäischen Ländern unerwünscht ist und dass man doch bitte versuchen soll, diese Leute aus Deutschland fern zu halten.
    Das ist de facto auch so wie Anti-Menschenhandels-Gesetze sowie Prostitutionsgesetze funktionieren und umgesetzt werden: Gegen Migration. Frauen werden von der Einreise – oft auch von der Ausreise abgehalten, weil sie z. B. nicht verheiratet sind oder Kondome und Spitzenhöschen im Koffer haben. (Die Verweigerung der Ausreise aus dem eigenen Land ist übrigens eine Menschenrechtsverletzung, weil das gegen Art. 13 der Menschenrechtserklärung verstößt. Zu schade, dass das kaum jemand aufzufallen scheint).

    http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.kondome-im-koffer-verdacht-auf-prostitution-ukrainische-yogalehrerin-aufgeflogen.9e7e7e0f-056b-4c57-9454-1f4e2191ed1e.html

    http://www.antitraffickingreview.org/index.php/atrjournal/article/view/31

    Anti-Prostitution ist eng mit Anti-Migration verknüpft – mit der Ausnahme der weiblichen Arbeit in der Pflege oder im Haushalt, weil die “deutsche” Frau ja davon auch profitiert, sonst könnten viele ja gar keine Karriere machen.

    Und wer glaubt, dass Prostitution Sexismus verursacht, vermeidet eine Diskussion über den Sexismus, der so ziemlich unabhängig von Prostitution ist. Man denke an die sogenannten “Pick-Up Artists”, die ganz sicher nie für Sex bezahlen würden. Warum? Weil Sie glauben, ein Recht auf kostenlosen Sex zu haben. Und zwar radikal. Reden wir doch mal darüber.

  • Ute Plass sagt:

    @Sabrina Bowitz – “Ich frag mich nur manchmal, ganz banal wieder, was Kinder sehen oder was wir sehen würden, wenn wir einfach als Kinder durch die Viertel gehen würden. Würden wir das dann so “normal“ finden? Das ist immer eine gute Herangehensweise, weil Kinder so oft die Wahrheit sagen.”

    Und welche Wahrheit, Sabrina, würden Kinder dann aussprechen? Vielleicht, dass es “nicht normal” ist, dass wenige Menschen sehr viel haben und viele Menschen sehr wenig bis nichts, und dass es “nicht normal” ist, dass alle zehn Sekunden auf dieser Welt ein Kind unter zehn Jahren verhungert, und sie fragen uns ganz sicherlich,
    warum wir das nicht ändern?!

  • Sonja Dolinsek sagt:

    @Uta Plass

    Entschuldigung, aber was haben denn die Kinder damit zu tun? Kinder lernen doch nur das, was man Ihnen beibringt. Sagt man ihnen, dass “Huren” dreckig sind un verachtet werden können, dann sagen sie das. Lernen sie, dass es Menschen gibt, die für Sex bezahlen und andere, die sich dafür lieber bezahlen lassen, weil man damit gut Geld verdienen kann, dann werden sie das sagen. Sagt man ihnen, dass Sexarbeiter*innen Menschen sind, wie wir alle auch, dann werden sie das auch internalisieren. Sagt man ihnen, dass Sexarbeit nicht “normal” ist, werden sie auch sagen, dass es nicht “normal” ist. Wir sind hier echte Erwachsene und ich halte es für sinnlos und nicht besonders gewinnbringend hier über hypothetische Szenarien nachzudenken, was denn Kinder sagen würden, wenn….

    Dass es letztendlich im letzten Kommentar nicht um Sexarbeit sondern ökonomische Ungleichheiten geht, zeigt übrigens auch, dass es auch bei Sexarbeit genau darum geht. Aber was bitte ändern wir an den ökonomischen Ungleichheiten, wenn wir Sexarbeit verteufeln, verurteilen, stigmatisieren, verbieten, auf diskriminierende Weite überregulieren? Nichts. Das sieht doch jedes Kind!

    Wer etwas an der Armut und der globalen Ungleichheit was verändern will, soll das mal bitte angehen. Und zwar konsequent. Anti-Prostitution scheint dafür aber nun wirklich nicht geeignet zu sein – schließlich fördert man damit in der Regel die Arbeit westlicher NGOs durch Gelder westlicher Stiftungen, die in westlichen Banken in wahrscheinlich nicht nachhaltig angelegten Fonds investiert werden. Den “Armen” kommt da überhaupt nichts zu Gute. Außer die Chance ein paar Billig-T-Shirts für die westlichen Anti-Prostitutions-Aktivist*innen zu produzieren, die sich dann wohl fühlen, weil sie Frauen aus der Sexarbeit “gerettet” haben. Angeblich.

    https://www.opendemocracy.net/beyondslavery/elena-shih/antitrafficking-rehabilitation-complex-commodity-activism-and-slavefree-goo

    http://www.truth-out.org/opinion/item/25657-unraveling-anti-trafficking-ngos-and-the-garment-industry

  • Elfriede Harth sagt:

    Die Macht der Worte…. Nähe und Distanz. Ich habe das hier wörtlich gemeint. Wenn ich jemanden streichle, dann berühre ich ihn/sie. Aber bei dieser Berührung (Nähe) ist so viel Distanz dabei, daß es eben eine ganz sachte Berührung wird. Es ist ein Ausdruck von Achtsamkeit. Ich will nah sein, aber mir ist die Integrität des Gegenübers grundlegend wichtig, daher diese Distanz. Bei Gewalt will ich etwas im Gegenüber zerstören, also trete ich ihm so nah (mit einem Schlag) oder dringe sogar in ihn ein (mit einer Waffe, etc..) daß eben keine Distanz mehr da ist.

    Das Geld in der Prostitution. Esther Vilar meinte, daß jede Ehefrau, die sich von ihrem Mann nicht trennt, weil sie wirtschaftlich von ihm abhängt, die daher mit ihrem Mann Sex hat, (ihre “eheliche Pflicht” erfüllt) obwohl sie nicht die geringste Lust dazu verspürt, ja ihn sogar verabscheut, eigentlich eine Prostituierte – mit nur einem Kunden. Sie hat Sex ohne Liebe und kriegt dafür materielle Sicherheit.

    Ehe kann nicht mit Liebe gleichgesetzt werden. Dieser Rahmen ist durchaus keine Garantie dafür, daß Sexualität in einer liebenden Beziehung stattfindet. Also ist Prostitution nicht der einzige Ort, an dem Sexualität und Liebe getrennt sind – oder sein können. Was war das für ein Kampf (die katholische Kirche ist immer noch dabei! – in wenigen Wochen steht das Thema auf dem Programm der Synode im Vatikan!) die Scheidung durchzusetzen! Malta durfte 2004 Mitglied der EU werden, obwohl die Scheidung verboten war! Erst seit 2011 ist sie erlaubt.

