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Rubrik erinnern

Kapitel 9: Geld als Symbol der Abhängigkeit und Mittel der Politik

Von Antje Schrupp, Andrea Günter, Dorothee Markert

Zum 20. Jubiläum der Flugschrift „Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik“ wurde das Büchlein im Christel Göttert Verlag neu aufgelegt und wird hier im Forum auch erstmals online veröffentlicht (hier der Link zum Anfang). Dies ist das 9. Kapitel: Geld

Flugschrift
Flugschrift “Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn”

Die Ansicht, der Besitz von Geld garantiere größtmögliche Freiheit, ist ein Irrtum. Wo Geld als neutrales Tauschäquivalent eigentlich doch gerade die Verhandlungsmöglichkeiten in den menschlichen Beziehungen ausweiten und öffnen sollte, ist es in unserer industrialisierten Gesellschaft zu einer isolierten Größe geworden, mit der persönliche Unabhängigkeit assoziiert wird. Das ist eine Illusion. Es geht immer um die Frage: Welche Abhängigkeit bin ich bereit einzugehen, um welcher anderen Abhängigkeit zu entkommen?

Vor allem Männer nutzen Geld, um durch den Konsum von Fast-Food, sexuellen Dienstleistungen und industrialisierter Unterhaltung aus ihrer Abhängigkeit von konkreten Frauen und persönlichen Beziehungen herauszukommen. Sie nehmen aber meist nicht wahr, dass sie sie gegen die Abhängigkeit vom Arbeitgeber, von anonymisierten Dienstleistern oder vom Marktgeschehen eintauschen.

Geld ist aber nicht nur ein Mittel der Wirtschaft, sondern eines des Zusammenlebens und das heißt, der Politik. Es ist Symbol für unsere Abhängigkeit von anderen Menschen, eine abstrakte Form, diese Abhängigkeit anzuerkennen, auch wenn die Illusion der „finanziellen Unabhängigkeit“ diese Tatsache verschleiert. Es geht darum zu verstehen, dass man weder durch die Überschätzung des Geldes, noch durch seine Verachtung (wie das beispielsweise in manchen romantisierenden Vorstellungen von Subsistenzwirtschaft der Fall ist) Unabhängigkeit gewinnt.

Nicht Unabhängigkeit ist erstrebenswert, sondern Freiheit. Freiheit gründet darin, die gegenseitige Abhängigkeit von allem und allen anzuerkennen. Hinsichtlich der Faktizität der Abhängigkeit macht es keinen Unterschied, ob man von Geld oder von konkreten anderen Menschen abhängig ist. Freiheit gewinnen wir dadurch, dass wir aus dieser falschen Alternative ausbrechen und die Möglichkeiten erweitern, die Modalitäten unserer Abhängigkeit von Fall zu Fall auszuhandeln — wobei es immer auf die konkrete Situation und die beteiligten Personen ankommt.

Aus: Ulrike Wagener, Dorothee Markert, Antje Schrupp, Andrea Günter: Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik. Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 1999, Neuauflage 2019

Weiter zum Kapitel 10: Reichtum und Armut als Beziehungsfragen

Autorin: Antje Schrupp, Andrea Günter, Dorothee Markert
Eingestellt am: 06.04.2021
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