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Rubrik denken

ein komisches vermittlungslehrstück

Von Maria Coors

Vergangenen Montag hatte ich Spaß. Morgens las ich über die Abstimmung zum Jugendwort des Jahres 2020 und den restlichen Tag habe ich immer wieder gelacht. Wer es nicht mitbekommen hat, das Jugendwort des Jahres wird in diesem Jahr nicht von einer Verlagsjury gewählt, sondern im Internet abgestimmt. Nachdem der austragende Verlag doch eingeschritten war und den Favoriten „Hurensohn“ disqualifiziert hat, kämpfen nun Wörter wie „Mittwoch“ und „Schabernack“ gegeneinander.

Wie ein ganz normaler nicht-jugendlicher alter Mensch habe ich darüber in der Tageszeitung gelesen. Auch deshalb (also weil ich alt bin und nur auf Alte-Leute-Seiten im Internet rumhänge) ist mir erst mal der internetspezifische Background dieser Wörter völlig entgangen. Inklusive *****sohn sind das nämlich nicht einfach irgendwelche Nonsens-Wörter sondern entstammen bestimmten jugendlichen Internetbubbles. Das misogyne Schimpfwort etwa einer Seite, auf der es ironisch darum geht, sämtliche Anglizismen im Deutschen zu vermeiden bzw. ins Deutsche zu übertragen. Und wer das nicht tut, wird eben mit diesem Ausdruck beschimpft.

Wie gesagt, diese Ebene, war mir zunächst entgangen. Das ändert aber weder etwas an der Freude, die mir diese ganze Sache nach wie vor bereitet, noch an den Denkanschlüssen, die sich für mich daraus an bzw.-weiterdenken-Gespräche ergaben:

Eine Sache, über die sich einige von uns schon länger Gedanken machen und zu der auch ich immer mal eine Runde nachdenke, ist die Bedeutung von „Generationen“. In welcher Weise ist die Konstruktion von Zugehörigkeit aufgrund von Alter bzw. Aufwachsen und Sozialisierung in einer bestimmten Zeit überhaupt sinnvoll? Was genau trägt es aus etwa von „Kriegskindern“ zu sprechen von „Boomern“, „Millenials“ oder was auch immer? Verstehen sich Menschen selbst besser? Lässt sich Gesellschaft, Politik oder Geschichte besser verstehen, wenn man Alterskolonnen bildet? Oder verstellt es vielleicht sogar die freie Sicht zwischen Mensch und Mensch, den aufrichtigen Dialog und damit das gesellschaftliche Verständnis? Kurz gesagt, meine Antwort auf all diese Fragen lautet: „Ja, aber nicht nur.“ Und weiter bin ich mit Konkretisierungen noch nicht. Aber ich denke, dass diese Abstimmung zum Jugendwort ein Beispiel möglicherweise misslungener intergenerationeller Kommunikation ist und damit genau die Ambivalenz von Sinn und Unsinn generationeller Schulbladen illustriert.

Also: a) Hier haben sich (mindestens) zwei Generationen kolossal missverstanden. Und b) Hier ist es zu einem echten Gespräch zwischen (mindestens) zwei Generationen gekommen. Und ich glaube, der Witz liegt in diesem Dazwischen. Jedenfalls finde ich das witzig – vielleicht weil ich selbst dazwischen bin…

Wie meine ich das?

Nun, nehmen wir mal an, dass die diesjährige Änderung des Verfahrens nicht nur darauf zurückzuführen ist, dass der ursprünglich austragende Langenscheidt-Verlag geschluckt wurde. Vielleicht wollte man sich nun im Pons-Verlag die Kritik zu Herzen nehmen und ein „Jugendwort“ tatsächlich von „Jugendlichen“ und nicht von weitgehend nicht-jugendlichen Germanist*innen und Verlagsmenschen ausloben lassen. Umso ärgerlicher, dass man nun von „der Jugend“ in dieser Form vorgeführt wird. Gespräch gescheitert.