    Verkauf von Sex ist in unserer Gesellschaft eine Möglichkeit, an Geld zu kommen. Und Geld ist heute notwendig um zu leben. Wir haben keine Subsistenzwirtschaft mehr. Was sind denn ganz konkret die Möglichkeiten, um an Geld zu kommen? Wir können es geschenkt bekommen, es erben, es stehlen oder es gegen etwas anderes tauschen (verdienen). Das Patriarchat (und der Kapitaismus) hat es schon immer verstanden, Frauen möglichst vom Geld fernzuhalten. Als Erbinnen durften sie ihr Vermögen nicht selbst verwalten (wenn sie verheiratet waren). Bis in die 1970 Jahre verfügte der Ehemann über ihr Einkommen, nachdem er ihr erlaubt hatte, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. “Frauenberufe” werden schlechter bezahlt. Frauen verdienen weniger. Frauen bekommen kleinere Renten. Frauen als Gruppe sind ärmer als Männer. – Frauen haben öfter eine abwertende Einstellung Geld gegenüber. Geld wird oft als schmutzig erachtet und ist vielfach tabu.

    Vielleicht läßt sich von dieser Seite aus das Problem angehen. Alle Frauen, nicht nur Erbinnen oder Lottogewinnerinnen, müßten ihren Lebensunterhalt bestreiten können ohne Arbeitszwang. Das genau ist die Idee des Bedingungsloses Grundeinkommens. Jede Frau könnte sich dann ohne Existenzangst dem widmen, was ihr wichtig/notwendig erscheint. Ob gegen Bezahlung oder nicht. Unter anderem auch promisken Sex.

  • Gunhild sagt:

    Zunächst mal volle Zustimmung zu Sabrinas Kommentaren!

    @Antje Schrupp: mein Name ist Gunhild, nicht Gudrun.

    Du fragst: “Ja, so sieht die Bekämpfung ihrer Armut leider offenbar aus. Was sollen die Frauen denn deiner Meinung nach stattdessen machen?”
    Die Frage ist nicht, was die Frauen machen sollen. Damit wird die Last ihre Notsituation zu lösen, die gesellschaftlich bedingt ist, ganz allein ihnen überlassen und steht in der Tradition neoliberaler individualisierter Verantwortung für gesellschaftliche Mißstände. Die Frage ist deshalb: was kann die Gesellschaft tun, um sie dabei zu unterstützen, aus der Notsituation rauszukommen? Natürlich gehört Armutsbekämpfung und Überwindung des Kapitalismus langfristig dazu. Aber bei akuten Problemen reicht es nicht zu sagen: Irgendwann in Zukunft ist dann alles paletti, in der Zwischenzeit musst du dich halt gegen Bezahlung in alle Körperöffnungen penetrieren lassen.
    Und das Nordische Modell setzt eben da an, dass die Gesellschaft den betroffenen Frauen Ausstiegsmöglichkeiten anbietet (neben der wichtigen Freierbestrafung, um die Nachfrage einzudämmen). Eine Gesellschaft, die Prostitution als Form der “Armutsbekämpfung” akzeptiert, kann sich dann ja ausruhen. Armut bekämpft, alles paletti.

    Die Frage ist, wo wir die Grenze ziehen, welche Menschenrechtsverletzungen wir in dieser Welt schlicht nicht zulassen. Und dass eine Frau oder ein Mädchen gezwungen ist, Sex zu haben um zu überleben, ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung. Nochmal zur Erinnerung: Sex unter Zwang ist Vergewaltigung. Das, Antje Schrupp, sollen wir deiner Meinung nach akzeptieren und Frauen und Mädchen zumuten?

    Und noch eine Frage: wo ziehst du eigentlich altersmäßig die Grenze nach unten? Für ein 15jähriges Mädchen wie Rachel Moran findest du es ja bereits eine gangbare Option. Faktisch ist das ein minderjähriges Mädchen und damit kommerzielle Kindesvergewaltigung. Ab welchem Alter gilt deine Argumentation “ja, so sieht die Bekämpfung ihrer Armut leider offenbar aus” nicht mehr? Ab wann wird es für dich moralisch untragbar? Ich meine, auch thailändische Kinder “bekämpfen” so ihre Armut und werden von West-Touristen gegen Geld vergewaltigt. Ist deine Argumentation universell anwendbar und altersunabhängig? Ab wann hat die Gesellschaft eine Pflicht, einzugreifen?

    Und noch ganz praktisch: Bulgarinnen und Rumäninnen haben hierzulande Anspruch auf Hartz IV, was allerdings oft durchgekämpft werden muss. Dass du akzeptierst, dass sie in der Prostitution arbeiten dürfen, aber woanders nicht (was ja inzwischen auch Geschichte ist), zeigt mir, dass du den Hebel komplett falsch ansetzt: gerade dann ist es doch wichtig, ihnen andere Möglichkeiten zu erschaffen, anstatt die Prostitution komplett zu deregulieren. Deregulierung ist in einer Gesellschaft wie unserer grundsätzlich das Instrument der Ausbeuter, um bei der Ausbeutung völlig freie Fahrt zu haben. Das gilt auch für die Prostitution.

    Des Weiteren wundere ich mich, dass die Info, dass Dona Carmen sich gegen die Strafbarkeit von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung einsetzt, hier niemanden weiter zu jucken scheint, auch die Autorin des Artikels, die sich inzwischen ja zu Wort gemeldet hat, bewegt das offenbar nicht. Stattdessen wird D.C. hier noch gelobt. Dass sich da auch Freier beginnen, in der Kommentarspalte wohlzufühlen, ist nur folgerichtig. Dass Prostitution eine patriarchale Praxis ist, das heißt Verdinglichung von Frauen in Reinform, muss ich das auf einer feministischen Plattform wirklich extra erwähnen?

    Prostitution hat mir freier Sexualität nichts zu tun, es ist das genau Gegenteil: es ist eine der uralten Formen patriarchaler sexueller Unterdrückung. Zu behaupten, Abolitionistinnen würden sich gegen eine Sexualität wenden, die von Liebe abgekoppelt ist, ist vollkommener Unsinn. Es geht darum, dass bei Prostitution das eigene sexuelle Empfinden von der sexuellen Tätigkeit getrennt ist, Sex ohne Lust stattfindet – systematisch und wiederholt. Das hat starke Ähnlichkeit zu Vergewaltigungen, da die Frauen oft dissoziieren, ebenfalls Traumafolgen zu tragen haben und durch Drogen die Sache versuchen aushaltbar zu machen. Überlebende nennen Prostitution daher ja auch “bezahlte Vergewaltigung”. Und dafür sind Freier verantwortlich. Daher ist es so wichtig, endlich die Freierbestrafung einzuführen. Und langfristig wird sie kommen.

