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DIE ELEKTRISCHE GETREIDEMÜHLE

Von Juliane Brumberg

Zweiter Beitrag aus der Serie: “Küchengeschichte(n) – wie Haushaltsgeräte die Care-Arbeit veränderten und verändern

Kinder, die zu Beginn der 1980er Jahre geboren wurden und deren Mütter sich als alternativ definierten und alles anders machen wollten, werden heute zur ‚Generation Müsli‘ gezählt. Es war die Zeit, als – endlich – Rooming-in auf den Neugeborenenstationen eingeführt wurde und junge Mütter anfingen, sich in Stillgruppen zu treffen. Und natürlich spielte gesunde Ernährung eine ganz wichtige Rolle. Bloß keine gesüßten Babytees für das Fläschchen, kein Babybrei aus einer Fertigmischung der einschlägigen Konzerne, wenig Zucker, viel Gemüse und Rohkost sowie Vollkornbrot oder -brötchen, gerne selbst gebacken, statt Weißmehlprodukte. Vollwertkochbücher kamen auf den Markt. Aber: Vollkornmehl und Vollkornschrot müssen frisch gemahlen oder geschrotet verarbeitet werden, damit sie ihre Nährstoffe behalten und nicht ranzig werden. Bioläden gab es noch kaum. Also blieb nur der Weg ins Reformhaus, um dort die Dinkel-, Roggen- und Weizenkörner mahlen zu lassen. Das war in meiner Heimatstadt nicht um die Ecke. Also musste eine elektrische Getreidemühle her, natürlich mit Steinmahlwerk, damit die Körner gemahlen und nicht zerhackt werden. Damals eine Investition von 300 – 400 DM, nicht wenig für junge Familien. 

Deshalb nutzten wir sie zu zweit. Ich freute mich jedes Mal, wenn meine Nachbarin rüberkam, um ihr Getreide zu mahlen und wir dadurch gleich die Gelegenheit zu einem Freundinnen-Plausch in unserem Kleinkinderalltag hatten. Manchmal wurde eben deshalb das Körner-Mahlen auch nur vorgeschoben… 

Nun fehlten noch die Rezepte, die sich jedoch bald in der Nachbarschaft verbreiteten. Rührkuchen und Plätzchen – natürlich mit selbstgemahlenem Vollkornmehl. Verbunden war das aber auch mit der Erfahrung, dass die Kuchen zwar gut schmeckten, aber nicht mehr so schön hell und gelb aussahen, sondern eher ein wenig grau oder bräunlich und vor allem, dass die Kuchen viel leichter zerfielen, denn Vollkornmehl klebt nicht so gut wie feines Weißmehl. Doch wir Nachbarinnen tauschten unsere Erfahrungen aus und kamen zu dem Ergebnis, dass wir das mit der Vollwertigkeit nicht ganz so eng sehen wollten und einigten uns auf halb und halb, was ich übrigens bis heute beibehalten habe. Andere Nachbarskinder fanden unsere Kuchen viel leckerer als die Herkömmlichen in ihrem Zuhause. So leisteten wir also gleich noch etwas Aufklärungsarbeit bezüglich gesunder Ernährung. Auch mit Brot und Brötchen habe ich – mit gar nicht so schlechtem Ergebnis – experimentiert, zur regelmäßigen Brotbäckerin bin ich aber trotz eigener Getreidemühle nicht geworden. Bewährt bis heute hat sich die Mehlschwitze, nur noch mit frisch gemahlenem Weizen. 

Die zweite Errungenschaft war das Frischkornmüsli mit selbst geschrotetem und über Nacht eingeweichtem Getreide. Tolles Rezept meiner ebenfalls ernährungsbewussten Cousine. Mit geriebenem Apfel und frisch geschlagener Schlagsahne deutlich gesünder, allerdings auch deutlich aufwändiger, als die Müslimischungen aus der Tüte. Der Erfolg bei den Kindern war mittelmäßig, beliebter waren eindeutig Cini-Minis, die es aber nur zu besonderen Anlässen in den Ferien gab. Das selbstgemachte Frischkornmüsli ist jedoch bis heute der Hit, wenn ich es zu Frühstückseinladungen mitbringe, auch wenn die Damen mittlerweile 60+ sind. 

