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Das Ende eines langen, gemeinsamen Lebens

Von Adelheid Ohlig

Ein Buch über die Liebe, ihren grossen Platz im Leben, über Vergänglichkeit und Dauer, über sterben und leben. 65 Jahre waren Marilyn und Irvin verheiratet. Beide schrieben: er über seinen Beruf: er arbeitete Jahrzehnte als Psychiater und Therapeut; sie veröffentlichte zahlreiche Bücher in ihrem Fach der Kulturwissenschaften. Sie waren gegenseitig die ersten, die jeweils die Manuskripte des/der anderen lasen, sie diskutierten, zeigten einander die Welt. Sie zogen vier Kinder auf, erfreuten sich ihrer Enkel. Ein ganz normales Leben also – und doch ungewöhnlich: eine solch lange Liebe und Verehrung füreinander findet sich, vermute ich, nicht oft.

Als Marilyn Yalom schwer erkrankt, bittet sie ihren Mann, dass sie das letzte Buch gemeinsam schreiben. Er zögert, will sein eigenes Projekt weiterbringen. Sie insistiert und so schreiben sie abwechselnd über ihr Innen- wie auch das Außenleben, während ihre Krankheit zum Tode führt. Sie möchte gut aus ihrem Leben scheiden, 87 schöne Jahre habe sie sicher und behütet leben können. Sie beschreibt ihre Dankbarkeit im Angesicht all der Liebe, die ihr von Familie und Freundschaften zuteil wird. Sie gehörte zu den ersten Feministinnen in den USA, gründete einen Frauendebattiersalon, untersuchte die Rolle der Frauen in der französischen Revolution, schrieb über Frauenfreundschaften, über die Liebe.

Die Liebe in vielerlei Facetten durchzieht das gesamte Werk. Auch Irvin Yaloms Liebe zu ihr, zu den Menschen, die er beruflich traf, zu seiner Familie wird vielfach kraftvoll ausgeschmückt.

Umso grösser der Schmerz als das Ende naht. Marilyn probiert einige Therapien aus, als auch der letzte Versuch keine Heilung bringt, möchte sie nur noch palliativ behandelt werden und – wenn die Schmerzen nicht mehr zu lindern sind, ärztlich assistiert aus dem Leben scheiden. Irvin Yalom schildert seine Hemmung diesen Schritt mit zu gehen, doch da er sieht, wie sie immer mehr leidet, stimmt er ein. Schließlich bringt er das Buch allein zu Ende, schildert ehrlich und offen seine Verwirrung, seinen Schmerz, seine Einsamkeit, nachdem Marilyn aus dem Leben geschieden ist. Nur nach und nach findet er Trost in den Erinnerungen, die auch uns Lesenden Hoffnung schenken.

Irvin D. Yalom und Marilyn Yalom: Unzertrennlich – Über den Tod und das Leben, btb, München 2021, übersetzt von Regina Kammerer, 314 Seiten, 22 Euro, 12 Euro als TB.

Autorin: Adelheid Ohlig
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 28.07.2022
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Brigitte Leyh sagt:

    Was für ein schönes Buch und was für eine schöne und produktive Beziehung von Mann und Frau uns da vorgelebt wird. Das lässt hoffen! Vielen Dank, Adelheid Ohlig.

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