  • Ute Plass sagt:

    @Sonja Dolinsek – Sehe das nicht viel anders als du und kann mich deinem Kommentar nur anschließen.

    Meine Bezugnahme auf sog. Kinderwahrheiten, wie sie im Kommentar von @Sabrina Bowitz erwähnt werden sollte verdeutlichen, dass Kinder nicht wie Erwachsene moralische Urteile fällen, sehr wohl aber (noch) einen klaren Blick für Ungerechtigkeiten u. soziale Missverhältnisse haben.
    Und dass Armut Ausbeutungsverhältnisse verursacht und fördert und zwar in sehr vielen Arbeitsbereichen ist ja hinlänglich bekannt. Das auszublenden und sich moralisch über Sexarbeit zu empören halte ich für den eigentlichen Skandal.

    Schließe mich Antjes Wette bezüglich Grundeinkommen für alle an und behaupte ebenfalls, dass, “ wenn es ein Grundeinkommen gibt, wenn es eine gerechte Wirtschaftsstruktur in Europa gibt, wenn es weniger Gefälle zwischen Arm und Reich gibt, wenn Frauen viele Optionen haben, um ihr Leben zu gestalten (und zwar alle Frauen, nicht nur deutsche weiße mittelständische Frauen), dass dann nur wenige als Prostitutierte arbeiten werden. “

  • Ute Plass sagt:

    @Gunhild – “Und das Nordische Modell setzt eben da an, dass die Gesellschaft den betroffenen Frauen Ausstiegsmöglichkeiten anbietet (neben der wichtigen Freierbestrafung, um die Nachfrage einzudämmen).”

    Folgender Beitrag setzt sich u.a. damit auseinander:
    http://menschenhandelheute.net/2014/07/01/prostitution-und-menschenhandel-1-die-wahrheit-uber-das-nordische-und-schwedische-modell/

  • Inge Kleine sagt:

    Ich konnte ein paar Tage auf diese „Nachlese“ nicht reagieren, einfach weil ich nicht wusste, wie ich mit ihr umgehen soll. Eine zunächst eher emotionale Annäherung an das Thema, die Bereitschaft, die Eindrücke erst einmal auf sich wirken zu lassen – das ist ja in Ordnung. Aber es schockiert mich, dass der Text über eine rein assoziative Selbstbespiegelung, Selbstbezogenheit vage zusammenhangslose Überlegungen nicht hinauskommt.
    Ich möchte hier bei dieser Besichtigung bleiben. Eine Besichtigung, bei der alles Mögliche angerissen wird, immer schön mit Rückbezug auf eigene Befindlichkeit, eigene Assoziationen, in dem – beste Verweigerung von Verantwortung – die Aussagen der Bordellbetreibenden einfach stehen gelassen werden. Bei der keine wirkliche Frage gestellt wird, auch die eigene Motivation, der eigene mögliche Voyeurismus trotz all der Selbstbezogenheit nicht hinterfragt wird.
    Ja – ich war auch einmal in so einem Laufhaus. Ich hatte eine gewisse „Aufgabe“ darin, wenn man so will, Übersetzen für eine Journalistin, eine Besichtigung bei laufendem Betrieb. Ich habe mich durchaus die gesamte Zeit geschämt für den Voyeurismus, für das darin herumlaufen, ohne irgendetwas tun zu können. Elfriede Harth mag kontern, ihre Besichtigung wäre ja freigegeben gewesen, daher kein Voyeurismus, aber – naja, mag sie ja sagen. Mir gehen die jungen Frauen, die ich darin gesehen habe, ihre Blicke, ihre Augen, ihr schlagartiges höfliches Lächeln dem Bordellbetreibenden und seinem – sorry – unerträglichen Mitarbeiter gegenüber nicht aus dem Kopf. Aber ich habe sie gesehen, wahrgenommen, nicht die Spülklosetts. Und wir standen da – und nun was? Drin rumlaufen, und nichts tun können. Ich habe keinen überladenen Text ohne Aussage darüber geschrieben. Aber ich sehe doch wenigstens Gewalt, wenn sie mir von allen rosa getünchten, pseudo-pompejanisch angemalten Wänden entgegenschreit, während mir ein unterirdisches Exemplar von absichtlichem Volltrottel eines Zweitgehilfen eines Bordellbesitzers (Sorry, “Laufhaus”) die Hucke vollquatscht auf jeder einzelnen Etage, dass wir gerne die (gemeinsamen) Toiletten etc. anschauen können, da wäre alles sauber, ganz sauber, ganz sauber!! Die Preisliste im Internet gab es auch (15-Minuten-Takt), aber ja, die Frauen machen das ganz selber aus, wenn sie wollen. Notfall-Knöpfe hätten sie keine, aber die Frauen können in den Gang gehen und winken und eine andere Frau zu Hilfe rufen. Und die Gänge sind ja video-überwacht. Und – bei ihnen ist alles sauber. Und sie haben ein sehr gutes Verhältnis zur Polizei. Aber – dort, bei dieser Adresse, da sollten wir mal hinschauen, die Zustände dort!
    Ja, das hat gestimmt. Es gibt immer und immer und immer noch einen „Zustand“ unter dem letzten.
    Und ich weiß nicht, wie ich an die freiwillig aufgesetzten rosa Scheuklappen herankomme, auch wenn ich die Mechanismen, die es so attraktiv machen, sie zu tragen, verstehe.
    Vielleicht konnte Frau Harth ihre Eindrücke inzwischen besser sortieren. Und vielleicht eine Entscheidung treffen. Vielleicht ein paar Leserinnen auch.

  • Inge Kleine sagt:

    “Was sollen die Frauen statt dessen machen?” – Was sollen sie statt dessen machen, wenn sie zu alt sind für dieses “Gewerbe”, für die Zulassung zum Nutzen des Laufhauses? Ja – uns wird immer erhählt, dass doch auch “ältere” Frauen da viel Geld machen können, aber bitte diejenigen melden, die das wirklich glauben. Was sollen sie machen, 5 bis 10 Jahre später, nach verpassten/nicht gegebenen Ausbildungschancen, aber dafür nach zig Krankheiten und Traumata durch z.B. die ersten Freier, die sie nicht wegschicken können, weil die Miete gezahlt werden muss? Armut ist sowohl eine Ursache als auch ein Ergebnis der Prostitution, sie verschwindet dadurch nicht, und diejenigen, die von Prostitution profitieren, haben nun wirklich kein Interesse daran sie anzugehen. Und was geschieht hierzulande? Die politische Energie geht nicht etwa dahin, dringend für Ausbildungschancen und Entwicklungschancen dieser Frauen (hier in Deutschland und in ihren Herkunftsländern) zu sorgen, nein – obwohl die weitgehende Legalisierung, tw. Entkriminalisierung vieler Praktiken um das Prostitutionsgewerbe herum wirklich keine Erleichterungen für die Frauen (Männer, Trans.) in der Prostitution selber gebracht hat, investieren viele ihre Energie darin, dieses System der Prostitution aufrecht zu erhalten und vor Einschränkungen und Kontrollen zu schützen. Alle, die aus einem feministischen Impuls daran arbeiten, fordern die völlige Entkriminalisierung der Frauen, auch in Sperrbezirken. Aber aus der heutigen Situation gerade in Deutschland abzuleiten, dass Prostitution (“Was sollen die Frauen sonst machen?”) unbedingt als staatliche Infrastruktur geschützt und aufrecht erhalten werden muss – letztlich ergeben sich für mich hier Grenzen der Kommunikation. “Was sollen die Frauen sonst machen?” sagt doch ganz glasklar aus, dass wir uns hierzulande damit arrangiert haben, dass Prostitution für “bestimmte Frauen” – die ohne Alternative, doch als gute Sache gilt. Was für ein “Feminismus” ist das, der so unumwunden Unterschiede zwischen Frauen auf Grund von Schicht, Herkunft, Chancen im Leben hinnimmt?
    In den 80er Jahren galt die Parole “Frauen wie wir auch.” Die Vorarbeiten zum schwedischen Modell basierten auf dieser Ansicht. Und heute? “Was sollen die Frauen denn statt dessen machen.” Wie kann ich kommunizieren, wie bodenlos dies als politisches Statement ist?

  • Sonja Dolinsek sagt:

    Es gibt Theorien, denen ich mich nicht unbedingt anschließen möchte, aber die ich durchaus interessant finde. Diese Theorien versuchen zu erklären, warum sich insbesondere westliche (oder deutsche) und bessergestellte Menschen (insb. Frauen) für die Unfreiheit (mutmaßliche oder tatsächliche Unfreiheit) anderer Menschen interessieren und warum insbesondere Menschen anderer (generell niedriger) Schichten und anderer Ethnien und Länder (in der Regel solche, die ökonomisch schlechter da stehen und eine andere Hautfarbe vorweisen).

    Eine möglich Antwort auf diese Frage ist, dass sich diese Bessergestellten für die Unfreiheit anderer interessieren, weil sie sich damit ihrer (mutmaßlichen) eigenen Freiheit und Überlegenheit vergewissern können. Und das ist durchaus auch im Sinne von Machterhalt und Machtausübung, denn nur wer sich selbst als frei sieht (und so wahrgenommen wird) kann nach außen gehen um die “Anderen”, die “Unfreien” aus ihrem Zwang und ihren Gefägnissen zu “befreien”. Was genau mit Befreiung gemeint ist, kann hier natürlich immer nur der*diejenige entscheiden, die schon frei ist.

    Die deutschen Frauen, die hier entscheiden wollen, wer “unfrei” ist und welche Politiken man bitte diesen armen “unfreien” Frauen aufdrücken soll, weil sie ja zu arm seien, um zu entscheiden, sind eigentlich in einer offensichtlichen Machtdemonstration verwickelt, in denen sie als Bessergestellten die Macht an sich reißen für die Schlechtergestellten zu entscheiden.

    Dabei argumentiert man oft mit unterschiedlichen Kategorien von Zwang – man vermischt z. B. strukturellen Zwang mit einem physischen Zwang, der von konkreten Individuen ausgeht. Man versucht krampfhaft zu vermitteln, dass man strukturelle Zwänge (Armut) angeblich mit der Kriminalisierung individueller Zwänge (Gewalt oder Sexkauf durch eine bestimmte Person) lösen könnte.

    Die Frauen, von denen hier die Rede ist und die “gerettet” werden sollen, indem man sie in andere nicht unbedingt weniger ausbeuterische Arbeitsbranchen vermitteln, werden dann auch extrem sexualisiert: Plötzlich ist es völlig akzeptabel von “Ware”, “Dingen”, “Körperöffnungen” zu sprechen, obwohl man damit selbst zutiefst im Prozess der Dehumanisierung dieser Frauen verwickelt ist.

    Auch das ist eine Machtstrategie, denn man muss die eigene Machtposition unter Frauen verteidigen und dazu gehört insbesondere den Unerwünschten unter ihnen (diejenigen, die durch den Verkauf von Sex Geld verdienen), den Mund zuzuhalten. Entweder indem man sich weigert mit ihnen zu reden (Prostitutionsabolitionistinnen weigern sich nicht ohne Grund mit Sexarbeiter*innen zu sprechen sondern reden deshalb ausschließlich mit jenen, die sich als “Überlebende” identifizieren). Und den vielen, die sich erst gar nicht an der öffentlichen Debatte beteiligen – weil sie es nicht wissen, nicht wollen, sich schämen, oder einfach nur genervt sind von unserer Diskussionskultur – denen unterstellt man von vornherein, dass sie Ware seien oder eben psychisch krank und dass sie deshalb dringend eine dieser freien besser gestellten Frauen brauchen, die für sie sprechen.
    Und obwohl die Handlungen von Prostituierten lauter sprechen als all diese Kampagnen (nämlich: ich könnte auch einen anderen Job machen, aber der hier bringt mir gerade mehr), wiederholen die bessergestellten Frauen, die Armut als Grund für Entmündigung betrachten, das Mantra der unfreien Frau. Dabei kommt am Ende eine unfreie Frau raus – nicht wegen der Prostitution, sondern wegen der Machtdemonstration derjenigen Frauen, die sich auf ihrem Rücken frei fühlen wollen (wollen!).

    Wer sich als “Retterin” inszenieren will, braucht jemanden, den/die man retten kann. Und wenn niemand gerettet werden will oder vielleicht eine andere Form von Rettung bevorzugt, dann drückt man denen eben die eigene Vorstellung auf.

    Und so ist das heute, dass der sogenannte “Ausstieg” als “DIE RETTUNG” aufgefasst wird, ganz egal was danach passiert, ganz egal wie viel Armut danach noch das Leben dieser Menschen prägt, ganz egal ob sexuelle Gewalt in Arbeit und Beziehung vorhanden ist. Den Retter*innen interessiert das nicht, denn ihr Ziel war es, als “Retter*innen” aufgefasst zu werden. Sobald die extra dafür geschaffenen Opfer nicht mehr Opfer sind (also keinen Sex mehr verkaufen) werden sie entbehrlich. Was mit ihnen geschieht, ist irrelevant, weil die Rettung mit dem Ausstieg aus der Prostitution beendet ist.

