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Nachdenken über Arrival II (von III): Weiter auf der Suche nach einer Sprache, die die Zeit öffnet

Von Anne Newball Duke

In diesem Artikel greife ich ein zweites Mal Ideen und Gedanken auf, die in dem Videopodcast zum Film “Arrival” und der Kurzgeschichte “Story of your Life” aus Zeitgründen keinen Platz mehr gefunden haben. Ich knüpfe hier unmittelbar an den Überlegungen von diesem Artikel an.

Foto: Anne Newball Duke

Sprache als Waffe

Es gibt ein fatales Missverständnis in dem Film, der auf einen komplexen (kulturellen? den sozio-historischen Bedingungen inhärenten?) Übersetzungsfehler zurückgeht: Als Louise die Heptapods fragt, warum sie nun zur Erde gekommen sind, antworten diese: “Waffe anbieten.” Louise übersetzt dies auch den Militärs so, worauf diese jegliche Verbindungen mit den anderen Ländern abbrechen und sich auf einen Krieg vorbereiten. (Gegen wen eigentlich, und warum dafür die Kontakte zu den anderen Forschungsteams und Militärs abbrechen, das wird mir bis zum Ende nicht so wirklich klar.) Doch Louise zweifelt an ihrer eigenen Übersetzung. Dabei hatte sie selbst noch relativ pathetisch in ihr Linguistik-Lehrbuch geschrieben: “Sprache ist das Fundament der Zivilisation. Sie schweißt ein Volk zusammen. Sie ist die erste Waffe, die in einem Konfliktfall zum Einsatz kommt.” Aber noch durchschaut sie ihren eigenen Fehler nicht, obwohl sie zuvor bereits Übersetzungsfeingefühl bewiesen hat. Ihr Kollege übersetzte einmal in einem Konfliktfall, der dann auch eine militärische Operation nach sich zog, das Sanskrit-Wort für “Krieg” mit “Streit”. Louise hingegen mit “Wunsch nach mehr Kühen”. Da nicht auf sie gehört wurde, sondern auf ihren Kollegen – so wird der Zuschauer*in des Film zumindest nahegelegt zu denken –, wurde ein nicht näher benannter Aufstand blutig niedergeschlagen.

Während sie über ihre Übersetzung “Waffe anbieten” grübelt, die nun auch einen ähnlich gravierenden, riesige Konsequenzen nach sich ziehenden Abbruch der Kommunikation der Forschungsteams zur Folge hat, bemerkt sie, dass auch das chinesische Forscher*innenteam die Heptopods lehren, die Sprache als Waffe zu benutzen, indem sie ihnen die chinesische Sprache über Spiele beibringen. Wenn aber jede Unterhaltung – wie Louise bald erkennt – ein Spiel ist, dann ist jede Idee konkurrenzbehaftet: Sieg oder Niederlage. “Wenn ich jemandem als Werkzeug einen Hammer gebe, ist alles ein Nagel.” Mit dieser Erkenntnis geht sie zu ihrem letzten Besuch bei den Heptapods. Nun gibt es keine trennende Wand mehr zwischen ihr und dem Heptapod Costello; sie schwebt in “seinem Element”, einer weißnebligen, feuchten Sphäre, während Costello sich am Anfang quallenartig um sie herum bewegt. Auf ihre Bitte, ihr zu helfen, da sie eine Nachricht an die anderen Heptapods schicken müsse, antwortet es wieder: “Louise hat Waffe.” Und es erklärt ihr: “In 3000 Jahren brauchen wir die Hilfe der Menschheit.” Sie fragt Costello, woher es die Zukunft kenne, und hat sodann wieder einen Vorblick auf eine Szene mit ihrer Tochter; einem Mädchen also, das ihr in der Realzeit noch völlig fremd ist und nur in ihren Vorblicken vorkommt, die sie auch erst zögerlich – anscheinend erst jetzt – als solche erkennt. Sie fragt Costello: “Ich verstehe nicht. Wer ist dieses Kind?” Und Costello antwortet: “Louise sieht Zukunft. Waffe öffnet Zeit.”

