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Rubrik leben

Reflexionen über überlebens-notwendige Lebensveränderungen und Verzicht

Von Monika Krampl

Es ist noch immer nicht im Allgemeinbewusstsein angekommen, dass wir alle – und damit meine ich wirklich „alle Menschen“ – etwas verändern müssen.
„Uns geht’s doch gut! Warum etwas verändern?“
Ja, aber …

Jetzt, zur Coronazeit und der Klimaveränderung, die nicht irgendwann kommt sondern die bereits begonnen hat, wäre es dringend notwendig,  sich folgende Fragen zu stellen:

  • was brauche ich zu einem guten Leben?
  • brauche ich das was ich bereits habe wirklich alles?
  • worauf kann ich verzichten?
  • was kann ich verändern in meinem Leben?
Foto: Monika Krampl

Ich bin 70 Jahre und saß gestern mit zwei 70-jährigen Frauen zusammen, die mich erstaunt und verwundert anschauten, als ich sagte, dass ich mich frage was ich mit dem Rest meines Lebens anfange? Ich schaute verwundert zurück – ist es doch gerade jetzt Zeit für Veränderungen im Leben – meine ich.

Für mich persönlich gehört zu einem guten Leben, dass ich nicht über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg in gleichen Alltagsgewohnheiten versinke und mir der vielen anderen Lebensmöglichkeiten gar nicht mehr bewusst bin. Jahreszeiten verändern sich / unsere Leben verändern sich / Lebensrhythmen werden mit den Jahren anders.

Ja, werden sie das?
Nur wenn wir uns selbst und unsere Umgebung mit Achtsamkeit wahrnehmen.

Ich habe immer wieder Neues ausprobiert und möchte auch weiter Neues ausprobieren. Ja, ich möchte sagen – ich muss – weil ich mich verändert habe und daher liebe alte und wohlbekannte Lebensgewohnheiten nicht mehr stimmen. Es passt einfach nicht mehr. Wie ein Kleid, das nicht mehr richtig passt …

Birgit Wittstock schreibt in einem Falter-Newsletter, einer österreichischen Wochenzeitung, die bekannt ist für ihren investigativen Journalismus, über eben diese fehlende Bereitschaft zur Veränderung und bezeichnet sie als den „kollektiven Egoismus“. Und ich frage mich – ist es Egoismus oder Unbewusstheit oder Achtlosigkeit oder Unlust etwas zu verändern und damit einhergehend Angst, dass es einem dann vielleicht nicht mehr gut geht?

Zurück zu dem Treffen der drei 70-jährigen – 210 Jahre geballt an einem Tisch, das hat schon was!

Beim Verabschieden auf der Straße sehe ich das Auto der einen 70-jährigen. Ein Volvo Cabriolet. Ich sehe sprachlos wie das Dach auf Knopfdruck verschwindet. Wie sie sich hinter das Steuer schwingt und mit flatterndem Haar in den Sonnenuntergang fährt. Na ja, es war nicht ganz so. Die Haare haben nicht geflattert, die saßen sehr fest in ihrer Form. Und der Sonnenuntergang war noch nicht so weit.

Und für kurze Zeit tauchte ich ein in die Phantasie, dass ich mit diesem schicken Cabriolet mit meinen weißen, im Fahrtwind flatternden Haaren durch die Hügel der Toskana in den Sonnenuntergang fahre. Im Radio laut – sehr laut, die Songs von Dire Straits und The Doors …

Zurück am Boden der Realität frage ich mich, ob es nicht ein Leichtes ist, über Veränderung und Verzicht zu sprechen, wenn man dies alles nicht hat? Ist es nicht sehr leicht, davon zu sprechen, wenn ich mir das alles sowieso nicht leisten kann? Sollte ich daher meine kleine Pension als Segen betrachten? Zum Nachdenken und Überdenken eines Lebens, das ich bis dahin führte, und einem nun aufgezwungenem Verzicht, der im Anfang nicht leicht war, hat es zweifellos geführt. Und jetzt im Nachhinein bin ich froh und dankbar darüber. Es hat mich aufmerksamer und dankbar für die kleinen Freuden – die in Wirklichkeit ganz groß sind – gemacht.  

Und ich stelle mir die Frage, ob ich der Verführung, mit diesem schicken Cabriolet durch die Toskana zu fahren, standhalten würde, wenn ich es mir leisten könnte?

Ja, würde ich.