    Die Retter*innen werden, zuletzt, natürlich von der Existenz derjenigen, die ihr ganzes Konstrukt in Frage stellen, bedroht. Deshalb muss man sie angreifen, das politische Potential ihrer Existenz entschärfen und, wenn möglich, sie sogar an der grenze der Diffamierung angreifen. Auch das Vermeiden einer sachlichen Auseinandersetzung mit ihren Argumenten muss sorgfältig vermieden werden, denn das würde ja bedeuten, dass man sie als gleichwertige Gesprächspartner*innen anerkennt. Retter*Innen können aber nicht auf Augenhöhe mit denen sprechen, die sie retten wollen. Da kämen die zu Rettenden auf die Idee, dass sie das alleine machen können. Also, muss man – ganz nach patriarchalischer Manier – schön die Muskeln aufblasen und sagen was Sache ist: “Ihr seid alle Opfer und wir werden Euch helfen. Ob ihr es wollte oder nicht. Am Ende wollen wir wegen unserer Rettung Anerkennung erhalten und über Euch herrschen. Vielleicht gibt es dann einen Putzjob in den Büros unserer NGOs”.

    (Ich weiß nicht, ob ich es so sehe, aber das hat was).

  • Inge Kleine sagt:

    Als ich anfing, mich in dem Thema zu engagieren, fiel mir vor allem auf, wieviel Zuspruch ich zu meinen Texten von Frauen bekam, die osteuropäische Namen haben. Ansonsten sehe ich tatsächlich viele Parallelen zum traditionellen Umgang mit Osteuropa in Deutschland, der allerdings nicht durch “Rettung” geprägt ist, sondern durch die felsenfeste Überzeugung, dass Osteuropa nur zur deutschen Ausbeutung existiert.

  • Inge Kleine sagt:

    Die NGOs – welche? Amnesty? Human Rights Watch? Die Global Alliance Against Trafficking in Women? Die sich alle so entschieden für das Recht der Frauen (anderer) einsetzen, in die Prostitution zu gehen, und für ihr “Recht”, darin dann auch “Vermittler”, “Manager”, “Vermieter”, “Facilitators” zu bezahlen (um so hässliche Wörter wie “Zuhälterei” und “Menschenhandel” zu umgehen). Ja, vielleicht haben diese NGOs ein paar Putzjobs für die Frauen aus der Prostitution, die dann für dieses so beworbene und gesicherte “Gewerbe” zu alt geworden sind, und – ist doch okay, “Was sollen die Frauen sonst machen?” Oder gilt diese Argumentation hier dann nicht?
    Es wäre auch schön, wenn in den Debatten die sehr aktive Rolle z.B. indigener Frauen _gegen_ Prostitution wahrgenommen würde, anstatt sie totzuschweigen, die Arbeit von Immigrantinnen oder asiatischer Frauen dazu wie z.B. in Kanada berücksichtigt würde, die außer auf prostitutionskritischen Blogs und entsprechenden Kontexten in Deutschland absolut nicht gesehen wird. Dies ist in der Tat ein silencing von Betroffenen, von Women of Colour seitens eines (neo-)liberalen Feminismus, der jegliche Netzdominanz und politische Vernetzung hat und damit entscheidet, was überhaupt gehört werden darf und was nicht. Denn – die Befürworter*innen der Prostitution argumentieren nicht aus einer marginalisierten Position heraus, nicht im Netz, nicht bei Anhörungen im Bundestag, nicht bei der Vergabe von Forschungsgeldern der EU wie zur Zeit zum Thema Menschenhandel (Forschungen, deren Ergebnisse jetzt schon feststehen), diese Seite der Debatte hat wirklich alle Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen.

  • Ute Plass sagt:

    @Sonja Dolinsek –
    “Wer sich als „Retterin“ inszenieren will, braucht jemanden, den/die man retten kann. Und wenn niemand gerettet werden will oder vielleicht eine andere Form von Rettung bevorzugt, dann drückt man denen eben die eigene Vorstellung auf.”

    Diese Gefahr besteht für jede und jeden, und daher braucht es immer wieder neu die Infragestellung dessen warum ich das tue was ich tue um der Gefahr des Ausagierens eigener Überlegenheitsgelüste entgegen zu wirken. :-)

  • Marleen sagt:

    @Sabrina Bowitz: “Ich frage mich immer, warum sich niemand ganz banale Fragen stellt, bevor wir darüber reden, wie “normal“ Prostitution sein soll. Zum Beispiel: Hört jemand ein Kind sagen: Berufswunsch: Prostituierte? Allein die Vorstellung ist doch absurd. So normal ist der Beruf also. Oder was wir darin sehen.”

    Dann ist es deiner Meinung nach auch nicht normal für Mädchen Lokführerin, Bauarbeiterin oder kath. Pfarrer werden zu wollen und für Jungs Balletttänzer, Friseur oder Kindergärtner? Ach stimmt ja, die Mädels können bei solchen Jobs ja nur lesbisch & die Jungs nur schwul sein…
    Ich hoffe du merkst an obigen Beispiel selber, dass deine Frage quatsch ist. Wie lange ist man für dich Kind? Ich war ~ 11 als ich das erste mal Berufswunsch Prostitution hatte – und damit bin ich bei weitem nicht die einzige. Mir war aber auch klar, dass ich das nicht sagen kann, ohne dass ich in die Klapse gesteckt würde, oder man zumindest ernsthafte Gespräche mit mir führen würde…

    Ich finde du instrumentalisierst übrigens auch Kinder, wenn du mit einer Rhetorik arbeitest, die automatisch davon ausgeht, dass Kinder Sexarbeit ablehnen. Kinder sind nicht frei von normierten Vorstellungen! Und wenn Kinder einfach nur so durchs Rotlichtviertel geführt werden, und den Erklärungen ihrer Erziehungsberechtigten ausgesetzt sind, dann wird sie eine entsprechende Meinung bilden. So war das bei mir, als ich die ersten Prostituierten nur aus herablassenden, objektivierenden Erzählungen & vom Straßenstrich an der Tschechischen Grenze kannte. Aber kein Kind würde wohl die eigene Mutter so negativ sehen (Veropferung ist auch ein negatives Bild einer Person, weil schwach) nur, weil sie für Geld mit vielen Männern fickt. Kein Kind möchte, dass es von der eigenen Mutter getrennt wird, nur weil diese einen stigmatisierten Beruf ausübt oder es gar selbst in der Schule gehänselt wird und nicht mehr von den Mitschüler_innen besucht wird, weil die anderen Eltern verbieten, ihre Kinder in die kurzweilig Obhut “so einer” zu begeben. Sorgerecht wird bei verbotener, bei Kriminalisierter Sexarbeit & auch beim Schwedischen Modell häufig genug entzogen.