Seit mehr als 500 Jahren prägen und verändern wir Menschen mittlerweile die ganze Welt durch die kapitalistischen Verhältnisse unserer Gesellschaften, in denen nahezu ausschließlich Gewinner*innen oder Verlierer*innen produziert werden. Es ist daher kein Wunder, dass viele unserer menschlichen Sprachen den Spielemodus inkarniert haben, und dass Sprachen auf der ganzen Welt mit Kriegs- oder Konkurrenz- und Wettbewerbsmetaphern gespickt sind. Und so nutzt auch Louise mit “Waffe” eine solche Kriegsmetapher für die Sprache.

Kurz nachdem ich den Film gesehen hatte, las ich das wundervolle, beinahe magische kleine Büchlein Macht und Sinnlichkeit (1983, herausgegeben von Dagmar Schultz) mit Texten, Reden und Gedichten von Adrienne Rich und Audre Lorde. Letztere sagt, sie nutze die Sprache als Waffe im Kampf, sich ihre Wahrnehmungen und ihre Kreativität in einem Leben am Rande des Chaos zu erhalten. Sie nutzt das Wort “Waffe”, wenn sie davon spricht, dass “ein Volk”, das dieselbe Unterdrückung teilt, “bestimmte Fähigkeiten und gemeinsame Verteidigungsstrategien entwickelt. Und wenn man überlebt, dann deshalb, weil diese Fähigkeiten und Verteidigungsstrategien funktioniert haben (…) Menschen, die dieselbe Unterdrückung teilen, verfügen über bestimmte zusätzliche Waffen gegeneinander, weil sie sie heimlich gemeinsam gegen einen gemeinsamen Feind geschmiedet haben.” (eb., S. 46f.) Erst als sie davon spricht, mögliche Formen aufzuspüren, die es bisher in der Art des Lernens und Verstehens noch nicht gegeben hat, löst sich diese Kampfmetaphorik etwas auf. Diese Formen, so sagt sie, “existieren für uns (sie meint hier besonders sich als lesbische Frau innerhalb der Black Community, siehe S.46) nur im Untergrund, da, wo wir unsere unbenannte, ungezähmte Sehnsucht nach etwas anderem aufheben. Sehnsucht nach etwas, das über das jetzt Mögliche hinausführt und wohin unser Analysieren und Verstehen nur den Weg ebnen kann.” (ebd., S.48)

Und so komme ich zu Donna Haraway, die einen wunderschönen Abgesang auf genau diese Metaphorisierung der “Sprache als Waffe” geschrieben hat, die ich hier ungekürzt wiedergeben möchte:

“Große Teile der Erdgeschichte sind in der Knechtschaft der Fantasie erster schöner Worte und Waffen, erster schöner Worte als Waffen (und umgekehrt) erzählt worden. Werkzeug, Waffe, Wort: Das ist das fleischgewordene Wort als Abbild des Himmelsgottes; das ist Anthropos. Das ist eine tragische Geschichte mit nur einem wirklichen Akteur, mit nur einem wirklichen Weltenmacher, dem Helden; das ist die maskulin menschenmachende Erzählung des Jägers, der aufbricht, um zu töten und die schreckliche Beute zurückzubringen. Es ist die messerscharfe kampfbereite Fabel der Aktion, die das Leiden klebriger, im Boden rottender Passivität über das Erträgliche hinaus stundet. Alle anderen in dieser dummen, phallischen Geschichte (prick tale) sind Requisiten, Gelände, Raum der Spielhandlung oder Opfer. Sie sind egal; es ist ihre Aufgabe, im Weg zu sein oder der Weg zu sein, der Kanal zu sein oder überwunden zu werden, aber sie sind selbst keine Reisenden und auch nicht Erzeuger. Das Letzte, was der Held hören möchte, ist, dass seine schönen Worte und Waffen ohne eine Tasche, ohne ein Behältnis, ohne ein Netz wertlos sind.” (Donna Haraway in Unruhig bleiben., S.59f.)

Im Grunde passiert Louise mit ihrem Angebot an die spracherwerbenden Heptapods, Sprache als Waffe zu verstehen, genau das, worauf Donna Haraway hier aufmerksam macht: Louises eigens benutzte “phallischer” Sprachgebrauch schlägt zurück. Immerhin sind ihre Zweifel an ihrer Übersetzung (und wohl auch an ihrer Sprache-als-Waffe-Metaphorisierung) so groß, dass sie weiter sucht, einfach weil die Antwort der Heptapods nicht zu ihrer Beziehung, die von intuitivem Vertrauen geprägt ist, passt.