Und dann gab und gibt es noch den berühmten Grünkernauflauf nach dem Rezept einer Kindergartenmutter. Mit der Getreidemühle war es ja kein Problem, den dafür erforderlichen Grünkernschrot selbst herzustellen. Bei unseren Kindern war der Auflauf einigermaßen gelitten, was jedoch nicht für die zahlreichen Neffen und Nichten galt, deren Eltern weniger vollwertig orientiert waren. Hatten die Kinder sich doch schon auf die leckere Lasagne gefreut, die ich ihnen beim letzten Besuch zubereitet hatte. Nun aber gab es Grünkernauflauf und ich weiß nicht, ob es schon der Name war oder die vielen Körner, mit denen er angereichert war. Jedenfalls wollten alle nur eine kleine Portion und die Nichte, die einem Nachschlag zustimmte, wurde als Schleimerin verspottet. Seitdem ist Grünkernauflauf ein geflügeltes Wort in unserer Familie und jedes neue Familienmitglied muss ihn als Härtetest einmal über sich ergehen lassen, damit es weiß, wovon die Rede ist. 

Ja, und die Getreidemühle selbst, die macht einen Höllenlärm. Die kleine Spielgefährtin unserer Tochter fing jedes Mal vor Schreck an zu weinen, wenn die Kinder bei mir in der Küche spielten und ich das Gerät einschaltete. Die Freundin, mit der ich mir die Mühle anfangs teilte, ist längst weggezogen und hat inzwischen selber eine. Sie geht tunlichst in den Keller, wenn ihre Mühle läuft, um den Lärm nicht zu hören. 

Seit nunmehr 35 Jahren steht sie in unserer Küche und leistet gute Dienste. Sie läuft und läuft, macht immer noch Lärm und musste noch kein mal repariert werden. Sie hat nicht so ein schickes, ökologisch angehauchtes Holzdesign, wie die Getreidemühlen, die heute angeboten werden. Für mich ist sie nicht nur das Symbol der ‚Generation Müsli‘ sondern auch zu einer treuen Begleiterin geworden, die unsere Ernährungsgewohnheiten geprägt hat und ohne die ich mir meinem Hausfrauenalltag kaum mehr vorstellen könnte. 

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Bisher erschienen in der Reihe:

  1. DER HERD

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Jutta Pivecka sagt:

    Liebe Juliane, an Deinem Beitrag ist für mich besonders interessant, dass ich nie zuvor bewusst eine elektrische Getreidemühle in einem Haushalt gesehen habe. Dieser “Trend” der 80er Jahre ist offenbar an mir und meinem Umfeld völlig vorüber gegangen. Woran das wohl liegt? Einerseits ist es vielleicht eine Frage der Generationen: meine Großmütter und meine Mutter waren zu alt für diesen Trend und ich selbst in den 80ern zu jung? Vielleicht kommt auch das Milieu, in dem man sich bewegt, hinzu? Es wäre interessant, denke ich, zu überlegen, wo und wann welche Vorstellungen zu Hausarbeit und Ernährung sich entwickeln und auch hegemonial werden – und wie sehr auch solche Vorstellungen Gesellschaft “spalten”, weil die unterschiedlichen Gruppen einander gar nicht mehr wahrnehmen oder auch abwerten. Denn immer wieder werden mit solchen Lifestyle-Entscheidungen auch Distinktionsgewinne verbunden. (Ich denke da z.B. auch die Vegetarisch/Vegan-Bewegung u.ä.)
    Witzig für mich selbst ist auch die Erkenntnis, wenn ich über den “Grünkernauflauf” lese, wie sehr bei mir das Attribut “gesund” mit “nicht lecker” verbunden ist. Solche Voreinstellungen sind ja oft entscheidend dafür, wie man etwas wahrnimmt. Wenn man mir also sagt, ein Gericht sei besonders gesund, dann gehe ich davon aus, dass es nicht besonders gut schmeckt (und vice versa). (Mein Sohn arbeitet gerade an einer Studie zu dem Thema.) Es wäre also wichtig, Menschen wie mich mit anderen Zuschreibungen davon zu überzeugen, “Gesundes” zu probieren. ;-)