    Und das ist der Unterschied zwischen beiden Kindern: Das Stigma, durch dessen Brille hindurch die Gesellschaft die Sexarbeiterinnen wahrnimmt. Als Objekte, gar als Opfer männlicher Gelüste. Statt als Subjekte, mit eigener Handlungsmacht, eigenem Leben, eigenen Entscheidungen.
    Das Stigma, dass mehr auf die Außendarstellung der Sexarbeiterinnen gegenüber Kundschaft fokussiert ist. Und ja, diese Außendarstellung ist leider häufig kritikwürdig. In der Regel aber nicht sexistischer als andere Werbung, die mit Sexappeal wirbt auch (die Emma sammelt hier ja in jeder ihrer Ausgabe 3 Beispielhafte Werbungen, die meistens mega daneben & eher selten super cool sind). Diese Außendarstellung hat aber kaum was mit dem Subjekt der Sexarbeiterin zu tun, außer der Tatsache, dass sie sich mal paar Stunden lang Gedanken gemacht hat, wie sie sich am gewinnbringendsten darstellen kann. Und sich dabei häufig nicht allzuviele theoretisch-akademische Gedanken darüber macht, ob das jetzt sexistisch ist oder nicht. Tun ja schließlich andere Leute, wenn sie Bewerbungsgespräche zu einem x-beliebig anderem Job führen & sich ein Kostümen dafür aussuchen auch nicht, als wie sexistisch eigentlich ihr eigenes Auftreten gelesen werden kann.

    Um zu den Kindern zurück zu kehren: Ich glaube, dass Kinder in ihrer Unbefangenheit wohl auf die Sexarbeiterinnen zugehen würden, wenn sie es dürften. Wenn ihre Eltern ihnen den Zutritt zu dieser Parallelwelterlauben würden. Ich glaube Sie würden als erstes fragen “Wie heißt du?” und vllt als nächstes “Woher kommst du? Wie alt bist du?” und dann “Was machst du?” und dann “Warum machst du das?”.
    Je nachdem, was die Sexarbeiterinnen ihnen erzählen, würden die Kinder ihre jeweils eigenen Bilder zu Sexarbeit entwickeln, aber auf jeden Fall die Darstellungen akzeptieren statt eine Unterscheidung zu treffen, “deine Meinung ist legitim, weil du deinen Job ablehnst vs. deine Position ist nicht legitim, weil du zu privilegiert bist”. Ich gehe davon aus, dass sie nach Gesprächen Sexarbeit weder prinzipiell ablehnen würden noch Sexarbeiterinnen fast durchgehend als Opfer betrachten würden.

    Vielleicht ist es aber auch das, wovor du (deine) Kinder schützen möchtest: Dass sie eine andere Meinung haben als du, andere Entscheidungen treffen, mit denen du dich nicht wohl fühlen würdest. Ich bin selbst Tochter. Ich wünsche mit von meiner Mutter in allen meinen Entscheidungen unterstützt zu werden, statt von ihr als Opfer von allen möglichen Horrorszenarien zu betrachten, die sich lediglich in ihrer Fantasie abspielen.

  • Ute Plass sagt:

    Finde die Reflexionen zu “Rettungs-Gedanken” wichtig, weil diese auch mit eigenen Befindlichkeiten u. Bewertungen zur Prostitution konfrontieren. Ein bewussterer Umgang mit den eigenen Motiven (und deren Offenlegung) kann dazu beitragen Diskussionsbeiträge/Kommentare anderer nicht mit abwertenden Vermutungen u. Unterstellungen abzubügeln.

  • Sonja Dolinsek sagt:

    Zum Thema Putzhilfe und NGOs empfehle ich diesen kurzen Artikel: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.ausstiegshilfe-in-s-mitte-putzhilfe-statt-prostituierte.41440e00-3810-46a6-afb7-f2814bf7848a.html

    Wenn man den Prostituierten das Leben hinreichend schwer macht, dann werden sie irgendwann auch Vollzeit als Putzhilfe arbeiten. Was fuer ein Traum! (Von Sprachkurse, Anerkennung beruflicher Qualifikationen aus dem Ausland, Weiterbildung ist aber noch immer keine Rede…)

  • Antje Schrupp sagt:

    @Gunhild – Erstmal sorry für den falschen Namen :(

    Wenn ich frage, was die Frauen denn tun sollen, sage ich damit nicht, dass sie allein ihre Notsituation lösen sollen. Dass es hier um gesellschaftliche Verhältnisse geht, die politische Lösungen brauchen, ich denke, darüber sind wir uns einig. Dennoch müssen die Frauen konkret etwas tun, hier und heute, denn sie können nicht warten, bis wir die Revolution geschafft haben. Und in dieser Situation finde ich es falsch, ihnen durch ein Sexkaufverbot die Option Prostitution zu nehmen, obwohl sie derzeit faktisch noch keine andere haben. Zum Beispiel haben sie nicht die Option, eine Ausbildung zu machen und einen Beruf zu ergreifen, der ihnen besser gefällt – denn man kann wohl davon ausgehen, dass sie diese Option wählen würden, wenn sie sie hätten, sie sind ja nicht blöd. Dass ich und andere, die gegen eine Kriminalisierung von Prostitution sind, uns ausruhen würden, weil damit ja die Armut bekämpft sei, ist eine Unterstellung und billige Polemik.

    Die Altersgrenze ist ja eindeutig, nämlich die Volljährigkeit. Minderjährigen gegenüber hat die Gesellschaft ja jetzt schon eine ganz andere Verantwortung, leider nimmt sie auch die schon oft nicht wahr. Dass Bulgarinnen und Rumäninnen hier Anspruch auf Hartz IV hätten, stimmt nicht. Den haben sie nur, wenn sie vorher schon hier gearbeitet haben, und selbst dann ist dieses Recht fraglich, auf jeden Fall müssten sie ihn erst durchkämpfen. Sie haben auch keinerlei Anspruch auf irgendwelche Integrationshilfen (im Unterschied zu Asylsuchenden), also auf Unterbringung, Sprachkurse etc.