Immer wieder geht es im Film um die Diskrepanz zwischen Wort und Ding, zwischen der eigentlichen Bedeutung eines Wortes und dem, wie und wofür es – zum Verfolgen bestimmter Interessen – verwendet wird: “Unite” in der Sprache der Militärs bedeutet, Kontakt mit den anderen Forschungsteams abzubrechen und sich auf einen Krieg einzustellen,  also in etwa: “Wir brechen gemeinsam die Kommunikation untereinander ab, um jeder für sich die Raumschiffe zu zerstören/zu bekämpfen (oder was auch immer)”.

Mich erinnert diese Diskrepanz auch an den abismalen Unterschied zwischen dem, was der globalen Marktwirtschaft an positiven Effekten bezüglich des Näherrückens der Menschen auf der Erde animaginiert wird; und den Auswirkungen, die dieses globale Wirtschaftssystem real auf die Menschen sowie auch auf alle anderen Lebensformationen auf der Erde hat; besonders auf jene im sogenannten “globalen Süden”. Donna Haraway nennt es eine “beschleunigende, nationalistische, transnationalistische und unternehmerische Entweltlichung” (ebd., S.82).

Und ähnlich verhält es sich auch mit unserem Zukunftsdenken. Wenn wir die Zukunft nur je singulär und nicht weltlich oder ganzheitlich imaginieren können, verlieren wir das reale Zukünftige aus dem Blick, bzw. wir bekommen es gar nicht erst in den Blick. Wenn wir im Körper aufkommende Gefühle und Intuitionen nicht weiter denken und versprachlichen, dann kümmern wir uns auch nicht um sie, sie sind “abschiebbar” ins Unterbewusstsein oder wie auch immer wir das nennen, und von dort torpedieren sie uns weiter “sinnlos” in Träumen, Schuldgefühlen und Gewissensbissen usw. usf. Meine Panik, die mich aufgrund der Klimaforschungen mittlerweile regelmäßig packt, ist für viele unverständlich. Für mich aber ist das, was diese Forschungen in verschiedenen Zukunftsszenarien darstellen oder skizzieren, bereits real. Klimakatastrophentote gibt es ja bereits jetzt überall auf der Welt; sie sind aber irgendwie doch noch nicht fühl- und spürbar in unseren westostnordsüdlichen Breiten. Auch ist beispielsweise das Waldsterben bereits komplett bei uns angekommen, aber durch das immer noch mehrheitliche Grüntsogrün weiterhin verdrängbar und somit: none of my business (langsam allerdings – während ich den Artikel schreibe – sickert es durch: hier die ZEIT vom 06.08. und hier das Zeitmagazin vom 13.08.).

Fadenspiele statt Nullsummenspiele

Louises Tochter fragt Louise in einem Vorblick einmal – und ich beziehe mich jetzt wieder mehr auf eine Szene in der Kurzgeschichte (im Film wird sie in einem etwas anderen Kontext ebenfalls angebracht) – nach einem technischen Begriff, der ihr gerade nicht einfalle, der beinhaltet, dass beide Seiten gewinnen: Ihr Vater hätte ihn einmal benutzt, als er über Aktienmärkte sprach. Louise bietet ihr den Begriff der “Win-Win-Situation” an, aber ihre Tochter (im Film heißt sie Anna, in der Kurzgeschichte hat sie keinen Namen, Louise adressiert ihre Gedanken immer direkt mit “you” an sie) sucht nach einem wissenschaftlicheren Terminus. Louise antwortet, sie solle dafür ihren Vater anrufen. Aber sobald die Tochter geht, reist sie selbst in eine Erinnerung, in der ihr der Begriff bereits untergekommen ist: Während der Zeit der Kontaktaufnahme mit den Heptapods will ein Repräsentant des State Departments einmal von Gary/Ian und Louise wissen, was ihre Einschätzung sei, warum die Heptapods denn gekommen seien. Es wird deutlich, dass er fast ausschließlich in Richtung Handel vermutet: “Maybe it’s mineral rights to our solar system. (…) Maybe it’s the right to deliver sermons to our populations.” (Chiang, S.152) Erst wenn sie wüssten, was sie wollen, könnten sie ja beginnen zu verhandeln. Louise will daraufhin betonen, dass die Beziehungen nicht feindlich oder gegnerisch gesinnt sein müssen. Sie erklärt Gary/Ian: “This is not a situation where every gain on their part is a loss on ours, or vice versa. If we handle ourselves correctly, both we and the heptpods can come out winners.” Und er ergänzt daraufhin: “You mean it’s a non-zero-sum-game?” (ebd., S.153) Nach diesem Rückblick kann Louise in einem weiteren Vorblick ihrer Tochter die Frage nach dem Begriff doch noch beantworten.