Nur, bereits mit der Fragerichtung, also ein besonders hervorzuhebendes „Jugendwort“ in einer besonders zu untersuchenden „Jugendsprache“ zu finden, wird natürlich implizit schon eine riesige Generationsschublade aufgemacht. Die Sprachfom einer besonderen Gruppe (Jugendlicher) wird herausgehoben und damit gegen eine nicht näher bezeichnete „normale“ Sprachform abgegrenzt. Nur zur Verdeutlichung: Es gibt ja kein „Boomerwort des Jahres“. Die Sprache, die Boomer reden, heißt einfach Sprache. Viele Boomer würden sich wahrscheinlich sehr dagegen wehren, wenn man ein Boomerwort des Jahres küren würde. Z.B. weil sie sich von der Bezeichnung Boomer allein schon nicht angesprochen und in eine Schublade gesteckt fühlen – verständlich. Z.B. weil ihre Sprache ja wohl bitteschön plain Hochdeutsch ist – vielleicht, ich bin keine Germanist*in. Vielleicht weil sie ihre eigene Sprache von ganz anderen sozialen Markern besser beschrieben sehen – regional-dialektal, politisches oder sozialen Milieu, Geschlecht…Aber die Sprache, die „Jugendliche“ reden wird vorgeblich eigens untersucht und ausgestellt, dabei wenig differenziert, ein wenig frisiert, damit da nicht nur *****sohn rauskommt, ein bisschen auf Unterhaltungswert (für wen?) geprüft – man könnte zusammenfassend sagen: Jugendsprache wird konstruiert und exotisiert. Und dabei sollen Jugendlichen nun bitte auch noch mithelfen. Meines Erachtens ist diese Generationen-Kommunikation ohne die Berücksichtigung des Machtfaktors nicht verständlich. Und damit komme ich zu einem zweiten Punkt:

In unserem letzten Zoom-Gespräch „Aus der Zeit gefallen“ haben wir unter anderem über Erklären versus Widerstand als Formen subalternen Sprechens geredet. Antje hat eigentlich richtiger Weise darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit sich für eine Sprechweise zu entscheiden bereits ein Privileg ist und dass manchen Subalternen nur das Erklären bleibt. Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob es nicht auch viele Situationen gibt, in denen widerständiges Sprechen die eigentlich einzige Möglichkeit ist, zum Beispiel, weil einem eh niemand beim Erklären zuhört, oder man nicht ernst genommen wird. Im schlimmsten Fall wird das Gesagte verdreht und gegen einen verwendet. Oder noch ein bisschen anders: Vielleicht ist Erklären im Grunde auch eine von vielen Formen widerständigen (subalternen) Sprechens. Durch eine alternierende „Erklärung der Wirklichkeit“ aus meiner Sicht stelle ich die Deutungshoheit der „herrschenden Meinung“ in Frage. Ähnliches können andere widerständige Kommunikationsformen leisten wie Gespräch-Verweigern, paradoxes Sprechen, Übertreiben, Lügen und eben Formen von Ironie und Humor. In die sehr weite letzte Kategorie könnte man auch die konzertierte „Antwort“ der „jungen Generation“ auf die Auslobung des Jugendwortes rechnen.

Und daran schließen sich für mich noch weitere Fragen an, die ich hier nicht gelöst bekomme: Wir haben das „Erklären“ im Grunde mit „Vermitteln“ wiedergegeben und implizit eine gewisse moralische Bewertung vorgenommen. Vermitteln schafft Beziehung zwischen Menschen, ermöglicht politisches Handeln. Ich würde aber auch aus meinen eigenen Erfahrungen sagen, dass Erklären bisweilen fundamental scheitern kann. Beim Gegen-die-Wand-Quatschen passiert einfach keine Vermittlung. Umgekehrt vermittelt sich aber manchmal etwas ohne Erklären – vielleicht sogar durchs Gerade-nicht-mehr-Reden oder Komplett-Quatsch-Reden. Ich bin mir zum Beispiel fast sicher, dass ich nie zu der Einsicht gekommen wäre, was für ein adultistisch-frecher Blödsinn eigentlich diese Sache mit dem Jugendwort ist, wenn Internet-Jugendliche nicht ihren Blödsinn auf diese Bühne gebracht hätten. In unserem Zoom-Gespräch haben wir aber auch die Gefahren von widerständigem Sprechen gerade in Internetbubbles thematisiert. Dorothee hat ja sehr ausführlich, das Vermitteln vermittelt. (https://www.bzw-weiterdenken.de/2020/04/das-gespuer-fuer-die-notwendige-vermittlung/) Vielleicht geht es von hier irgendwie weiter? Wie finde ich Kriterien fürs richtige Vermitteln? Und, woran merke ich, wann eine Privilegierung durch Auswahlmöglichkeiten an Widerstandsformen in eine de facto Machtposition kippt, die eine neue moralische Bewertung meiner Sprach- und Vermittlungsformen erfordert?