Aus Umweltschutzgründen; weil ich diese Autos, auch wenn ich es mir leisten könnte, zu teuer finde; ich möchte nicht so viel Geld für ein Auto ausgeben; weil ich diesen ganzen digitalen-Schnickschnack im Auto nicht will. Ich will selbst fahren und mich nicht dauernd von Assistenzsystemen stören lassen und schon gar nicht will ich, dass ein Auto selbst fahrend ist – ich möchte das Lenkrad selbst bewegen und schalten und walten können …

Ich lebe jetzt seit drei Jahren ohne Auto. Und es geht. Ich benutze öffentliche Verkehrsmittel. Und nur manchmal, so hin und wieder, fehlt mir ein Auto – einfach ins Auto steigen und ab in den Süden…

Ja, es gibt sie, die Momente, in denen es nicht leicht ist mit dem Verzicht.

Trotzdem. Ich habe in den letzten Jahren vieles reduziert.

Von 110 Quadratmeter Wohnfläche auf 50 Quadratmeter. Ich habe Möbel / Geschirr / Bücher / Kleidung / Bilder / Krimskrams / Auto / Motorrad – schlussendlich auch meine Stapel von Tagebüchern / Kartons voll mit Unterlagen aus dem Studium, den vielen Projekten, Workshops und Seminaren / und noch vieles mehr – all meine gelebte Vergangenheit ausgelichtet (entsorgt).

Und es geht mir gut. Ja, es geht mir gut.
Es ist leichter – lichter – geworden.
Es ist Platz für Neues.
Nichts festhalten. Nichts haben wollen.
Leben.
Einfach leben.

„Zu sein, zu leben, das ist genug …“ (Friedrich Hölderlin)

Damit ich auch eines Tages leichten Herzens gehen kann.
Weil ich gelebt habe.

Passend dazu ein Textauszug aus dem Artikel „Unser Wohlstand tötet das Klima – Zeit etwas zu verändern“:
„Werbung und unser eigenes Statusdenken verführen ebenso zu mehr Konsum wie die Konkurrenz der Arbeitnehmer_innen untereinander. Denn „um konkurrenzfähig zu bleiben, werden die Individuen dazu gedrängt, die Zeit- und Kosteneffizienz zu erhöhen, indem sie in Autos, Küchengeräte, Computer und Smartphones investieren“, schreiben die AutorInnen.
Dazu leben besonders wohlhabende Menschen ein Konsumverhalten vor, dem viele nacheifern wollen. ‘Überkonsum’ bedeutet dann auch, Geld auszugeben, um einen vermeintlich höheren Status nach außen sichtbar zu machen und sein eigenes Wohlbefinden zu steigern.
Das Problem: Je mehr Personen dabei mitmachen, umso höher steigt das Konsumniveau und umso teurer müssen die gekauften Statusgüter werden, während das gesellschaftliche Wohlbefinden stagniert”.

Dieser Artikel erschien auch auf dem Blog von Monika Krampl.

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Susanne Stier sagt:

    Dankeschön für diese wunderbaren Gedanken. Sie tun mir gerade in meiner Seele sehr gut. Sprechen sie doch auch soviel von Hoffnung.

  • Voigt-Kehlenbeck, Corinna sagt:

    Die Impulse sind wertvoll und ermutigend. Dennoch fällt natürlich auf, dass wir leicht über Verzichtsleistungen sprechen können, die wir bereits freiwillig erbracht haben. Wenn Sie sich einschränken in Ihrem Wohnraum, so ist dies sicherlich erforderlich, wenn die Rente kleiner wird. Auf den Verzicht eines Autos sind Sie längst gewohnt und verzichten deshalb ja nur bedingt mehr, als Ihnen lieb ist. Auf ein Auto zu verzichten in der Großstadt, ist naheliegend, allein wegen des mangelnden Parkraums, ist oft ein Abwägen zugunsten der eigenen Bequemlichkeit (ich suche auch nicht gern Stunden im Viertel nach einem Parkplatz – dann fahre ich lieber mit Bus und Bahn). Im ländlichen Bereich ist der Verzicht auf ein Auto mit weit größeren Einbussen von Freiheit und Spontaneität verbunden.
    Die Frage der Zukunft wird aber mehr sein, als das, was wir gewohnt sind: Verzicht auf Privatsphäre, wenn wir im Alter doch noch mal wieder in Wohngemeinschaften ziehen? Da wird es spannend, denn dann geht es darum, welche Verzichtsleistungen sind erforderlich, auch wenn wir sie ungern erbringen. Und wenn es dann um die Gefahr der Exklusion aufgrund von Statuseinbußen geht, dann geht es um wirkliche (soziale) Veränderungen. Diese Diskussion ist eine, die sich um Angewiesenheit auf Hilfe und Nachbarschaft bezieht und diese ist dringend erforderlich, denn dies organisiert sich nicht mehr über den STatus der Unabhängigkeit, für den der Ritt in die untergehende Sonne des Cowboys abzieht. Dies ist ein männliches Muster, die Hoffnung auf die Abwesenheit von Angewiesenheiten. Dies aber ist ein (männlich konnotierter) Freiheitsbegriff, über den wir gerade im Alter diskuiteren müssen. Und dann wird es wirklich spannend, wie wir das, was wir aufgeben (mit anderen gemeinsam?) kompensieren können.