  • Hallo, erstmal, ich wollte Kinder nicht instrumentalisieren, wenn ich das getan hab, tut es mir leid. Ich wollte versuchen, mir vorzustellen, wie es ist, wenn ich diese Orte unabhängig von dem betrachte, was ich gelernt habe. Ich hoffe, so wird es verständlicher.
    Und ich habe definitiv aus eigener Betroffenheit geschrieben, das noch dazu gesagt. Weil ich viele kenne, die, das scheint hier aber nicht besprechbar zu sein, daran kaputt gegangen sind. Und ich stimme euch zu, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen das Beste wäre. Definitiv. Viel besser als Prostitution moralisch zu verurteilen etc..
    Und ich seh es auch wie du Marleen, dass Kinder vermutlich
    einfach wissen wollen würden, wer diese Leute sind, sie gehen ja sowieso offen auf alle zu, was gut ist.
    Ohne Vorurteile, das kann in unserer Welt auch negativ
    sein, aber generell ist das eine gute Einstellung.
    Ich hab das Gefühl, es kam falsch rüber, was ich sagen
    wollte. Ich wollte definitiv nicht, dass ich irgendwas
    instrumentalisiere. Ich wollte nur ausdrücken, wie betroffen
    ich bin. Und ich weiß, dass, je nachdem wie frau oder man aufwächst, das total früh im Bild ist. Wie bei dir Maleen. Und ich wollte mich auch über niemanden drüber stellen.
    Das sowieso nicht, weil ich, vielleicht wird es jetzt verständlicher, mit 14 auch dachte, ich könne nix anderes sein. Freundinnen und ich haben schon mit 12 gedacht, dass Frauen weniger wert seien ,wegen unserer “Eltern” und unseres Umfelds und wurden teilweise von unseren “Eltern” gezwungen, in solche Umfelder. Es war wirklich mehr aus dieser Betroffenheit geschrieben, weil ich weiß, was das bedeutet. Was es für junge Mädchen und Frauen bedeutet.
    Ich bin daher überhaupt nicht besser gestellt.
    @Sonja Dolinsek, wegen den Putzberufen, das denk ich mir übrigens auch. Das ist einfach totaler Wahnsinn. Deshalb wäre ich auch so für das bedingungslose Grundeinkommen, damit mehr Frauen die Wahl haben.
    @Maleen, das Beispiel mit den Kindern, was du erwähnst, das ist absurd. Für mich ist Prostitution etwas anderes als Lokführerin zu sein und bitte, werd nicht unverschämt mir gegenüber. Du kennst mich nicht. Alles wofür ich kämpfe ist immer eine gleiche Ebene zwischen Frauen und Männern, was heißt, dass jede und jeder alles werden kann.
    Also bitte, aber Prostitution finde ich ist etwas anderes.
    Und ich finde es im Übrigen genauso schlimm wie du, wie
    Prostituierte behandelt werden, weil das eine Doppelmoral ist.
    Ich würd dir absolut zustimmen, dass es nicht angehen kann,
    dass Kinder dann nicht zu ihrer Mutter dürfen. Weil die Hälfte der Männer die sowas sagen, selbst zu Prostituierten
    gehn. Das ist die Doppelmoral.
    Was das andere angeht, was du gesagt hast, ich hab keine Kinder und hättest du meinen Kommentar ohne Vorurteile gelesen, hättest du auch gesehen, dass es darum nicht ging.
    Ich weiß einfach, wie schlimm Menschen verletzt werden in so einem Umfeld und darum ging es mir. Und tatsächlich, wenn ich irgendwas verhindern würde, für meine Kinder, dann wäre es, dass sie als Prostituierte arbeiten. Weil ich weiß, wie das ist. Weil ich weiß wie zerstörerisch das ist.
    Tut mir leid, aber das find ich nicht vergleichbar mit Lokführerin zu sein, egal was hier gesagt wird.
    Und es sind keine Horrorfantasien, sondern meine erlebte
    Realität, also bitte stell dich nicht über mich mit deinen
    Kommentaren.
    @Inge Kleine, danke für deine interessanten Kommentare. Mich hat es auch gegruselt, als hier stand: Was sollen die Frauen stattdessen machen?
    Das ist ja auch wirklich keine Lösung. Anstatt mal zu fragen: Was sollen wir denn stattdessen machen, wie können wir was ändern?
    @Gunhild, danke für deine Analyse, das war ziemlich wichtig!
    “Und dass eine Frau oder ein Mädchen gezwungen ist, Sex zu haben um zu überleben, ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung”.
    Das sehe ich auch so.
    und @Maleen nochmal, ich finde, du verwechselt etwas, ich habe definitiv etwas gegen Prostitution und ja, ich würde meine Kinder davor schützen. Weil ich das als etwas andres sehe als Lokführerin zu sein etc. Und zwar nicht weil ich finde, dass diese Menschen dann weniger wert wären, sondern weil ich weiß wie zerstörerisch das ist. Und ja, ich schreibe aus eigener Betroffenheit. Also stell ich mich hier auch über niemanden oder will die Retterin sein, sondern ich sage, wie ich das sehe. Wie ich das erlebt hab. Was meine Freundinnen erlebt haben.
    Wir waren mit 12 schon überzeugt, geprägt von unseren “Eltern”, dass wir für alles ausgenutzt werden können. Dass Sexualität nur aus Gewalt besteht, sowieso, Vergewaltigung normal ist und dass wir nix werden können außer Prostituierte. Also bitte wirf mir nicht vor, dass ich mich hier über Leute stelle. Und ja, ich möchte nicht, dass Mädchen und Frauen das als normal empfinden.
    Mir geht es nicht um eine moralische Bewertung der Prostituierten sondern um eine moralische Bewertung des Systems, wo sowas möglich ist. Und ich sag dir eins: ich kenne niemanden, die daran nicht kaputt gegangen ist. Früher oder später.
    Und ich möchte das Leid verhindern, wenn ich kann.
    Wenn ich irgendetwas erreichen will ist es, so ein Leid
    zu verhindern. Ich weiß, dass ich Glück hatte, weil ich
    noch liebe Menschen um mich rum hatte und weil ich heute
    anders leben kann, deswegen, aber ich kenne einige, die
    sich auch umgebracht haben deswegen.
    Die daran kaputt gegangen sind. Wirklich zerstört. Ausgebeutet wurden bis nix mehr von ihnen übrig war.
    Eine Freundin von mir hat dann wirklich nur noch mit
    Gewalt gelebt. In meiner “Familie” war es üblich, dass
    Gewalt normal ist.
    Sexuelle sowieso.
    Was meinst du wie normal das ist?