Autorin: Maria Coors
Eingestellt am: 05.08.2020

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Fidi Bogdahn sagt:

    Was vermittelt mir das Wort VERMITTELN eigentlich?
    Ich hör es nicht, seh es nicht; ich komm da nicht weiter…

  • Antje Schrupp sagt:

    Liebe Maria, danke für den Text, ich musste auch sehr lachen über diese Jugendwort-Geschichte, und finde deine anschließenden Überlegungen dazu sehr interssant. Ich bin mir übrigens gar nicht sicher, ob alle unserer Leserinnen wissen, wer die “Boomer” sind, auch das ist ja ein Wort, das aus einem bestimmten Kontext stammt, und wenn man den Kontext nicht kennt, versteht man es nicht.

    Ich denke, der Knackpunkt ist der Zusammenhang von Bedeutungen und Beziehungen. Und der Fehler bei dem Konzept, ein Jugendwort zu suchen, ist (neben dem “Othering”, das du beschreibst), ist die Idee, zu glauben, man könne die Sprache von “anderen” verstehen, ohne wirklich mit ihnen in Beziehung zu treten, also quasi in Form eines Lexikons. Natürlich sind Lexika praktisch, aber sie “erklären” eben nur, sie “vermitteln” nicht. Wenn man ein Wort im Lexikon nachgeschlagen hat, hat man es noch nicht verstanden, aber vielleicht ist es ein erster Schritt zum Verstehen, weil man mit diesem Wissen dann zu den Leuten gehen kann, die es verwenden, und anfangen kann, mit ihnen zu kommunizieren, weil man einen Einstieg hat.

    Im Internet ist das Ganze natürlich noch einmal dynamischer, weil das Community-Building schneller und leichter geht udn vor allem weil es nicht nur unter anderem auch, sondern in allererster Linie über Sprache geht. Wörter zu haben, die andere nicht verstehen, ist der einfachste Weg dazu (neben dem Bekenntnis zu einer inhaltlichen Position, worüber wir in dem Zoom-Cast gesprochen haben), also du gehst in eine Gruppe, sagst “Schabernack”, und alle lachen und wissen, zu gehörst dazu. Das Alter ist dabei eigentlich nebensächlich, Jugend hat halt nur immer dazu tendiert, sich über die Verwendung von Worten von den “Alten” abzugrenzen. Aber es gibt das auch in politischen Gruppen, wenn du durch eine bestimmte Sprache zeigst, dass du “woke” bist, und sowieso nur Leute reinkommen, die wissen, was “woke” ist und dass man das sein muss…

    Ich bin der Meinung, dass diese Dynamik einfach zeigt, dass Sprache nicht nur eine Möglichkeit zur Vermittlung ist, sondern eben auch eine Möglichkeit der Distinktion und des Ausschlusses, was wir im Grunde wissen, seit die Oberschicht früher Französisch parlierte oder der Klerus Lateinisch oder whatever. Nur dass diese Möglichkeit der Distinktion (jetzt mehr als früher?) nun auch andere haben können, und zwar durch das Internet sichtbar. Jugendliche haben sich vermutlich schon immer über das “Jugendwort” lustig gemacht, heute können sie es aber mitten in den relevanten Debatten tun und also so, dass wir es mitbekommen.