    Im Laufe dieser Serie werde ich mir Notizen machen zu vielen verschiedenen Aspekten des Themas für ein mögliches Fazit -> die Frage nach den Milieus und ihrer Nutzung und Wertung von Geräten ist eine davon.

  • Maria Drexler sagt:

    ich kann deinem Beitrag nur voll und ganz zustimmen, war ich doch auch eine solche Mutter aus den 80-er Jahren. Mein Mühle steht auch noch heute in der Küche und mahlt mir feinstes Mehr für z.B. Dinkelpfannkuchen, die ich super-lecker finde. Lediglich der Gummi, der den Mehlstaub eindämmen sollte, ist hinüber und nicht mehr nachbestellbar.
    Wenn dieses Gerät auch nach 40 Jahren noch vollumfänglich arbeitet, bezeichne ich dies als Nachhaltigkeit. Die war früher eigentlich normal, heute SPRICHT man nur von Nachhaltigkeit und produziert trotzdem hauptsächlich für den Müll. Moderne Mühlen sind teilweise immer noch aus Holz, haben aber viele Plastikteile.
    liebe Grüße

  • Fidi Bogdahn sagt:

    Unsere radikal alternative Lebensweise ermöglichte es uns damals nicht, eine teure Getreidemühle zu kaufen. Wir hatten aber ein kleines Zusatzgerät passend zur Mini Küchenmaschine; das funktionierte einwandfrei, auch wenn es, was sehr verpönt war, das Mehl beim mahlen etwas warm wurde…
    es war dafür nicht ganz so laut wie Julianes Mühle.
    Noch beeindruckender in der Erinnerung sind für mich die zwei großen Getreidesäcke in der Speisekammer:
    einer mit Roggen der andere mit Dinkel oder zeitweise Einkorn.
    Denn natürlich backten wir unser Brot selbst!! (Den Sauerteig hütete ich wie meinen Augapfel.)
    Unser damaliges Leben war voll und von der Arbeit geprägt; das ergab sich so; darin lebten wir sehr bewußt.

    Den Sauerteig etc. gibt es heute nicht mehr.
    Geblieben ist die Erinnerung an diese so eigen politische Zeit
    voller Dankbarkeit.

  • Interessant, auch das was Jutta schreibt – Ich war Mitte der 1980er als das aufkam, 20 und fand das „müslihafte“ alles schon ziemlich cool, allerdings hat es wirklich nicht gut geschmeckt. Vermutlich, weil es nicht Hausfrauen waren, deren Vollkornsachen ich gegessen habe, sondern junge Erwachsene, zum Beispiel mein damaliger Freund, der fünf Jahre älter war als ich und auch jeden Abend sein Müsli eingeweicht hat. Ich meine mich daran zu erinnern, dass er eine (allerdings glaube ich handbetriebene – gibt es das?) Getreidemühle sogar mal mit in den Campingurlaub genommen hat. Und er hat natürlich auch keine Schlagsahne ins Müsli getan. Jedenfalls habe ich nach meiner Trennung von ihm und diesem „Milieu“ dann lange gar nichts mit selbstgemahlenem Vollkorn zu tun gehabt, bis ich kürzlich festgestellt habe, dass mein Thermomix auch Getreide mahlen kann (allerdings, da er nicht aus Stein ist, befürchte ich, dass er es „hackt“ – ist das denn schlimm???) – und damit mach ich mir manchmal wieder über Nacht eingeweichtes geschrotetes Vollkornmüsli, denn mit viel Obst und gerne auch mit Schlagsahne schmeckt das nämlich wirklich sehr gut und gar nciht „Müsli“ :))

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