Ich erwähne diese Szene, weil Donna Haraway sich ebenfalls explizit auf den Begriff des Nullsummenspiels – allerdings im Bereich der Biologie – bezieht, und ich finde ihre Gedanken dazu äußerst inspirierend. Sie kritisiert – sich auf die Biologin und “radikale Evolutionstheoretikerin” (S. 87) Lynn Margulis beziehend – dass bei einem Nullsummenpiel, damit es überhaupt funktioniere, vorgegebene, umgrenzte Einheiten gedacht werden müssen statt – wie es Haraway viel richtiger erscheint – von Knotenpunkten unterschiedlicher intra-aktiver Bezüge in dynamischen, komplexen Systemen auszugehen. “Symbiose ist kein Synonym von ‘zum beiderseitigen Vorteil’. Die Bandbreite an Namen, die es bräuchte, um die verschiedenartigen vernetzten Muster und Prozesse von situierten und dynamischen Nach- und Vorteilen für die Holobionten [= symbiotische Assemblagen]/Symbionten zu benennen, tritt gerade erst zutage; jetzt, da sich BiologInnen von den Diktaten eines besitzergreifenden Individualismus und Nullsummenspielen verabschieden, die ihnen zuvor als Schablonen für ihre Erklärungen dienten.” (Haraway, S.87)

Ein Nullsummenspiel, “das auf der methodisch gesetzten Vorstellung von konkurrierenden Individuen basiert, ist nur eine Karikatur dieser verführerischen, saftigen, chemischen, biologischen, materiell-semiotischen und auch die Wissenschaft hervorbringenden Welt” (ebd., S.97). Das Nullsummenspiel bezeichnet Haraway als eine “Buchhalter-Hölle” (ebd.). Sie möchte vielmehr eine Lesart anbieten, die die kreativen, improvisatorischen und ephemeren Praktiken verstärkt, durch die alle Lebewesen, auch Pflanzen und Insekten, einander in ihre Lebensvollzüge involvieren” (vgl. ebd., S.98)

Ich finde das einen ganz wundervollen, der Erforschung des Lebens auf dieser Erde viel gerechter werdenden Ansatz. Wir müssen die Bedingungen des Erzählens, Zuhörens und Spielens entscheidend verlagern, wenn wir nicht mehr entweltlichen, sondern wieder verweltlichen wollen. Im Spiel mit Fadenfiguren geht es um die Weitergabe, um Geben und Nehmen; darum, Muster vor- und zurückzureichen, Muster zu bilden, ungebetene Responsabilität in der Hand zu halten (siehe erster Arrival-Text); die Devise beim Fadenspielen lautet: Mit-Werden statt Werden. (vgl. ebd., S.23)

Sympoiesis statt Autopoiesis und Symbiogenese statt Linearität

Der Film hat mich auch zum Nachdenken über die Linearität unserer Vorstellungen vom Leben angeregt; im Videopodcast haben wir es am Ende angesprochen.