    Zum Unterschied von erklären und vermitteln. Ich bleibe dabei, dass “Erklären” eigentlich etwas mit Macht verbundenes ist, wenn du anderen Leuten etwas erklärst, bedeutet das, dass deine Interpretation bzw. Wahrheit gültig ist und der*die andere es nur noch nicht versteht. Es hängt mit Macht zusammen. Vermitteln hingegen bedeutet, dass du auf eine vielfältigere Weise versucht, etwas “rüberzubringen”, und zwar nicht nur durch Erklären, sondern durch Anknüpfen an die Realität des Gegenübers: Warum versteht sie es nicht, was wäre ihr Begehren darin, wie kann ich ihr Interesse wecken usw. Und das Tolle am Vermitteln ist, dass du es auch aus einer Position der Ohnmacht heraus zumindest versuchen kannst. Du schreibst: Wenn mir jemand nicht zuhört, kann ich nichts vermitteln, was natürlich stimmt, aber ich würde sagen, dann kannst du vor allem nichts erklären. Das ist aussichtslos, denn um etwas zu erklären, muss gegenüber jemand sein, die*der verstehen will. Da Vermittlung sich aber auf die Beziehungsebene begibt, ist es auch dann eine Option, weil es bedeutet, dass ich versuche, herauszufinden, wo ich mein Gegenüber erreichen kann. und das ist unabhängig von (Deutungs)-Macht, ALso letztlich, krass mit Elly Hillesum gesagt: Sie kann auch als Jüdin im Gestapo-Verhör versuchen, einem Nazi etwas zu vermitteln. Sie kann ihm aber natürlich nichts erklären.

    Das Perfide ist, dass Aufforderungen, etwas zu “erklären” heute im politischen Diskurs oft als Erwartung an Machtlose herangetragen werden, nach dem Motto: “Ihr redet so kompliziert, kein Wunder, dass niemand auf euch hört”. Im Prinzip ist das aber oft eine Lüge, die Leute wollen dann gar nicht verstehen, sie wollen nur die Verantwortung für ihr Desinteresse abgeben. Sich dann zu verweigernt, den “Erklärbär” zu machen, kann ich gut verstehen, und sie ist natürlich unser gutes Recht, wenn Leute Dinge nicht verstehen wollen, sind sie selber schuld, und es ist nicht meine Verpflichtung, irgendwem Feminismus zu erklären. Aber auch das ist eben schon eine privilegierte Haltung, weil ich es mir offenbar LEISTEN kann, dass mein Gegenüber in Bezug auf Feminismus dumm bleibt. Ich bin dann, um mit Diotima zu sprechen, nicht mehr auf der Ebene der Politik, sondern der der Macht. Oder: Ich bin nicht mehr in der völlig ohnmächtigen Position von Etty Hillesum gegenüber dem Nazi von der Gestapo, wo sie es sich nämlich NICHT leisten konnte, es mit der Vermittlung nicht einmal zu versuchen.

    Sehr interessantes Thema, vielleicht können wir dazu auch mal zoomen!

  • Kathleen Oehlke sagt:

    Ich sehe es auch so, dass diejenigen die Macht haben, die sich aussuchen können, ob sie vermitteln oder nicht. Und wenn sie sich dagegen entscheiden, ist das vielleicht der Punkt, an dem Macht zu Gewalt wird oder sich die beiden zumindest vermischen?
    Gilt dasselbe auch fürs Erklären? Ist es im selben Maß gewaltvoll, jemandem eine Erklärung zu verweigern? Annahme: Während beim Vermitteln der Perspektivwechsel wichtig ist, steht bei Erklärungen die Sachinformation im Vordergrund. Und natürlich ist es u. U. sogar bedrohlich, in einer bestimmten Situation eine bestimmte Sachinformation nicht zu bekommen (Wo ist der Notausgang?). Aber: Die Sachinformation kann man zumindest theoretisch noch irgendwo anders herbekommen. Beim Perspektivwechsel geht es ja um die Perspektive einer bestimmten Person oder Personengruppe. Oh, ich merke grad, damit bin ich ja bei Antjes Beispiel mit dem Lexikon angekommen. Und weiter komme ich jetzt grad nicht. Also ist das Vermitteln bzw. dessen Verweigerung näher an Gewalt als eine (unterlassene) Erklärung?

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Maria,

    danke für den Text, ich wusste davon noch nichts, und habe selbst mitgelacht, weil ich so verstehe, was dich daran zum Lachen bringt.