    Und noch etwas: Ich frage mich, wie schlimm das eigentlich
    ist, wenn Kinder dann gar keine Konturen mehr haben. Und
    ja, wenn es irgendetwas gibt, wofür ich sie schützen würde, dann dass sie für Geld Sex haben müssen und zwar mit den Vorstellungen von Männern, die frau und man allermeistens in die Tonne kloppen sollte.
    @Elfriede Harth, dann habe ich da wirklich etwas falsch verstanden, danke für deine Erklärungen.
    Ich sehe es wie du, es müsste finanzielle Sicherheit für Frauen geben, damit das aufhört. Definitiv.
    @Ute Plass
    “Und welche Wahrheit, Sabrina, würden Kinder dann aussprechen? Vielleicht, dass es „nicht normal“ ist, dass wenige Menschen sehr viel haben und viele Menschen sehr wenig bis nichts, und dass es „nicht normal“ ist, dass alle zehn Sekunden auf dieser Welt ein Kind unter zehn Jahren verhungert, und sie fragen uns ganz sicherlich,
    warum wir das nicht ändern?!”
    Ja, das ist es. Das meinte ich auch. Und vielleicht würden
    die Mädchen sich auch komisch fühlen, jedenfalls seh ich das
    öfter in diesen Vierteln. Und weiß es noch von mir selbst.
    @steffen, aber dann wäre trotzdem noch die Frage, wenn das alles so normal sein soll, warum es nicht das gleiche für Frauen gibt oder nicht?
    Und danke für deine Worte wegen der sexuellen Gewalt, ich hab mich dann gesehen gefühlt. Mein Beitrag ist auch daraus entstanden, dass ich viele Frauen kenne, die sich in solche Umfelder begeben haben, wegen erfahrener schlimmster sexueller Gewalt. Und das ist das abgrundtiefst Schlimmste, was es gibt.
    @Antje Schrupp, ich würde mir aber wünschen, dass es andere Optionen gibt, aber ich frage mich wie du, wieso zur Hölle wir immer noch keine Möglichkeiten haben, etwas anderes anzubieten.
    Was ich sagen wollte mit dem, was ich geschrieben habe ist: mich verletzt das. Ich laufe durch die Straßen und ja, ich fühle mich wie als Objekt wahrgenommen und zwar, weil Frauen überall als Objekte dargestellt werden. Und ich fühl mich dagegen hilflos. Ich versuche immer, mir meine Würde zu erhalten, aber wisst ihr, wie oft ich blöd angesprochen werde? Wie jede Frau vermutlich. Und ich seh den Grund auch darin, dass wir sowas wie Prostitution total normal finden. Ich hab mich so oft von dieser Gesellschaft nicht geschützt gefühlt. Da war so viel schlimmste sexuelle Gewalt in meiner Geschichte, vielleicht hab ich deshalb versucht einen Zugang dazu zu finden, wie Kinder es sehen würden. Ich hoffe, das ist verständlich.
    Ich bin einfach tief betroffen und wenn ich das hier lese fühl ich mich so oft verletzt. So oft nicht gesehen. Und ja, das ist jetzt verletzlich, aber ich glaube, es geht vielen so. Ich kann mir nicht vorstellen, auch wenn du es anders schreibst, steffen, dass Freier wirklich den Menschen sehen. Das erscheint mir absolut absurd. Oder die Frauen gesehen werden generell.
    Und es kotzt mich an, ehrlich gesagt, in einer Gesellschaft zu leben, in der Mädchen und Frauen so viel angetan wird. Oder ich einen Jungen kannte, der auf dem “Kinderstrich” in Berlin gelandet ist und nie wieder zurückkam. Und du konntest nichts tun. Gar nichts.
    Weil da so viele Muster sind und Verharmlosungen und akademisches Gerede, wie auch hier manchmal.
    Die Wahrheit ist aber die: wir bräuchten viel mehr Leute, die solche Menschen schützen können. Ich hätte mir damals so viel mehr Schutz gewünscht. Aber wenn ich erzählt hab, was wirklich passiert ist, dann kam “Das kann doch gar nicht sein”. Und das schönste war noch, was ja auch schon für sich selbst spricht: “Aber Ihre Familie ist ja keine Ausländerfamilie”. Wie absurd und ekelhaft das ist, das möchte ich gar nicht erwähnen.

  • Ute Plass sagt:

    Großes Danke, Sabrina Bowitz, für deine Offenheit und deinen Mut uns hier von deinen großen Lebensverletzungen zu
    berichten. Berührt mich sehr.
    Vieles von dem, was du schreibst, ist mir aus meiner Tätigkeit in der Kinderschutzarbeit (Wildwasser) bekannt, und mein Engagement zur Abschaffung von Armut durch eine existenzielle Grundsicherung für alle rührt auch aus diesen Erfahrungen.

  • Ute Plass sagt:

    Ergänzend: Meine Tätigkeit bei Wildwasser liegt zwanzig Jahre zurück. Die Not von Kindern (weltweit) hat seitdem nicht abgenommen. Ich betrachte Armut ebenfalls als eine Form der Misshandlung,die mit verhindert, dass Kinder sich frei, gesund und selbstbewusst entwickeln können.

  • Liebe Ute Plass, fiel mir nicht so leicht, aber ich dachte, dann wird es wirklich ehrlicher und verständlicher. Ich hatte auch das Gefühl, weil ich hier das nicht gesagt hab, war der Hintergrund meiner Aussagen auch nicht so verständlich und hat andere irritiert oder verletzt und das wollte ich natürlich nicht.
    Ich bin der gleichen Meinung wie du, es braucht unbedingt! eine existenzielle Grundsicherung, weil Gewalt auch oft durch Abhängigkeit entsteht bzw. in den allermeisten Fällen.
    Und Armut schließt viele aus dem Leben aus, ein wirklich soziales Land müsste den ersten Schwerpunkt darauf haben,
    dass es keine Armut mehr gibt, sondern die Existenz wirklich gesichert ist, gerade von Frauen und auch Kindern in diesem Fall sowieso.
    Danke für deine Antwort, das hat geholfen. Ich war mir erst nicht so sicher, ob ich so ehrlich sein soll, aber deine Antwort war sehr hilfreich.

  • Gunhild sagt:

    @Antje Schrupp.

    Du schreibst: “Dennoch müssen die Frauen konkret etwas tun, hier und heute, denn sie können nicht warten, bis wir die Revolution geschafft haben.”
    Dass das Warten bis zur Revolution nicht die Lösung sein kann, habe ich ja ebenfalls schon geschrieben.
    Es geht, wie gesagt nicht darum, was die “Frauen tun müssen”, sondern was die Gesellschaft tun muss. Und da muss staatlicherseits viel viel mehr Geld in wirkliche Ausstiegsprojekte, bessere Optionen usw. gesteckt werden. Das geht auch ohne Revolution. Das gehört als Forderung zum Nordischen Modell.

    Das Nordische Modell nimmt Frauen diese “Möglichkeit” nicht. Es bestraft lediglich Freier und Zuhälter. Und dadurch wird es für letztere nachweislich schwerer Frauen in die Prostitution zu drängen. Schon mal was von Loverboys gehört? Es hat nicht mit “die sind doch nicht blöd” zu tun, wenn man sich mal mit den ausgefeilten Manipulationstechniken moderner Zuhälter auseinandersetzt. Das freie Subjekt, das da angesichts einer emotionalen Manipulation oder in einer verzweifelten Situation ruhig Optionen abwiegt und sich kühl und unbeeindruckt entscheidet, gibt es nicht und dient im Falle der Prostitution nur der Illusion, sich beruhigt zurückzulehnen: “Sie wollte es ja so.”

    Du hast immer noch nicht auf die Frage geantwortet, was eine Minderjährige wie Rachel in solch einer Notsituation machen soll. Als Grenze hast du ja nunmehr die Volljährigkeit gezogen, so dass das “was soll sie denn sonst machen” hier nicht gilt. Welche Maßnahmen sind deiner Meinung nach geboten, um jemandem wie Rachel zu helfen, um nicht in der Prostitution ausgebeutet zu werden?

    Bezüglich Bulgarinnen und Rumäninnen habe ich andere Infos, werde das nochmal checken.

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