  • Corinna Voigt-Kehlenbeck – danke für Ihren Kommentar.
    Ich möchte gerne meine Sichtweise und Wahrnehmung dazu schreiben.

    Ich habe in den letzten Jahren vieles in meinem Leben ausgelichtet – darunter einiges weil ich musste und vieles weil ich wollte. Weder bei dem einen noch bei dem anderen spreche ich leicht darüber. Denn alles Auslichten / aller Verzicht / ist mit einem Abschiednehmen und einem Loslassen verbunden. Auch das Freiwillige. Und dass das eine leichter fällt als das andere hat nichts mit freiwillig oder unfreiwillig zu tun – sondern mit dem Loslassen von lieben Erinnerungen / Vorlieben und Gewohnheiten.

    Auf das Auto habe ich damals aus Überzeugung verzichtet, nicht weil ich es musste. Ich wohne zwar jetzt in der Landeshauptstadt St. Pölten, jedoch ist es mit Besuchen in der Umgebung eher dann doch ein ländlicher Bereich. Deshalb, ja, wie sie erwähnt haben – „eine größere Einbuße von Freiheit und Spontaneität.“

    Ich musste schmunzeln über den „Ritt in die untergehende Sonne des Cowboys“. Ich setze dieses Verhalten / Bedürfnis / nicht einem männlichen Muster / Verhalten gleich. Da würde / müsste ich doch sagen, dass ich seit Jahrzehnten als „Cowgirl“ lebe. Als Cowgirl, das sich immer wieder aufmacht, um in die untergehende Sonne zu reiten, der jedoch die Treffen mit Freund*innen am Lagerfeuer, um sich Geschichten zu erzählen / zu singen und zu lachen / sich in den Arm zu nehmen / sehr wichtig sind.

    Ein kurzer Exkurs in die Vergangenheit. Als ich zwischen 5 und 7 Jahre alt war (also 1955 – 1957) hatte meine Mutter, damals war ich das einzige Kind in der Klasse, deren Eltern geschieden waren – eine Arbeitskollegin die nie verheiratet gewesen war, und die in einer winzigen Garconniere mit Klo am Gang lebte. Im Wohn-Schlaf-Zimmer hatte sie ein schmales Bett, das man aufklappen konnte und das in der Wand verschwand. Ich war fasziniert. Ich wollte immer bei den Besuchen mit. Ihre Wohnung (eine Wohnung für eine Frau alleine!, ich schlief damals im Ehebett mit meiner Großmutter) für sie alleine, – und meine Mutter und sie rauchten und lachten laut. Wenn ich das aus heutiger Sicht betrachte, war ich wohl nicht nur fasziniert, es erschreckte mich und gleichzeitig bewunderte ich sie.

    Nun heute – jetzt – gibt es viele Frauen, die so wie ich auch, gerne und sehr bewusst alleine leben. Auch im Alter. So lange es möglich ist.

    „So lange es mir möglich ist“ – das ist mir sehr bewusst. Ich habe einige Freund*innen, die in verschiedensten gemeinsamen Wohn- und Lebensprojekten leben. Verschieden von der Größe her und vom finanziellen Aufwand. Anders und neu auch von den Strukturen und der Kommunikation – ein weites Lernfeld. Es gibt auch bereits Projekte mit einem neuen Finanzierungsmodell – dem „Vermögenspool“, gegründet von Markus Distelberger. Dieser schafft die Möglichkeit, sich auch mit geringen finanziellen Möglichkeiten zu beteiligen.

    Ich finde es sehr schön, dass uns – egal ob Frauen oder Männer – heute viele verschiedene Lebensmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Was aus meiner Sicht notwendig ist, dass all diese Möglichkeiten mehr bekannt werden. Da gibt es einen großen Informationsmangel.

    Obwohl ich jetzt schon viel geschrieben habe, wäre da noch vieles dazu zu sagen, z.B. wie von Ihnen auch erwähnt – Statuseinbußen; sowie körperliche Veränderungen im Altwerden; oder auch das Leben in verschiedenen Beziehungsmodellen; etc. etc.

    Zur „Angewiesenheit“ möchte ich gerne David Steindl-Rast zitieren:
    „Liebe ist das Ja zur Zugehörigkeit / Verbundenheit.“

    Vieles ist uns heute möglich – und das ist schön!

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