    Ich hätte so viele Anknüpfungspunkte, aber ich bleibe nur beim Themenkomplex Erklären und Vermitteln, weil mich das selbst seit Monaten umtreibt, und ich allein zu meinen Nachdenkprozessen zu dem Thema viele viele Seiten füllen könnte – das heißt, obwohl ich jetzt wahrscheinlich viel schreiben werde, fasse ich mich kurz, hahaaaa.

    Erklären hat für mich immer ein Von-oben-nach-unten. Ich erkläre etwas, was eine anderer noch nicht weiß oder versteht. Damit Erklären funktioniert, muss das Gegenüber die Bereitschaft haben, verstehen zu wollen. Es muss im Grunde sogar darum bitten. Es muss bereit sein, Informationen anzunehmen und – wenn nötig – bisheriges Wissen auszutauschen oder zumindest in Frage zu stellen.

    Beim Vermitteln hingegen geht es mir als Vermittlerin – so sehe ich das intuitiv – selbst um etwas. Wenn ich diejenige bin, die etwas vermitteln möchte, dann ist es mir nicht egal, ob mein Gegenüber es versteht oder nicht; also ich möchte, dass es etwas Bestimmtes versteht. Hier geht es nicht mehr nur um Wissen, sondern um den Willen, ein tieferes Verstehen anzuregen. Erklären kann erstmal nur auf der “Ok-hab-kapiert-ich-guck-was-ich-damit-mach”-Körperebene ankommen – sozusagen in einer Ankunftshalle vor den Verstehens”räumen” – und ich als Erklärerin wäre zufrieden und fände das total okay. Als Vermittlerin aber möchte ich, dass etwas, an dem mir viel liegt, tiefer im jeweils Gegenüber-Körper verstanden wird, also die Ankunftshalle passiert und weiter in innere Körpersphären vordringt.

    In letzter Zeit denke ich so viel drüber nach, weil es mir als relativ “neue” Klimaaktivistin darum geht, dass Menschen beginnen, den Gedanken tief in sich zuzulassen, dass auch sie eventuell jetzt aktiv werden müssen, um unsere Welt noch halbwegs lebenswert für nächste Generationen zu erhalten. Manche Gespräche scheitern fatal, andere funktionieren. Und mittlerweile – nach einem Jahr von try and error, einigen Workshops zu diesem Thema und aufmerksamem, sensiblem Lesen (in Büchern und Gesprächen etcpp.) diesbezüglich – erkenne ich doch, wann ich größere Chancen habe, mein Gegenüber zu erreichen. Leider – oder auch nicht leider – geht das nicht ohne großen persönlichen Einsatz. Ich muss sehr viel von mir geben. Ich muss mich öffnen und hoffen, dass das Gegenüber damit umgehen kann. Waltraud, meine Mitstreiterin, über die ich schon einmal hier eine “Lobeshymne” verfasst habe (https://www.bzw-weiterdenken.de/2020/05/meine-heldin-des-corona-alltags/), sagte mir einmal, nachdem meine Vermittlungsversuche mal wieder polternd gescheitert waren und ich ein Häufchen Elend war und als solches bei ihr anrief: “Wir sind wie Polypen: wir drehen unser Innerstes nach außen, und die anderen wissen es noch nicht mal. Und wir müssen es trotzdem tun, weil wir nun mal so sind, uns so entschieden haben. Und ein Zurück gibt es nicht. Weil wir wissen, dass wir nur so vorwärts kommen können.” Also ist es hart für uns emotional, wenn wir scheitern, weil wir so viel in die Schale geworfen haben, wir uns umgekrempelt haben, und der Versuch – ob selbst verursacht oder nicht, ist vorerst gar nicht wichtig – dennoch danebenging.