Louises Wahrnehmungserweiterung, durch welche ihr die eigene Zukunft nun gleichermaßen als Erinnerungspool zur Verfügung steht (das Fass der Bieg-, Verzerr- und Fragmentierbarkeit von Erinnerungen je nach Lebensmoment mache ich jetzt mal nicht noch auf), impliziert nämlich, dass sie ihre individuelle Lebensgeschichte nun eben nicht mehr linear begreift. Das ist nicht explizites Thema des Films; allerdings ist es in der Art, wie Vor- und Rückblicke und der gegenwärtige, also körperliche Daseinsmoment miteinander montiert werden, angelegt. Sie kann die verschiedenen Momente ihres Lebens miteinander verbinden, indem sie in der Zeit gedanklich hin- und herreist. Wann sie wohin reist, scheint tief intuitiv in ihr angelegt zu sein (z.B. reist sie auf die Frage ihrer Tochter zu einem Moment in der Vergangenheit, in der das Nullsummenspiel vorkommt), oder aber im Verlauf des Spracherwerbs mitangelegt zu werden. Ein spannender, das Denken aufwühlender Filmmoment war für mich, als relativ am Ende des Films ein regelrechter Time-Switch-Wirbel der Vor- und Rückblicke stattfindet. In einem Rückblick, der von einem Vorblick aus vorgenommen wird, umarmt sie Ian/Gary und sagt: “Ich wusste gar nicht mehr, wie gut du dich anfühlst.” Der Spracherwerb scheint ihr auch intensiver wahrnehmbare Erinnerungen zu ermöglichen. Denkbar ist aber auch, dass sie den Vergangenheitsmoment nur so intensiv spüren kann, da sie Ian/Gary in der Jetztzeit, von der sie zunächst den Vorblick und dann die Rückblick vornimmt, ebenfalls umarmt (ich glaube mich zu erinnern, dass so die Reihenfolge war, weiß es aber nicht mehr ganz genau). Die liebevolle, intensive Umarmung in der Jetztzeit also ermöglicht die intensive körperliche Wahrnehmung in Vor- und Rückblick.

Wenn das Gehirn derart neuartig vernetzt ist, sodass es nicht nur ein Hin- und Herreisen zwischen Vergangenheit und Gegenwart erlaubt, sondern das Reisen in die Zukunft hinzukommt, von wo es ebenfalls möglich ist, in die Vergangenheit zu reisen, so ist es kaum mehr möglich, dies in einem linearen Schaubild darzustellen. Vielmehr ergibt sich ein Kreis – ein Semagram, der Schriftsprache der Heptapods im Film ähnlich vielleicht. Lebensbeginn und Ende treffen einander; und von allen Punkten kann Louise, ausgehend von ihrem (gegenwärtigen) Körpersein, beliebig vor- und zurückreisen. Die Bewegungen – würden sie aufgezeichnet – würden dann einem Fadenspielmuster ähneln.

Dennoch sind wir mit diesen Überlegungen noch nicht im Humusismus (Donna Haraway schlägt ihn alternativ zu Humanismus vor) oder im Chthuluzän (dieses Zeitalter soll ihrem Vorschlag nach dem Anthropozän oder Kapitalozän folgen) angekommen. Aber es gibt vielfältige Verbindungen.

Woher kommt die Vorstellung der Linearität unserer Lebensgeschichte? Hannah Arent leitet es in Vita Activa von der griechischen Auffassung her, in welcher Unsterblichkeit ein Währen und Dauern in der Zeit ist, ein todloses Leben, der Natur und den olympischen Göttern vorbehalten. (vgl. S.23) “Den Griechen erwuchs ein Verlangen nach Unsterblichkeit aus dem Bewusstsein, als Sterbliche von einer unvergänglichen Natur umgeben zu sein und unter den Augen todloser Götter ihr Leben zu verbringen. Eingelassen in eine Ordnung, in der alles unsterblich war außer den Menschen, wurde Sterblichkeit als solche das eigentliche Merkmal menschlicher Existenz. (…) Mortalität liegt in dem Faktum beschlossen, dass dem Menschen ein individuelles Leben mit einer erkennbaren Lebensgeschichte aus dem biologischen Lebensprozess heraus- und zuwächst. Diese Lebensgeschichte unterscheidet sich von allen anderen dadurch, dass sie linear verläuft und so den Kreislauf des biologischen Lebens gleichsam durchschneidet. Sterblich sein – das heißt in einem Universum, in dem alles im Kreise schwingt und Anfang und Ende immerfort dasselbe sind, einen Anfang haben und ein Ende und daher in die ganz und gar ‘unnatürliche’ Form einer geradlinigen Bewegung gebannt zu sein. Und darum meint Alkmaion, sind die Menschen vergänglich, ‘weil sie den Anfang nicht an das Ende zu knüpfen vermögen.'” (ebd., S.23f.)