    Aber es ist eben das größte Glück, wenn so ein Versuch funktioniert. Vor zwei Wochen hatte ich ein solches Erlebnis. Mein Cousin – zu meiner Linken sitzend – und seine Partnerin – zu meiner Rechten sitzend, fragten mich zu fortgeschrittener Stunde nach einem insgesamt sehr geselligen Abend zuvor, was sich denn gerade eigentlich so beruflich tue. Wir hatten uns viele Jahre nicht gesehen. Und ich stellte bewusst mein Engagement für Klimagerechtigkeit in den Mittelpunkt meiner Antwort. Ich wollte einen Versuch starten, ich hatte, gefühlt, durch den schönen Abend, Energie dafür. Ich erzählte, wie ich dazu gekommen sei usw. usf. Ich verlangte nichts von den beiden, aber ich hatte wieder das Gefühl, alles zu geben. Nach ein paar flapsigen Sprüche á la “ich möchte mir natürlich nicht gern verbieten lassen, Fleisch zu essen” wurden die beiden doch nachdenklicher. Und irgendwann sagte seine Partnerin, an ihn gewandt: “Ja aber guck dir doch mal die Bäume in Berlin an! Eigentlich überall! Wenn man genauer hinschaut, das sieht doch nicht gut aus, sei ehrlich! Guck die vertrocknete Wiese an, auf der wir gerade sitzen!” Mein Cousin ließ ein grunzendes “Mmh” verlauten. Und dann sagte er mit einem unsicheren Lachen: “Na im Grunde versuche ich, das zu verdrängen und hoffe, dass alles nicht so schlimm wird, wie die Klimaforschung sagt.” Ich hatte in dem Moment das Gefühl, all mein Einsatz hatte sich gelohnt. Ich hatte das Gefühl, etwas im Inneren angestoßen zu haben, und das – gefühlt – ganz, ohne irgendetwas erklärt zu haben. Vielleicht habe ich dazwischen schon ein oder zwei Zahlen genannt, aber die standen nicht im Mittelpunkt, sondern haben nur dafür gedient, verständlich zu machen, warum ich aktiv geworden bin.

    Adrienne Rich und Audre Lorde haben mir in dem wunderbaren kleinen Buch “Macht und Sinnlichkeit” (1983) – herausgegeben von Dagmar Schultz – so viel geholfen, die Beziehung zwischen Informationen, Wissen und Verstehen zu verstehen.
    Audre Lorde schreibt an einer Stelle: “”Einige Leute können vielleicht ganze Stöße von Informationen weitergeben, aber das war nicht meine Sache. Lernprozesse sind etwas, das man anstiften, buchstäblich anstiften kann wie einen Aufstand. Und möglicherweise, hoffentlich, schlägt es dann Wurzeln und setzt sich fort.” (S. 45)
    Vielleicht ist die Beziehung zwischen Wissen und Verstehen ähnlich wie zwischen Erklären und Vermitteln. Adrienne Rich schreibt z.B.: “Eine wirklich lohnende Politik und wirklich lohnende Beziehungen verlangen, dass wir noch weiter gehen, noch tiefer graben. (…) Es bedeutet, dass ich meist begierig darauf bin und mich nach Möglichkeiten sehne, dir etwas zu sagen. Dass diese Möglichkeiten vielleicht beängstigend, aber nicht zerstörerisch für mich sind. Dass ich mich stark genug fühle, um deine suchenden, tastenden Worte anzuhören. Dass wir beide wissen, wir bemühen uns unausgesetzt weiter um die Möglichkeit der Wahrheit zwischen uns. Die Möglichkeit von Leben zwischen uns.” (S. 182f.)
    Wissen und Verstehen – so sagt Audre Lorde – müssen ineinandergreifen. “Was durch Verstehen in Gang kommt, ist, dass wir uns unser Wissen für den täglichen Gebrauch verfügbar machen, und das ist der eigentliche Drang, das gibt den Anstoß, den Drive.” (S. 59) Sie selbst musste also verstehen, was sie wusste, und genau dies auch anderen verfügbar machen; und dies wurde ein untrennbarer Prozess. Zuvor aber musste sie sich allerdings immer erst vergewissern, dass sie es wusste; und das wiederum hieß, dass sie es erst einmal fühlen musste. (ebd.) Gehen wir so vor in der Vermittlung – denke ich mir dann –, so verändert dies die Landschaft des Wissens selbst. Wie Donna Haraway sagen würde: Es ist von Gewicht, welche Wissensformen Wissen wissen.

    Ich könnte noch so viel mehr dazu schreiben.. und zur “Generationenfrage” und so… aber… aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.

    Danke nochmal für den tollen Denkanstoß, auch den anderen Kommentiererinnen! :)

  • Maria Coors sagt:

    Vielen Dank euch, für eure Kommentare und das Weitergedachte zum Verhältnis von Erklären und Vermitteln!

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