Es ist förmlich spürbar, wie Donna Haraway – selbst Hannah Arendt in ihrem Buch öfter zitierend – an dieser Idee andockt, um statt dieser zweifellos richtigen Deutung eine anzubieten, welche die erneute Verweltlichung der Menschen enthält. Sie schlägt dafür mit M. Beth Dempster den Begriff der Sympoiesis vor; dieser stehe für “kollektiv produzierende Systeme, die über keine selbst definierten räumlichen oder zeitlichen Begrenzungen verfügen. (…) Im Gegensatz dazu seien autopoietische Systeme selbst produzierende, autonome Einheiten mit selbst definierten räumlichen oder zeitlichen Begrenzungen, die die Tendenz haben, zentral kontrolliert zu werden sowie homöostatisch und vorhersehbar zu sein. Dempster erklärt, dass viele Systeme, die eigentlich sympoietisch sind, fälschlicherweise als autopoietisch gelten. Ich denke dass dieser Punkt sehr wichtig ist, wenn wir über die Rehabilitation (das Wieder-lebenswert-Machen) und über Nachhaltigkeit inmitten der porösen Gewebe und offenen Ränder von beschädigten, aber noch weiterbestehenden lebendigen Welten nachdenken; wie beispielsweise den Planeten Erde mit seinen BewohnerInnen in dieser gegenwärtigen Zeit, die sich Anthropozän nennt.  (…) ein eingeschränkter (oder neoliberaler) Individualismus, aufgebessert durch Autopoiesis, ist weder metaphorisch noch wissenschaftlich betrachtet gut genug; er führt uns auf tödliche Pfade.” (Haraway, S.51)

Donna Haraway plädiert aber nicht für die Symbolik des Kreises; die Biologin in ihr verweist darauf, dass in unserem neuen Blick auf die Erde sich nichts in sich selbst schließt, sich nichts abrundet. Die “Kontaktzonen sind allgegenwärtig und sie strecken fortlaufend sich windende Ranken aus. Die Spinne ist eine viel bessere Figur für den Vorgang der Sympoiesis als jedes unzulängliche, langbeinige Wirbeltier, egal aus welcher Götterwelt. Tentakularität ist symchthonisch, verwickelt mit abgründigen und fürchterlichen Ergreifungen, Ausfransungen und Verwebungen, die wieder und wieder die Staffel in jenen generativen Rekursionen weiterreichen, die das Leben und Sterben auf- und abbauen.” (ebd., S.50f.)

Um diese beiden Formen – die Kreisform der Schriftsprache der Heptapods und Louises neue Erinnerungsfähigkeiten und Haraways Tentakularität – zusammenzubringen, brauchen wir uns nur noch einmal den Körperbau der Heptapods anzuschauen. Es ist “radially symmetric”, “seven lidless eyes ringed the top oft he heptapod’s body”, “at no point it ever turned around. Eery, but logically; with eyes on all sides, any direction might as well be ‘forward’.” (Chiang, S.117f.) So wird begründet, dass sie in die Zukunft genausogut wie in die Vergangenheit “sehen” können. Gehen wir nun aber allein von der Anatomie des menschlichen Körpers aus – so denke ich mir dann – , müssten wir Menschen ja mit unseren zwei Augen vorne im Gesicht und eigentlich unserer ganzen anatomischen Ausrichtung “nach vorne” (Fußstellung und dadurch Bewegung etcpp.) umso mehr in der Lage sein, auch “nach vorne” zu schauen, also in die Zukunft hinein. Ich mag diese Idee sehr. Sie impliziert, dass wir Menschen auch hier falsch liegen könnten: nicht nur darin, dass wir uns fälschlicherweise für autopoietisch und sterblich halten, sondern auch darin, dass wir eigentlich – allein durch die Anatomie bedingt – fähig sind, die Zukunft zu sehen, indem wir sie weltlich verplanen: vorher oder nachher oder mittendrin in der Bewegung hin zu einem “guten Leben für alle”, und uns dabei rück- und vorwärtsbewegend in Gedanken und Erinnerung das suchen, was notwendig ist, um das Ziel zu erreichen.

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